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Stimmen aus dem Kampf gegen die Rentenpolitik der französischen Regierung

Eine in diesen Tagen des September 2019 mit beginnenden Rentenproteste in Frankreich sehr populäre Fotomontage - nicht nur bei den GelbwestenEs ist sehr schwer, eine sektorale Mobilisierung ohne die sichtbare Umsetzung des Terrains, dass die Streikposten darstellen, zu realisieren. Für mich ist dies ein grundlegender Punkt: Was gibt es außer diesen Streikposten noch für Orte, um sich zu treffen, sich zu organisieren, über Strategien, Aktionen, (Re)Mobilisierungen zu sprechen? Die täglichen Vollversammlungen in den Depots konnten eine Rolle als „Klebstoff“ zwischen den streikenden Eisenbahnern spielen, und für einige Vollversammlungen, die auch anderen Berufsgruppen offen stehen, wie der unsrige in Vaires, haben die während der Vollversammlungen geschaffenen Verbindungen über die Zeit des Streiks hinaus Bestand. Leider reichen die Vollversammlungen allein jedoch nicht aus. Und dies spiegelt sich in der Landschaft des Kampfes wider. In der Pariser Region sind der Leute der RATP viel stärker mobilisiert und entschlossener als wir Eisenbahner. Wir werden uns nicht anlügen oder uns Geschichten erzählen, es waren die Kollegen der RATP, die das Datum des 5. Dezember festgelegt haben. Sie bereiteten diesen Termin mehrere Monate im Voraus vor, wie mir Adel, ein Mitarbeiter der Eisenbahngesellschaft RATP, sagte. Ein verlängerbarer Streik erfordert eine mehrmonatige finanzielle Vorbereitung, um die Zeit nach dem Beginn des Streiks finanziell auszugleichen…“ – aus dem Beitrag „Wann marschieren wir endlich alle gemeinsam zu den Orten der Macht?“ am 10. Februar 2020 bei non.copyriot externer Link (in deutscher Übersetzung von Sebastian Lotzer) – ein Interview zu den Arbeitskämpfen in Frankreich mit einer Eisenbahnerin (ursprünglich in acta zone am 06. Februar). Siehe dazu drei weitere Beiträge, die auf verschiedene Weise und aus verschiedenen Bereichen einige Aspekte der Besonderheiten und Erfahrungen der Bewegung gegen die Rentenreform deutlich machen – und den Hinweis auf unseren bisher letzten Bericht zu diesen Kämpfen:

  • „Die Macht der Gesten“ von Romy Strassenburg am 06. Februar 2020 in der WoZ externer Link zu den besonderen Erscheinungen im Verlaufe dieses Kampfes: „… Im Zeitalter der sozialen Medien jedoch sind starke Gesten, starke Bilder das entscheidende Kapital, um seinen Forderungen Gewicht zu verleihen. Und während auf der einen Seite die Videos von gewaltsamen Zusammenstössen die Berichterstattung überschatten, suchen andere mit positiven Gegenbildern Sympathien für ihre Anliegen zu gewinnen. Denn wenn Linksradikale mit Steinen auf Banken, Supermärkte oder Bushaltestellen losgehen, um das kapitalistische System wortwörtlich zu zertrümmern, geht das vielen zu weit. Der Politologe Clément Viktorovitch ist Experte für rhetorische Phänomene und bekannt für seine pointierten Sprachanalysen in der TV-Sendung «Clique». In den aktuellen Protesten sieht er die Herausbildung einer neuen «Grammatik der Gesten». So knüpfen die «Rosies» an das Flashmob-Phänomen an, das einst als unpolitischer Spassevent mit einer spontan versammelten Masse begann, inzwischen jedoch immer mehr auch für politische Anliegen genutzt wird. Andere, wie die Ballerinen, nutzen ihr künstlerisches Können, um mediale Aufmerksamkeit zu erregen – so wie der Chor von Radio France, der Anfang Januar die Neujahrsansprache von Direktorin Sybile Veil mit Giuseppe Verdis «Gefangenenchor» übertönte und sie so geradezu verstummen liess. Weil gerade diese Ansprachen in Frankreich ein wichtiges Ritual sind, verliefen viele anders als geplant. Eben erst hatte beispielsweise Justizministerin Nicole Belloubet in der Stadt Caen vor Anwälten das Wort erhoben, da flogen schwarze Roben durch die Luft, und die Versammelten verliessen den Raum. Genauso erging es der Leitung des Pariser Spitals La Salpêtrière: Am Ende blieb nur ein Haufen weisser Kittel vor dem Rednerpult liegen. Für Aufsehen sorgten auch wütende LehrerInnen, die alte Schulbücher vor die Rektorate warfen. Aus Angst vor ähnlichen Aktionen sagte Kulturminister Franck Riester seine Neujahrsrede gleich ganz ab. Seither vergeht kaum ein Tag, ohne dass weitere starke Bilder produziert werden…“
  • „Der Protest radikalisiert sich“ von Ralf Klingsieck am 11. Februar 2020 in neues deutschland externer Link zur Blockadeaktion bei Black Rock: „… Um ihrer Ablehnung der Rentenreformpläne der Regierung Nachdruck zu verleihen, haben am Montag in Paris mehr als 100 Demonstranten die Frankreich-Zentrale des internationalen Finanzinvestors Blackrock besetzt. Nachdem ihnen ein Treffen mit dem Frankreich-Chef des Vermögensverwalters, Jean-François Cirelli, verweigert wurde, verwüsteten sie einige Büros und sprühten Losungen an die Wände. Unterdessen blockierten weitere Demonstranten auf der Straße den Eingang des Gebäudes. Die Polizei sperrte die umliegenden Straßen und bereitete sich darauf vor, das Gebäude zu stürmen. Doch bevor es dazu kam, verließen die Besetzer friedlich das Haus. 17 von ihnen, darunter auch Minderjährige, wurden verhaftet. Ihnen werden Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung vorgeworfen. An der Aktion beteiligten sich auch Mitglieder der Bewegung Youth for Climate France, die sowohl gegen die Rentenreform als auch gegen Blackrock-Investitionen in »umweltzerstörende Projekte« protestierten. Die Gewerkschaften und linken Parteien gingen vorsichtig auf Distanz zu den Besetzern. Sie lehnen Gewalt ab und befürchten »Provokationen sowie eine Unterwanderung durch radikalisierte Kreise von Demonstranten sowie blinden Anarchismus«, wie ein Gewerkschafter in einem Interview sagte. »Das würde aber unsere Protestbewegung diskreditieren und schwächen und so der Regierung in die Hände spielen.« Die Aktion ist jedoch auch Ausdruck eines Trends zur Radikalisierung unter den Gegnern der Rentenreform. Viele von ihnen sind über den verhältnismäßig geringen Effekt der seit Anfang Dezember 2019 anhaltenden Streiks und Protestationen verbittert. Sie suchen nun nach neuen, wirksameren Protestformen. Einige Gewerkschaften sind dazu übergegangen, durch überraschende und kurzzeitige Streiks vor allem im Verkehrswesen, aber auch in der Industrie und im öffentlichen Dienst ihr »Störpotenzial« unter Beweis zu stellen. Damit wollen sie die Taktik der Regierung durchkreuzen, den Konflikt stur auszusitzen…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=162900
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