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74 Jahre deutsche Verantwortung für griechische Desaster

Artikel aus der Zeitung gegen den Krieg, Nr. 39, Ostern 2015

Zeitung gegen den KriegDass Deutschland im Zweiten Weltkrieg in Griechenland in großem Maßstab Kriegsverbrechen begangen und dafür nie wirklich Wiedergutmachung leistete, ist weitgehend bekannt. Dennoch ist es wichtig, sich die konkrete Geschichte immer neu zu vergegenwärtigen. 520.000 Menschen oder 7,5 Prozent der gesamten griechischen Bevölkerung wurden in den Jahren 1941 bis 1944 Opfer der NS-Besatzung. Dass deutsche Regierungen in Bonn und Berlin auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine Politik fortsetzten, die in Griechenland enormen Schaden anrichtete, zeigen vier Beispiele.

Athen, 5. März 1959. An diesem Tag wird Max Merten von einem griechischen Gericht zu 25 Jahren Haft verurteilt. Er war von 1941 bis 1944 Chef der deutschen Wehrmachtsverwaltung in Thessaloniki und einer der Organisatoren der Deportation von 50.000 Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager von Ausschwitz. Er hatte sich 1957 unvorsichtigerweise an die früheren Stätten seines verbrecherischen Wirkens begeben und wurde dabei verhaftet. Vor der Urteilsverkündung wurde im Bundestag die Ratifizierung eines Finanzabkommens mit Griechenland zurückgestellt, um einen Strafverzicht zu erzwingen. Tatsächlich wurde Merten am 5. November 1959 freigelassen; faktisch wurde er freigepresst. Für seine „Passionszeit in Griechenland“ (Spiegel 32/1961) erhielt der verurteilte Kriegsverbrecher Merten in Westdeutschland „Heimkehrerentschädigung“. Er starb 1971 unbescholten.

Athen, 12. Juli 2000. Die Gerichtsvollzieherin Konstantina Papaspyrou steht vor dem Goethe-Institut, um ein Beschlagnahmeverfahren zu vollstrecken. Der Oberste Gerichtshof, der Areopag, hatte ein vorausgegangenes Gerichtsurteil („Levandia-Urteil“) bestätigt, wonach die Bundesrepublik Deutschland 54 Millionen DM als Entschädigung für die Hinterbliebenen des NS-Massakers in Distomo bezahlen muss. Es handle sich, so die Begründung des Areopags, um Kriegsverbrechen, bei denen die „Staatenimmunität“ nicht zum Tragen kommen könne. Da die rot-grüne Bundesregierung es ablehnt, über die Forderungen auch nur zu reden, wurde das Beschlagnahmeverfahren von deutschem Eigentum auf griechischem Boden eingeleitet. Der deutsche Außenminister Joseph Fischer nennt die Maßnahme „völkerrechtswidrig“. Schließlich greift Bundeskanzler Gerhard Schröder persönlich ein; zufällig ist sein Duz-Freund Kontantinos Simitis zu dieser Zeit griechischer Premier. Die griechische Exekutive stoppt die Judikative.

Berlin, 27. Februar 2012. Im Bundestag wird mit breiter Mehrheit ein neues „Hilfspaket für Griechenland“, faktisch ein Stützungsprogramm für europäische Banken, verabschiedet. Die Abstimmung ist mit einem Dokument untersetzt, in dem es u.a. heißt: „Notwendige Maßnahmen [der griechischen Regierung]: Kürzung der Aufwendungen für Arzneimittel um mindestens 1076 Mio Euro im Jahr 2012.“ In dem Text werden über 11 Seiten hinweg und in Tabellenform weitere extreme Sparmaßnahmen im Sozialbereich im Detail aufgelistet. Diese werden ausdrücklich als Voraussetzungen dafür bezeichnet werden, dass die „Hilfe“ fließt.

Berlin, 6. Februar 2015. Auf einer Pressekonferenz mit Wolfgang Schäuble und seinem griechischen Amtskollegen Yanis Varoufakis meldet sich ein Journalist wie folgt zu Wort: „In 90 Prozent aller Korruptionsfälle in Griechenland ist eine deutsche Firma involviert“. Er wolle „nur einen einzigen Namen nennen: Michael Christoforakos, Ex-Chef von Siemens-Griechenland. Der läuft doch in München frei herum.“ Varoufakis bleibt diplomatisch-höflich. Allerdings spricht auch er von „grenzüberschreitenden Gesetzesverletzungen im Euro-Raum“ und bittet „unsere Freunde in der EU um Hilfe“.

Was sagen uns die vier Fälle? Im erstgenannten Fall schützte die von den Unionsparteien getragene Adenauer-Regierung einen Mann, der in Griechenland hauptverantwortlich war für Kriegsverbrechen. Sie agierte dabei wie ein Gangsterboss mit Erpressung. Im zweitgenannten Fall weigerte sich die Schröder-Fischer-Regierung, das Thema deutsche Kriegsschuld und Reparationen aufzugreifen. Sie hebelte mit ihrem Eingreifen in Griechenland den Rechtsstaat aus. Im dritten Fall ließ die Merkel-Regierung, damals von Union und FDP getragen, im Bundestag „Hilfspakete“ für Griechenland beschließen, die zum gegenwärtigen Massenelend in Griechenland beitrugen. Schließlich belegt der zuletzt angeführte Fall, dass die gegenwärtige Merkel-Schäuble-Gabriel-Regierung dafür verantwortlich ist, dass Leute, die in großem Maßstab in Griechenland Politiker bestachen, zur Verantwortung gezogen werden. Diese Top-Manager von Siemens, Rheinmetall oder Krauss-Maffei Wegmann erreichten mit Schmiergeldzahlungen in –Höhe von mehr als 100 Millionen Euro im Zeitraum 1995 bis 2005, dass griechische Steuergelder in Milliardenhöhe zum Kauf von deutschen Panzern und deutschen U-Boote ausgegeben wurden. Was im übrigen auch dazu diente, dass die Türkei in noch größerem Umfang Waffenkäufe in Deutschland tätigte.

Damit soll jetzt Schluss sein, sagt eine neue, demokratisch gewählte und demokratisch ausgerichtete Regierung in Griechenland. Die Vergangenheit soll aufgearbeitet und eine demokratische und soziale Zukunft eröffnet werden.

Doch genau das will die deutsche Regierung nicht. Sie steht in der alten Tradition. Sie will zu den alten Praktiken mit ihren verheerenden sozialen und politischen Folgen zurück.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=77641
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