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[06. August 2019] Revolte gegen den Präsidenten Guatemalas: Weil er Trumps „sichere Drittstaaten-Regelung“ unterzeichnet hat – ein landesweiter Protest- und Streiktag

[06. August 2019] Revolte gegen den Präsidenten Guatemalas: Weil er Trumps „sichere Drittstaaten-Regelung“ unterzeichnet hat - ein landesweiter Protest- und Streiktag„… „Im Abkommen selbst,“ erklärt Danilo Rivera, „ist zwar explizit nicht die Rede davon, dass Guatemala zum sicheren Drittstaat erhoben wird. Aber die Erklärungen der US-Administration sind deutlich. Donald Trump kommt mit Hilfe Guatemalas der Einlösung seiner Wahlversprechungen näher“. Dazu trägt auch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der USA bei, das am Freitag urteilte, dass Gelder aus dem Verteidigungsetat für den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko verwandt werden dürfen. Dadurch hat Donald Trump grünes Licht, auch ohne einen entsprechenden vom Kongress verabschiedeten Haushalt eines seiner zentralen Wahlkampfversprechen einzulösen. (…) Für die US-Regierung sind die Ursachen der Auswanderung aus Honduras oder El Salvador nebensächlich. Das sind vor allem die fehlende Sicherheit, der Mangel an Perspektiven und die exorbitante Korruption innerhalb der politischen Eliten. Das ist in Guatemala nicht anders. Nur ist das mittelamerikanische Land nun ein sicheres Drittland – zumindest formell…“ – aus dem Beitrag „Trump macht die Grenzen dichter“ von Knut Henkel am 28. Juli 2019 in der taz online externer Link, unmittelbar nachdem die Nachricht von dieser „Aufwertung“ Guatemalas bekannt wurde… Siehe dazu auch drei Beiträge über die Reaktionen auf diesen Schritt der guatemaltekischen Regierung, sowie drei Aktionsberichte vom Protesttag 06. August und zwei Hintergrundbeiträge über Regierung und soziale Bewegungen:

„Guatemala als sicherer Drittstaat: Regierung unterzeichnet Vereinbarung mit USA“ von Thorben Austen und Denis Mainka am 29. Juli 2019 bei amerika21.de externer Link über die Vorgeschichte zwischen Regierung und Verfassungsgericht in Guatemala und erste Reaktionen auf den neuen Schritt: „Während die US-Regierung die unterzeichnete Vereinbarung „Sicherer-Drittstaat-Abkommen“ nennt, bezeichnete Präsident Morales sie als „Kooperationsabkommen zur Prüfung von Schutzgesuchen“ sowie „Internationale Solidarität für Migranten“. Beobachter gehen davon aus, dass Guatemalas Regierung mit der Namensgebung einem erneuten Konflikt mit dem Verfassungsgericht aus dem Weg gehen möchte. Das Gericht hatte einen ähnlich ausgearbeiteten Vertrag gestoppt und verfügt, er müsse vor einer Unterzeichnung durch Morales näher erläutert und dem Kongress zur Abstimmung vorgelegt werden. Guatemalas Staatschef erklärte nun, die neue Vereinbarung müsse nicht durch den Kongressverabschiedet werden, da die Umsetzung der geplanten Vorhaben weniger als ein Prozent des Haushalts betreffe. Inwieweit das Verfassungsgericht gegen die neue Vereinbarung vorgehen wird, ist bislang unklar. (…) Die jetzige Unterzeichnung stieß auf harsche Kritik. Amnesty International schrieb in einer Erklärung, die US-Regierung wisse, dass in Guatemala gefährliche Bedingungen vorherrschten. Angesichts der hohen Gewaltraten in dem Land und schwacher Institutionen bestehe kein Zweifel daran, dass das Land nicht als sicherer Zufluchtsort angesehen werden könne. Die guatemaltekische Zeitung La Hora bewertet das Zustandekommen der Vereinbarung unter Androhung von US-Sanktionen als „einen Kolonialstatus“ für Guatemala. Bereits für Samstag riefen zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft zu Protesten auf. Tausende versammelten sich daraufhin vor dem Kongress sowie dem Haus des Präsidenten…“

„«Jimmy der Landesverräter» – Guatemalas Präsident buckelt vor Donald Trump und vereinbart ein umstrittenes Migrationsabkommen“ von Samuel Misteli am 31. Juli 2019 in der NZZ online externer Link ebenfalls zu den unmittelbaren Reaktionen unter anderem: „… Die Regierung von Jimmy Morales wollte offenbar aus mehreren Gründen verhindern, das Dokument dem Parlament vorlegen zu müssen. Zum einen war ungewiss, ob eine Mehrheit der Abgeordneten dem Dokument zustimmen würde. Zum anderen übten die Amerikaner massiven Druck aus auf die Regierung in Guatemala-Stadt. Trump drohte mit Strafzöllen, mit einem Einreiseverbot für Guatemalteken sowie damit, Geldüberweisungen von Migranten nach Guatemala mit Steuern zu belegen. Jimmy Morales, der unter Korruptionsverdacht steht und höchst unbeliebt ist, dürfte auch daran gelegen gewesen sein, die amerikanische Regierung nicht zu verärgern. Morales hat sich in den letzten Jahren als treuer Günstling Washingtons zu positionieren versucht. Er liess unter anderem die guatemaltekische Botschaft in Israel nach Jerusalem verlegen. Im Gegenzug drückte die Regierung Trump bei rechtsstaatlich fragwürdigen Manövern der guatemaltekischen Regierung mindestens ein Auge zu. (…) Der guatemaltekische Präsident dürfte die Empörung, die in Guatemala auf die Unterzeichnung des Dokuments am Freitag folgte, auch deshalb in Kauf genommen haben, weil er sein Amt Ende Jahr abgibt. Zu jenen, die das Migrationsabkommen ablehnen, gehören auch die beiden Kandidaten, die sich am 11. August in der Stichwahl um die Präsidentschaft gegenüberstehen. Die linke Kandidatin Sandra Torres, die als Favoritin gilt, sagte, es müsse gründlich überprüft werden, ob die Regierung befugt gewesen sei, das Papier zu unterzeichnen...“

„Weißes Haus diktiert“ von Volker Hermsdorf am 29. Juli 2019 in der jungen Welt externer Link zum Ablauf und Bedeutung der Unterzeichnung: „… Am selben Tag hatte Trump im Weißen Haus persönlich überwacht, wie Guatemalas Innenminister Enrique Degenhart ein Migrationsabkommen unterzeichnete, das bereits im August in Kraft treten soll. In dem Vertrag wird das mittelamerikanische Land zum »sicheren Drittstaat« erklärt. Das hat zur Folge, dass alle Asylsuchenden, die auf dem Weg in die USA Guatemala durchquert haben, an der US-Grenze abgewiesen werden können. Das von der guatemaltekischen Regierung auf Twitter veröffentlichte Abkommen soll auch Abschiebungen aus den USA in das Land ermöglichen. Was für Zigtausende, die vor Bandenterror, Verfolgung, Armut und Hunger in Richtung Norden fliehen, zum Todesurteil werden könnte, war für Trump ein Grund zum Feiern. »Dies ist ein großer Tag. Sie machen nun das, was wir von ihnen verlangt haben.« Washington hatte der Regierung Guatemalas zuvor mit Strafzöllen gedroht, falls sie dem Vertrag nicht zustimme. Zudem könnten Geldüberweisungen von in den USA arbeitenden Guatemalteken an ihre Familien besteuert und deren Aufenthalt oder die Möglichkeit der Wiedereinreise in die USA beschränkt werden. Der Deal mit den USA erspare seinem Land »drastische Sanktionen«, die die Wirtschaft stark belastet hätten, räumte Staatschef James »Jimmy« Morales am Freitag seine Hilflosigkeit ein…“

„Protestan en Guatemala contra acuerdo con Estados Unidos“ am 28. Juli 2019 bei kaosenlared externer Link war ein Überblick über die ersten Proteste in Guatemala, in dem auch erstmals über den – zu dieser Zeit noch „möglichen“ – landesweiten Protest-Tag am 06. August berichtet wurde.

„Guatemala. Campesinos anuncian paro contra acuerdo migratorio“ am 05. August 2019 bei Resumen Latinoamericano externer Link ist ein Bericht über eine Pressekonferenz der Codeca (Comité de Desarrollo Campesino), auf der das Kleinbauern- und Landarbeiter-Komitee die genauen Vorbereitungen für die Proteste an 25 Orten des Landes für Dienstag, 06. August 2019 vorstellte.

„#ParoNacional“  externer Link ist der Hashtag unter dem die Aktionen in zahlreichen Orten Guatemals an diesem Tag dokumentiert werden, bei denen viele der dabei Aktiven neben der Ablehnung des Abkommens und der Kritik an der Regierung auch eigene soziale Anliegen vertraten.

„SOUVERÄNE KORRUPTION“ von Nis Melbye in den Lateinamerika Nachrichten Nr. 536 externer Link (Ausgabe Februar 2019) war ein Beitrag, der zur Charakterisierung der Regierung Morales unter anderem hervor hob: „… Die Unbeliebtheit der Kommission zur Bekämpfung der Straflosigkeit (CICIG) bei Guatemalas Regierung und Eliten kommt nicht von ungefähr. Nach eigenen Angaben hat die CICIG bereits 60 kriminelle Netzwerke aufgelöst und war an Verfahren gegen rund 680 Personen beteiligt, von denen bisher 310 verurteilt wurden. Die Gründung der CICIG war eine Reaktion auf die Politik der sozialen Säuberungen, die darin bestand, dass die Kriminalpolizei nicht mehr selbst ermittelte, sondern auf der Grundlage von Untersuchungen des militärischen Geheimdienstes unmittelbar vollstreckte. Viele vermeintliche Kriminelle wurden nicht vor Gericht gestellt, sondern gefoltert und anschließend getötet. Den extralegalen Hinrichtungen fielen im Februar 2007 sogar Abgeordnete des Parlaments aus El Salvador zum Opfer, während sie sich für einen Arbeitsaufenthalt in Guatemala befanden. Bei den Abgeordneten der rechten Partei ARENA hatten die Beamten Drogen oder Drogengeld vermutet. Die internationale Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala (CICIG) nahm 2007 als Institution der Vereinten Nationen (VN) ihre Arbeit auf und arbeitet in erster Linie zur Aufdeckung illegaler Sicherheitsapparate innerhalb staatlicher Strukturen, die Ermittlungen decken vielfach Verstrickungen zwischen den politischen Eliten und der organisierten Kriminalität auf. Die CICIG unterstützt seitdem die Arbeit der FECI, einer Abteilung der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung der Straflosigkeit. Die FECI führt gemeinsam mit der CICIG die Ermittlungen und Vertritt vor Gericht die Anklage (…) Morales änderte seine Einstellung gegenüber der CICIG als im August 2017 bekannt wurde, dass die CICIG und die FECI ein Verfahren gegen ihn wegen illegaler Wahlkampffinanzierung eingeleitet hatten und nun die Aufhebung der Immunität des Präsidenten beantragten. Morales reagierte prompt und erklärte Vélasquez zur „persona non grata“. Eine Ausweisung des Leiters der CICIG wurde jedoch durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts verhindert. Nachdem der guatemaltekische Kongress gegen die Aufhebung der Immunität des Präsidenten stimmte, versuchte dieser mit der Hilfe seiner Amtskontakte, von der Presse „Pakt der Korrupten“ genannt, Änderungen an Gesetzen vorzunehmen und seinem Strafverfahren wegen illegaler Wahlkampffinanzierung und weiterer Korruptionsdelikte den Boden zu entziehen. Auf internationalen Druck und nach vielen Protesten konnten die Gesetzesänderungen jedoch abgewendet werden (siehe LN 525). Mittlerweile bestätigten guatemaltekische Unternehmer*innen öffentlich, dass sie den Wahlkampf von Morales heimlich finanziert hatten…“

„Soziale Bewegungen in Guatemala“ in der Ausgabe 418 der ila externer Link (September 2018) war eine Buchbesprechung von Christiane Schulz (über Eva Kalny: Soziale Bewegungen in Guatemala im Campus-Verlag), worin unter anderem hervor gehoben wurde: „… Tausende von Menschen versammelten sich im Juli 2018 in Guatemala-Stadt und forderten den Rücktritt von Präsident Jimmy Morales. Die Regierung hatte trotz einer Warnung von Seismologen die Bevölkerung nicht vor einem Vulkanausbruch gewarnt und demnach die rasche Umsetzung von Katastrophenplänen verhindert. Mehr als 100 Menschen kamen dabei ums Leben, tausende mussten aus ihren Häusern fliehen und in Notunterkünften Schutz suchen, 1,7 Millionen Menschen waren von dem Vulkanausbruch betroffen. Die Proteste gegen die Regierung ebenso wie die tatkräftige Unterstützung der Bevölkerung für die Betroffenen zeugen von der hohen Mobilisierungsfähigkeit der sozialen Bewegungen. Erklärungsmuster zu den Stärken und Schwächen der guatemaltekischen sozialen Bewegungen stellt Eva Kalny in ihrer 2017 veröffentlichtem Habilitation „Soziale Bewegungen in Guatemala – Eine kritische Theoriediskussion“ vor. Die Autorin leistet mit ihrem differenzierten Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen in Guatemala und die kritische Auseinandersetzung mit Theorieansätzen zu sozialen Bewegungen einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der aktuellen Ereignisse. Im Mittelpunkt der Analyse stehen Frauenbewegungen, indigenen Bewegungen und Ressourcenkämpfe – als „kollektiv widerständiges Handeln“ – in ihren Wechselwirkungen mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Jede dieser Bewegungen wendet sich gegen mindestens eine der drei zentralen gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen: Geschlecht, Ethnizität und Klasse...“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=152689
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