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Lehrerinnen und Lehrer in Irans kurdischem Autonomiegebiet Südkurdistan im Streik: Gegen Lohnbetrug der Regionalverwaltung und für eine andere Bildungspolitik

Lehrerstreik in Iranisch-Kurdistan im September 2020„… Das neue Schuljahr in Südkurdistan ist am Sonntag mit Protesten gegen die Regionalregierung in Hewlêr (Erbil) eingeleitet worden. Zahlreiche Beschäftigte aus dem Bildungssektor und öffentlichen Dienst, insbesondere im Großraum Silêmanî, demonstrierten in mehreren Städten gegen ausstehende Löhne und Gehaltskürzungen. Das letzte Gehalt wurde dem Großteil der Beamtenschaft in der Autonomieregion vor knapp sechs Wochen ausgezahlt – allerdings für den Monat März. Die Lohnzahlungen bis einschließlich September sind sogar um 21 Prozent gekürzt worden. Das hatte die PDK-geführte Regionalregierung vergangene Woche beschlossen. Der Frust der Lehrkräfte, die heute in Silêmanî, Helebce, der Germiyan-Region und in Raperîn auf die Straße zogen, richtet sich allerdings nicht nur gegen die ausbleibenden Löhne. Sie kritisieren auch das Bildungsministerium für Pläne, das gesamte Bildungsjahr 2020/2021 vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie digital zu gestalten. Für die meisten Primar- und Sekundarstufen soll es ausschließlich Online-Konzepte geben, nur Abituerient*innen verbringen das letzte Schuljahr seit Sonntag im Klassenzimmer. Erst- und Zweitklässler*innen sollen voraussichtlich ab dem 10. Oktober persönlich unterrichtet werden. Sollte die Regierung die Forderungen der Lehrerinnen und Lehrer bis zu diesem Datum nicht erfüllen, werden die Streiks ausgeweitet, heißt es...“ – aus der Meldung „Südkurdistan: Neues Bildungsjahr beginnt mit Streiks“ am 27. September 2020 bei der ANF externer Link zum Schulstreik in der iranischen autonomen kurdischen Region. Siehe dazu auch zwei Hintergrundbeiträge über Lebensbedingungen und Klassenfragen in Iranisch Kurdistan:

  • „Kurdistan-Iran: Die kurdische Frage als Klassenfrage“ am 22. September 2020 bei der Rosa Luxemburg Stiftung externer Link ist ein ausführliches Gespräch von Schluwa Sama mit dem Aktivisten Ardalan Bastani über die Lage der Kurd*innen in Iran, worin er unter anderem zur Ausgangssituation ausführt: „… Während die Ausübung der kurdischen Identität zwar erlaubt ist, kommt es zur blutigen Unterdrückung, sobald man sich als eigenes Volk definiert. Seit dem Pahlavi-Regime und auch seit der Islamischen Revolution ist die kurdische Frage auch mit einer Klassenfrage verbunden, das heißt also, dass Kurd*innen, aber auch andere Minderheiten im Iran auch aufgrund ihrer Ethnie absichtlich ökonomisch unterentwickelt gelassen worden sind. Hinzu kommt, dass der Großteil der kurdischen Gesellschaft im Iran aus Arbeiter*innen besteht, es sind also Bäuer*innen, Tagelöhner*innen etc. Eine kleine Minderheit innerhalb der kurdischen Gesellschaft gehört zur Bourgeoisie. / Die kurdische Bourgeoisie ist für das iranische Regime? / Nicht immer, denn sie ist mit verschiedenen politischen Kräften verbunden, also neben Teheran auch mit irakischen Kurd*innen oder Gruppen in der Türkei. Es gibt also eine Bandbreite von Interessen, und einige Teile der Gesellschaft sind für und andere gegen das iranische Regime. Insgesamt ist diese Bourgeoisie wohlhabend im Vergleich zur Mehrheit der Bevölkerung Kurdistans. Da aber die Bevölkerung Kurdistans mehrheitlich zu einer ausgebeuteten Arbeiter*innenklasse im Iran gehört, war die Volksfrage, also die Frage der Unterdrückung des kurdischen Volkes, gleichzeitig eine Klassenfrage. / Also würdest du sagen, dass die kurdische Frage eher eine Frage der Selbstbestimmung von Arbeiter*innen ist ? / Vor allem ist die erste Frage hierbei die nach besseren Lebensbedingungen. Das heißt, es geht um das Fehlen einfacher Infrastruktur, seien es ausgebaute Straßen, Elektrizität, Wasser oder einfache Dienstleistungen. All das fehlt in Kurdistan, obwohl Teheran zum Beispiel schon seit langem hoch modernisiert ist. / Das iranische Regime ist ja für den Großteil der iranischen Bevölkerung ein repressiver, autoritärer Staat. Wie tritt der iranische Staat in Kurdistan auf? Gibt es hier erhebliche Unterschiede zum Rest des Iran? / Ja, die Unterdrückung in Kurdistan ist spezieller als in anderen Teilen des Iran. Das hat mit einer anderen politischen Lage in Kurdistan zu tun. In Kurdistan sind verschiedene politische Parteien aktiv. Das ist zum einen die Demokratische Partei Kurdistan (die nach dem zweiten Weltkrieg die erste kurdische Republik in Mahabad gegründet hat). Nach der islamischen Revolution gab es eine andere Partei, Komala, die sich später mit anderen iranischen Organisationen zusammengetan und 1985 die iranische kommunistische Partei gegründet hat. Die jüngste Partei ist die PJAK (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê‎ – Partei für ein Freies Leben in Kurdistan), die als Teil der PKK im Iran aktiv ist. Ansonsten gab es auch kleinere Parteien. Viele Menschen sind diesen Parteien treu. Die Präsenz der Parteien bedeutet, dass es einfacher ist, sich in Kurdistan politisch zu organisieren als in anderen Regionen des Iran. Das hat natürlich eine Geschichte, denn wir hatten in Kurdistan fast zehn Jahre Partisanenkampf gegen das iranische Regime. So ein Kampf braucht «leninistisch» ausgerichtete Parteien. Mit diesem System haben wir gelernt, dass wir uns sofort organisieren können. Das bringt natürlich auch eine andere Form von Unterdrückung des iranischen Regimes, denn der bewaffnete Kampf ist kein Tabu im Vergleich zu anderen Teilen des Iran. Das bedeutet, dass wir in Kurdistan die Erfahrung gemacht haben, dass das iranische Regime nur mit der Waffe spricht. In anderen Teilen des Iran ist diese Form von Unterdrückung nicht vorhanden. Kurdistan ist daher historisch und bis heute ein Gebiet von Kriegsoperationen. Das ist Normalität für die Bevölkerung…“
  • „Iran: Schmuggeln, um zu überleben“ von Shabnam von Hein am25. September 2020 bei der Deutschen Welle externer Link berichtet über besondere Tätigkeiten in iranischen Grenzgebieten unter anderem: „… Der Schmuggel ist ein lukratives Geschäft. Die beliebtesten Waren aus dem nordirakischen kurdischen Autonomiegebiet sind Computer, Kosmetik, Zigaretten und Alkohol, aber auch sperrige Sachen wie Fernseher und Staubsauger. Alkoholische Getränke sind im Iran verboten und lassen sich auf dem Schwarzmarkt teuer verkaufen. 24 Flaschen Bier zum Beispiel kosten im Irak nur einen US-Dollar, im Iran 20. Die Lastenträger müssen für jeden Auftrag eine Strecke bis zu 15 Kilometer zurücklegen. Als Honorar erhalten sie je nach Ware, die sie tragen, zehn bis 25 Dollar pro Grenzgang. Iranische Grenzsoldaten haben Schießbefehl, denn nicht selten werden Waffen illegal aus dem irakischen Kurdengebiet ins Land geschmuggelt. Ein Teil der Grenze steht unter Kontrolle der kurdisch-iranischen Widerstandsbewegung. Sie glaubt nicht, dass Teheran der kurdischen Minderheit mehr sprachliche und kulturelle Rechte einräumt, und träumt – genau wie die Kurden im Irak – von einem eigenen kurdischen Staat. „Die iranische Regierung hat keine adäquate Antwort darauf und löst deswegen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme im Kurdengebiet mit Gewalt“, meint Rahami im Gespräch mit der DW. Nach Auskunft kurdischer Menschenrechtsorganisationen kommen im Durchschnitt jeden Monat 14 Kolbar ums Leben, durch tödliche Unfälle oder von Grenztruppen erschossen. „Auch sie sind Staatsbürger dieses Landes“, beklagt der iranische Parlamentsabgeordnete Jalal Mahmoudzadeh im Gespräch mit der iranischen Nachrichtenagentur Shafaghna vor einer Woche. Mahmoudzadeh, der selber ein Kurde ist, beschuldigt die Regierung um Präsident Hassan Rohani, junge Menschen in kurdischen Gebieten benachteiligt zu haben. Anstatt Arbeitsplätze für sie zu schaffen, würde man sie erschießen. Nicht jeder Kolbar sei ein gefährlicher und bewaffneter Schmuggler...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=178757
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