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Zurück zur Normalität in Italien – das „System Fiat“ war sowieso nie weg: Prekär, brutal und hemmungslos

Lower Class Magazin: Über die Kämpfe der Massenarbeiter*innen und den OperaismusDie Geschichte des italienischen Kapitalismus ist die Geschichte von Fiat, dem Autohersteller aus Torino. Fiat war ein wesentlicher Motor der industriellen Entwicklung, gleichzeitig aber auch Hauptschauplatz der Klassenkämpfe Italiens. Im 2014 fusionierte der Autohersteller mit dem US-amerikanischen Chrysler zu Fiat Chrysler Automobiles (FCA). Heute gehören landesweit 16 Produktionsstandorte mit rund 55.000 Arbeiter*innen zu FCA Italy. In den letzten Tagen wurde erneut über Fiat-FCA berichtet, da das Unternehmen gegenüber dem italienischen Staat eine Finanzhilfe in der Höhe von 6.3 Mrd. Euro verlangte. Die Regierung zögerte keinen Moment, um diese Hilfe zu sprechen; verhandelt wird zurzeit ausschließlich über die Bedingungen dieser Finanzspritze, die im Rahmen des Decreto Liquidità erfolgt. Nun wurde aber publik, dass das Unternehmen seit zehn Jahren keine regionale Steuern bezahlt“ – so beginnt der kurze Bericht „Fiat-FCA: Vorbild des italienischen Geschäftsmodells?“ von Maurizio C. vom 27. Mai 2020, den wir zusammen mit einigen weiteren aktuellen Beiträgen zur Lage in Italien im folgenden dokumentieren:

Fiat-FCA: Vorbild des italienischen Geschäftsmodells?

(Maurizio C. am 27. Mai 2020)

„Die Geschichte des italienischen Kapitalismus ist die Geschichte von Fiat, dem Autohersteller aus Torino. Fiat war ein wesentlicher Motor der industriellen Entwicklung, gleichzeitg aber auch Hauptschauplatz der Klassenkämpfe Italiens. Im 2014 fusionierte der Autohersteller mit dem US-amerikanischen Chrysler zu Fiat Chrysler Automobiles (FCA). Heute gehören landesweit 16 Produktionsstandorte mit rund 55.000 Arbeiter*innen zu FCA Italy. In den letzten Tagen wurde erneut über Fiat-FCA berichtet, da das Unternehmen gegenüber dem italienischen Staat eine Finanzhilfe in der Höhe von 6.3 Mrd. Euro verlangte. Die Regierung zögerte keinen Moment, um diese Hilfe zu sprechen; verhandelt wird zurzeit ausschließlich überdie Bedingungen dieser Finanzspritze, die im Rahmen des Decreto Liquidità erfolgt. Nun wurde aber publik, dass das Unternehmen seit zehn Jahren keine regionalen Steuern bezahlt. Die letzte Regierungsverordnung Decreto Rilancio hat die regionale Unternehmenssteuer Irap (imposta regionale sulle attività produttive) vorübergehend aufgehoben, um den kriselnden Unternehmen unter die Arme zu greifen. Diese Steuer wurde in den 1990er Jahren eingeführt, um das regionalisierte Gesundheitssystem mitzufinanzieren. Im Jahre 2011 wurde die damalige Fiat von der Irap befreit, um die Auslagerung der Produktion zu verhindern und die „Standortbedingungen für die Unternehmen zu optimieren“. Nachdem Fiat-FCA jahrelang also von der Steuer für das nationale Gesundheitssystem befreit war, spendete das Unternehmen Mitte März 10 Mio. Euro gegen die Corona-Krise – einen wahrer Ausdruck der „Unternehmensverantwortung made in Italy“.

Siehe auch:

„Partite Iva e dipendenti: quattro milioni di lavoratori ancora senza aiuti“ von Valentina Conte am 21. Mai 2020 bei Reppublica externer Link berichtet darüber, wer – im Gegensatz zu Fiat – bisher kein Geld bekommen hat: Unter anderem runde 3 Millionen Menschen, die eigentlich über die „Cassa Integrazione“ (staatliche Hilfe – „Lohnersatzleistungen“) einen Unterstützungsanspruch hätten, sowie rund 1 Million „Autonome“, die von den staatlichen 600 Euro noch nichts gesehen haben, die ihnen die Probleme zu mindestens etwas erleichtern sollten. Heißen wohl die wenigsten Agnelli…

„Lo Stato dei padroni: garante dei profitti, spietato con gli operai“ am 18. Mai 2020 bei der SI Cobas externer Link war die Stellungnahme der Basisgewerkschaft zum Milliardengeschenk an Fiat, wobei ebenfalls der Gegensatz zum nicht vorhandenen Geldfluss für Erwerbslose und KurzarbeiterInnen hervorgehoben wurde (und unter anderem die nachfolgenden Proteste etwa in Neapel angekündigt). 

„Jetzt in Napoli: Protest vor der Sozialversicherungsanstalt INPS“ am 28. Mai 2020 im Twitter-Kanal von Maurizio C. externer Link meldet über einen der aktuellen Sozialproteste aus Neapel: „Die Massnahmen der Regierung sind ungenügend, die Bürokratie langsam. Viele Menschen leben seit dem Lockdown im März ohne Einkommen. „Grundeinkommen für alle – sofort! Wir haben keine Zeit mehr.““

„Electronics multinational Jabil fires 190 Italian workers during pandemic“ am 25. Mai 2020 bei IndustriAll externer Link berichtet von dem US-Elektronikkonzern, der die Hälfte seiner 700 Beschäftigten in Marcianes los werden wollte – aber nur 160 nahmen die freiwillige Abfindung an. Also warf das wenig feine Unternehmen weitere 190 Kolleginnen und Kollegen mal eben auf die Straße: Obwohl es einen Regierungserlass gibt, der Entlassungen bis Ende August 2020 untersagt. Was kümmert diese Vorhut der organisierten Kriminalität schon ein Gesetz oder eine Regierung, wenn sie stört…

„Streiks bei ArcelorMittal“ am 28. Mai 2020 bei den Rote Fahne News externer Link meldete zu einem weiteren der nach wie vor vielen aktuellen Proteste: „Am Montag, dem 18. Mai 2020, demonstrierten hunderte Stahlarbeiter von ArcelorMittal in Genua vor dem Werk gegen Entlassungen und Zwangsurlaub. Eine Woche später streikten die Arbeiter aller ArcelorMittal-Werke in Italien für den Erhalt der Werke, aller Arbeitsplätze und für ordentliche Arbeitsbedingungen. Der landesweite Streik wurde nach vier Stunden beendet, nachdem sich Gewerkschaftsvertreter mit Vertretern der Firma und der Regierung an einen virtuellen Verhandlungstisch gesetzt hatten und die Firma versprach, ihr Engagement in Italien zu erhalten“.

USB in Italien mobilisiert zum 29.5.2020 im gesundheitswesen die Heldinnen und Helden - von gestern„Sanità, il Decreto Rilancio cancella i buoni propositi e dimentica gli “eroi”: venerdì 29 mobilitazione nazionale USB“ am 27. Mai 2020 beim Gewerkschaftsbund USB externer Link ist der Aufruf zu einem landesweiten Aktionstag am 29. Mai im Gesundheitswesen (mit dem ungefähr lautenden Hashtag „Ein Held sein – scheiß drauf“) gegen die jetzt auch in Italien beginnenden Versuche, die „Helden von Gestern“ zur Kasse zu bitten. Hier im Wesentlichen in Form von Beendigung von Sonderregelungen im Personalwesen, was sowohl den einst diskutierten Ausgleich des Stellenabbaus der letzten 15 Jahre betrifft, als auch die Übernahme von Menschen mit Zeitarbeitsverträgen.

„Die irreguläre Arbeit von Migrant*innen ist 15 Mrd. Euro Wert“ von Maurizio C. am 27. Mai 2020 berichtet zur ökonomischen Bedeutung dieser Arbeit von Menschen, die ebenfalls zu jenen gehören, die keine 6 Milliarden bekommen:
Eine heute publizierte Studie der Stiftung Leone Moressa, welche sich auf die Untersuchung des Phänomens und der Probleme der sogenannten „Migrationsökonomie“ spezialisiert hat, schätzt den Wert der von Migrant*innen geleistete irreguläre Arbeit – d.h. ohne Arbeitsvertrag und/oder Aufenthaltsbewilligung – auf 15 Mrd. Euro, d.h. auf 1% des Bruttoinlandprodukts. Die Studie schätzt zudem den Steuerausfall der irregulären Arbeit auf 7.2 Mrd. Euro jährlich. Basierend auf die offiziellen Zahlen des nationalen Statistikamtes ISTAT kalkuliert die Stiftung, dass 18.6% aller irregulären Arbeit von Migrant*innen geleistet wird, obwohl diese nur 8.7% der Gesamtpopulation ausmachen. Dies weist darauf hin, dass Migrant*innen in den prekärsten Sektoren arbeiten, oft ohne soziale Rechte und ohne sozialen Schutz. Der Anteil der irregulären Arbeit der Migrant*innen erreicht 70% im Dienstleistungsbereich (vorwiegend in der Care-Arbeit), 43% in der Landwirtschaft und 27% im Bausektor“.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=173175
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