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Frankreich: Streikbewegung gegen die Renten„reform“ vor absolut entscheidender Woche mit Aktionstagen am 9. und 11. Januar

Frankreich: Streikbewegung gegen die Renten„reform“ vor absolut entscheidender Woche mit Aktionstagen am 9. und 11. JanuarHält die Protestfront, oder kippt die Lage? – Streik in den öffentlichen Transportbetrieben schwankt, doch nun wird dem Arbeitskampf in den Raffinerien eine entscheidende Bedeutung zukommen – Aktionstage am Donnerstag, den 09. Januar und Samstag, den 11. Januar 20 – Unterdessen setzt die Regierung anderweitig harte Fakten bei der Eisenbahngesellschaft SNCF und in den öffentlichen Diensten durch. Neue Bedrohungen werden für den Fall einer Niederlage bei der aktuellen Auseinandersetzung munter draufgesattelt…“ Artikel von Bernard Schmid vom 6.1.2020 – wir danken!

Frankreich: Streikbewegung gegen die Renten„reform“ vor absolut entscheidender Woche

Hält die Protestfront, oder kippt die Lage? – Streik in den öffentlichen Transportbetrieben schwankt, doch nun wird dem Arbeitskampf in den Raffinerien eine entscheidende Bedeutung zukommen – Aktionstage am Donnerstag, den 09. Januar und Samstag, den 11. Januar 20 – Unterdessen setzt die Regierung anderweitig harte Fakten bei der Eisenbahngesellschaft SNCF und in den öffentlichen Diensten durch. Neue Bedrohungen werden für den Fall einer Niederlage bei der aktuellen Auseinandersetzung munter draufgesattelt

Die französische Regierung scheint aufs Ganze zu setzen. Auch wenn weder die historische Epoche noch die Strategie der jeweiligen Regierung zwischen damals und heute genau vergleichbar sind – so scheint die amtierende französische Regierung doch darauf aus zu sein, den Gewerkschaften eine Niederlage vergleichbar mit jener der britischen Bergarbeiter unter Margaret Thatcher 1984/85 beizubringen. Um danach durchregieren zu können…? Dies scheint man jedenfalls in Regierungskreisen zu glauben.

Dagegen spricht einerseits – jedenfalls an der Oberfläche -, dass die Regierung unter Präsident Emmanuel Macron und Premierminister Edouard Philippe in den letzten Tagen und Wochen zahlreiche Sonderregelungen, die de facto Ausnahmen von den Regeln der geplanten Renten„reform“ bedeuten, akzeptiert hat. Ausnahmeregelungen sollen etwa den Piloten im Luftverkehr und Fluglots/inn/en – die zuvor für Anfang Januar 20 mit Streik drohten, welcher nun abgesagt wurde (vgl. https://www.lci.fr/social/reforme-des-retraites-rassures-les-personnels-du-transport-aerien-levent-leur-preavis-de-greve-du-3-janvier-2141291.html externer Link) -, den Polizeibediensteten, den Tänzer/inne/n bei den Opern (die mit 42 aus ihrem bisherigen Berufsleben ausscheiden dürfen, weil es körperlich etwa für Ballett Tanzende überhaupt nicht anders geht…) zuerkannt werden bzw. bleiben. Damit beginnt die Landschaft nach der anvisierten Renten„reform“ jenem Flickenteppich zu ähneln, vor welchem Emmanuel Macron zuvor im vergangenen Jahr noch gewarnt hatte.

Andererseits wurden und werden bereits neue Drohungen im Bereich der öffentlichen Unternehmen draufgesattelt, die dafür sorgen könnten, dass das Regierungslager im Falle einer gewerkschaftlichen Niederlage künftig einige strategische Vorhaben anderweitig in voller Härte durchzieht (vgl. dazu unten).

Die entscheidende Frage bei den am morgigen Dienstag, den 07. Januar 20 von Neuem einsetzenden Verhandlungsrunden mit Gewerkschaften und Arbeit„geber“verbänden wird nun erst einmal lauten, inwiefern erschwerte Arbeitsbedingungen, unter dem Begriff pénibilité zusammengefasst, ihrerseits zu einem früheren als dem allgemein geplanten Renteneintritt berechtigen könnten. Die „Reform“ möchte ihn auf 64 Jahre als „Gleichgewichts“alter festlegen, wobei das „Gleichgewicht“ je nach finanzieller Lage der Rentenkasse in künftigen Jahren oder Jahrzehnten auch nach hinten verlegt werden könnte… Im Frühherbst 2019 hatte Emmanuel Macron dazu Töne gespuckt wie diesen: „Ich schätze das Wort,pénibilité‘ (ungefähr: Erschwernis, besondere Härte) nicht. Es erweckt den Eindruck, dass Arbeit schwer/hart sein könne.“ Dies rief damals einen mittleren Skandal hervor (vgl. https://www.lci.fr/social/reforme-des-retraites-rassures-les-personnels-du-transport-aerien-levent-leur-preavis-de-greve-du-3-janvier-2141291.html externer Link und https://www.marianne.net/politique/monde-parallele-macron-conteste-le-mot-penibilite-car-ca-donne-le-sentiment-que-le-travail externer Link)

Nun pfeifen es mittlerweile die Spatzen von den Dächern, dass es einer der Hauptgegenstände von bevorstehenden Verhandlungen werden könnte, festzulegen, unter welchen Umstände besonders körperliche Erschwernisse in bestimmten Berufsgruppen zu einem früheren Renteneintritt berechtigen könnten. (Vgl. bspw. https://actu.orange.fr/politique/videos/reforme-des-retraites-la-penibilite-au-c-ur-des-discussions-CNT000001mxdm5.html externer Link ) Dabei muss jedoch klar sein, dass es lediglich um Ausnahmen von einer künftigen Regel gehen soll. Zum Zweiten bleibt in unguter Erinnerung, dass dasselbe Konzept der pénibilité bereits zu den Zugeständnissen unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys bei der mittlerweile vor-vorletzten Renten„reform“ im Jahr 2010 zählte. Es gab daraufhin zur Begründung eines komplizierten bürokratischen Systems, in dessen Rahmen „Penibilitäts“punkte nach insgesamt zehn Kriterien (etwa: Lärmbelastung, chemische Belastung am Arbeitsplatz, …) berechnet werden sollten, Anlass. Just im Namen der „übergroßen Komplexitität“ wurden wenige Jahre später vier der zehn Kriterien vom Regierungslager einfach wieder kassiert, bzw. als Rechtsanspruch für einen früheren Altersabgang abgeschafft und in einen einfachen Aufruf zur „Gefahrenprävention“ an die Unternehmen umgewandelt. (Vgl. bspw. https://www.francetvinfo.fr/economie/edouard-philippe-annonce-de-nouvelles-regles-pour-quatre-criteres-du-compte-penibilite-rebaptise-compte-professionnel-de-prevention_2275408.html externer Link)

Die CFDT, also der zweitstärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich – an der Spitze rechtssozialdemokratisch geführt – ihrerseits setzt strategisch offenkundig darauf, einen Kompromiss mit dem Regierungslager anzustreben, sobald dieses beim „Gleichgewichtsalter“ von 64 (für den bisherigen Plänen zufolge frühest möglichen Renteneintritt ohne Abzüge und Abschläge) nachgibt. CFDT-Generalsekretär Laurent Berger deutete an, diese Frage könne ja auch aus der geplanten „Reform“, welche er grundsätzlich befürwortet, ausgeklammert und auf eine spätere „Finanzierungskonferenz“ für die Renten mit Kapitalverbänden und Gewerkschaften vertagt werden. (Vgl. https://actu.orange.fr/politique/berger-cfdt-veut-une-conference-de-financement-sur-les-retraites-CNT000001mCeyu.html externer Link) Ansonsten schlug er vor, diese eine spezifische Frage könne auch zum Gegenstand eines Referendums gemacht werden. Um den Rest der „Reform“ durchzuwinken?

An der Streikfront beginnt es unterdessen ein wenig zu wackeln. Die Auswirkungen des Transportstreiks beginnen zurückzugehen (vgl. https://finance.orange.fr/actualite-eco/article/greve-trafic-sncf-en-nette-amelioration-lundi-ratp-encore-tres-perturbee-CNT000001mCcVp.html externer Link), was auch kein Wunder ist, da der seit dem 05. Dezember 19 dort anhaltende Streik nunmehr bereits eine historische Rekordlänge erreicht hat: Am nunmehr 32. Tag übertrifft er bereits die Länge der beiden letzten bedeutenden Arbeitskämpfe bei der Eisenbahngesellschaft SNCF (Dezember 1986-Januar 1987 sowie November/Dezember 1995), und nur der Ausstand im berühmten Frühjahr 1968 ist in dieser Hinsicht mit ihm zu vergleichen. Zugleich geht vielen Streik-Teilnehmer/inne/n jedoch finanziell die Puste aus, und die Sammlungen von Solidaritätsgeldern – in einer durch die CGT eröffneten Streikkasse mit externen Spenden wurde inzwischen die Marke der 1,5 Millionen Euro überschritten – kann die Einkommensverluste zwar symbolisch kompensieren, jedoch nicht in ihrer realen Höhe auffangen. Auch deutet sich ein Kippen der Stimmung in Teilen der öffentlichen Meinung an. (Vgl. https://www.lejdd.fr/Politique/sondage-reforme-des-retraites-le-soutien-aux-grevistes-recule-de-6-points-3941066 externer Link)

Entscheidend könnte nun sein, dass für die Tage vom 07. bis 10. Januar 20 auch die Beschäftigten in den Raffinerien zum Dichtmachen und Blockieren aufgefordert sind. Bisher befinden sich zwar sieben von acht Raffinerien im Ausstand, was jedoch in der Mehrzahl der Fälle lediglich einen Rückgang der Produktion bedeutet, welcher allerdings in Nordfrankreich durch LKW-Lieferungen aus Raffinerien von TOTAL in Belgien und im ostfranzösischen Grandpuits durch Pipeline-Zulieferungen aus der Schweiz teilweise ausgeglichen wird. Erst eine völlige Abschaltung, verknüpft mit einem Dichtmachen der Rohrleitungen, könnte hier wohl Abhilfe verschaffen.

Unterdessen scheut das Regierungslager einige Provokationen nicht, die in bestimmten Sektoren nochmals zusätzliches Öl ins Feuer schütten, doch zugleich andeuten, mit welcher Härte man strategisch durchzuregieren gedenkt, falls die Gewerkschaften die aktuelle Auseinandersetzung nicht gewinnen.

Vielleicht unbeabsichtigt wurde ein mächtiges Symbol gesetzt, als zum Neujahr 2020 publik wurde, dass die französische Staatsspitze unter anderem dem Chef des Frankreich-Ablegers des finanzkapitalistischen Giganten BlackRock zum Beginn des neuen Jahres die „Ehrenlegion“ (Légion d’honneur) – ungefähr mit dem deutschen Bundesverdienstkreuz zu vergleichen – verliehen hat. Dies vor dem Hintergrund, dass finanzkapitalistische Akteure wie BlackRock zu den erwarteten Hauptprofiteuren der Renten„reform“ zählen, da viele Lohnabhängige künftig auf Finanzprodukte zur privaten Altersabsicherung zurückgreifen könnten.

Vgl. dazu und zum nun ausgelösten Skandal:

Bei der Eisenbahngesellschaft SNCF wurde zum 1. Januar 20, wie bereits infolge der „Bahnreform“ von 2018 geplant, das bisherige „Eisenbahnerstatut“ abgeschafft – für alle Neuzugänge – und durch rein privatrechtliche Arbeitsverträge ersetzt. (Vgl. etwa https://www.lemonde.fr/economie/article/2020/01/01/en-plein-mouvement-sur-les-retraites-la-sncf-devient-une-societe-anonyme-qui-n-embauche-plus-au-statut-de-cheminot_6024516_3234.html externer Link) Und die SNCF selbst wird zugleich zur Aktiengesellschaft umgewandelt. Dies kommt als solches nicht überraschend, sondern war seit 2018 angekündigt. Neu ist jedoch die Information über die Bildung einer neuen Direktion, die durch Beobachter/innen als Vorstufe zur Privatisierung gewertet wird (vgl. https://www.mediapart.fr/journal/france/241219/sncf-un-nouvel-etat-major-pour-preparer-la-privatisation externer Link), u.a. mit einem neu bestellten Direktor für den Personentransport, der vormals bei PriceWaterhousCooper tätig war. (Vgl. https://www.ouest-france.fr/economie/entreprises/nominations/christophe-fanichet-pdg-de-la-nouvelle-sa-sncf-voyageurs-6674885 externer Link)

Ähnliches passiert auch in den öffentlichen Diensten wie im Schuldienst, dazu am morgigen Tag oder spätestens übermorgen mehr bei LabourNet. In Erwartung der nächsten Aktionstage der Gewerkschaften und Sozialprotestbewegung am Donnerstag, den 09. Januar und Samstag, den 11. Januar 20…

Artikel von Bernard Schmid vom 6.1.2020 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=160240
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