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Armutsrevolten in Süditalien erzwingen Grundeinkommen

Proteste gegen die EZB-Ratssitzung in NeapelIn Italien entwickelt sich die Corona-Krise immer mehr zu einer sozialen Krise. In den letzten Tagen wurden in den süditalienischen Städten Bari, Napoli und Palermo Supermarkets regelrecht gestürmt: Familienväter haben lebensnotwendige Produkte eingepackt und an der Kasse mitgeteilt, dass sie das nötige Geld nicht haben, um ihren Kindern Essen zu kaufen, weil sie ihren Job verloren haben. Seither patroullieren vor den Supermarkets Polizei und Carabinieri. Vor allem in Süditalien ist die „Corona-Armut“ eine weit verbreitete Realität. Laut der Gewerkschaft CGIL ist in Palermo jeder dritte Job in der Landwirtschaft, in der Baubranche und im tertiären Sektor irregulär, ohne Vertrag (schwarz) und prekär. Viele dieser Arbeiter*innen wurden von einem Tag auf den anderen entlassen, ohne Recht auf Erwerbslosenentschädigung, ohne Ersparnisse; zudem leben sie nun eingesperrt in kleinen Wohnungen mit der ganzen Familie, ohne Ausgehmöglichkeiten. Es handelt sich also um eine Kumulation von ökonomischen, sozialen und psychologischen Problemen. In den letzten Tagen wurde von unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Organisationen und sozialen Bewegung die Forderung nach einem „Quarantäne-Einkommen“ laut: Der Staat solle allen Menschen, die gezwungen sind, in Quarantäne zu leben und daher zurzeit kein Einkommen und keine Ersparnisse haben, eine finanzielle Unterstützung bezahlen. Diese Forderung wird auch von vielen Bürgermeister*innen süditalienischer Gemeinden unterstützt…“ – aus dem Telegram-Post „Bald ein „Quarantäne-Einkommen“ für alle?“ von Maurizio C. am 27. März 2020, wie es LabourNet Germany zugesandt wurde (danke!). Siehe dazu auch die Fortsetzung dieses Telegram-Posts sowie einen weiteren, nachdem die Regierung Conte eben dieses Grundeinkommen beschlossen hat, sowie einen weiteren aktuellen Beitrag zur Revolte im Süden des Landes:

  • Der oben zitiert Post wird wie folgt fortgesetzt: „Diese öffentlichen Kampagnen haben ein erstes Resultat erzeugt. Die Regierungspartei 5-Sterne-Bewegung (M5S) hat sich gestern über ihr Sprecher*innen der parlamentarischen Bilanzkommission folgendermaßen dazu geäußert: „Ohne Einführung des Grundeinkommens vor einigen Monaten wären heute 4 Millionen Menschen in noch größeren Schwierigkeiten. Aufgrund dieser plötzlichen Corona-Krise müssen wir ernsthaft in Erwägung ziehen, die Kriterien für den Bezug des Grundeinkommens zu reduzieren und das Grundeinkommen universalistisch und bedingungslos zu machen.“ In den kommenden Tagen will Premierminister Giuseppe Conte das nächste ökonomische Hilfspaket von 25 Milliarden Euro vorstellen. Zurzeit ist jedoch noch offen, ob eine allgemeine finanzielle Unterstützung für Menschen in prekärer Lage darin Platz finden wird“.
  • Und nach dem Beschluss der Regierung, ebenfalls am 27. März 2020:
    Eine neue Verordnung soll den Schwächsten finanziell unter die Arme greifen, doch die Maßnahmen sind ungenügend“, worin es heißt: „An der gestrigen Medienkonferenz haben Premierminister Giuseppe Conte und Wirtschafts- und Finanzminister Roberto Gualtieri neue Direkthilfen für armutsbetroffene Menschen versprochen. Nach den zahlreichen Aktionen von Menschen, die in den Supermarkets den Einkauf nicht bezahlen wollten und dem Bericht der italienischen Geheimdienste, die „spontane und organisierte Revolten und Rebellionen im Süden des Landes“ prognostizierten, sah sich die Regierung gezwungen, zu handeln. Die neue Verordnung wurde noch nicht veröffentlicht, doch vorgesehen sind zwei wesentliche finanzielle Maßnahmen: Erstens die vorgezogene Zahlung von 4.3 Milliarden Euro an den Solidaritätsfonds für die Kommunen, die für die Vergabe von Essensgutscheinen vorgesehen sind; zweitens die Vergabe von weiteren 400 Millionen Euro an den Zivilschutz, die zum gleichen Zweck verwendet werden sollen. Zudem hat Minister Gualtieri angekündigt, dass das aktuelle Grundeinkommen von rund 600 Euro ausgedehnt werden soll zu einem sogenannten „Notstandseinkommen“. Ab dem 1. April soll das nationale Sozialversicherungsamt INPS schon die ersten Zahlungen für prekäre und selbständig arbeitende Menschen tätigen, die aufgrund des Coronavirus kein Einkommen mehr haben. Wie können diese Direkthilfen bewertet werden? Drei Punkte müssen hier unterstrichen werden: 1. Die geplante Summe ist im Vergleich zur Notlage tief, denn bei den 4.3 Milliarden Euro für den Solidaritätsfonds handelt es sich nicht um eine Extrazahlung an die Kommunen, sondern um eine vorgezogene Zahlung des Mai-Beitrags; tatsächlich stellt der italienische Staat mit diesem Dekret also nur 400 Millionen Euro bereit. 2. Der Staat gibt die Verantwortung an die Kommunen weiter, die jedoch aufgrund der finanzielle Einsparungen, dem Abbau von Sozialdiensten und Personal in den letzten Jahren kaum in der Lage sein werden, auf die aktuelle Krise zu antworten – und dies nicht nur im Süden. Der Zentralstaat beschränkt seinen Eingriff auf die repressive Seite mit Polizei- und Militärpräsenz in den Quartieren. 3. Wie von Conte gestern unterstrichen, „kann diese Krise ohne die Freiwilligenarbeit der Bürger*innen nicht überwunden werden.“ Tatsächlich wären heute viele Gesundheitsstrukturen ohne die Hilfe der freiwilligen Sanitäter*innen nicht funktionsfähig. Ein konkretes Beispiel: In Napoli werden ab Montag 30. März (ganze vier Wochen nach dem Ausbruch der Corona-Krise!!) fünf Ärzt*innengruppen in der Stadt beginnen, die Covid-Tests bei Menschen mit Symptomen zu machen. Bei diesem Personal handelt es sich um Freiwillige, die den Personalmangel in den Gesundheitsdiensten auffangen. Wenn das öffentliche System nur Dank dieser Frewilligenarbeit funktioniert, dann handelt es sich um ein Scheitern staatlicher Institutionen“.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=168117
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