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Frankreich: Regierung gewinnt eine Zwischenetappe im Senat, während die Gewerkschaften weiter mobilisieren – nach dem 11. nun am 15. März

Demo in Paris gegen die Renten"reform" am 11. März 2023: Grève = Streik (Foto Bernard Schmid)„… Die Regierung unter Elisabeth Borne und Staatspräsident Emmanuel Macron – doch Letzterer schweigt, und schlug am Wochenende in einem verschwiemelten Schreiben die zuvor durch alle wichtigen französischen Gewerkschaftsverbände und -zusammenschlüsse an ihn gerichtete Forderung aus, ihn treffen zu können – hat einen Etappenerfolg, ein Zwischenhoch erzielt. Doch der weitere Fortgang der Ereignisse steht noch nicht fest. (…) Einen nächsten Aktionstag wird es am Mittwoch geben. An diesem Tag (15. März) tritt der parlamentarische Vermittlungsausschuss zwischen Nationalversammlung und Senat zusammen.“ Aus dem Artikel (mit Fotos) von Bernard Schmid vom 13.3.2023 – wir danken!

Frankreich: Regierung gewinnt eine Zwischenetappe im Senat,
während die Gewerkschaften weiter mobilisieren – nach dem 11. nun am 15. März

Frankreich: Regierung gewinnt eine Zwischenetappe: Abgekartetes Votum im Senat – mittelmäßige Mobilisierung am vorigen Samstag, den 11. März und Attacke von Halbverrückten auf den CGT-Ordnerdienst  – Nächster Aktionstag am übermorgigen Mittwoch – 5.400 Tonnen Abfälle in Paris wg. Müllabfuhr-Streiks kumuliert

Demo in Paris gegen die Renten"reform" am 11. März 2023: "Generalstreik - für Erhöhung von Löhnen & Renten - Das Kapital muss zahlen" (Foto Bernard Schmid)

„Generalstreik – für Erhöhung von Löhnen & Renten – Das Kapital muss zahlen“

„Sie haben eine Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg“: Diesen historischen Ausdruck dürften in Frankreich Hinz & Kunz kennen; er wird auf Charles de Gaulle in der Situation kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im Frühjahr 1940 zurückgeführt. Nazideutschland hatte Festlandfrankreich (ohne koloniale Besitzungen und Protektorate) besetzt, doch scheiterte es am Übersetzen auf die britischen Inseln. Während ein beachtlicher Teil der französischen Bourgeoisie auf Kollaboration mit NS-Deutschland umschaltete, flüchteten de Gaulle und seine Leute auf die britischen Inseln. Selbstverständlich gab es neben den frühen Gaullisten, deren Namensgeber zuvor eher weit rechts gestanden hatte, jedoch nicht die Unterordnung unter Hitlerdeutschland akzeptierte, auch andere Widerständler/innen.

Ohne militärische Metaphern bemühen zu wollen, da in Frankreich derzeit natürlich nicht mit Waffen gekämpft wird: Im ziemlich übertragenen Sinne könnte sich auch die französische Regierung derzeit darauf berufen, jedoch nicht ausruhen, eine Schlacht doch nicht den Krieg gewonnen zu haben. Oder, um nicht in falsche Analogien zu fallen: Die Regierung unter Elisabeth Borne und Staatspräsident Emmanuel Macron – doch Letzterer schweigt, und schlug am Wochenende in einem verschwiemelten Schreiben die zuvor durch alle wichtigen französischen Gewerkschaftsverbände und -zusammenschlüsse an ihn gerichtete Forderung aus, ihn treffen zu können – hat einen Etappenerfolg, ein Zwischenhoch erzielt. Doch der weitere Fortgang der Ereignisse steht noch nicht fest.

Demo in Paris gegen die Renten"reform" am 11. März 2023: "Ihr glaubt, dass es aufhört, wenn Ihr gehorcht. Aber wegen Eurem Gehorsam geht es weiter" (Foto Bernard Schmid)

„Ihr glaubt, dass es aufhört, wenn Ihr gehorcht. Aber wegen Eurem Gehorsam geht es weiter“

Am Samstag Abend, und damit 24 Stunden vor der auf den gestrigen Sonntag Abend (12. März um 23.59 Uhr) angesetzten Deadline, hat der Senat oder das „Oberhaus“ des französischen Parlaments über den Entwurf zur Renten„reform“ ab- und ihm zugestimmt. Dies verdankt die Regierung ihrem faktischen Bündnis mit der konservativen Oppositionspartei Les Républicains LR, die zwar in der Nationalversammlung (d.h. im französischen „Unterhaus“) nur noch zehn Proznt der Sitze besetzt, doch im Senat eine Mehrheit innehat. Die Senatsmehrheit hatte unter Anwendung von Geschäftsordnungs-Untergriffen mit Artikel 38 der Geschäftsordnung ein „Blockvotum“ durchgesetzt, d.h. ein Durchstimmen des Gesetzentwurfs en bloc, ohne Abstimmung der einzelnen Artikel und ohne Aussprache zu Änderungsanträgen für die einzelnen Artikel. Die Mehrheitsfraktion der Partei LR zog daraufhin 200 ihrer eigenen Nur Änderungsanträge mir-nichts-Dir-nichts zurück, damit das Ganze funktionieren konnte.

Demo in Paris gegen die Renten"reform" am 11. März 2023: Das Macronsägen-Massaker: Arbeitslosenkasse, Renten, Krankenhaus, Klimapolitik, Schulwesen (Foto Bernard Schmid)

Das Macronsägen-Massaker: Arbeitslosenkasse, Renten, Krankenhaus, Klimapolitik, Schulwesen

Eine halbe formale, parlamentarisch-demokratische Legitimation hat das Regierungslager dadurch gewonnen, nachdem die Nationalversammlung ihrerseits Ende Februar d.J.  ihre Debatte über die „Reform“ abgebrochen, ohne auch nur über die Hälfte der Artikel des Gesetzentwurfs diskutiert zu haben, da die für die Aussprache festgesetzten vierzehn Tage (im Rahmen des durch die Regierung gewählten speziellen Gesetzgebungsverfahren, das für ein Nachtrags-Haushaltsgesetz bestimmt ist) abgelaufen waren.

Unterdessen ging am Samstag, den 11. März die Mobilisierung zu Protestzügen weiter. Quantitativ ließ die Mobilisierung dabei gegenüber dem Dienstag, den 07. März nach. In Paris demonstrierten laut CGT „300.000“ Menschen und lt. Polizeipräfektur „48.000“ Menschen (gegenüber respektive „700.000“ und „81.000“ am Dienstag zuvor); frankreichweit waren es lt. gewerkschaftlichen Zahlen am Samstag gut eine Million, lt. Regierungsangaben insgesamt 368.000.

Dabei bewahrheitete es sich zugleich, dass zu samstäglichen Terminen zum Teil andere Menschen erscheinen als unter der Woche. Namentlich viele Lohnabhängige, die es sich in ihren Augen oder objektiv nicht erlauben können, wegen Streiktagen Geld zu verlieren oder aber – weil isoliert und in Unternehmen ohne Gewerkschaft tätig – nicht, es sich mit dem Chef oder der Chefin zu verscherzen. Unser Nachbar in der Demo etwa, Guy, ein 56jähriger Hausmeister und Elektriker aus dem 20. Pariser Bezirk. Er erschien zur Samstagdemo, erklärte jedoch, es sich unter der Woche nicht leisten zu können, einen halben oder gar ganzen Arbeitstag zu verlieren.

Demo in Paris gegen die Renten"reform" am 11. März 2023: Rente im Jenseits ;)) (Foto Bernard Schmid)

Rente im Jenseits ;))

Am Rande der Pariser Demo waren, auf. Höhe ihrer Spitze, die Freundinnen und Freunde der Kleingruppengewalt und der kleinen Feuer (in diesem Falle eher Holzpaletten- und Mülleimer-Feuer denn brennende Autos, wie es vereinzelt an den Tagen zuvor gab) aktiv. Die Pariser Polizei trat dieses Mal aggressiver auf und umgab die gesamte Demospitze mit einem Spalier, während sie in den Wochen seit dem Protestbeginn zur Renten„reform“ ab dem 19. Januar oft kaum sichtbar in Erscheinung getreten war. Überdies zog sie eine polizeiliche Linie vor den offiziellen Eröffnungsblock der Gewerkschaftsführungen und erweckte tunlichst den Eindruck, in vermeintlicher Kooperation mit ihm und zum Schutze von diesem zu agieren – jedoch ohne Absprache irgendwelcher Art. Eine der Auswirkungen daraus: Bei Eintreffen der ersten Reihen der Demo auf der place de la Nation stellten sich um 18.15 Uhr circa fünfzig, teils mehr oder minder vermummte Personen dem an der Spitze laufenden Ordnerdienste der CGT in den Weg und riefen „Kollaborateure, Verräter“. Während der Ordnerdienst höchst besonnen blieb – er hätte auch Schläge austeilen können, dies hätte jedoch hässliche Bilder produziert, die das TV sofort aufgegriffen hatte – und die Demo schlicht nicht vorrücken konnte (viele Teilnehmende gingen allerdings seitlich auf den Trottoirs vorbei), schossen einige Teilnehmer des sich für besonders radikal haltenden Träubchens von Personen um 18.40 Uhr mehrere, der Verf. dieser Zeilen beobachtete vier, Feuerwerkskörper auf die Spitze.

Unmittelbar darauf räumte ein polizeilicher Knüppeleinsatz die Szene leer. Die Mehrzahl der Menschen aus den Protestzügen befanden sich zu dem Zeitpunkt bereits auf den Treppen in die nahegelegene Métro-Station oder auf dem Nachhauseweg. Eine Frau unter den Umstehenden klärte den Verf. dieser Zeilen bezüglich der Vorfälle darüber auf, Schuld trage die CGT, diese sei „Komplizin der pädophilen Eliten“, in schönstem bzw. übelstem QAnon-Sprech. Nicht nur Schwurbler im deutschsprachigen Raum sind offenkundig irre. Die Frage ist nur, ob der Autor Recht darin tat, die Betreffende unflätig zu beleidigen, und ob es nicht besser gewesen wäre, stattdessen lieber handgreiflich zu werden. Antifaschist/inn/en erkannten mindestens ein Mitglied der rechten Polit-Sekte UPR von François Assileneau in dem Pulk,welcher sich den Gewerkschaften in den Weg gestellt hatte.

Demo in Paris gegen die Renten"reform" am 11. März 2023: Müllabfuhrstreik in Paris: Inzwischen mehr als 5.400 Tonnen... (Foto Bernard Schmid)

Müllabfuhrstreik in Paris: Inzwischen mehr als 5.400 Tonnen…

Unterdessen häuften sich in Paris bis am Sonntag Abend 5.400 Abfälle infolge des Streiks der Müllabfuhr in neun (von zwanzig) hauptstädtischen Arrondissements sowie von drei der vier Paris umgebenden Müllverbrennungsanlagen /Entsorgungszentren. In Städten wie Nizza wurden Tausende von Haushalten in Sozialwohnungsblöcken kostenlos oder zum günstigeren Nachttarif mit Strom versorgt, dank nach wie vor starker Streikmobilisierung im Energiesektor.

Einen nächsten Aktionstag wird es am Mittwoch geben. An diesem Tag (15. März) tritt der parlamentarische Vermittlungsausschuss zwischen Nationalversammlung und Senat zusammen.

Artikel und Fotos von Bernard Schmid vom 13.3.2023 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=209802
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