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Am 07. Februar 2019 erneut wachsende Massenproteste auf Haiti: Hunderttausende auf den Straßen für den Rücktritt des Präsidenten

Am 7.2.2019 in der Hauptstadt Haitis fand die grösste der zahlreichen Demonstrationen für den Rücktritt des Präsidenten Moise stattSeit dem US-Putsch gegen den (ebenso wie die Herren Maduro und Zelaya in ihren Ländern) gewählten Präsidenten Aristide im Jahr 2004, verstärkt durch die antisoziale Vorgehensweise der Behörden bei Naturkatastrophen und die oftmals als Besatzung empfundene jahrelange Vorherrschaft der UN-Aktion Minustah sowie endgültig seit dem Bekanntwerden der gewaltigen Betrugsmaschine, die die Petrocaribe-Gelder in private Taschen leitete: Haiti kommt nicht zur Ruhe. Und das ist gut so, denn es wäre ja die Ruhe eines Regimes, das über Freihandelszonen und Tourismusindustrie die Ausbeutung und Repression der Bevölkerung zusammen mit international tätigen Unternehmen betreibt, unter dem Schutzschild gleich welcher US-Regierung. Aber die Proteste, die am 07. Februar 2019 stattfanden, sprengten alle bisherigen – bereits enormen – Dimensionen. Und wurden vor allem über soziale Medien und haitianische Alternativmedien verbreitet: Der bürgerliche Mainstream, gerade auch in der BRD, ist gegenwärtig ja vor allem damit beschäftigt, die US-Kampagne gegen die (unter internationaler Beobachtung gewählte) Regierung Venezuelas zu führen. Unsere aktuelle  kommentierte Materialsammlung „Das Jahr der Massenproteste auf Haiti“ vom 09. Februar 2019 versucht einen Betrag dazu zu leisten, diese Massenbewegung bekannt zu machen – und ihre Ursachen und Entwicklung zu verstehen:

„Das Jahr der Massenproteste auf Haiti“

„Anti-govt protesters now reporting from Port Salut“ am 08. Februar 2019 beim Twitter-Kanal des Haiti Info Project externer Link (HIP) ist eine der zahlreichen Kurzmeldungen per Tweet an diesem Tag aus mindestens 20 Orten Haitis, wo Massenproteste stattfanden. Hier handelt es sich darum, dass die örtliche Polizei angesichts der mobilisierten Menschenmengen die bekannte Hasenfuss-Taktik ergriff und nicht mehr aufzufinden war – wohl aber bewaffnete Banden, von denen die DemonstrantInnen annahmen, dass sie von der Regierungspartei PHTK des Präsidenten Moise organisiert (und bezahlt) worden seien…

„Armut und Korruption“ am 08. Februar 2019 bei der taz externer Link ist eine Zusammenschau verschiedener Agenturmeldungen, deren journalistische Qualitätsarbeit sich beispielsweise an folgender Information verdeutlichen lässt: „… Zu den Protesten hatte die Opposition aufgerufen. Am Dienstag hatte die Regierung neue Maßnahmen angekündigt, um die wirtschaftliche Krise im Land lindern. Vergangene Woche war bekannt geworden, dass im Rahmen des Erdölprogramms Petrocaribe Gelder hinterzogen worden seien. Auch Mitglieder der Regierung Moise sollen an dem Betrug beteiligt sein. Durch Petrocaribe erhält Haiti günstiges Erdöl aus Venezuela…“ Wem der Petrocaribe-„Skandal“ in der letzten Woche bekannt wurde, sei dahin gestellt – die Proteste auf Haiti dagegen finden seit Monaten statt…

„Proteste gegen Haitis Regierung“ am 08. Februar 2019 in der tagesschau externer Link zu den Massenprotesten: „Haiti gilt als eines der ärmsten Länder der Welt und ist weitgehend auf Hilfszahlungen aus dem Ausland angewiesen. Nun steht die Regierung im Verdacht, Hilfsgelder veruntreut zu haben. Tausende gingen aus Protest auf die Straße. Tausende Menschen haben in Haiti gegen Korruption und für den Rücktritt von Präsident Jovenel Moise demonstriert. Dabei kam es zu Ausschreitungen. Laut Medienberichten gab es mindestens einen Toten. Aufgerufen zu den Protesten hatten die Opposition und Sozialverbände. Die Demonstranten werfen der Regierung vor, Geld aus einem Hilfsfonds veruntreut zu haben, das eigentlich für den Wiederaufbau nach dem verheerenden Erdbeben 2010 verwendet werden sollte. Bei dem Beben kamen Hunderttausende Menschen ums Leben…“ Die Ausschreitungen, inklusive (einer wachsenden Anzahl von) Todesopfern, bestehen aus massiven Repressionsmaßnahmen der Polizei, sollte nicht unerwähnt bleiben…

„Haïti-Crise: Des secteurs politiques tournent le dos à Jovenel Moïse“ am 08. Februar 2019 bei Alterpresse externer Link ist eine zusammenfassende Meldung über Erklärungen mehrerer politischer Parteien, die bisher die Regierung Moise unterstützt hatten, wie etwa die sozialdemokratische Fusion, dass sie nunmehr auch den Rücktritt des Präsidenten fordern. Die Massenproteste am Vortag – bringen anscheinend das Schiff zum sinken…

„La nette dégradation de la situation socioéconomique d’Haïti fait craindre des troubles majeurs“ ebenfalls am 08. Februar 2019 bei Alterpresse externer Link ist ein Beitrag über die Maßnahme des Präsidenten, am 05. Februar den „wirtschaftlichen Notstand“ Haitis zu erklären. Hintergrund sind dafür zwei Zahlen: Die – monatliche – Inflationsrate stieg auf 15% und 4,5 Millionen Menschen, also beinahe die Hälfte der Bevölkerung Haitis, sind von Hunger bedroht.

„Lundi 4 février : des syndicalistes lancent une grève générale pour faire baisser les prix du carburant“ am 28. Januar 2019 bei Rezo Nodwes externer Link war ein Bericht über eine Pressekonferenz des gewerkschaftlichen Netzwerkes Brigade Syndicale (dem sieben Einzelgewerkschaften angehören) am Montag,  den 4. Februar zu Proteststreiks gegen die Erhöhung der Treibstoff-Preise zu mobilisieren. Auch zu den Protesten am 7. Februar hatten Gewerkschaften und soziale Verbände mit aufgerufen – die Proteste finden faktisch ununterbrochen statt…

„Haitian Opposition to Mobilize One Million Demonstrators in Protests“ am 06. Februar 2019 bei der Haitian Times externer Link spekuliert am Vorabend der Demonstrationen über den Umfang der Mobilisierung am nächsten Tag – und hat, ganz verschiedenen Quellen zufolge, mit der Schätzung einigermaßen richtig gelegen…

„Haïti: Au moins quatre manifestants tués“ am 08. Februar 2019 bei Secours Rouge externer Link meldet den Tod von mindestens 4 Protestplakat gegen Todesschüsse der haitianischen Polizei am 7.2.2019Demonstranten am Vortag – alle in Cap Haitien, wo die Polizei das Feuer auf die Demonstration eröffnete. Die des Öfteren verbreitete Meldung, es habe insgesamt zwei Todesopfer gegeben, stammt aus der entsprechenden offiziellen Polizei-Mitteilung, der man ein gewisses Interesse daran unterstellen darf, die Zahlen niedrig zu halten.

„Haiti erhebt sich“ am 13. Januar 2019 bei amerika21.de ist ein Beitrag von Jean-Luc Mercier externer Link (in der Übersetzung von Gerhard Mertschenk), mit dem die Proteste analysiert und ein Überblick über ihre Entwicklung gegeben werden soll, ausgehend von den November-Protesten. Darin heißt es unter anderem zur altbekannten organisierten Kriminalität der  IWF-Politik: „Bereits am 6. Juli war Haiti Schauplatz von Protesten gegen die Preiserhöhungen bei Benzin, Diesel und Kerosin aufgrund einer zwischen der Regierung und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgehandelten Vereinbarung. Angesichts der Gewalttätigkeiten wurde die Maßnahme am folgenden Tage zurückgenommen und Präsident Jovenel Moïse rief die Leute auf, in ihre Häuser zurückzukehren. Die Proteste, bei denen mindestens drei Personen zu Tode kamen und Regierungsgebäude, Geschäfte, Hotels und Bürogebäude beschädigt wurden, dauerten jedoch an. Zu den Ausschreitungen kam es in der Hauptstadt Port-au-Prince, in Cap-Haitien und in den Gemeinden Les Cayes, Jacmel und Petit-Goave. Infolge der durch die vom IWF geforderten Anpassungen ausgelösten Proteste und der soziale Unzufriedenheit erklärte der haitianische Premierminister Jack Guy Lafontant seinen Rücktritt. (…) Die vom IWF verordnete „Anpassungsmaßnahme“ bedeutete eine Preiserhöhung bei Benzin von 38 Prozent, bei Diesel von 47 und von 51 Prozent bei Kerosin, das von der Mehrheit der Haitianer zur Beleuchtung ihrer Häuser benutzt wird, da sie keinen Anschluss ans Stromnetz haben. Es handelte sich dabei um ein Abkommen über „humanitäre Hilfe“ zwischen Haiti und dem IWF. Es wurde ohne das Einverständnis der Bevölkerung als Teil eines Anpassungsprogramms umgesetzt, das darauf abzielte, unter dem Vorwand, das Haushaltsdefizit zu verringern und die „Wirtschaft zu stabilisieren“, die Subventionen für Mineralölerzeugnisse abzuschaffen. Nach dem Erdbeben von 2010, das mindestens 222.570 Tote, 1,5 Millionen Obdachlose und materielle Schäden in einer Größenordnung von geschätzten 7,9 Milliarden hinterließ, stiegen Haitis Schulden beim IWF sprunghaft an. Es handelte sich um ein „Darlehen“ in Höhe von 114 Millionen US-Dollar, mit dessen Rückzahlung nach fünfeinhalb Jahren begonnen werden sollte. (…) Die Versprechungen der internationalen Gemeinschaft ließen auf sich warten und beliefen sich dann auf 16 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau Haitis, ein Betrag, der bei den Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental Organizations, NGOs) verblieb und nie im Lande spürbar wurde…

„Haiti in Revolt: An Overview and Analysis of Six Months of Revolt“ am 26. Dezember 2018 bei libcom.org externer Link ist eine Analyse von sechs Monaten Dauerprotest von einem anarchistischen Standpunkt aus (Black Autonomy Network). Darin, neben einer ausführlichen Chronologie der Ereignisse seit Moises Amtsantritt vor genau einem Jahr auch zwei wichtige einzelne Fakten: Zum einen wird daran erinnert, dass Moise bei einer Wahlbeteiligung von 28,8% gerade einmal 32,1% der Stimmen bekam – also von rund 10% der haitianischen WählerInnen gewählt wurde. Und: Eine der „Neuerungen“ mit der die Herrschenden auf die Dauerproteste reagiert haben, ist in Wirklichkeit ein „Revival“: Bezahlte Mörderbanden, wie in der Ära der Duvalier-Diktatur.

„The continuing defamation of Aristide in Exile“ von Stephen Lendman am 28. Januar 2019 beim Haiti Info Project externer Link ist ein ausführlicher Beitrag über die Bedeutung des Expräsidenten Aristide – der mehrfach mit enormen Mehrheiten gewählt, immer wieder von den USA „abgewählt“ wurde, aber bis heute in seinem südafrikanischen Exil wirkt und eine Refernz für jede Opposition gegen die reaktionären Regimes ist, die von den USA und der UNO gestützt werden.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=144063
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