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Ein „bulgarischer“ Aufstand gegen Zwangsquarantäne in Süditaliens Landwirtschaft und der Widerstand gegen Zwangsproduktion in Bologna – ungezwungen: Polizei, Armee und der rassistische Mob marschieren auf

Bulgarische LandarbeiterInnen protestieren in Süditalien„… Nach einem Coronavirus-Ausbruch unter ausländischen Landarbeitern hat es in einer süditalienischen Kleinstadt Zusammenstöße zwischen Arbeitern und der lokalen Bevölkerung gegeben. Die Bereitschaftspolizei schickte heute Verstärkung in die Stadt Mondragone nordwestlich von Neapel. Rund 700 Beschäftigte in der Landwirtschaft, die meisten aus Bulgarien, stehen dort seit Montag in einem Gebäudekomplex unter Quarantäne. 43 Arbeiter waren zuvor positiv auf das Coronavirus getestet worden. „Zwei Wochen lang darf niemand diese Gebäude verlassen. Die Zone wird 24 Stunden am Tag von Polizei und Armee kontrolliert“, sagte der Präsident der Region Kampanien, Vincenzo de Luca, nach Angaben lokaler Medien. Er werde die gesamte Stadt unter Quarantäne stellen, wenn es hundert positive Fälle gebe, kündigte er an. Alle Bewohner sollen laut Gesundheitsbehörden auf das Virus getestet werden. Tags zuvor waren Hunderte Arbeiter in einem Protestmarsch durch die Stadt gezogen, was zu Spannungen und Zusammenstößen mit Anrainern führte, die mit Steinen nach den Menschen warfen. In italienischen Fernsehberichten war zu sehen, wie italienische Einwohner die Autokennzeichen von beschädigten Fahrzeugen bulgarischer Arbeiter triumphierend in die Höhe hielten…“ – aus der Meldung „Unruhen nach Ausbruch in Süditalien“ am 26. Juni 2020 beim ORF externer Link über Proteste und Reaktionen. Siehe dazu auch den Bericht von Maurizio C. „Das Corona-Virus entfacht einen sozialen Krieg vom 27. Juni 2020 zu diesen Entwicklungen, und seinen Bericht zu Bologna „Neuer Covid-19-Herd in Logistikzentrum in Bologna“ vom selben Tag sowie zwei weitere aktuelle Beiträge zu beiden Entwicklungen – und, ergänzt am 29. Juni um ein Beispiel „seriöser Berichterstattung“ (RAI), das einen Eindruck der Stimmungsmache gibt…

Das Coronavirus entfacht einen sozialen Krieg

(Maurizio C. am 27. Juni 2020)

In Mondragone, Ortschaft in der Provinz von Caserta in der Region Kampanien, sind gestern Nachmittag spontane Proteste ausgebrochen. Zuerst waren es die bulgarischen Landarbeiter*innen, die sich auf der Straße gegen den von der regionalen Regierung auferlegten Quarantäne-Zwang Gehör verschafften. Die in den Fabrikwohnungen der ehemaligen Ciro lebenden Landarbeiter*innen wurden in den letzten Tagen Covid-Tests unterzogen, dabei resultierten 43 Fälle positiv, ohne jedoch Symptome aufzuweisen. Der Quarantäne-Zwang, der bis mindestens am 30.Juni gelten wird, erlaubt Ihnen nicht, zur Arbeit zu gehen, was zu einem beträchtlichen Lohnausfall führt. Sie forderten die Sicherstellung von Nahrungsmitteln und die Möglichkeit, zurück zur Arbeit zu gehen. Als Reaktion darauf haben die Bewohner*innen der kleinen Stadt während ihren spontanen Protesten fremdenfeindliche Parolen geäußert („Mondragone siamo noi“ – „Wir sind Mondragone“) und die physische Konfrontation mit den bulgarischen Landarbeiter*innen gesucht.

Der Präsident der Region Kampanien, Vincenzo De Luca, hat von Innenministerin Luciana Lamorgese den Einsatz der Armee gefordert, den sie unverzüglich zusicherte. Er äußerte aber kein Wort zu ozialstaatlichen Unterstützungsleistungen, die den Arbeiter*innen während der Quarantäne zugesichert werden könnten, um den Lohnausfall auszugleichen. Hingegen hat Matteo Salvini schon die Kampagne für die Regionalwahlen im September 2020 begonnen: er hat die bulgarischen Arbeiter*innen als „Virenträger“ bezeichnet und die Unfähigkeit des aktuellen Regionspräsidenten der Demokratischen Partei kritisiert, für Recht und Ordnung zu sorgen.

Neuer Covid-19-Herd in Logistikzentrum in Bologna

(Maurizio C. am 27. Juni 2020)

Am Freitag wurden beim Logistikunternehmen Bartolini in Bologna 47 Arbeiter*innen positiv auf Coronavirus getestet. Diese übertrugen das Virus auf 17 Familienangehörige. Die Gewerkschaften forderten die umgehende Schließung des Logistikzentrums, bis das Virus unter Kontrolle gebracht wird. Doch die politischen Verantwortlichen und die Betriebsleitung weigerten sich, diese Forderung umzusetzen. Wie die Betriebsleitung erklärte, arbeitete Bertolini während der ganzen Corona-Krise weiter und auch heute noch sieht sie keine dringlichen Gründe, um den Betrieb einzustellen. Die Zahl der Erkrankungen ist nun in den letzten Stunden gewachsen. Neu sind 74 Arbeiter*innen und 21 Familienangehörige positiv getestet worden; 12 Personen weisen Symptome auf, 2 wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Bei zwei der erkrankten Arbeiter*innen handelt es sich um Asylsuchende, die im Asylzentrum in Via Mattei untergebracht sind. Dort leben 200 Geflüchtete, 16 standen schon vor den Vorfällen bei Bartolini unter Quarantäne. Viele der dort lebenden Migrant*innen arbeiten auf Abruf oder als Tagelöhner*innen in den zahlreichen Logistikzentren der Region der Emilia-Romagna. Schon während der Corona-Krise haben Menschenrechts-, Migrant*innen- und  Gewerkschaftsorganisationen die prekären Bedingungen, unter denen in Via Mattei gelebt wird, aufmerksam gemacht: überbelegte Zimmer, ungenügende sanitäre Anlagen, sklavenähnliche Rekrutierungs- und Arbeitsbedingungen. Die Corona-Krise hat diese „Normalität“ nun an die breitere Öffentlichkeit gebracht.

  • „Coronavirus: Spannungen in Kampanien“ am 25. Juni 2020 bei der RAI externer Link meldete die Entwicklung (sozusagen quasi öffentlich-rechtlich) so: „… Eine Gruppe Bulgaren versuchte, die Absperrungen rings um mehrere Mietshäuser zu durchbrechen. Die Bulgaren protestierten, weil die Mietshäuser zur roten Zone erklärt worden waren. 49 Bewohner der Häuser, großteils Bulgaren, waren positiv auf das Coronavirus getestet worden. Die Polizei konnte die Bulgaren zurückdrängen. Aufgrund der großen, teils auch handgreiflichen Diskussionen hat Innenministerin Lamborgese zur Verstärkung Soldaten nach Mondragone geschickt. Sie sollen die Einhaltung der Quarantäne und möglichen Ausschreitungen verhindern. Insgesamt sollen rund 100 Ordnungskräfte die vier großen Wohnblöcke überwachen“.
  • „MONDRAGONE: IL TORTO DI RISCHIARE IL CONTAGIO PER MORIRE DI LAVORO NEI CAMPI“ am 27. Juni 2020 bei Operai Contro externer Link berichtet nicht nur von diesem Protest und der rassistischen Mobilisierung dagegen, sondern gibt auch eine knappe Skizze der Geschichte des Ortes und des Umlandes, von der faktischen Zwangsumsiedlung neapolitanischer Armer nach dem großen Erdbeben, über den Zuzug von Landarbeitern zunächst aus verschiedenen afrikanischen Ländern und danach aus Osteuropa – was alles dazu beigetragen habe, dass die Agrarkapitalisten immer ein besonderes Interesse daran hatten, auf verschiedene Weise rassistisch zu mobilisieren, um ihre Kosten möglichst niedrig zu halten…
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=174660
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