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Trotz Todesschüssen der regierenden Clans gehen die Proteste im kurdischen Teil des Irak weiter – trotz Nachrichtensperre die Berichte darüber auch

Lehrerstreik in Iranisch-Kurdistan im September 2020„… Der 21jährige Student Miran Mohamad, der am Donnerstag in der Kleinstadt Kifri infolge eines Kopfschusses starb, war bereits der achte erschossene Demonstrant diese Woche. Der Journalist Kamal Chomani wies über den Kurznachrichtendienst Twitter darauf hin, dass die Peschmerga, die nun Demonstranten töten, unter anderem von Deutschland im Rahmen des Kampfes gegen die Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« ausgebildet und bewaffnet worden waren. »Die Waffen, die ihnen überlassen wurden, waren dafür bestimmt, die Bevölkerung zu schützen und nicht, gegen diese eingesetzt zu werden«, so Chomani. Auslöser der seit Mittwoch vergangener Woche andauernden teils militanten Proteste, die sich vor allem auf die unter Kontrolle der PUK stehenden Provinzen Sulaimanija und Halabdscha konzentrieren, waren seit Monaten ausstehende und bis um ein Viertel gekürzte Gehälter für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Die irakische Zentralregierung hat im April ihre Budgetzahlungen an die Autonomieregion eingestellt, nachdem die vom Barsani-Clan dominierte kurdische Regierung ihrer Verpflichtung zur Lieferung von Öl an Bagdad nicht nachgekommen war, sondern bevorzugte, dieses für den eigenen Profit über die Türkei zu exportierten. Inzwischen haben sich vor allem junge Menschen den Protesten angeschlossen, deren Wut auf das erstarrte und korrupte politische System sich aus einer weitverbreiteten Perspektivlosigkeit speist...“ – aus dem Beitrag „Nicht aufzuhalten“ von Nick Brauns am 12. Dezember 2020 in der jungen welt externer Link über die neue Protestwelle in der Region der bürgerlichen Clans. Siehe dazu fünf weitere aktuelle Beiträge zur Entwicklung im Nord-Irak und den Hinweis auf unseren ersten Betrag zum Thema:

„Proteste in Südkurdistan nur für Gehälter?“ am 10. Dezember 2020 bei der ANF externer Link zu den Ursachen der aktuellen Proteste: „… Angestellte im Bildungsbereich haben in der südkurdischen Zivilgesellschaft eine grundlegende Dynamik angestoßen. Während in Südkurdistan in den vergangenen Monaten praktisch keine einzige wirksame Maßnahme gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie unternommen wurde, wurden die Schulen im neuen Schuljahr mit Verweis auf die Pandemie nicht eröffnet. Die am 1. November verkündete Entscheidung sah zunächst eine einmonatige Schließung fast aller Schulen vor, wurde jedoch am 1. Dezember um einen weiteren Monat verlängert. Als Reaktion darauf gingen die Lehrkräfte am 2. Dezember auf die Straße. Ihr Protest wurde von den Sicherheitskräften angegriffen. Und so weiteten sich die Proteste aus, während sie zugleich inhaltlich breiter wurden. Erst in dem Ort Pîrêmegrûn und kurz darauf auch in Seyîd Sadiq zündeten die Protestierenden die Vertretungen politischer Parteien an. Auch zahlreiche Verwaltungsgebäude wurden zum Ziel der Demonstrant*innen. Aufgrund des Einsatzes scharfer Munition durch die Sicherheitskräfte starben bisher acht junge Demonstranten, zahlreiche wurden verletzt. So sehr die Proteste in Südkurdistan auch mit zum Großteil nicht ausgezahlten Gehältern in Verbindung gebracht werden, wäre es doch falsch, sie als nur darauf beschränkt zu verstehen. Denn an den seit drei Tagen immer stärker werdenden Protesten beteiligt sich zum Großteil die junge Generation. Sie gehen nicht mit der Forderung nach der Auszahlung der Gehälter auf die Straße. Es ist offensichtlich, dass sie durch ihre Angriffe auf Vertretungen des antiquierten politischen Systems ihrer Wut auf eben dieses Ausdruck verleihen. Die wirtschaftliche und politische Lage in Südkurdistan hat bei ihnen zu Frustration und Missmut geführt. Darauf deutet auch die Wahlbeteiligung im Jahr 2018 hin, die von 74 Prozent auf 58 Prozent gesunken war, wobei die Unzufriedenheit der jungen Generation mit dem politischen System eine große Rolle spielte...“

„Aufruhr in Kurdistan“ ebenfalls von Nick Brauns am 10. Dezember 2020 in der jungen welt externer Link zu den Hintergründen und zur Vorgeschichte der aktuellen Proteste unter anderem: „… Dabei war es in der Vergangenheit mehrfach zu Protestwellen gekommen, denn seit 2014 werden die Gehälter für den Beamtenapparat der Autonomieregion nur unregelmäßig oder gekürzt ausgezahlt. Die Führung der Autonomieregion beharrt stets auf ihrem Standpunkt, aufgrund von Spannungen mit der irakischen Zentralregierung in Bagdad über kein Budget zu verfügen. Erbil steht eigentlich ein Anteil von 12,6 Prozent des irakischen Staatshaushalts zu. Allerdings ist die kurdische Regierung im Gegenzug verpflichtet, täglich 250.000 Barrel Öl an Bagdad zu liefern. Dem kam Erbil allerdings nicht nach, da es dem Barsani-Clan und seiner KDP lukrativer erschien, das kurdische Öl unabhängig von Bagdad über die Türkei zu exportieren. So fließen derzeit täglich 450.000 Barrel Öl aus Kurdistan in die Türkei. Den Gewinn daraus steckt der Barsani-Clan entweder in die eigenen Taschen oder lässt sie in klientelistischen Netzwerken der KDP versickern. Aufgrund der seit 15 Monaten ausstehenden Öllieferungen hat Bagdad im April die Budgetzahlungen an Erbil gestoppt. Dort fehlen infolgedessen monatlich 900 Milliarden Dinar (etwa 623 Millionen Euro)...“

„Südkurdistan-Proteste: Vier Städte für 24 Stunden abgeriegelt“ am 09. Dezember 2020 bei der ANF externer Link hatte bereits gemeldet: „… In den letzten Tagen haben die Proteste gegen ausbleibende Löhne der Beamtenschaft, grassierende Korruption, mangelnde staatliche Dienstleistungen vor allem in der Strom- und Wasserversorgung sowie sehr hohe Arbeitslosigkeit in Südkurdistan immer größere Ausmaße angenommen. Die Sicherheitskräfte der Regierungsparteien PDK und YNK gingen fast überall mit großer Brutalität gegen die Demonstrierenden vor. Seit dem 2. Dezember wurden mindestens sechs Protestierende erschossen, Dutzende weitere Personen wurden teils schwer verletzt. Alle Todesfälle sind auf den Einsatz von Schusswaffen durch Sicherheitskräfte zurückzuführen, zwei der getöteten Demonstranten waren minderjährig. Die UN-Mission im Irak forderte die Regionalregierung In Hewlêr angesichts des massiven Vorgehens gegen die sozialen Proteste auf, die Versammlungsfreiheit zu respektieren. „Das Recht auf friedlichen Protest muss geschützt werden. Es ist zwingend erforderlich, dass die Demonstrationen friedlich bleiben“, hieß es am Dienstag in einer Stellungnahme. Medien sollten die Möglichkeit haben, Nachrichten ohne Einschüchterung oder Druck frei zu produzieren, forderte die UN-Mission zudem mit Blick auf das repressive Vorgehen gegen Medieneinrichtungen, die von den Protesten berichten. In der Nacht zum Montag waren Sicherheitskräfte der YNK ohne juristische Grundlage in die Zentrale des oppositionellen Fernsehsenders NRT in Silêmanî eingedrungen und hatten die Räumlichkeiten durchsucht. Dabei wurden etliche Geräte beschädigt und wichtige Technik beschlagnahmt. Erst nach der Razzia belegte die dem Ministerium für Kultur und Jugend unterstellte Generaldirektion für Medien (Presse, Radio und Fernsehen) den Sender mit einer Strafe. Das komplette Programm ist für eine Woche gesperrt, begründet wurde die Maßnahme damit, dass NRT die Pressefreiheit zwecks „Durchsetzung politischer Zwecke missbrauchen“ würde. Sollte der Sender gegen die Auflagen verstoßen, drohten härtere Strafen...“

„Corruption: affrontements à Sulaymaniyah, Germiyan, Halabja, Ranya, Chamchamal“ am 09. Dezember 2020 bei Anthropologie du Présent externer Link ist eine Materialsammlung über die Proteste quer durch die Autonomie-Region, darunter eine ganze Reihe von Videoberichten aus verschiedenen, auch kleineren Ortschaften.

„Protests turn violent in Iraqi Kurdistan“ am 12. Dezember 2020 bei Workers against Sectarianism externer Link ist eine aktuelle Sammlung von Meldungen von Aktiven aus verschiedenen Regionen Irakisch-Kurdistans über die aktuellen Proteste.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=183131
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