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Der Widerstand gegen das „Omnibus-Gesetz“ in Indonesien ist auch Widerstand gegen die Fortsetzung der neoliberalen Willkür der vor 20 Jahren beendeten Militärdiktatur

Einer der zahlreichen Protesten gegen das Omnibus-Gesetz in ganz Indonesien vom 14. bis 16.8.2020„… In den späten 1960er Jahren wurde die neoliberale Wirtschaftspolitik in Indonesien von einer Gruppe Ökonom*innen angeführt, die in Berkeley studiert hatten. Ein Mitglied der »Berkeley Mafia«, gab an, dem autoritären Präsidenten Suharto einen Leitfaden zur Umsetzung neoliberaler Reformen vorgelegt zu haben, ein »neoliberales Kochbuch zur Überwindung der wirtschaftlichen Probleme in Indonesien«. Suharto setzte diese von den USA befürwortete Politik der freien Märkte und Auslandsschulden um. Linke Proteste wurden brutal niedergeschlagen, das rechte Regime Suhartos festigte sich. (…) Neoliberale Politik war nach dem Abdanken Suhartos 1998 in der Zeit der pro-demokratischen Reformen (»reformasi«) in Ungnade gefallen, aber nie wirklich verschwunden. Die Nachfolger*innen der Mafia halten weiter wichtige Wirtschaftsposten inne: Die in den USA ausgebildete Ökonomin Sri Mulyani, ehemalige Geschäftsführerin der Weltbank, ist Jokowis Finanzministerin und eine der Vordenker*innen der Omnibus-Gesetze. (…) Es spiegelt dementsprechend Unternehmensinteressen wider: Steuersenkungen für Unternehmen, Deregulierung und Beseitigung hoher Beschäftigungskosten durch Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Indonesien wurde 2019 hinsichtlich dieser Punkte von der Weltbank auf Platz 73 eingestuft – Jokowis Ziel ist es, auf Platz 40 zu kommen. Cilaka wird Arbeitnehmer*innen in noch prekärere Beschäftigungsverhältnisse drängen. Mit dem Slogan »Einfache Einstellung, einfache Entlassung« ermöglicht das Gesetz Unternehmen, Arbeitnehmer*innen ohne Entschädigung oder Widerspruchsmöglichkeit zu entlassen. Durch die Einführung eines unregulierten Stundenlohns und die Legalisierung von Zwölf-Stunden-Tagen und Sechs-Tage-Wochen wird auch der Pool an »dauerhaft befristeten« Vertragsarbeiter*innen erweitert. Massenentlassungen, die während der Pandemie bereits zugenommen haben, werden so normalisiert…“ – aus dem Beitrag „Jakarta kehrt zurück“ von Mariyah L. M. und LN am 17. November 2020 bei analyse&kritik externer Link (Ausgabe 665) – der Übersetzung eines Betrags aus Lausan.hk zum indonesischen Omnibus, in dem die entsprechende historische Einordnung des Vorgehens ebenso Thema ist, wie die Autorenschaft des Frontalangriffs. Siehe dazu auch zwei weitere Beiträge zu den politischen Kontinuitäten der Vorgehensweise der aktuellen Regierung Indonesiens mit den neoliberalen Kampfprogrammen der Militärdiktatur in Indonesien und den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zum Widerstand dagegen

  • „Im Eilverfahren“ von Antje Missbach am 05. November 2020 in der jungle world online externer Link unterstrich unter anderem: „… Allerdings befürchten Kritiker, dass diese Änderungen kaum neue Arbeitsplätze schaffen werden. Stattdessen, so Paramita Supamijoto, Dozentin für internationale Beziehungen an der Bina-Nusantara-Universität in Jakarta, dienten sie dazu, die Macht der Gewerkschaften zu beseitigen. Auch der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) kritisiert die Beschlüsse, da Lohnsenkungen zu erwarten seien und der Kündigungsschutz aufgeweicht werde. Die IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow bemängelt vor allem, dass »die Regierung versucht, das Leben der Menschen weiter zu destabilisieren und ihre Lebensgrundlage zu ruinieren, damit ausländische Unternehmen aus dem Land Reichtum ziehen können«. Selbst konservative muslimische Massenorganisationen wie Nahdlatul Ulama halten sich mit Kritik nicht zurück. In ungewohnter Manier ließ deren Vorsitzender Said Aqil Siradj verlautbaren, dass von diesem Gesetzespaket »nur Konglomerate, Kapitalisten und Investoren profitieren werden, während die Interessen der Arbeiter, Bauern und kleinen Leute unterdrückt und mit Füßen getreten« würden. Sogar 35 internationale Investmentfirmen wandten sich an den indonesischen Präsidenten, um ihre Bedenken hinsichtlich der Schwächung des Umweltschutzes anzumelden. Unter anderem wurden Regelungen beseitigt, die dem Schutz der indonesischen Tropenwälder dienen. Die Regierung hat alles getan, um die neuen Regelungen schnell durchzusetzen. Eine Konsultation mit Interessenvertretungen etwa von Arbeitnehmern war nicht vorgesehen, sie wurden sowohl von der Erstellung der Gesetzesvorlage als auch von den Beratungen ausgeschlossen. Das hat im Gesetzgebungsverfahren viel Zeit gespart, allerdings verstößt diese Intransparenz gegen die Verpflichtung, die Beteiligung der Öffentlichkeit zu fördern. Die finale Version wurde zunächst nicht veröffentlicht, während sie auf dem Schreibtisch des Präsidenten dessen Unterschrift erwartete. Auch ohne diese wäre das Gesetz gemäß Artikel 20 (5) der Verfassung 30 Tage nach der Parlamentsentscheidung in Kraft getreten. Widodo unterschrieb am Montag, der Gesetzestext lässt sich nun im Internet einsehen. Zwei Gewerkschaften haben beim Verfassungsgericht Klage erhoben…“
  • „Im Schatten der Diktatur“ von Fahmi Panimbang am 09. November 2020 beim IPG-Journal externer Link macht ebenfalls Kontinuitäten deutlich: „… Insbesondere die Militarisierung und Remilitarisierung der indonesischen Politik sowie der wachsende Einfluss des Militärs und der Polizei auf Exekutive und Legislative gehen auch unter dem amtierenden Präsidenten Joko Widodo (im Volksmund „Jokowi“ genannt) weiter, der zwar Zivilist ist, über den man sich aber öffentlich mokiert, weil er den Kurs des verstorbenen Militärdiktators Suharto beibehält. In den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit arbeitete Jokowi mit großem Einsatz darauf hin, sich politische Unterstützung zu sichern über eine Koalition in Regierung und Repräsentantenhaus, die sich aus der alten Oligarchie rekrutierte. Er wusste, dass er auf den politischen Rückhalt verschiedener politischer Gruppierungen angewiesen war. Das führte allerdings dazu, dass Oligarchie, alte Eliten, Militärs und ehemalige Militärs in der indonesischen Politik nach wie vor den Ton angeben. Es birgt das Risiko eines Rückfalls in die Ära Suharto, in der militärische Kreise praktisch alle strategischen politischen Entscheidungen kontrollierten. Als Jokowi 2014 die nationale politische Bühne betrat, war er in der indonesischen Politszene ein unbeschriebenes Blatt. Man nahm an, dass er mit den früheren politischen Vergehen während der Diktatur nichts zu tun hat. Im ersten der beiden Präsidentschaftswahlkämpfe, die er 2014 und 2019 gegen Ex-General Prabowo Subianto führte, versprach Jokowi, die schweren Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit aufzuarbeiten. Dass er mit diesem Versprechen mehr Unterstützung fand als sein Gegner, war keine große Überraschung – zumal sein Gegenkandidat Prabowo unter anderem für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war. (…) In der Tat ist Indonesiens Bruttoinlandsprodukt in den letzten Jahren stetig gewachsen, und allmählich etabliert sich das Land als einer der wichtigsten Wirtschaftsakteure der Welt. Unter Jokowi hat Indonesien mit neuen Regelungen wie Steuervergünstigungen und anderen Anreizen für Unternehmen seine Attraktivität für ausländische Investoren erhöht. Auf der anderen Seite wurden das Arbeitsrecht und die Mindestlohnregelung mehr und mehr gelockert. Seit 2015 dürfen Arbeitnehmer und Gewerkschaften beispielsweise nicht mehr über Mindestlöhne verhandeln. Darüber hinaus verabschiedete das indonesische Repräsentantenhaus am 5. Oktober 2020 gegen massive öffentliche Proteste ein „Gesetzespaket zur Schaffung von Arbeitsplätzen“, bekannt als Omnibus Law on Job Creation. Dies könnte Indonesiens Rückfall in die Diktatur weiteren Vorschub leisten, da die Polizei mit aller Härte gegen die Demonstranten – vor allem Studierende und junge Arbeiter – vorging. Das Gesetzespaket ist Teil von Jokowis Ambitionen, mehr ausländische Investitionen anzulocken. Wie schon Suharto mit seiner „Neuen Ordnung“ versucht Jokowi, die Arbeitsrechte auszuhebeln und den Umweltschutz zurückzufahren. Das Omnibus Law zielt darauf ab, öffentliche Güter und Dienstleistungen wie Elektrizität und Bildung zu privatisieren. Für Familien und private Haushalte wird das Gesetz mit Sicherheit verheerende Folgen haben, weil es dazu führen wird, dass Löhne gekürzt werden und wichtige Regelungen zur Absicherung im Krankheitsfall und andere Schutzmechanismen wegfallen…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=181663
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