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Die Solidarität mit den Massenprotesten im Iran bleibt wichtig

Proteste gegen Preiserhöhung im Iran ab 15.11.2019 - keineswegs nur militante Konfrontationen, hier eine der zahlreichen friedlichen Proteste in Teheran...„… Seit dem 15. November sind Tausende Iraner*innen auf den Straßen. In Reaktion auf die Spritpreiserhöhung um 300 %, was einen Anstieg aller Preise zur Folge hat, demonstrieren sie gegen das Regime. Seit über einem Jahr ist die Iranische Währung mehrfach abgewertet worden. Die Kaufkraft der Bevölkerung befindet sich in freiem Fall. Am 16. November hat das Regime das Internet abgeschaltet. Die Bevölkerung wurde so vom Rest der Welt isoliert. Die Informationen aus dem Iran sind eingeschränkt. Auf diese Weise versucht Teheran, den Aufruhr, der durch das Land braust, zu vertuschen. Amnesty International berichtet, dass die brutale Repression gegen die Demonstrierenden in über zwanzig Städten mindestens 143 Todesopfer forderte: darunter 40 in der Provinz Chuzestan (wo es eine starke arabische Minderheit gibt), 34 in Kermanshah (mit hohem kurdischem Bevölkerungsanteil) und 20 in der Region Teheran. Die meisten der von den Sicherheitskräften Erschossenen sind junge Menschen. Sie wurden am Kopf oder in die Brust getroffen. Darüber hinaus wurden Tausende inhaftiert. Die Zahlen steigen schnell...“ – so beginnt die Solidaritätserklärung „Solidarität mit der Revolte des Volkes im Iran“ der fünf französischen Gewerkschaftsverbände CFDT, CGT, FSU, SUD Solidaires und Unsa vom 26. November 2019, die wir jetzt (in deutscher Übersetzung von Jakob Schäfer, danke!) dokumentieren. Siehe neben dieser Dokumentation auch einen weiteren Aufruf zur Solidarität mit den Protesten im Iran  sowie drei Hintergrundartikel zur Bedeutung der aktuellen Proteste im Iran im Vergleich zu den Protestbewegungen 2009 und 2017/2018:

Solidarität mit der Revolte des Volkes im Iran

Seit dem 15. November sind Tausende Iraner*innen auf den Straßen. In Reaktion auf die Spritpreiserhöhung um 300 %, was einen Anstieg aller Preise zur Folge hat, demonstrieren sie gegen das Regime. Seit über einem Jahr ist die Iranische Währung mehrfach abgewertet worden. Die Kaufkraft der Bevölkerung befindet sich in freiem Fall.
Am 16. November hat das Regime das Internet abgeschaltet. Die Bevölkerung wurde so vom Rest der Welt isoliert. Die Informationen aus dem Iran sind eingeschränkt. Auf diese Weise versucht Teheran, den Aufruhr, der durch das Land braust, zu vertuschen.

Amnesty International berichtet, dass die brutale Repression gegen die Demonstrierenden in über zwanzig Städten mindestens 143 Todesopfer forderte: darunter 40 in der Provinz Chuzestan (wo es eine starke arabische Minderheit gibt), 34 in Kermanshah (mit hohem kurdischem Bevölkerungsanteil) und 20 in der Region Teheran.
Die meisten der von den Sicherheitskräften Erschossenen sind junge Menschen. Sie wurden am Kopf oder in die Brust getroffen. Darüber hinaus wurden Tausende inhaftiert. Die Zahlen steigen schnell.

Den berechtigten wirtschaftlichen und demokratischen Forderungen begegnet das Regime mit äußerster Härte. Es droht damit, den Volkswiderstand in einem Blutbad zu ertränken. Auch die Bewegung der Frauen gegen das Kopftuchtragen war unterdrückt worden.
Mehr denn je kommt es heute auf die Solidarität mit den seit Jahren anhaltenden Kämpfen im Iran an:

  • gegen die steigenden Lebenshaltungskosten, die Erwerbslosigkeit und die Korruption;
  • für die Meinungs- und Organisationsfreiheit;
  • für die Frauenrechte, u. a. für die Abschaffung der Kopftuchpflicht;
  • für die Abschaffung der Todesstrafe (die heute vor allem bei Homosexuellen und Regimekritikern angewandt wird);
  • für die Freilassung der politischen Gefangenen;
  • für Gewerkschaftsfreiheit und die Freilassung inhaftierter Gewerkschafter*innen.

Paris, den 26. November 2019 

Confédération française démocratique du travail
Confédération générale du travail
Fédération syndicale unitaire
Union syndicale Solidaires
Union nationale des syndicats autonomes

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Siehe auch:

„Leftists worldwide, stand by the protesters in Iran!“ am 25. November 2019 im Roar Magazine externer Link war ein Aufruf zahlreicher bekannter Linksintellektueller zur Solidarität mit der Bewegung im Iran – der sich speziell an die Linken in verschiedenen Ländern richtete, die mit dieser Solidarität zögerten, weil sie sich nicht mit Bestrebungen zum Regime-Change im Sinne des kapitalistischen Imperiums vereinigen wollten – wozu zu Recht unterstrichen wird, dass es sich bei dem iranischen Regime um eine kapitalistische Diktatur handelt.

„Iran: Aufstand der Enteigneten“ von Hamid Alizadeh am 28. November 2019 bei Tlaxcala externer Link ist die Übersetzung (von Mikaela Honung) eines Beitrags aus marxist.com vom 19. November, worin der Autor unter anderem hervor hebt: „… Das Regime versucht, die Demonstranten als Banden von Schlägern darzustellen, die plündern und randalieren. Eine Schlagzeile in Jam-e-Jam lautete: „Das Verschwinden der Stimme des Volkes im Chaos der Unruhen“. Aber es wurden nicht gewöhnliche Läden und Geschäfte ins Visier genommen, sondern es wurden Dutzenden von Tankstellen und Banken (wenn nicht Hunderten) niedergebrannt, zusammen mit einigen Regierungsgebäuden und Polizeistationen und zahlreichen Bildern von Khamenei. In Yazd wurde das Haus des Freitagsgebetsimams, der auch ein Vertreter von Khamenei in der Stadt ist, von einer aufgebrachten Menge angegriffen. Keine dieser Handlungen sind willkürliche Ausschreitungen, es gibt ein klares Klassenelement für die Proteste. Die Reaktion des Regimes war brutal. Das gesamte Internet wurde geschlossen und die Kommunikation ist äußerst schwierig geworden. Nachrichtenquellen sind stark eingeschränkt. Sogar eine Bürgerbefragung für ausländische Journalisten, die immer relativ einfach war, ist fast unmöglich geworden. Fast alle bewaffneten Kräfte des Regimes sind auf die Straße geschickt worden und haben alles brutal unterdrückt, was an Proteste erinnert. Viele Gebiete sollen zu Kriegsgebieten geworden sein. Einem Bericht von Shiraz zufolge überflogen Hubschrauber in einigen Gebieten Demonstranten und schossen wahllos auf sie. Viele Schulen und Universitäten im ganzen Land wurden geschlossen, obwohl es an vielen Universitäten immer noch Proteste gab. Eine Universität wurde wegen „starken Nebels“ geschlossen. An der Teheraner Universität sperrten die Sicherheitskräfte alle Ein- und Ausgänge und ließen nur eine kleine Tür offen, damit die Studenten die Räumlichkeiten verlassen konnten. Das Regime gerät in Panik und befürchtet, dass sich die Bewegung auf andere Schichten ausbreitet. Es versucht, die Bewegung zu ziellosen Unruhen und Zusammenstößen zu drängen, die sie wiederum von der Masse der Bevölkerung isolieren würden. Bisher hat das nicht geklappt. Während viele Leute fernbleiben, gibt es weit verbreitetes Mitgefühl mit den Jugendlichen auf den Straßen. Bei diesem Ausbruch geht es um weit mehr als um die Treibstoffpreise, die sich inzwischen im Wesentlichen verdreifacht haben. Die Gebiete, in denen die Menschen zum ersten Mal aufstanden, waren Khusestan, Kermanshah und Fars, alles arme, unterentwickelte Provinzen mit hoher Arbeitslosigkeit. In vielen dieser Gebiete leben arabische und kurdische Minderheiten, deren Proteste in den letzten Jahren mit besonderer Brutalität behandelt wurden...“

„Iran-Proteste: Wiederholt sich 1979?“ von Gerrit Wustmann am 04. Dezember 2019 bei telepolis externer Link zieht neben dem titelgebenden vor allem auch einen Vergleich zu den Protesten 2009 und hebt dabei hervor: „… Damals protestierte die urbane Mittelschicht friedlich gegen Wahlbetrug, heute entlädt sich die Wut der wirtschaftlich untersten Schichten gegen die Regierung, die konsequent ihre Versprechungen nicht einhält. Und mag die jüngste Protestwelle ein punktueller und sichtbarer Ausbruch gewesen sein, brodelt es doch seit Jahren im Land. Die großen Gewerkschaften von Lehrern, LKW-Fahrern oder Fabrikarbeitern reihen einen Streik an den anderen, und auch hier richtet sich die Wut nicht primär gegen die US-Sanktionen, die vom Regime für alles Übel verantwortlich gemacht werden, sondern vorwiegend gegen Korruption und eine Politik, die Steuergelder lieber in die Ausweitung ihres Einflusses im Irak, Libanon, Palästina und anderswo steckt, anstatt die Probleme im Inland wie etwa die explodierende Inflation und die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Trotzdem sind die anstehenden Wahlen kein Hoffnungsschimmer. Zwar laufen sie formal demokratisch ab. Aber zum einen werden allzu oppositionelle Kandidaten im Vorfeld vom mächtigen Wächterrat ausgesiebt, zum anderen ist das Parlament, das zeigte sich auch wieder im Konflikt um Benzinpreiserhöhungen und dem Umgang mit den Protesten, weitgehend machtlos, sobald es um wirklich gewichtige Entscheidungen geht.(…) Wie groß ist also die Wahrscheinlichkeit, dass es in absehbarer Zeit zu einer neuen Revolution kommt? Trotz der Parallelen zu 1979 wohl eher gering. Zum einen fehlt eine klare Struktur und Zielsetzung ebenso wie eine Führungsfigur, die damals Chomeini verkörperte. Zum anderen sind die oppositionellen Strömungen höchst unterschiedlich. Es gibt jene, die Reformen innerhalb des bestehenden Systems wollen; dann gibt es die Schah-Anhänger, die sich eine Rückkehr zur Monarchie wünschen; außerdem zahlreiche unterschiedliche Linke aber auch islamische Strömungen – das alles unter einen Hut zu kriegen dürfte aktuell kaum denkbar sein. Trotzdem drängt die Zeit für eine Lösung all der brodelnden Konflikte. Denn ein Regime, das sich nicht mehr auf Mehrheiten in der Bevölkerung stützen und seine Macht nur noch durch Gewalt und Willkür sichern kann, wird sich nicht ewig halten können…“

„Wenn die Gewalt zurückkehrt“ am 02. Dezember 2019 bei Qantara.de externer Link ist ein Interview von Azafeh Fathi mit dem Politikwissenschaftler Nader Hashemi, in dem dieser zum Verhältnis der aktuellen Proteste zu jenen 2009 und 2018 unterstreicht: „… Die größten Unterschiede zwischen diesen Protesten bestehen in Hinblick auf die wirtschaftlichen Klassen, die Geographie und die Ideologie. 2009 gingen die Proteste hauptsächlich von der Mittelschicht aus, sie fanden in den Großstädten statt und waren im ideologischen Sinn mit dem Reformprozess und der Unterstützung der Politiker Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi verbunden. Dahingegen setzte sich die Protestbewegung von 2017/18 sowie die Bewegung vom vergangenen November hauptsächlich aus den wirtschaftlich ärmeren Schichten zusammen, insbesondere aus jungen berufstätigen Männern, die aus kleineren Städten und Dörfern kamen – ohne bekannte Führungspersonen oder politische Zugehörigkeiten. Der letzte Unterschied besteht in der Form der Proteste. 2009 verliefen die Proteste überwiegend gewaltfrei, während es bei den Aufständen von 2017/18 und 2019 auch Angriffe auf Banken, Regierungsgebäude und Tankstellen gab. Es ist aber auch klar, dass 2019 die meiste Gewalt von den Sicherheitskräften ausging. Viele friedliche Proteste wurden auch von der Polizei und von Beamten in Zivil, die den Islamischen Revolutionsgarden angehören, angegriffen. Es gibt zuverlässige Quellen, welche die vorsätzliche Zerstörung von Eigentum durch Sicherheitskräfte belegen. Sie verfolgten damit das Ziel, die Protestierenden zu diskreditieren. Wenn es um das Überleben des Regimes geht, setzt sich die Islamische Republik nur wenige moralische Grenzen. Was die Anzahl der Protestierenden angeht, so gab der Bürgermeister von Teheran bekannt, dass sich bei einer der Hauptprotestaktionen vom 15. Juni 2009 rund drei Millionen Menschen auf den Straßen versammelt hatten. Vor Kurzem erklärte Yadollah Javani, ein hochrangiges Mitglied der Revolutionsgraden (IRGC), dass bei den jüngsten Protesten in 29 von insgesamt 31 Provinzen Demonstrationen stattfanden. Der Innenminister gab die Zahl der Demonstrationsteilnehmer mit 200.000 Personen an. Ich vermute jedoch, dass viel mehr Menschen auf den Straßen waren…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=158582
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