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Japanische Wirtschaft: Der rechte Ministerpräsident hat ein Konjunkturprogramm

Bestandteil des japanischen Konjunkturprogramms 2016: Arbeiter sollen die AKW-Misere ausbaden„Weiter so! Wir schaffen das“, lautet offenbar auch der wirtschaftspolitische Leitspruch von Japans konservativem Regierungschef Shinzo Abe. Vergleichbar einem Roulettespieler, der trotz anhaltender Verluste meint, einmal müsse es doch klappen, beschloss sein Kabinett nach der gewonnenen Oberhauswahl Anfang August eine neue Konjunkturspritze – die größte seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008. Mit dem Einsatz von 28,1 Billionen Yen (aktuell 245 Milliarden Euro) will man die Wirtschaft ankurbeln und die mageren Wachstumsraten von knapp über null Prozent hinter sich lassen. Außerdem soll die Deflation, das heißt der Preisverfall, überwunden werden, der den Privatkonsum lähmt“ – aus dem Artikel „Letztes Strohfeuer“ von Raoul Rigault (ursprünglich am 10. August 2016 in der jungen Welt unter dem Titel „Neues Strohfeuer“ – wir danken dem Autor!

Letztes Strohfeuer

Mit einem neuen Konjunkturpaket will Japans Regierung die Stagnation überwinden und treibt den Schuldenberg in schwindelerregende Höhen.

Von Raoul Rigault

„Weiter so! Wir schaffen das“, lautet offenbar auch der wirtschaftspolitische Leitspruch von Japans konservativem Regierungschef Shinzo Abe. Vergleichbar einem Roulettespieler, der trotz anhaltender Verluste meint, einmal müsse es doch klappen, beschloss sein Kabinett nach der gewonnenen Oberhauswahl Anfang August eine neue Konjunkturspritze – die größte seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008. Mit dem Einsatz von 28,1 Billionen Yen (aktuell 245 Milliarden Euro) will man die Wirtschaft ankurbeln und die mageren Wachstumsraten von knapp über null Prozent hinter sich lassen. Außerdem soll die Deflation, das heißt der Preisverfall, überwunden werden, der den Privatkonsum lähmt.
Ein bisschen Augenwischerei ist freilich auch dabei, denn in der Mehrheit handelt es sich um zinsverbilligte Kreditprogramme für langfristige Investitionen, die zunächst kaum Wirkung entfalten werden. Mit 13,5 Billionen Yen besteht weniger als die Hälfte der gigantischen Summe aus konkreten fiskalischen Maßnahmen und auch darunter sind 6 Billionen Yen an zweckgebundenen Schulden zur Finanzierung von Investitionen. Der größten Batzen fließt in den Bau der Magnetschwebebahn, die Tokio von 2027 mit Nagoya und ab 2045 auch mit Osaka im Westen des Landes verbinden soll.

Anders als bei den zahlreichen früheren Konjunkturpaketen bekommt dieses Mal neben den Unternehmen auch das gemeine Volk etwas ab. 22 Millionen Haushalte mit niedrigem Einkommen erhalten einen Scheck in Höhe von 15000 Yen (131 Euro), um ein paar Einkäufe zu erledigen und den Handel zu beglücken. Nachhaltige Verbesserungen wie die von Gewerkschaften geforderte Anhebung des Mindestlohns auf 1000 Yen (9 Euro) pro Stunde lehnt Abe strikt ab, obwohl das monatliche Durchschnittseinkommen seit Jahren bei 314000 Yen stagniert, während die Unternehmen in dieser Zeit riesige Geldsummen horteten.

Immerhin sollen durch eine Verringerung der Pflichtbeitragsjahre für die Rentenkasse mehr ältere Menschen öffentliche Pensionen bekommen. Auch an mehr Studienkredite ist gedacht. Für die Jüngsten und ihre berufstätigen Eltern soll das Kita-Angebot durch höhere Gehälter für die Erzieher(innen) verbessert werden. Unter den direkten Staatsausgaben von insgesamt 7,5 Billionen Yen ist ein Drittel für soziale Zwecke bestimmt und 1,7 Billionen für den Ausbau der Infrastruktur. Kleine und mittlere Firmen erhalten 600 Milliarden Yen, während 2,6 Billionen als Hilfe in die Erdbebengebiete rund um Kumamoto auf der südlichen Hauptinsel Kyushu gehen.

Das Urteil selbst Abe freundlich gesinnter westlicher Beobachter könnte allerdings vernichtender kaum sein: In der Vergangenheit habe es „genug Versuche gegeben, die Konjunktur mit künstlichen Ausgabenprogrammen auf Kredit zu beflügeln. Außer nutzlosen Brücken ins Nirgendwo, konjunkturellen Strohfeuern und enormen Verbindlichkeiten haben sie kaum etwas gebracht“, lästert die „Neue Zürcher Zeitung“. Diese nach dem Regierungschef „Abenomics“ genannte Wirtschaftspolitik, ein Mix aus massiver Aufblähung der Geldmenge, sehr lockerer Haushaltspolitik und in Aussicht gestellten dann aber doch nicht realisierten neoliberalen Strukturreformen, „hat die Verheißungen nicht erfüllt“, erkennt auch die FAZ. Der im Dezember 2012 nach einem kurzen Intermezzo 2007 an die Hebel der Macht zurückgekehrte Chef der rechten Liberaldemokratischen Partei habe „seine geld- und fiskalpolitischen Befugnisse nicht benutzt, um die Produktivität zu steigern, sondern um sich Popularität zu kaufen“, kritisiert der britische „Economist“.

Aufmerksameren Analysten war schon lange klar, dass die viel umjubelten Abe-Erfolge eher kläglich ausfielen: Wenn die Wirtschaft während seiner Amtszeit „so schnell wuchs, wie seit 18 Jahren nicht“ („The Economist“), dann deshalb weil Nippon zuvor zwei verlorene Jahrzehnte mit immer neuen Rezessionen erlebte. Auf den ersten Blick mag der Anstieg des Börsenindex Nikkei-225 von unter 10000 auf nun gut 16000 Punkte beeindruckend sein, dabei wird allerdings vergessen, dass er 1989 bereits bei knapp 39000 Punkten lag. Wahrlich schlimm muss es um das Land der Aufgehenden Sonne stehen, wenn zu den Lichtblicken zählt, dass der größte Speisewürze-Hersteller Kagome zum ersten Mal seit 25 Jahren den Preis für seinen Ketchup angehoben hat – angeblich ein Beweis für die weitgehende Überwindung der Deflation.

Viel entscheidender ist der exorbitante Schuldenberg, der durch das neue Paket weiter in die Höhe getrieben wird, obwohl die öffentlichen Verbindlichkeiten bereits jetzt 250 Prozent Bruttoinlandsproduktes ausmachen. Zum Vergleich: Die als untragbar erachteten Werte für Griechenland und Italien belaufen sich auf 168 bzw. 134 Prozent. Mit einem Taschenspielertrick versuchen LDP-nahe Kreise das Verhältnis „wegen der umfangreichen Staatsguthaben“ auf 130 Prozent des BIP herunterzurechnen. Unter den Teppich gekehrt werden dabei auch die in diversen anderen Töpfen versteckten zusätzlichen Schulden.

So landen die drei Billionen Yen (knapp 27 Mrd. Euro) für Japans Superzug in einem FILP getauften Sonderhaushalt. Ebenfalls nicht berücksichtigt sind die Kosten für Entschädigungen, Abriss und die sichere Lagerung des radioaktiven Mülls aus der Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima 2011. Bisher sind dafür mehr als 10 Billionen Yen (90 Milliarden Euro) veranschlagt, doch dieses Kostenmodell gilt als wackelig und der mehrheitlich in staatlicher Hand befindliche Betreiber Tepco mit den Zahlungen überfordert. Schon erwägt die Regierung die Einrichtung eines öffentlichen Fonds, der die Kosten zeitweise übernimmt.

‚Bislang funktionierte die rekordverdächtige Staatsverschuldung weil die Japaner in unerschütterlichem Vertrauen Regierungsanleihen erwarben. Die sind durch die Geldpolitik inzwischen allerdings sehr unattraktiv geworden. Obwohl in den letzten Tagen leicht angestiegen, liegt die Rendite für Papiere mit zehnjähriger Laufzeit gegenwärtig mit minus 0,025 Prozent unter Null. Daher springt immer öfter die Zentralbank selbst ein. Dass ihr Direktorium Ende Juli beschloss das Volumen der Staatsanleihekäufe bei 80 Billionen Yen (720 Mrd. Euro) im Jahr zu belassen und vorerst nicht noch weiter auszudehnen, verstörte die Märkte. Bei der grundlegenden Überprüfung auf der nächsten Sitzung Ende September könnte es dann allerdings doch zum berüchtigten Geldabwurf aus Helikoptern kommen.

Angesichts der Aufwertung des Yen im Verhältnis zum US-Dollar um fast 20 Prozent seit Januar und der wirtschaftlichen Verlangsamung in China besteht Handlungsbedarf. Viele exportorientierte Großkonzerne leiden spürbar unter dem Währungskurs: Für das erste Quartal meldete der Autobauer Toyota einen Umsatzrückgang um 5,7 Prozent. Betriebsgewinn und Überschuss sanken um jeweils 15 Prozent. Ähnlich erging es Honda und Nissan Motor. Beim Elektronikproduzenten Sony schrumpfte der Umsatz um 10,8 Prozent und der Gewinn gar um drei Viertel. Tragen müssen die Lasten wie immer die Arbeiter und Angestellten. So will Toyota ein Drittel der Einbußen durch Kosteneinsparungen wettmachen.
Wenn das Strohfeuer des aktuellen Konjunkturprogramms erloschen ist, werden –  neben der fälligen Sanierung des Staatshaushaltes – die lange geplanten einschneidenden Reformen, wie der Abbau des Kündigungsschutzes und eine „mehr leistungsorientierte Bezahlung“ auf der Tagesordnung stehen.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=103665
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