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Frankreich vor dem Urteil des Verfassungsgerichts zum „Ausländergesetz“ zwischen Regierungsumbildung und landesweiten Protesten am 14. Januar

Demo in Paris am Sonntag, den 14. Januar 2024 gegen das neue Ausländergesetz in Frankreich (Foto: Bernard Schmid)„… In Kraft getreten ist es noch nicht, denn zuvor wird noch die Entscheidung des Conseil constitutionnel (C.C.), d.h. des französischen Verfassungsgerichts, dazu erwartet. Diese ist für den 25. Januar dieses Jahres angekündigt, also den Donnerstag kommender Woche. Es wird in breiten Kreisen angenommen, dass der C.C. einen Teil der Bestimmungen des Gesetzes kassieren dürfte. (…) Zwei Minister/innen der vorige Woche nun ausscheidenden Regierung waren sogar wegen Widerspruchs gegen einige Bestimmungen des künftigen AusländerGesetzes zurückgetreten, Ex-Gesundheitsminister Aurélien Rousseau sowie Hochschulministerin Sylvie Retailleau (…) Unterdessen gingen Protest und gesellschaftliche Widerstände gegen das künftige Ausländergesetz – „künftige“, sofern es durch das Verfassungsgericht genehmigt wird – weiter und wurden auch auf die Straße getragen. Nach ersten Demonstrationen in bitterer Kälte am 18. Dezember des nun abgelaufenen Jahres gingen am Sonntag, den 14. Januar dieses  Jahres erneut insgesamt Zehntausende Menschen in mehreren Dutzend französischen Städten protestieren…“ Artikel und Demo-Fotos aus Paris von Bernard Schmid vom 15. Januar 2024 – wir danken!

Frankreich vor dem Urteil des Verfassungsgerichts zum „Ausländergesetz“ zwischen Regierungsumbildung und landesweiten Protesten am 14. Januar

Demo in Paris am Sonntag, den 14. Januar 2024 gegen das neue Ausländergesetz in Frankreich (Foto: Bernard Schmid)Bis in das bürgerlich-liberale Regierungslager hinein zog sie Kreise, die Polemik und Auseinandersetzung um das verschärfte neue Rausländer-, hümm, Ausländergesetz, das im französischen Parlament am Abend des 19. Dezember 2023 zusammen mit den Stimmen des neofaschistischen Rassemblement national (RN) verabschiedet worden ist.

In Kraft getreten ist es noch nicht, denn zuvor wird noch die Entscheidung des Conseil constitutionnel (C.C.), d.h. des französischen Verfassungsgerichts, dazu erwartet. Diese ist für den 25. Januar dieses Jahres angekündigt, also den Donnerstag kommender Woche. Es wird in breiten Kreisen angenommen, dass der C.C. einen Teil der Bestimmungen des Gesetzes kassieren dürfte. Die Ausführungen des amtierenden Verfassungsgerichtspräsidenten, Laurent Fabius – er war von 1984 bis 86 sozialdemokratischer Premierminister, damals (mit 37 Jahren bei Amtseinführung) der jüngste Amtsinhaber jemals, allerdings wird sein Jugend-Rekord seit voriger Woche nun durch den 34jährigen neuen Premierminister Gabriel Attal über- bzw. an Jahren unterboten -, beim nichtöffentlichen Neujahrsempfang des Verfassungsgericht deuteten dies jedenfalls an. Fabius rüffelte Staatspräsident Emmanuel Macron im Hinblick auf den Respekt von Rechtsstaatlichkeit. (https://www.huffingtonpost.fr/politique/article/loi-immigration-fabius-envoie-plusieurs-messages-a-macron-lors-des-v-ux-du-conseil-constitutionnel_228049.html externer Link und https://www.lemonde.fr/societe/article/2024/01/08/loi-immigration-quand-le-president-du-conseil-constitutionnel-laurent-fabius-tance-emmanuel-macron-sur-l-etat-de-droit_6209686_3224.html externer Link oder https://www.publicsenat.fr/actualites/politique/loi-immigration-pourquoi-laurent-fabius-reproche-a-lexecutif-de-politiser-le-conseil-constitutionnel externer Link) Insofern würde eine zumindest teilweise Zensur durch das Verfassungsgericht kaum jemanden überraschen, auch wenn erwartet wird, dass Konservative und Rechtsextreme dann wieder vereint einige ideologische Rülpser ausstoßen und dann eben eine Änderung der Verfassung selbst fordern dürften. Wird zumindest ein Teil des Gesetzeswerks durchgewunken, dann muss (nur) noch Staatspräsident Emmanuel Macron es unterschreiben, um es in Kraft zu setzen.

Demo in Paris am Sonntag, den 14. Januar 2024 gegen das neue Ausländergesetz in Frankreich (Foto: Bernard Schmid)Einige Mitglieder auch der bisherigen Regierung mussten ihre Positionierung zum Thema inzwischen bezahlen, jedenfalls die ausscheidende Kulturministerin Rida Abdul-Malak. Die 1979 in Beirut geborene Ministerin, nunmehr Ex-Ministerin hatte sich mehr oder minder klar von der Gesetzesnovelle distanziert. Auch hatte sie kritisiert, dass Emmanuel Macron in seinem zweistündigen TV-Monolog vor journalistischen Sparringspartner/inne/n vom Abend des 20. Dezember 23 – Hauptthema war dabei just das neue Ausländergesetz, das in der Nacht zuvor vom Parlament angenommen worden war – ferner ausdrücklich das sexistische Schwein Gérard Depardieu infolge derber frauenverachtender Äußerungen in Schutz nahm und seine „Unschuldsvermutung“ betreffend Vergewaltigungsvorwürfe verteidigte. Abdul-Malak hatte Überlegungen dazu angestellt, ihm die Légion d’honneur, also das ihm 1996 durch Jacques Chirac verliehene Verdienstkreuz zu entziehen (Dépardieu, nicht Macron, das war ihr Chef…).

Demo in Paris am Sonntag, den 14. Januar 2024 gegen das neue Ausländergesetz in Frankreich (Foto: Bernard Schmid)Abdul-Malak wurde im Zuge der jüngsten Regierungsumbildung von vergangener Woche gefeuert. Zwar hatte auch sie Kritik auf sich gezogen, so bügelte sie bei einem Festival im April & Mai 2023 Unmutsäußerungen von Künstler/inne/n bezüglich der damals frisch auf den Tisch kommenden und umstrittenen Renten„reform“ ab. (Vgl. https://www.bfmtv.com/politique/gouvernement/la-c-est-pas-possible-rima-abdul-malak-se-defend-apres-avoir-ete-interpellee-aux-molieres-sur-les-retraites_AP-202304240973.html externer Link und https://www.lejdd.fr/politique/molieres-2023-interpellee-par-deux-artistes-la-ministre-de-la-culture-rima-abdul-malak-defend-son-bilan-135111 externer Link) Allerdings machte sie mit ihren jüngsten Aussagen eher eine gute politische Figur. Bei ihrem Abschied aus dem Ministerium am Freitag früh (12. Januar 24), zur Amtsübergabe an ihre Nachfolgerin, die von den Konservativen kommende Oberkarrieristin Rachida Dati, erhielt die ausscheidende Amtsinhaberin Abdul-Malak daraufhin ausgiebige Standing Ovations von den anwesenden Kulturschaffenden. Auf die Amtsnachfolgerin Dati, die eine absolut inhaltslose Rede mit quasi nullkommanull Aussagen zur Kulturpolitik hielt, achtete kaum jemand. Selbst die anwesenden Medien nahmen kaum Notiz von ihr, der neuen Ministerin, und wenn, dann ausgesprochen kritisch (bis hin zum liberalen und eher Macron-freundlichen Privatfernsehsender BFM, der darauf achtete, mehrmals darauf hinzuweisen, dass wegen des mutmaßlich illegalen Einsackens von 900.000 Euro durch Rachida Dati von Seiten des Renault-Konzerns derzeit Korruptionsermittlungen gegen die Dame laufen).

Demo in Paris am Sonntag, den 14. Januar 2024 gegen das neue Ausländergesetz in Frankreich (Foto: Bernard Schmid)Zwei Minister/innen der vorige Woche nun ausscheidenden Regierung waren sogar wegen Widerspruchs gegen einige Bestimmungen des künftigen AusländerGesetzes zurückgetreten, Ex-Gesundheitsminister Aurélien Rousseau sowie Hochschulministerin Sylvie Retailleau. (Vgl. https://www.lemonde.fr/politique/article/2023/12/21/loi-immigration-la-demission-de-la-ministre-de-l-enseignement-superieur-a-ete-refusee-annonce-son-entourage_6207151_823448.html externer Link) Beider Ressort war jeweils besonders betroffen, da das künftige Ausländergesetz unter anderem dazu führen soll, eine Rückkehrkaution von ausländischen Studierenden zu erheben; und die 1999 eingeführte spezielle Krankenversicherung für Ausländer/innen ohne Aufenthaltstitel, die AME (Aide médicale d’Etat), die unter anderem auch einer Verhinderung der Ausbreitung ansteckender Krankheiten und damit absolut dem Allgemeininteresse dient, soll erheblich eingeschränkt werden.

Dieses Thema war im Dezember 2023 in letzter Minute bei den Verhandlungen zwischen dem liberalen Regierungslager und den im Überbietungswettbewerb mit den Rechtsextremen liegenden Konservativen zur Schlussfassung der Ausländerrechts-Novelle ausgeklammert worden. Die damalige Premierministerin Elisabeth Borne hatte sich jedoch dabei schriftlich auf das Versprechen festgelegt, einen eigenen Gesetzentwurf speziell zur „Reform“ der AME noch zu Anfang 2024 zu erarbeiten und ins Parlament einzubringen. Ihr nunmehriger frischgebackener Amtsnachfolger Gabriel Attal bekräftigte vergangene Woche (in der zweiten Januarwoche), diese Selbstverpflichtung binde auch seine künftige Regierung. Sowohl Borne als auch Attal kamen historisch eher vom sozialliberalen Flügel des Macron-Lagers und gehörten nicht zu den Ersten, die unbedingt eine verschärfte Ausländergesetzgebung forderten, beugen sich aber den polit-taktisch (im Umgang mit Rechten und Rechtsextremen) motivierten Willen ihres jeweiligen Chefs, Staatspräsident Emmanuel Macron.

Demo in Paris am Sonntag, den 14. Januar 2024 gegen das neue Ausländergesetz in Frankreich (Foto: Bernard Schmid)Nun kommt die Nachfolgerin des zurückgetretenen Gesundheitsministers Rousseau, die neu ernannte Catherine Vautrin – die derzeit 63jährige wird ein Super-Ministerium, gebildet aus dem bisherigen Arbeits- und Sozialministerium sowie dem mit ihm zusammengelegten Gesundheitsressort, anführen -, aus den Reihen der 2007 bis 2012 regierenden Rechten Nicolas Sarkozy und zählte zur Bewegung gegen die Einführung der auch Homosexuellenpaaren offen stehenden Ehe (le mariage pour tous) von 2013. Die neue Amtsinhaberin kommt also aus dem reaktionären Lager. Das macht doch einen gewissen Unterschied aus. Neue Hochschulministerin wird allerdings die alte, Sylvie Retailleau, deren Rücktrittsgesuch ihr Vorgesetzter Macron erst vor kurzem abgelehnt hatte; sie ließ sich offenkundig breitschlagen, einfach weiterzumachen.

Unterdessen gingen Protest und gesellschaftliche Widerstände gegen das künftige Ausländergesetz – „künftige“, sofern es durch das Verfassungsgericht genehmigt wird – weiter und wurden auch auf die Straße getragen. Nach ersten Demonstrationen in bitterer Kälte am 18. Dezember des nun abgelaufenen Jahres gingen am Sonntag, den 14. Januar dieses  Jahres erneut insgesamt Zehntausende Menschen in mehreren Dutzend französischen Städten protestieren. Blieben in „Provinz“städten wie Vichy und Perpignan die Teilnehmer/innen/zahlen eher im zweistelligen Bereich und im zentralfranzösischen Clermont-Ferrand bei 500 bis 600, ähnlich viele waren in Valence im Rhône-Tal unterwegs, so waren es laut Veranstalter/innen/angaben relativ stattliche 3.000 in Lyon wie auch in Rennes und in Bordeaux. In Marseille sollen es 6.000 gewesen sein (…wobei laut Erfahrung in der Mittelmeermetropole die jeweiligen Zahlen von erstens der Polizei, zweitens der Veranstalter/innen und drittens die Realität oft am beträchtlichsten auseinanderklaffen).

In der Hauptstadt Paris, wo der Verf. d. Z. es aus eigener Anschauung beurteilen kann, waren laut realistischen Bemessungen rund 10.000 Menschen am späten Sonntag Nachmittag unterwegs. Die Polizeizahl am Abend dazu lautete „7.700“, die Veranstalter/innen/zahl (auch Letztere ist oft kein wissenschaftlicher Wert) „25.000“.

Auch Gewerkschaftssektionen der CGT, aus Paris und vom Flughafenstandort Roissy, sowie Abordnungen der Union syndicale Solidaires und der Bildungsgewerkschaftsverband FSU – diese drei Verbände debattieren übrigens derzeit über einen eventuellen organisatorischen Zusammenschluss – waren mit dabei. Dabei mobilisieren die Gewerkschaften jedoch ihrerseits mehrheitlich erst für den kommenden Sonntag, den 21. Januar 24.

Bei einem Organisationstreffen kurz vor Weihnachten 2023 am Sitz der Nichtregierungsorganisation (v.a. im Bereich Ausländerrecht/ Rechtsberatung) FASTI im Pariser Osten waren v.a. die Kollektive von Sans papiers, also „illegalisierten“ Beschäftigten, für das Anberaumen eines schnellen Termins im Januar d.J. eingetreten. Es wurde nun der gestrige 14. Januar. Hingegen hatte insbesondere die CGT für einen Sonntag später plädiert. Nicht, weil sie hätte bremsen wollen, sondern um die Mobilisierung überhaupt in ihre Strukturen hineintragen zu können, wo das kollektive Leben oft erst wieder mit dem Ende der Schulferien (im Pariser Raum) am Montag, den 08. Januar losging. 

Demo in Paris am Sonntag, den 14. Januar 2024 gegen das neue Ausländergesetz in Frankreich (Foto: Bernard Schmid)Die CGT, aber auch die mittlerweile ebenfalls zum Protest gegen die Gesetzesnovelle motivierte, ansonsten sozialdemokratisch-sozialpartnerschaftlich ausgerichtete CFDT (das ist derzeit der stärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, jedenfalls vor einer eventuellen, wie oben erwähnt: derzeit andiskutierten Fusion von CGT, Solidaires und FSU) rufen nun ihrerseits zum Demonstrieren am 21. Januar auf.

Dies wird noch vor dem, für vier Tage später angekündigten Urteil des Verfassungsgericht zum Thema stattfinden.
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Artikel und Fotos aus Paris von Bernard Schmid vom 15. Januar 2024 – wir danken!

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=217433
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