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Staatliche Repression, faschistische Gewalt und Kritik an Medienberichterstattung dominieren die Debatten in Frankreich vor dem Streiktag am 6. April

Frankreich: Bewegungen gegen die Rentenreform und ökologische gemeinsam gegen PolizeigewaltNach wie vor finden, auch in der relativ ruhigen Zwischenphase vor dem am morgigen Mittwoch, den 05. April d.J. geplanten Zusammentreffen zwischen Premierministerin Elisabeth Borne und den wichtigsten französischen Gewerkschaften, Aktionen und Aktivitäten gegen die umkämpfte Rentenreform statt. (…) Bei den etablierten Medien Le Parisien (Tageszeitung) sowie France 3 (öffentlich-rechtliche) TV-Sendeanstalt veröffentlichten die Zusammenschlüsse der Journalist/inn/en jeweils Erklärunngen, welche in detallierter Weise eine einseitig gegen die Streikenden gerichtete, und zugleich die vermeintlich konstruktiven Bemühungen der Regierung hervorhebende Berichterstattung kritisieren. (…) Mindestens fünfzehn Vorfälle faschistischer Gewalt wurden mittlerweile bekannt. (…) In einem höchst offensiven Interview für die Sonntagszeitung JDD (Journal du dimanche) vom 02. April 23 verwahrte sich Innenminister Gérald Darmanin heftig gegen den «intellektuellen Terror von linksradikaler Seite», welcher darin bestehe, von Polizeigewalt zu sprechen und ihr systemischen Charakter zu unterstellen…“ Artikel von Bernard Schmid vom 4.4.2023 – wir danken!

Staatliche Repression, faschistische Gewalt und Kritik (von innen) an Medienberichterstattung
dominieren die Debatten in Frankreich vor dem Streiktag am 6. April

Nach wie vor finden, auch in der relativ ruhigen Zwischenphase vor dem am morgigen Mittwoch, den 05. April d.J. geplanten Zusammentreffen zwischen Premierministerin Elisabeth Borne und den wichtigsten französischen Gewerkschaften, Aktionen und Aktivitäten gegen die umkämpfte Rentenreform statt.

Am Montag früh blockierten einige Dutzend gewerkschaftlich organisierte LKW-Fahrer die Zufahrt zum Industriegebiet im normannischen Caen. Die Blockade musste jedoch gegen Mittag aufgehoben werden. (Vgl. https://www.bfmtv.com/societe/manifestations/retraites-les-routiers-bloquent-une-zone-commerciale-pres-de-caen_VN-202304030043.html externer Link und https://actu.fr/normandie/mondeville_14437/retraites-blocage-en-cours-dun-rond-point-pres-de-caen_58625512.html externer Link)

Am Samstag Nachmittag, den 1. April hatten rund 6.000 Menschen auf Aufruf der Gewerkschaften hin (Veranstalter/innen/zahlen, die behördlichen Angaben lauten auf die Hälfte) in der Kleinstadt Vire in der Normandie demonstriert. Dort besuchte die amtierende Premierministeirn Elisabeth Borne ihrer früheren Wahlkreis in ihren Zeiten als Abgeordnete. (Vgl. https://www.francetvinfo.fr/economie/retraite/reforme-des-retraites/retraites-manifestation-a-vire-ville-electorale-d-elisabeth-borne_5747873.html externer Link  und https://www.lemonde.fr/politique/article/2023/04/01/reforme-des-retraites-manifestation-a-vire-fief-d-elisabeth-borne_6167888_823448.html externer Link) Das Medienecho über die Vorgänge in der rund 17.000 Einwohner/innen zählenden Kommune – zum Teil waren die Demonstrierenden natürlich auchaus dem Umland gekommen – war frankreichweit hoch. Bei der Auflösung kam es zu Reibereien mit der Polizei.

Am Vortag (Freitag, den 31. März) hatten u.a. Eisenbahner/innen den Montparnasse-Bahnhof in Paris blockiert. (Vgl. https://www.20minutes.fr/paris/4030651-20230331-reforme-retraites-manifestants-descendent-voies-gare-montparnasse-perturbent-trafic externer Link  und https://www.francebleu.fr/infos/societe/reforme-des-retraites-le-trafic-des-trains-gare-montparnasse-perturbe-apres-une-manifestation-sur-les-voies-4057635 externer Link)

Kritik (von innen) an Medienberichterstattung und -positionierung

Bei den etablierten Medien Le Parisien (Tageszeitung) sowie France 3 (öffentlich-rechtliche) TV-Sendeanstalt veröffentlichten die Zusammenschlüsse der Journalist/inn/en jeweils Erklärunngen, welche in detallierter Weise eine einseitig gegen die Streikenden gerichtete, und zugleich die vermeintlich konstruktiven Bemühungen der Regierung hervorhebende Berichterstattung kritisieren. Darüber wurde in der Folge auch in diversen anderen Medien berichtet. Vgl. dazu:

Das Thema faschistische Attacken gewinnt an Aufmerksamkeit

Wir berichteten bei Labournet.de über faschistische Attacken gegen Teilnehmende an der Streik- und Protestbewegung, insbesondere im Jugend- und Studierendenbereich. Vgl. ausführlich unter: https://www.labournet.de/internationales/frankreich/gewerkschaften-frankreich/frankreich-vor-dem-zehnten-aktionstag-am-morgigen-dienstag-tritt-der-konflikt-in-eine-moeglicherweise-entscheidende-phase/  

Im bretonischen Lorient wurden mittlerweile auch vier Mitglieder des linken Gewerkschaftsverbands Union syndicale Solidaires auf dem Rückweg von einer Demonstration angegriffen. (Vgl. dazu die fr. Solidaritätserklärung von Force Ouvrière Action Sociale 35 vom 2.4. auf Twitter externer Link (einer Mitgliedsgewerkschaft des Dachverbands Force Ouvrière (FO))

Inzwischen ist dieses Thema, das zunächst in engagierten Kreisen bekannt war, auch in etablierten Medien in Frankreich angekommen und wird dort diskutiert. Mindestens fünfzehn Vorfälle faschistischer Gewalt wurden mittlerweile bekannt. Vgl. bei der linksliberalen Tageszeitung Libération:

Zur Repression

In einem höchst offensiven Interview für die Sonntagszeitung JDD (Journal du dimanche) vom 02. April 23 verwahrte sich Innenminister Gérald Darmanin heftig gegen den «intellektuellen Terror von linksradikaler Seite», welcher darin bestehe, von Polizeigewalt zu sprechen und ihr systemischen Charakter zu unterstellen. Mittlerweile erstattete das Innenministerium i.Ü. auch Strafanzeige gegen den Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon und den prominenten Anwalt Arié Alimi wegen Äußerungen über Einsatzkräfte.

Doch inzwischen äußerte sich sogar, im Laufe der vorigen Woche, das US-Außenministerium in Washington D.C. « besorgt » über das polizeiliche Vorgehen gegen Demonstrationen in Frankreich, und es erklärte sich um die Versammlungsfreiheit bemüht. Dies ist zwar einerseits relativ witzig, wenn man bedenkt, wie die Polizei in den USA selbst (oft) agiert. Auf der anderen Seite lässt es erkennen, wie das internationale Echo und die Schockwelle, ausgelöst durch die Bilder von sehr realer Polizeigewalt in Frankreich, ausfielen. (Vgl. dazu in bürgerlichen Medien: https://www.20minutes.fr/monde/4030492-20230330-washington-soutient-droit-manifester-pacifiquement-france externer Link  und https://www.bfmtv.com/international/la-maison-blanche-soutient-le-droit-de-manifester-pacifiquement-en-france-comme-partout-ailleurs_AD-202303300807.html externer Link)

Im südwestfranzösischen Département Tarn (Hauptstadt: Albi) wurden am vorigen Donnerstag, den 30. März ingesamt sechs Gewerkschaftsmitglieder von FSU – Bildungsgewerkschaft – und Union syndicale Solidaires (SUD-Gewerkschaften) vorläufig festgenommen. Die polizeilichen Vorwürfe lauteten auf Beschädigung öffentlichen Eigentums.

Hintergrund der Vorwürfe war die Tatsache, dass bei einer Demonstration am vorausgegangenen zehnten Aktionstag der französischen Gewerkschaften, also am Dienstag, den 28. März d.J., bei einer Kundgebung vor der Präfektur (juristische Vertretung des Zentralstaats im Département) eine hölzerne Schranke beiseite gelegt worden war.

Zunächst wurden alle sechs Betroffenen zu einem strafrechtlichen Eiltermin – im Rahmen der so genannten comparution immédiate (d.h. so viel wie: sofortige Vorführung) – für den kommenden Tag, also Freitag, den 31. März vor das zuständige Gericht geladen. Dieses akzeptierte jedoch, ihnen wie gefordert mehr Zeit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu belassen, und sie nunmehr für Mai dieses Jahres vorzuladen.

Vgl. dazu Pressemitteilung der Bildungsgewerkschaft FSU vom 31.3. externer Link sowie eine Reaktion der Union syndicale Solidaires (Pressemitteilung von Solidaires Ariège vom 31.3.2023 ); wobei wir bei Solidaires den durch das, etwas penetrant aufgetragene berühmte Niemöller-Zitat («Als sie die Gewerkschafter abholten…») indirekten Vergleich zu NS-Deutschland ausdrücklich nicht teilen können.

Am Freitag Abend, dem des 31. März d.J., hob das Verwaltungsgericht in Paris ein zuvor durch die Pariser Polizeipräfektur ausgesprochenes pauschales Platzverbot für Menschenansammlungen, das über weite Teile der Pariser Stadtgebiets – ähnlich wie zuletzt bei den samstäglichen sog. Gelbwestenprotesten im ersten Halbjahr 2019 – verhängt worden war, auf. Antragsteller war die Anwältinnen- und Anwälte-Gewerkschaft SAF.

Die Platzverbote waren in der acht Tagen zuvor oft weniger als eine Stunde vor dem Beginn von im Netz angekündigten, jedoch nicht offiziell angemeldeten Demonstrationen in den Abendstunden durch einen Aushang an der Tür der Polizeipräfektur (auf der Seineinsel Ile de la Cité im Pariser historischen Stadtzentrum) verkündet worden. Dies sollte dem gesetzlichen Erfordernis der « öffentlichen Bekanntmachung » zum Schein genüge tun, auch wenn es, mit Verlaub, kein Schwein mitbekam. Die Verhängung von Platzverboten für Menschenansammlungen sorgte dafür, dass :

  • erstens, Menschenansammlungen nicht länger als (an sich legale) Spontandemonstrationen deklariert werden konnte, wodurch die Teilnahme gesetzlich erlaubt geblieben wäre ;
  • zum Zweiten, es sich bei der Beteiligung nicht mehr nur um die Teilnahme an unangemeldeten, sondern an verbotenen Demonstrationen handelte, die mit Geldstrafen geahndet werden konnte.

Das Verwaltungsgericht hob dieses solcherart vorgenommene Verbot nun auf. Am folgenden Tag – Sonnabend, den 1. April – griff die Pariser Polizeipräfektur daraufhin erstmals (seit acht Tagen) auf eine Verbotsverfügung zurück, die in einer Form publiziert wurde, dass sie noch vor Veranstaltungsbeginn per Antrag auf eine Einstweilige Verfügung beim Verwaltungsgericht angefochten werden konnte. Dies stellt immerhin einen Fortschritt dar. Vgl:

Artikel von Bernard Schmid vom 4.4.2023 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=210623
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