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Französisch-Guyana: Ausgang des sozialen Konflikts – und ein seltsam erscheinendes Wahlergebnis

Vorbereitung des Generalstreiks in französisch Guyana hier am 25.3.2017Statt der ursprünglich geplanten eine Milliarde Euro muss der französische Zentralstaat nun 3,2 Milliarden locker machen. Ein Wahlergebnis kommt unterdessen eher unerwartet…“ Artikel von Bernard Schmid vom 28.4.2017

Die Neuigkeit traf in „der Metropole“, also im europäischen Frankreich, kurz vor Mitternacht am Beginn eines Wahlwochenendes ein. Am vorigen Freitag (21. April) einigten sich, im Laufe des Nachmittags nach Ortszeit, die Konfliktparteien in Französisch-Guyana – an der Atlantikküste Südamerikas gelegen – auf eine vorläufige Beendigung der mehrwöchigen sozialen Auseinandersetzung. (Zu ihr vgl.: https://www.labournet.de/internationales/frankreich/aussengebiete-frankreich/spektakulaere-aktionen-im-franzoesisch-kolonisierten-guyana/) Unter Berücksichtigung der Zeitverschiebung war es allerdings in Paris 23.59 Uhr, als dieses Ergebnis bekannt wurde. (Vgl. http://finance.orange.fr/actualite-eco/article/guyane-un-accord-signe-apres-un-mois-de-conflit-social-CNT000000H5qUf.html externer Link) Aufgrund der Präsidentschaftswahl dürfte es zunächst nur ungenügend wahrgenommen worden sein.

Um ganz genau zu sein: Völlig zu Ende waren die sozialen Konflikte in dem offiziell als „französisches Überseegebiet“ eingestuften Territorium damit noch nicht. Vereinzelt wurde noch über das vergangene Wochenende hinausgestreikt. Dies gilt für das Krankenhauszentrum der Gebietshauptstadt Cayenne (CHAR), wo auch am Dienstag dieser Woche noch ein kleiner Teil des Personals für die Einstellung zusätzlichen Personals und höhere Löhne weiterstreikte weiterstreikte, und für den Stromversorger EDF (Electricité de France). Das „Kollektiv der 500 Brüder“, das die am 15. März begonnene generalstreikartige Sozialbewegung in den Medien repräsentierte und als eine Art Sprecherkollektiv wirkte, dividierte sich darüber jedoch auseinander; viele seiner Protagonisten vertraten nunmehr die Auffassung, es habe sich überlebt. (Vgl. https://francais.rt.com/france/37590-guyane-500-freres-se-divisent-alors-deux-greves-poursuivent externer Link)

Entscheidend für den Ausgang des sozialen Konflikts war jedoch, dass infolge des Abkommens die Straßensperren, die an hunderten von Stellen den Verkehr blockierten, aufgehoben wurden. Ab dem 10. April hatte die, damals bereits seit über drei Wochen andauernde soziale Protestbewegung eine härtere Gangart hingelegt: Waren die Sperren bis dahin oft durchlässig gewesen, so wurde nun zumindest in der Hauptstadt Cayenne ein anderer Kurs gefahren. Auch Zweiräder wurden an den Barrieren nicht mehr durchgelassen. Dadurch veränderte sich allerdings auch der Charakter der, ursprünglich eher „klassenübergreifenden“ Protestbewegung.

Anfänglich hatte auch der lokale Ableger des Unternehmerverbands MEDEF den Protest gegen die Vernachlässigung des rund 7.000 Kilometer von Paris entfernten „Überseegebiets“, in dem der Lebensstandard unvergleichlich tiefer liegt als in der „Metropole“ liegt, offiziell mitgetragen. Das Lahmlegen von Teilen der regionalen Ökonomie jedoch verstörte das Unternehmerlager bzw. die in ihm mit organisierten Handelsunternehmen, deren Inhaber ansonsten durchaus auch gegen eine marode Infrastruktur, ein danieder liegendes Schul- und unzureichendes Krankenhauswesen sowie eine schwächelnde Justiz empört sein mögen. Ab diesem Zeitpunkt entzog also ein Teil der örtlichen Gesellschaft der sozialen Bewegung, die sich radikalisierte, ihre Unterstützung. Im Verlauf der Auseinandersetzung führten insgesamt 500 Unternehmen – von insgesamt 7.000, die in Französisch-Guyana registriert sind – Kurzarbeit für ihre Lohnabhängigen ein.

Gleichzeitig fuhr der Weltraumbahnhof in Kourou (das Centre spatial), das aus Sicht der französischen Regierung in dem ganzen „Überseegebiet“ die größte wirtschaftliche und strategische Bedeutung aufweist, Tag für Tag rund 500.000 Euro Verluste ein. Das Zentrum selbst war in der ersten Aprilwoche rund 48 Stunden hindurch besetzt – wir berichteten -, und in den kommenden Wochen blieb immer noch die Zufahrtstraße dorthin blockiert.

Diese „geldwerten“ Faktoren dürften, neben dem Wunsch, kurz vor dem Präsidentschaftswahltermin in ganz Frankreich einen zumindest regionalen „Brandherd“ austreten, letztendlich zum Nachgeben der französischen Staatsmacht geführt haben.

Zunächst berichteten französische Medien ab dem Zeitpunkt der Verschärfung der Blockaden (10. April) gerne und ausführlich über die „Spaltung“ der Bewegung, die aus dem Sympathieverlust in einem Teil der Gesellschaft – v.a. Geschäftsleute, Händler, Unternehmer – resultiere. (Vgl. http://www.lemonde.fr/societe/article/2017/04/11/toujours-unie-sur-les-revendications-la-guyane-est-divisee-sur-la-suite-a-donner-au-mouvement-social_5109467_3224.html externer Link) Über die Osterfeiertage – also das verlängerte Wochenende des 15.-17. April – wurden die Sperren daraufhin geöffnet, was es erlaubte, einigen gesellschaftlichen Druck abzulassen. (Vgl. http://actu.orange.fr/france/18250a697b915186724e92f6cb31625f/barrages-ouverts-et-bouillon-d-awara-pour-paques-en-guyane-CNT000000GKRg8/photos/manifestation-de-soutien-au-mouvement-social-en-guyane-le-15-avril-2017-a-paris-fdc7b534f3ba4b6d8d2875cd199809af.html externer Link und http://www.lefigaro.fr/conjoncture/2017/04/14/20002-20170414ARTFIG00027-guyane-les-barrages-ouverts-jusqu-a-nouvel-ordre.php externer Link) Im Anschluss daran wurde die Gangart jedoch erneut für einige Tage verschärft; bis das Nachgeben der Staatsmacht es vier Tage später erlaubte, die Konfliktsituation vorerst aufzulösen. Damit ging die längste soziale Auseinandersetzung in der Geschichte Französisch-Guyanas fürs Erste zu Ende.

Das Kollektiv Pou Lagwiyann Dékolé (kreolisch für „Pour que la Guyane décolle“, also etwa: „Damit Guyana durchstartet / abhebt“) als Trägerbündnis der sozialen Protestbewegung konnte sich an den entscheidenden Punkten durchsetzen. Die französische Staatsmacht hatte zunächst, vierzehn Tage zuvor, eine Milliarde Euro an Sofortmitteln bereit gestellt, um die dringlichsten Probleme zu beseitigen und etwa den Notstand im öffentlichen Schul-, Krankenhaus- und Justizwesen zu lindern. Die Protestbewegung ihrerseits hatte damals 2,5 Milliarden gefordert, was durch Frankreichs Premierminister Bernard Cazeneuve zu Anfang des Monats als „unrealistisch“ abgewehrt worden war.

Letztendlich erreichte es die Protestbewegung jedoch, dass auf die ursprünglich gute eine Milliarde Euro nochmals 2,1 Milliarden an zusätzlichen kurzfristigen Transfermitteln draufgesattelt wurden, so dass es ein Gesamtpaket in Höhe von 3,2 Milliarden Euro ergibt. (Vgl. den Originaltext des Abkommens hier zitiert, bei einem deutschen Medium doch in französischer Sprache: https://www.heise.de/downloads/18/2/1/8/6/5/9/4/343724_000548_accord-de-guyane-signe-le-21-04-2017.pdf externer Link pdf)

Hinzuzufügen wäre noch, dass unterdessen die Präsidentschaftswahl in Frankreichs (erste Runde) am Sonntag, den 23. April in Französisch-Guyana einen relativ seltsamen Ausgang nahm. Auf Platz Eins kam dort der Linkskandidat Jean-Luc Mélenchon mit 24,72 Prozent, doch unmittelbar auf seinen Fersen dicht gefolgt durch die Rechtsextreme Marine Le Pen mit 24,29 Prozent. (Vgl. http://www.francetvinfo.fr/elections/resultats/guyane_973/ externer Link) Dieses seltsam anmutende Resultat – in einem „Überseegebiet“ mit einer mehrheitlich „nichtweißen“ Bevölkerung – erklärt sich jedoch aus mehreren Faktoren. Zum Einen verzerrt eine geringe Wahlbeteiligung – in Französisch-Guyane betrug sie 34,69 Prozent – in einem Gebiet mit einer Gesamtbevölkerung von nur 250.000 offiziell gemeldeten Menschen das Gesamtergebnis erheblich. Zum Zweiten erschien, neben Mélenchon, auch Marine Le Pen in gewisser Weise als Verkörperung eines Anti-Establishment-Protests. Zum Dritten aber gibt es auch in dem „Überseegebiet“ durchaus etwa migrantenfeindliche Tendenzen, die sich gegen Zuwanderer aus den ärmeren Nachbarländern, besonders Brasilien, richten. In den allerersten Protesttagen spielte dies auch eine Rolle, da es als ein Aspekt der Klage über die „wachsende Unsicherheit“ (neben dem darbenden Justizwesen“) dargestellt wurde.

Auch in Französisch-Guyana gibt es also eine Art Wettlauf zwischen progressiven und regressiv wirkenden, politischen und sozialen Kräften…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=115622
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