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Die Massenproteste gegen Israels Rechtsregierung gehen unvermindert weiter – und die üblichen Parteigrenzen verschwinden dabei allmählich…

Bei den Protesten in Israel im August 2020 spielt auch der politische Block um die KP seit langer Zeit wieder eine Rolle...

Bei den Protesten in Israel im August 2020 spielt auch der politische Block um die KP seit langer Zeit wieder eine Rolle…

„… „Wir alle glauben – jeder aus seiner eigenen Perspektive -, dass Netanjahu die falsche Person ist, um unser Land zu führen. Das gilt in den sogenannten normalen Zeiten und umso mehr in Zeiten wie diesen“, sagt Etzion und bezieht sich dabei darauf, wie die Regierung auf die Corona-Krise reagiert. „Es ist unerträglich die Kluft zu sehen zwischen den Bürgern, deren Leben so sehr Schaden genommen haben, und den Menschen, die behaupten Anführer zu sein, sich aber ohne Ende bereichern“, sagt Ofer Shelly, ein 50-jähriger Pianist und Konzertproduzent aus Jerusalem. Seine Existenz als Musiker ist stark von dem betroffen, was er als „komplette Loslösung der Regierung von der Bevölkerung“ bezeichnet. „Keiner unserer Führer steht auf und sagt ‚Ich sehe euer Leiden, ich sehe den Kummer.‘ Sie scheren sich nicht einmal darum, mit den Demonstranten zu sprechen. Nicht ein einziges Mal.“ Sowohl Netanjahu als auch Minister seiner rechtsgerichteten Likud-Partei bezeichneten die Demonstrationen als „linke Proteste“ und deren Teilnehmer als „Anarchisten“. Ein Teil der Bevölkerung teilt diese Einschätzung, aber viele sind anderer Ansicht – darunter die Prostierenden selbst. (…) „Die Proteste sind organisch gewachsen. Leute aus dem gesamten politischen Spektrum nehmen daran teil.“ Eingeschlossen der „desillusionierten“ Netanjahu-Wähler, wie sie sie nennt. In einem Video, das sich online viral verbreitete, erklärt Arnon Grossman, nach eigenen Angaben Likud-Wähler, warum er an den Anti-Regierungsprotesten teilgenommen hat. Andere Unterstützer der Partei halten Protestplakate auf denen steht „Bibi, auch Likud-Wähler sind gegen eine Diktatur“...“ – aus dem Bericht „Was steckt hinter den wachsenden Protesten in Israel?“ von Dana Regev am 07. August 2020 bei der Deutschen Welle externer Link über die ungebrochene Fortsetzung der Proteste, die längst die „üblichen Parteigrenzen“ überschritten haben… Siehe zu den aktuellen Protesten in Israel zwei Hintergrundbeträge, aus denen ihr besonderer politischer Charakter deutlich wird:

  • „„Wir legen den Finger in die Wunde Israels““ am 24. Juli 2020 bei dis:orient externer Link ist ein Gespräch von Tobias Griessbach mit dem israelischen Aktivisten Oren Fischer über den besonderen Charakter der aktuellen Proteste, worin er unter anderem unterstreicht: „… Derzeit haben wir bei nicht einmal neun Millionen Einwohner*innen mehr als eine Million Arbeitslose und es gibt Menschen, die schlicht Hunger leiden, während Netanyahu nichts anderes tut, als seine Macht zu erhalten. Für ihn zählt im Moment nur sein Korruptionsverfahren und die Aushöhlung demokratischer Strukturen, wie die Verabschiedung des „Corona-Gesetzes“ nahelegt. Damit nimmt sich Bibi weitere Freiheiten in Bezug auf seinen Machterhalt, während immer mehr Leute arbeitslos werden oder vor den Trümmern ihrer selbst aufgebauten Existenz stehen. Für uns als Demonstrant*innen ist Corona nun aber eine große Chance. Nun, wie bereits gesagt, offenbart es das fundamental schlechte Krisenmanagement Netanyahus, und das in einer politischen Ära, in der es viel Unzufriedenheit und Gründe für berechtigte Kritik gibt. Der Premierminister demaskiert sich selbst und steht öffentlich zu seinem Desinteresse gegenüber der Bevölkerung. Unsere Forderung ist demnach ein logischer Schluss, von dem ein Großteil der Israelis betroffen ist. Obwohl wir zum überwiegenden Teil aus dem linken Spektrum stammen, kommen bei den Aktionen  gerade viele Mitglieder verschiedenster Minderheiten zusammen. Jeweils in Tel Aviv und in Jerusalem demonstrieren regelmäßig mehrere Tausend Menschen. Mittlerweile vereinen wir viele Äthiopier*innen, orthodoxe Jüd*innen, Araber*innen, teilweise sogar Leute aus dem Likud [Netanyahus Partei, Anm. d. Red.]. Und das Bündnis wächst nach wie vor stetig weiter. Und wir haben nicht vor, so schnell zu verschwinden. Die Corona-Krise wirkt dahingehend wie ein Brandbeschleuniger, der unser Bündnis quasi täglich wachsen lässt. Die „Vereinigte Liste“, die drittstärkste Kraft in der Knesset und eine Vereinigung kommunistischer und arabischer Parteien, beispielsweise ruft explizit die Araber*innen Israels auf, an den Protesten teilzunehmen. Ebenso haben wir Rückendeckung von verschiedenen Organisationen wie Adalah, B’Tselem und so weiter. Leider stehen wir vor übertrieben brutalen Polizeieinheiten, die mit Pferden, Pfefferspray und Knüppeln im Einsatz sind. Wir haben während einer Demonstration auch schon vor Soldat*innen gestanden, die zur Zerstreuung der Demonstrationen abkommandiert wurden. Aber auch hier gibt es Probleme hinsichtlich Korruption und Machterhalt. Durch die Demonstrationen wurde ein Konflikt innerhalb des Ministeriums für öffentliche Sicherheit unter Amir Ohana offenbart. Die regulären Polizeikräfte weigern sich, die Demonstrationen zu verlagern, beziehungsweise zu zerschlagen, da sie durch diese Präsenz ihre Zuständigkeit gegenüber der Grenzpolizei und den militärischen Polizeieinheiten behaupten können…
  • „Zweite Welle in Israel“ von Tal Leder am 16. Juli 2020 in der jungle world externer Link berichtete über die konkreten reaktionären Maßnahmen und die Proteste dagegen unter anderem: „… Am Samstagabend demonstrierten Tausende in Tel Aviv auf dem Rabin-Platz für mehr finanzielle Unterstützung. Der Protest wurde von Arbeitern, Freiberuflern und Kleinunternehmern organisiert, aber auch Künstler und Selbständige nahmen daran teil. Sie warfen Netanyahu vor, dass die Menschen nach der Verhängung der Kontaktbeschränkungen auf sich allein gestellt gewesen seien. Viele leiden unter den wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie. »Der Ministerpräsident hat die Pandemie und deren wirtschaftliche Auswirkungen unterschätzt«, sagt der Chefkoch Almog Baumgarten, der ein Café im hippen Viertel Florentin in Tel Aviv besitzt. »Die finanzielle Unterstützung war ein Witz, und mit den neuen ­Gesundheitsvorschriften wird die Wirtschaft bald kollabieren.« Die Regierung habe sich nach der Einschränkung des öffentlichen Lebens mehr auf die Annexion von Teilen des Westjordanlands konzentriert. Über diese sollte ab dem 1. Juli im Kabinett und in der Knesset diskutiert werden (Jungle World 25/2020). Kritik kam vor allem aus Jordanien. Dessen Regierung sieht die Stabilität im Nahen Osten in Gefahr und droht dem jüdischen Staat, den 1994 abgeschlossenen Friedensvertrag aufzukündigen. Bislang wurde nicht über die Annexionspläne beraten. Nach den Protesten am Samstagabend stellte Netanyahu am folgenden Tag ein neues Hilfsprogramm vor. Dieses umfasst 80 Milliarden Schekel (rund 20 Milliarden Euro). Es soll Beschäftigten, Selbständigen und ­Unternehmen bis Juni 2021 Sicherheit bieten. Die Hilfen sollen teils aus dem Haushalt, teils durch Kredite finanziert werden. Selbständige erhalten eine Sofortzahlung von umgerechnet knapp 2 000 Euro, kleine Firmen alle zwei Monate 1 500 Euro und große Unternehmen Hilfszahlungen bis zu 128 000 Euro. »Das Vertrauen in die Regierung ist weg, erst recht seit Netanyahu Gesetze unter dem Deckmantel der Pandemie erlässt, um die Proteste einzudämmen«, sagt Baumgarten. »Dazu gehören antidemokratische Maßnahmen wie die Erneuerung der Mobilfunkverfolgung durch den Geheimdienst Shin Bet.« Am 1. Juli hat das israelische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das es dem Inlandsgeheimdienst bis einschließlich 21. Juli erlaubt, auf die Standortdaten der Handys von Infizierten ­zuzugreifen, wenn täglich mehr als 200 Neuinfektionen registriert werden. Die Regierung hatte den Zugriff auf die Daten bereits im März per Beschluss ermöglicht. Das höchste Gericht urteilte Ende April, es sei eine gesetzliche Regelung durch die Knesset nötig, da es sich um einen Grundrechtseingriff handele. »Einen klaren Plan zur Eindämmung der zweiten Welle hat es nie gegeben«, kritisiert al-Nabari. »Die Regierung der nationalen Einheit, die speziell für den Umgang mit dem Virus gegründet wurde, scheint mehr an innenpolitischen Auseinandersetzungen interessiert zu sein.« Seiner Meinung nach sollte sich der Ministerpräsident ein Beispiel an Michael Ben Zikri nehmen, der ohne Rücksicht auf seine Sicherheit anderen zu Hilfe kam...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=176689
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