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Der Streik gegen Arbeitszwang in Italien war ein Erfolg. Die „alternativen“ Verhandlungen der großen Gewerkschaftsverbände mit der Regierung – weitaus weniger

USB-Streikbeginn am 25.3.2020 in der LombardeiSowohl der Streikaufruf der Basisgewerkschaft USB (und anderer Basisgewerkschaften) vor allem in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes in Italien, als auch die Streikaufrufe von Metallern und Chemiewerkern in den Regionen Lombardei und Latium, waren mit Streikbeteiligungen zwischen 60 und 90% ein Mobilisierungserfolg – basierend sowohl auf dem explodierenden Unmut über den Zwang zur Arbeit bei gleichzeitiger Ausgangssperre, als auch auf der ebenfalls wachsenden Kritik am ersten Dekret der Regierung über „lebensnotwendige Bereiche“, das ja nicht weniger als 12 Millionen Menschen im Land zur Arbeit zwang (siehe dazu unseren ersten Beitrag zu diesem konkreten Streik). Die Situation, in der Einzel- und Basisgewerkschaften zum Streik mobilisierten, während gleichzeitig die großen Verbände mit der Regierung über eine engere Fassung des Arbeitszwangs-Dekrets verhandelten, brachte in gewerkschaftlichen Reihen einige publizistische Kapriolen mit sich – die am Ende versucht werden, mit Erfolgsmeldungen über die Verhandlungen zu überspielen. Ein „Erfolg“, der im Wesentlichen darin besteht, dass die Zahl der zur Arbeit verpflichteten gesenkt wurde. Von den genannten 12 Millionen Menschen auf sage und schreibe 11,8 Millionen… Zum Streik am 25. März 2020 und seinen Auswirkungen einige aktuelle Beiträge:

„Italien: Generalstreik trotz Pandemie bricht das Klima “nationaler Einheit”“ von Giacomo Turci am 26. März 2020 bei Klasse gegen Klasse externer Link (in deutscher Übersetzung von Stefan Schneider) fasst den Tag unter anderem so zusammen: „… Diese Maßnahme, zusammen mit dem starken Druck eines großen Teils der Arbeiter*innenklasse an der Basis der großen Gewerkschaftsverbände, veranlasste die Regierung und die Anführer*innen der Gewerkschaftsdachverbände CGIL, CISL und UIL zu einem Dialog auf einer Sitzung am 24. und 25. März, was zur Definition einer Vereinbarung über die Schließung eines größeren Sektors von Unternehmen führte. Diese Gewerkschaften zogen somit jegliche Unterstützung für den Streik zurück, bevor sie gestern in einer vagen und zweideutigen Erklärung den Beschäftigten “die Erlaubnis” gaben, sich zu mobilisieren und in den Streik zu treten. Unter dem Druck ihrer Mitglieder streikten in den beiden wichtigen Industrieregionen Latium und Lombardei die Metall‑, Chemie- und Papierindustrie, und die Gewerkschaftsverbände selbst waren gezwungen, den Erfolg des Streiks anzuerkennen, wobei die Streikteilnahme zwischen 60 und 90 Prozent lag. Am Tag des Streiks gab es insgesamt viel mehr Teilnahme als nur von den Mitgliedern der USB (einige Zehntausende, die sich auf den öffentlichen Sektor konzentrieren): So unterzeichneten beispielsweise mehr als 400 Krankenpfleger*innen einen Aufruf, in dem sie alle, die nicht in wesentlichen Bereichen arbeiten (wie medizinisches Personal), zum Streik aufforderten, und sie schlossen sich mit einer symbolischen Streikminute an und verbreiteten den Hashtag #scioperaperme (Streik auch für mich). Im Fall von Ilva de Taranto “befahl” das Unternehmen unter dem Vorwand, den Hochofen am Brennen zu halten, vielen Menschen die Arbeit und verweigerte ihnen damit das Streikrecht. Die Kommission zur Gewährleistung des Streikrechts focht die Streikausrufung durch die USB an, wobei sie Sicherheitsgründe im Zusammenhang mit der Pandemie anführte und sich das Recht vorbehielt, Sanktionen gegen die Gewerkschaft zu verhängen…“

„Arbeiten und streiken in den Zeiten von Corona“ am 26. März 2020 bei kommunisten.de externer Link fasst nochmals die Auseinandersetzung um „notwendige Bereiche“ zusammen (ohne weiter auf Basisgewerkschaften einzugehen…): „… „Wir bremsen den ganzen Produktionsmotor des Landes“, hatte Italiens Premier Giuseppe Conte in einer Fernsehansprache am 1. März gesagt. Vorerst bis 3. April sollen alle Fabriken, Unternehmen und Ämter geschlossen werden, deren Produkte und Dienstleistungen nicht notwendig sind für das Funktionieren der Gesellschaft. Conte zufolge bleiben nur Branchen offen, die „nötig“ und „wesentlich“ sind. Mit diesem Erlass gab die Regierung dem Druck nach, der durch Streiks entstand, die in Unternehmen durchgeführt werden, die sich weigern, die Gesundheitsvorschriften einzuhalten. Insbesondere die Metallgewerkschaft FIOM hat zu Streiks in diesen Betrieben aufgerufen und gemeinsam mit dem Dachgewerkschaftsbund CGIL verlangt, dass die Arbeit eingestellt wird „mit Ausnahme der wesentlichen Dienstleistungen und der auf die Produktion und den Transport von Grundbedarfsgütern ausgerichteten“. „Die Einstellung der Produktionstätigkeit für etwa zehn Tage bedeutet eine Verringerung der Kontaktmöglichkeiten zwischen den Menschen und damit eine Eindämmung der Ansteckungswahrscheinlichkeit mit Vorteilen sowohl für die Gesundheit der Menschen als auch für unser Gesundheitssystem, das vor der Gefahr eines Zusammenbruchs bewahrt werden muss“, erklärte die FIOM. Doch die Hoffnung von Millionen von Arbeiter*innen in nicht lebensnotwendigen Wirtschaftszweigen, zu Hause bleiben zu können, um ihre eigene Gesundheit und die ihrer Angehörigen zu schützen, wurde enttäuscht. Die Regierung gab dem Druck der Industriellen nach. „Der Begriff »wesentlich« wurde aus geschäftlicher Sicht gelesen, und so ist die Liste der erlaubten Aktivitäten ungewöhnlich und ungerechtfertigterweise angeschwollen: von der Luft- und Raumfahrt bis zu professionellen Studios, von Hotels bis zu Gummibetrieben, von der Militärindustrie bis zum Kohlebergbau“, erklärte der Nationalsekretär der Partito della Rifondazione Comunista – Sinistra Europea, Maurizio Acerbo. Nach Auffassung von Regierung und Industriellenverband Confindustria sind fast 60% Prozent der italienischen Lohnempfänger unverzichtbar…“

„General strike to close down non-essential activities was a great success. Solidary Health care with symbolic stoppage“ am 26. März 2020 bei Enough is Enough externer Link ist die englische Übersetzung der Mitteilung der Basisgewerkschaft USB über den Streiktag, die diesen als bedeutenden Erfolg bewertet, sei der Aufruf doch an vielen Orten des Landes mit bis zu 70% Beteiligung befolgt worden.

„USB: un grande successo lo sciopero generale per chiudere le attività non essenziali. Partecipatissimo stop simbolico della sanità“ am 25. März 2020 bei der USB externer Link ist die original italienische Mitteilung zum Streiktag, die im vorherigen Beitrag übersetzt ist.

„Coronavirus, con l’aggiornamento del decreto cambiano le attività essenziali, ma solo 200mila lavoratori in meno“ von Salvatore Cannavo am 26. März 2020 bei Il Fatto Quotidiano externer Link berichtet vom Ergebnis der erneuten Verhandlungen und nennt dabei auch ganz konkrete Zahlen für einzelne Bereiche, die in der Summe etwa 200.000 (bis maximal 250.000) Menschen ergeben, die nun in der Ausgangssperre nicht mehr arbeiten müssen…

„Italian metalworkers strike to halt non-essential production“ am 26. März 2020 bei IndustriAll externer Link meldet den italienischen regionalen Metallstreik vom Vortag – unter anderem mit Verweis auf die gemeinsame Mitteilung der Metallgewerkschaften der drei Verbände, die diesen Streik als Unterstützung der Verhandlungen mit der Regierung bewertet wissen möchten.  Was mindestens ebenso fraglich ist, wie die dabei erzielten Verhandlungsergebnisse…

„Ein neues Abkommen zum Schutz der Arbeiter*innen“ im Telegram von Maurizio C. am 26. März 2020 (wir danken!!!) berichtet genauer von den Vereinbarungen: „Während für gestern Mittwoch, den 25. März, die unabhängige Gewerkschaft USB (Unione Sindacale di Base) zu einem Generalstreik aufgerufen hatte, verhandelten die drei grossen Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL und UIL mit der Regierung ein Abkommen zur Neudefinition der „lebensnotwendigen Sektoren und Branchen“. Die Verhandlungen wurden nicht nur vom Generalstreik der Basisgewerkschaft begleitet, sondern auch vom Streik der Maschinen- und Metallarbeiter*innen der drei Gewerkschaften in den Regionen Lombardei und Lazio. Laut Angaben der Gewerkschaftsverbände belief sich die eteiligung auf 60 bis 90%. Das neu verhandelte Abkommen sieht eine Einschränkung der Sektoren und Branchen vor, die während der Corona-Krise weiterproduzieren dürfen. Tatsächlich werden nun gewisse Branchen geschlossen, weil nicht als unmittelbar lebensnotwendig angesehen (Gummi- und Pneuproduktion, gewisse Bereiche der Papierproduktion, Bau von Landwirtschaftsfahrzeuge, outbound Call Center Dienste, gewisse Bereiche der Waffen- und Munitionsherstellung, um nur einige zu nennen). Mit der letzten Verordnung waren noch italienweit 12 Millionen Arbeiter*innen tätig. Diese Zahl sollte nun reduziert werden. Zwei weitere Punkte wurden im neuen Abkommen geregelt: 1. Die letzte Regelung von Premierminister Conte sah einen einfachen Eigenbeleg vor, den die Unternehmen den Behörden vorlegen mussten, um weiterproduzieren zu können; nun sind die Behörden gezwungen, bei Erhalt eines solchen Eigenbelegs die Gewerkschaften zu konsultieren, um festzulegen, ob es sich tatsächlich um einen unentbehrlichen Produktionssektor handelt. 2. In Sachen Prävention und Sicherheit der Gesundheitsarbeiter*innen sind rigorosere Maßnahmen vorgesehen, vor allem was die Verteilung von individuellen Schutzdispositiven wie Atemschutzmasken und Handschuhe angeht. Zudem wird ein nationales Komitee gegründet, das für die spezifische „Überwachung der Lage in den Gesundheitseinrichtungen“ verantwortlich sein soll“.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=167539
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