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Lohnarbeit in der Corona-Krise in Frankreich: Gerichtsurteile zu Amazon und Carrefour sowie vielerorts Auseinandersetzungen um Wiederaufnahme der Arbeit

Plakat von Sud Santé gegen MacronWir kündigten in unserem, am frühen Freitag Nachmittag veröffentlichten letzten Beitrag das zweitinstanzliche zu Amazon Frankreich an, das zu jener Stunde vom Berufungsgericht Versailles erwartet wurde. Es ging und geht um die Gesundheitsgefährdung von Lohnabhängigen während der Corona-Krise. (…) In der Substanz läuft das 24 Seiten umfassende Berufungsurteil darauf hinaus, dass Amazon dazu verurteilt bleibt, für alle abhängig Beschäftigten eine Risikoanalyse für ihre jeweiligen Arbeitsplätze unter den Bedingungen der Epidemie/Pandemie zu erstellen. (…) Zusätzlich hebt das Urteil hervor, dass bislang in mehreren Fällen das Beschäftigten-Vertretungsorgan CSE an den betreffenden Standorten rechtswidrig nicht angehört wurde. (…) Im Unterschied zum erstinstanzlichen Urteil aus Versailles vom 14.04.20 wird Amazon jedoch dazu autorisiert, eine breitere Sparte von Dienstleistungen anzubieten. (…) Ein Urteil fiel am selben Tag auch im nordfranzösischen Lille. Dort hatte der Gewerkschaftsdachverband CGT gegen die Supermarktkette Carrefour geklagt, in ihrer Niederlassung im ebenfalls nordfranzösischen Lomme nur noch die Abteilungen „Nahrungsmittel“, „Hygienebedarf“, Gesundheitsprodukte sowie Schreibbedarf zu öffnen, den Rest des Supermarkts – mit Ausnahme dieser Sparte – jedoch für die Dauer des „sanitären Notstands“ für den Publikumsbedarf zu schließen. In diesem Falle unterlag jedoch die CGT (…) Auch andernorts fanden und finden Konflikte um die Öffnung oder vorläufige Nichtöffnung von Arbeitsstätten während der Fortdauer der akuten sanitären Krise statt…“ Artikel von Bernard Schmid vom 26.4.2020 – wird danken!

Lohnarbeit in der Corona-Krise in Frankreich: Gerichtsurteile zu Amazon und Carrefour
sowie vielerorts Auseinandersetzungen um Wiederaufnahme der Arbeit

Wir kündigten in unserem, am frühen Freitag Nachmittag veröffentlichten letzten Beitrag (vgl.: https://www.labournet.de/internationales/frankreich/gewerkschaften-frankreich/frankreich-vielfaeltige-arbeits-und-sozialpolitische-konflikte-in-der-coronakrise/) das zweitinstanzliche zu Amazon Frankreich an, das zu jener Stunde vom Berufungsgericht Versailles erwartet wurde. Es ging und geht um die Gesundheitsgefährdung von Lohnabhängigen während der Corona-Krise. Der Amazon-Konzern hatte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Gerichts von Nanterre bei Paris (das Urteil ist im Wortlaut als pdf-Dokument bei der LabourNet-Redaktion erhältlich) vom 14. April dieses Jahres eingelegt.

Nun fiel dieses Urteil auch, im weiteren Verlauf des Freitag Nachmittag (24. April 20, auch dieses Urteil ist im Wortlaut als pdf-Dokument bei der LabourNet-Redaktion erhältlich).

Zum Inhalt: In der Substanz läuft das 24 Seiten umfassende Berufungsurteil darauf hinaus, dass Amazon dazu verurteilt bleibt, für alle abhängig Beschäftigten eine Risikoanalyse für ihre jeweiligen Arbeitsplätze unter den Bedingungen der Epidemie/Pandemie zu erstellen. Die betreffenden Risiken werden für jedes einzelne der sechs Logistikzentren von Amazon in Frankreich, um die es konkret geht – für diese sechs Zentren hatte zuvor die Arbeitsinspektion (inspection du travail, eine Art Gewerbeaufsicht) Versäumnisberichte erstellt; insgesamt weist Amazon in Frankreich 23 Standorte auf – im Urteilstext hervor.

Zusätzlich hebt das Urteil hervor, dass bislang in mehreren Fällen das Beschäftigten-Vertretungsorgan CSE an den betreffenden Standorten rechtswidrig nicht angehört wurde. (CSE bedeutet: Comité social et économique, also „Wirtschafts- und Sozialausschuss“ – sehr vergröbert mit einem deutschen Betriebsrat vergleichbar, jedoch mit unterschiedlichen Aufgaben & Vollmachten diesem gegenüber, insbesondere gehört der Arbeitgeber dem französischen CSE im Unterschied zum deutschen BR an. Insbesondere, um ihn zu zwingen, vor dessen gewählten Mitgliedern seine Entscheidungen anzukündigen und deren Gründe im Einzelnen darzulegen; die Sitzungsprotokolle können im Falle eines späteren gerichtlichen Verfahrens gegen bestimmte Beschlüsse herangezogen werden.)

Das Berufungsgericht – die Cour d’appel – verurteilt folgerichtig, zuerst vor dem CSE jedes betroffenen Standorts die Risikobewertung darzulegen und diese mit ihm zu debattieren, bevor die dazu gehörigen Richtlinien vom Unternehmen verabschiedet werden.

Im Unterschied zum erstinstanzlichen Urteil aus Versailles vom 14.04.20 wird Amazon jedoch dazu autorisiert, eine breitere Sparte von Dienstleistungen anzubieten. Laut dem erstinstanzlichen Urteil durfte der Dienstleister Amazon während der Dauer des (voraussichtlich bis zum 11. Mai 20 mit Ausgangsbeschränkungen geltenden) „sanitären Notstands“ nur Grundbedarfsgüter wie Nahrungsmittel und medizinischen Bedarf, bspw. Fieberthermometer, ausliefern.

Das Berufungsurteil fügt dem nun eine breitere Produktpalette hinzu, auch wenn es die Angebotspalette ebenfalls einschränkt.

So dürfen künftig auch Produkte aus den Bereichen „High-Tech, Informatik, Bürobedarf“, Haustiernahrung/Heimtierbedarf, „Körperpflege“ sowie „Lebensmittelhandel, Getränke und Haushalt“ angeboten und ausgeliefert werden. (Ausgeschlossen bleiben also die im Vorfeld durch die Gewerkschaften besonders monierten Lieferungen etwa von Videospielen und Sex-Toys, wohl auch Heimwerkerartikel.)

Ein zweiter Unterschied im Vergleich zum erstinstanzlichen Urteil liegt darin, dass auch die Cour d’appel de Versailles – die zweite Instanz – ein pro Verfehlung (etwa pro illegal ausgelieferte Bestellung) oder pro Tag verspäteter Umsetzung fällig werdendes Strafgeld festsetzt, dieses jedoch heruntersetzt. Im erstinstanzlichen Urteil beträgt es eine Million Euro pro verbotener Handlung, im Berufungsurteil sind es je 100.000 Euro. (Vgl. dazu einzelne ausgewählte Artikel: https://www.usine-digitale.fr/article/la-cour-d-appel-de-versailles-rejette-l-appel-d-amazon-qui-suspend-a-nouveau-ses-activites-en-france.N957301 externer Link und https://www.laprovence.com/actu/en-direct/5970716/amazon-la-justice-confirme-lobligation-devaluer-les-risques-sanitaires-et-assouplit-les-restrictions-dact externer Link sowie die Reaktion der klagenden Gewerkschaftsvereinigung Union syndicale Solidaires: https://solidaires.org/Amazon-echec-et-mat externer Link)

Anmerkung: Sowohl die Presse als auch die gewerkschaftliche Reaktion legen den Schwerpunkt darauf, dass Amazon auch in der Berufungsinstanz verloren habe, verurteilt bleibe und weiterhin Verbote einhalten müsse.

Supermarktkette Carrefour in Lille

Ein Urteil fiel am selben Tag auch im nordfranzösischen Lille. Dort hatte der Gewerkschaftsdachverband CGT gegen die Supermarktkette Carrefour geklagt, in ihrer Niederlassung im ebenfalls nordfranzösischen Lomme nur noch die Abteilungen „Nahrungsmittel“, „Hygienebedarf“, Gesundheitsprodukte sowie Schreibbedarf zu öffnen, den Rest des Supermarkts – mit Ausnahme dieser Sparte – jedoch für die Dauer des „sanitären Notstands“ für den Publikumsbedarf zu schließen.

In diesem Falle unterlag jedoch die CGT, die bei ihren Forderungen verliert und 1.000 euro Prozesskosten an Carrefour zahlen soll. Das Gericht erhielt es nicht für erwiesen, dass die Öffnung oder Schließung weiterer als der genannten Abteilungen einen besonderen Einfluss auf die Risiken für das Supermarktpersonal habe. (Hat sie möglicherweise auch nicht speziell, jedoch wohl für den Personalbedarf während der Krise und den Zulauf an Kundinnen und Kunden?)(Vgl. AFP-Meldung zum erwähnten Urteil in Lille: https://www.lefigaro.fr/flash-actu/rejet-d-un-recours-visant-a-interdire-la-vente-de-bien-non-essentiels-chez-carrefour-20200424 externer Link)

Sonstiges

Auch andernorts fanden und finden Konflikte um die Öffnung oder vorläufige Nichtöffnung von Arbeitsstätten während der Fortdauer der akuten sanitären Krise statt:

Liebe Leser/innen, wir bleiben am Ball!

Artikel von Bernard Schmid vom 26.4.2020 – wird danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=171103
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