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Die Radikalisierung der Rechten in Italien – ein Interview

Antifaplakat aus Cremona Juni 2015„Alle rechten Kräfte werden extremistischer“ ist ein Interview von Raoul Rigault mit Sergio Cararo (Rete dei Comunisti – Netzwerk der Kommunisten) hier in der Vollfassung mit Dank an den Autor (ursprünglich am 03. Juli 2015 in der jungen welt), worin es unter vielem anderen heißt „Matteo Salvinis Lega Nord ist nicht mehr die auf „Padanien“, also die reichen Regionen Norditaliens, beschränkte Partei. Ihr Projekt ist es, eine reaktionäre Massenbewegung zu schaffen, die im ganzen Land verbreitet ist. Anfangs hat ihr neuer Chef Salvini mit Reden über den Ausstieg aus dem Euro Stimmen bekommen, weil die auf das Interesse der Kleinunternehmen stießen, die durch die von der Eurozone festgelegten Wechselkurse zerstört wurden. Denn die Gemeinschaftswährung hat zu einem Exportrückgang und zu einem Einbruch des Binnenmarktes, aufgrund der schwindenden Einkommen und des schrumpfenden Konsums geführt. Doch die Lega hat jetzt fast alle neofaschistischen Gruppen mit ins Boot geholt

„Alle rechten Kräfte werden extremistischer“

Sergio Cararo lebt in Rom. Er ist führendes Mitglied des Rete dei Comunisti (Netzwerk der Kommunisten), das in der außerparlamentarischen Linken Italiens eine bedeutende Rolle spielt, und Direktor ihrer Zeitung „Contropiano“

Raoul Rigault

Bei den jüngsten Regionalwahlen in Italien siegte die Demokratische Partei (PD) in fünf Regionen. Dennoch sagt Ministerpräsident Matteo Renzi dies sei „der schwierigste Moment“ seit seinem Amtsantritt vor 15 Monaten. Warum?

Weil Renzi sein politisches Schicksal auf den Mythos des Erfolgs aufgebaut hat. Die Tatsache, dass der „positive“ Trend auf ernste Schwierigkeiten trifft, was Wählerstimmen und Glaubwürdigkeit anbelangt, schwächt das Image des siegreichen Leaders. Außerdem gab es eine sehr harte Auseinandersetzung um das neue Gesetz über die öffentlichen Schulen, das einen Frontalangriff auf die Lehrerschaft bedeutet, die traditionell zur Stammwählerschaft des PD zählt. Daher hat ein erheblicher Teil der PD-Anhänger bei den letzten Wahlen aus Protest gegen Renzis Diktate nicht für die Partei gestimmt. In der Toskana zum Beispiel, einer historisch gesehen „roten“ Region und Stammland des PD, hat sie 500.000 Stimmen verloren.

Deutlich hinzugewonnen hat die rechtspopulistische Lega Nord. Aber kann die Lega wirklich die Führungsrolle innerhalb der Rechten übernehmen und zur wichtigsten Herausforderin Renzis werden?

Matteo Salvinis Lega Nord ist nicht mehr die auf „Padanien“, also die reichen Regionen Norditaliens, beschränkte Partei. Ihr Projekt ist es, eine reaktionäre Massenbewegung zu schaffen, die im ganzen Land verbreitet ist. Anfangs hat ihr neuer Chef Salvini mit Reden über den Ausstieg aus dem Euro Stimmen bekommen, weil die auf das Interesse der Kleinunternehmen stießen, die durch die von der Eurozone festgelegten Wechselkurse zerstört wurden. Denn die Gemeinschaftswährung hat zu einem Exportrückgang und zu einem Einbruch des Binnenmarktes, aufgrund der schwindenden Einkommen und des schrumpfenden Konsums geführt.mDoch die Lega hat jetzt fast alle neofaschistischen Gruppen mit ins Boot geholt. Gemeinsame Grundlage sind die Kampagnen gegen Einwanderer und die hier lebenden Roma und Sinti unter dem Motto „Italiener zuerst!“. An diesem Punkt polarisieren sich alle rechten Kräfte um die Lega herum und werden extremistischer. Wenn man sich bei den Wahlen durchsetzen will, ist allerdings eine Allianz mit der von Berlusoni geführten moderateren Rechten Pflicht.

In der „radikalen“ Linken setzt man jetzt auf eine Abspaltung des linken Flügels der Demokraten. Deren ehemaliger Kopf Giuseppe Civati hat sie bereits verlassen und eine eigene Kleinpartei gegründet. Teilst Du diese Hoffnungen?

In Wirklichkeit kann sich dieses Szenario ganz schnell ändern. Wenn Renzi Kräfte verliert, hat die so genannte Linke der Demokratischen Partei und die historische Gruppe, die aus der Kommunistischen Partei (PCI) kommt und von dem ehemaligen Christdemokraten Renzi brutal an den Rand gedrängt wurde, tendenziell eher innerhalb als außerhalb des PD Gewicht. Sie werden sich daher eher auf den parteiinternen Kampf konzentrieren als auf Bündnisse und Koalitionen außerhalb. Civati könnte ein isolierter und marginaler Einzelfall bleiben.

Welche Perspektiven hat die 1991 gegründete Rifondazione Comunista, die lange Zeit die zentrale Kraft der radikalen Linken war?

Rifondazione ist inzwischen sehr geschwächt und ähnelt nicht mal entfernt mehr der Partei, die sie bis 2008 war. Eine Spaltung nach der anderen und tiefe interne Gräben haben ihr politisches Gewicht und die Aktivität ihrer Mitglieder enorm verringert, bis hin zur Marginalisierung. Rifondazione Comunista scheint mehr zu einem Objekt der Vorschläge und Entscheidungen Anderer geworden zu sein als ein eigenständiges Subjekt, das in der Lage ist ein eigenes politisches Projekt zu verfolgen.

In Rom gibt es derzeit einen großen Mafia-Skandal. Worum geht es dabei und welche Tragweite haben die Geschehnisse?

Dieser Skandal hat Verstrickungen zwischen der Unterwelt, Faschisten und führenden Vertretern der Stadtverwaltung von Rom ans Licht gebracht – Behördenleitern sowohl aus der Rechten als auch aus der Demokratischen Partei. Es ging diesem Filz um das System der sozialen Kooperativen, das die öffentliche Wohlfahrt ersetzt hat und dem ein Großteil der sozialen Notdienste übertragen wurden (Unterbringung von Migranten, Wohnungsnotstand, Abfallbeseitigung etc.). Die kriminelle Geschäftemacherei geht allerdings noch sehr viel weiter und betrifft alle Bereiche, in denen die öffentlich Verwaltung Privatleuten Dienstleistungen übertragen hat, in punkto Umwelt genau wie im Wohnungswesen.

Wie weit ist die Justiz mit der Aufklärung?

Bislang haben die Ermittlungen wenig erbracht, verglichen mit dem, was wir selbst in den letzten Jahren beklagt hatten. Die Voraussetzungen für die Aktivitäten dieser Hauptstadt-Mafia wurden während der Amtszeit des demokratischen Bürgermeisters Walter Veltroni (einem ehemaligen KP-„Reformer“) bis 2008 gelegt und uferten dann unter seinem Nachfolger Gianni Alemanni (einem Ex-Funktionär des neofaschistischen MSI, später von Alleanza Nazionale und dann der Berlusconi-Partei PdL) aus. Damals wurden öffentliche Gelder in unermesslicher Höhe geraubt. Das Problem ist, dass unter der neuen Stadtregierung von Ignazio Marino (PD) mit dieser Praxis nicht gebrochen wurde. Deshalb fordern wir seinen Rücktritt, die Auflösung des Stadtrates von Rom und eine Säuberung unter den Leitern der Verwaltung.

Der Generalsekretär der größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM-CGIL, Maurizio Landini, hat eine „Soziale Koalition“ lanciert. Ist das ein zukunftsträchtiges Projekt zur Wiederbelebung der Kämpfe oder eher der x-te, zum Scheitern verurteilte Versuch eines Zusammenschlusses links der Demokraten?

Grundsätzlich ist das eine richtige Idee, die wir mit den Massendemonstrationen vom 18 und 19.Oktober 2013 vorweggenommen hatten, doch angesichts der aktuellen Verhältnisse steht zu befürchten, dass diese Coalizione Sociale nur dazu dient, ein politisches und gewerkschaftliches Personal der linken Parteien zu recyceln, das in einer tiefen Krise steckt. Wir haben eine öffentliche Auseinandersetzung über den Vorschlag der Sozialen Koalition versucht, aber ihre Vertreter (vor allem die aus den großen Gewerkschaften) weigern sich, weil es für eine Diskussion angeblich noch zu früh ist!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=83833
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