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Angriff der Spezialdemokraten – Gewerkschaften in Frankreich

Langfassung eines Artikels von Bernard Schmid, der in gestraffter Form am heutigen Freitag, den 12. 02. 2016 in der Tageszeitung ,Neues Deutschland’ veröffentlicht wurde

„Es gibt zu viele Gewerkschaften in Frankreich!“ Dieser Ausspruch, getätigt in einer Fernsehsendung Ende Januar, war nicht der Stoßseufzer eines eingefleischten Wirtschaftsliberalen aus den Reihen der Rechtsopposition. Es handelte sich um eine wohl kalkulierte Aussage aus dem Munde eines gestandenen rechten Sozialdemokraten, des amtierenden Staatssekretärs Jean-Marie Le Guen.

Sein Ausspruch war eine direkte Reaktion auf Vorgänge, die sich in den Tagen zuvor bei der Kulturkaufhauskette FNAC ereigneten. Drei Minderheitsgewerkschaften, darunter die CFDT – also der Ableger des zweitstärksten und an der Spitze regierungsfreundlichen Dachverbands – und zwei kleinere Organisationen, hatten ein Abkommen zur Einführung von Sonntagsarbeit unterzeichnet. Doch drei andere Gewerkschaften, nämlich die CGT, FO und Solidaires, hatten dagegen ihr „Vetorecht“ ausgeübt. Ein solches droit d’opposition gegen frisch unterzeichnete Kollektivvereinbarungen wird vom französischen Arbeitsrecht immer dann Gewerkschaften zuerkannt, wenn diese als Nichtunterzeichner mindestens 50 Prozent der Stimmen bei den letzten Wahlen im Unternehmen repräsentieren. Da das Veto innerhalb der dafür vorgesehenen achttägigen Frist eingelegt worden war, ist die Vereinbarung zur Sonntagsarbeit somit Makulatur und kann nicht in Kraft treten.

In gar nicht so ferner Vergangenheit betrachteten die Arbeitgeberseite und – oft zumindest – auch die Regierungen es als Vorteil, dass die französischen Gewerkschaften auf mehrere Richtungsverbände aufgeteilt sind und, aus historischen Gründen, keine Einheitsgewerkschaft existiert. Ihnen ging es darum, die Verbände gegeneinander auszuspielen und zu schwächen, vor allem aber den stärksten Dachverband, die CGT, im Schach zu halten. Auch die Gewerkschaften wussten allerdings damit umzugehen, und es herrschte lange Zeit eine Art Arbeitsteilung zwischen ihnen: Die radikaleren, klassenkämpferischen Verbände entfalteten Druck, und die „gemäßigteren“ oder „kompromissfreudigeren“ unter ihnen unterzeichneten Abkommen. Bei ihrer Aushandlung jedoch konnten die Letztgenannten immer mit dem Daumen nach hinten auf die Ersteren verweisen, um zu rechtfertigen, dass sie sich keine gar zu schlechten Ergebnissen leisten konnten.

Das Alles hat sich gewandelt, seitdem Kollektivverhandlungen oft nur noch dazu dienen, soziale Rückschritte abzusegnen oder den Unternehmen „Flexibilitäts“spielräume bei den Arbeitszeiten zu eröffnen. Die Unterzeichnerorganisationen diskreditieren sich in den Augen der anderen nachhaltig, und die übrigen sind dazu gezwungen, vor allem eine Oppositionshaltung einzunehmen. Dass dem so ist, dazu haben die hohe Arbeitslosigkeit und die Existenz einer „Reservearmee“ auf dem so genannten Arbeitsmarkt beigetragen. Aber auch die relative Schwäche der Gewerkschaften selbst.

Frankreich weist einen niedrigen Organisationsgrad von insgesamt acht Prozent der Gewerkschaften auf. Er war schon immer niedriger als in Deutschland, aber man darf hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen: Die deutschen Gewerkschaften sind überwiegend Mitgliedergewerkschaften, und die IG Metall schätzte im vergangen Jahrzehnt, ein Prozent ihrer Mitglieder seien Aktive. Dagegen bestehen französische Lohnabhängigenorganisationen nicht nur, aber zu einem weitaus höheren Anteil aus Aktiven. Besondere Vorteile sind mit einer rein passiven Mitgliedschaft ohnehin nicht verbunden. Abhängig Beschäftigte können rechtlich auch ohne gewerkschaftliche Unterstützung streiken, und Streikgeld wird ohnehin nicht bezahlt, sondern die Lohnabhängig kommen selbst für ihren Verdienstausfall auf. Wer sich also bei einer Gewerkschaft organisiert, möchte dort in der Regel etwas bewirken. Dennoch ist der Organisationsgrad, der in den 1970er Jahren noch 25 Prozent trug, bedenklich tief gesunken.

Entwurf zur „Reform“ des Arbeitsrechts

Die Möglichkeit, dass Gewerkschaften im Betrieb unter Umständen ein von Minderheitsverbänden unterschriebenes Abkommen zu Fall bringen können, würde die rechtssozialdemokratische Regierung nun gerne aushebeln. Den Rahmen dafür liefert eine geplante „Reform des Arbeitsrechts“, deren Textentwurf im 9. März dem Kabinett vorgelegt werden soll. Die Minderheitsgewerkschaften könnten demnach ein „Referendum“ – eine Abstimmung des Personals im Unternehmen – anstrengen, dessen Ergebnis das Veto der Mehrheitsgewerkschaften zu Fall bringen kann. Alle Gewerkschaften bis auf die CFDT opponieren gegen dieses Vorhaben. Da das Instrument nur auf Ebene der einzelnen Unternehmen und nicht „in der Fläche“ – der Branche – greifen soll, würde es dort ansetzen, wo die Gewerkschaften i.d.R. schwächer sind und wo das erpresserisch eingesetzte „Arbeitsplätze-Argument“ am ehesten zieht. So lautet etwa die Kritik der CGT, des stärksten Dachverbands.

Der Entwurf sieht auch vor, Themen wie Arbeitszeit und Überstunden künftig stärker einzelbetrieblichen Abkommen zu überlassen. Zwar will Premierminister Manuel Valls erklärtermaßen, dass auch künftig noch Überstundenzuschläge existieren. Er sagt nur nicht, in welcher Höhe. Die geltende Regelung, mindestens 10 bzw. mindestens 25 Prozent je nach Unternehmensgröße, würde damit fallen.

Aber auch in der Fläche stehen die Gewerkschaften heute schwächer dar als noch bis im Jahr 2010, dem Jahr der letzten Sektoren und Regionen übergreifenden sozialen Bewegung. Diese wandte sich damals gegen die inzwischen vor-vorletzte regressive „Rentenreform“, doch endete mit einer Niederlage. Die letzte zentrale Auseinandersetzung zwischen einer Sozialprotestbewegung und einer Regierung, aus welcher die Gewerkschaften siegreich hervor gingen, ist inzwischen zehn Jahre her. Es war die von Februar bis März 2006, die sich gegen Angriffe auf den Kündigungsschutz der unter 30jährigen richtete.

Bossnapping.. und die Rache des Staates

Umso eher kommt es zu sich schnell radikalisierenden Einzelkonflikten auf Unternehmensebene, die auch den Gewerkschaften mitunter aus dem Ruder laufen. So kam es zu Beginn der letzten massiven Wirtschaftskrise im ersten Halbjahr 2009 zu einer Welle von „Bossnapping“-Aktionen, bei denen Führungskräfte für einige Stunden oder ein bis anderthalb Tage festgesetzt wurden, um die Eröffnung von Verhandlungen oder Rücknahme von Massenentlassungen zu erzwingen.

In der Folgezeit liefen einzelne Konflikte mit solchen Aktionsformen weiter, ohne eine derart geballte Aufmerksamkeit wie 2009 zu erregen. Nun hat jedoch die bürgerliche Justiz dem einen Riegel vorzuschieben versucht. Am 12. Januar verurteilte ein Gericht im nordfranzösischen Amiens acht frühere Lohnabhängige des Reifenfabrikanten Goodyear, die zwei Manager für dreißig Stunden – ohne Gewalt – festgesetzt hatten, zu je zwei Jahren Haft. Davon je neun Monate ohne Bewährung. Das Urteil frappiert durch sein extremes Strafmaß. Bei Goodyear hatte es vor nunmehr zwei Jahren 1.143 Entlassene gegeben. Zwölf Betroffene begingen in der Zwischenzeit Selbstmord, in mindestens drei Fällen ist ein direkter Zusammenhang zur Massenkündigung erwiesen.

Gegen das überdurchschnittlich harte Urteil wurde natürlich Berufung eingelegt, es regt sich aber auch massiver Protest. Eine Petition der CGT erhielt in kurzer Zeit zahlreiche Unterschriften, inzwischen sind es über 150.000. Am vorigen Donnerstag fanden zudem Protestaktionen in 80 französischen Städten dagegen statt. Allein in der Hauptstadt Paris versammelten sich über die Mittagszeit rund 10.000 Menschen auf der Place de la Nation, infolge eines Streikaufrufs fielen zudem Teile des Nahverkehrs aus. Zwischen dem 16. und dem 25. Februar finden nun in Paris, Marseille, Lyon und Lille Gründungstreffen für übergewerkschaftliche Solidaritätskomitees statt.

Dass aber Gewerkschafter überhaupt zu einem solchen Strafmaß verurteilt werden konnten, dafür ist auch die angeblich „sozialistische“ Regierung verantwortlich. Zum Einen sind StaatsanwältInnen, anders als RichterInnen, direkt an Weisungen aus dem Justizministerium gebunden. Es war in diesem Falle aber die Staatsanwaltschaft, die die Strafsache weiter verfolgte, als die beiden betroffenen Manager ihre eigenen Anzeigen zurückgezogen hatten; das Verfahren hätte danach auch eingestellt werden können. „Hätte.“ Zum Anderen hat die sozialdemokratische Parlamentsmehrheit im Mai 2013 einen Gesetzentwurf der Linksfront (Front de Gauche) „in die Ausschüsse verwiesen“, und in Wirklichkeit beerdigt und begraben. Er hatte eine Amnestie für Straftaten, die sich nur aus sozialen oder Umweltkonflikten heraus erklären lassen, zum Gegenstand. Präsident François Hollande versprach damals, auch wenn der Entwurf nicht im Parlament debattiert und angenommen würde, werde er andertweitige Abhilfe gegen das Risiko einer Kriminalisierung sozialer Bewegungen schaffen. Beim dem Versprechen ist es geblieben.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=93157
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