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Frankreich: Neuauflage der Einwanderungsdebatte und nun auch noch des Kulturkampfs ums Kopftuch – mit Folgen

Graffiti in Frankreich 2017: Kotz auf den FN„Eine Neuauflage der Einwanderungsdebatte und nun auch noch des Kulturkampfs ums Kopftuch: Genau das hat Frankreich allem Anschein nach dringend benötigt, weil es (allem Anschein nach!) keine akuteren Probleme im Lande gibt – sondern nur Kleinigkeiten wie die, dass die Feuerwehr und die Notaufnahmen von Krankenhäusern gegen schreienden Personalmangel und unzureichende Mittelausstattung streiken. Und seit Ende voriger Woche legten nunmehr wiederholt auch die Bahnbeschäftigten, mit zeitweise massiven Auswirkungen, ihre Arbeit nieder.  Ab dem 17./18. Oktober machten viele unter ihnen zunächst von ihrem Recht auf Arbeitsverweigerung wegen akuter Sicherheitsgefährdung vor allem an Bord von Regionalzügen Gebrauch, nachdem es am 15.10.19 in den nordostfranzösischen Ardennen zu einem schweren Unfall gekommen war (der Lokführer, allein an Bord und selbst verletzt, musste auf die Geleise hinabsteigen, um andere Züge auf der Strecke zum Anhalten zu bewegen!), werden nun aber durch die Regierung alle einzeln mit Disziplinarstrafen wegen „illegalen Streiks“ bedroht. Ab Anfang der Woche vom 21. Oktober 19 bröckelte diese spontan ausgebrochene Welle von Arbeitsniederlegungen ab, nun kam jedoch ein – bis zum Redaktionsschluss am 30.10.19 anhaltender – Streik bei Teilen des Bahnpersonals v.a. in Paris und Westfrankreich neu auf. Hier geht es darum, dass die Bahndirektion „einfach einmal“ den Freizeitausgleich für Nacht- und Wochenendarbeit in den Mechaniker-Werkstätten der französischen Bahngesellschaft SNCF wegstreichen wollte. In einem solchen Kontext, in dem es also offenkundig keine ernsthafteren Sorgen gibt, brach Staatspräsident Emmanuel Macron seit Anfang September d.J. mehrfach – „ohne erkennbare Not“ – eine neue Runde der in diversen Formen seit 35 Jahren immer wieder aufflammenden Einwanderungsdebatte vom Zaun…“ Artikel von Bernard Schmid vom 30.10.2019 – wir danken!

Frankreich: Neuauflage der Einwanderungsdebatte und nun auch noch
des Kulturkampfs ums Kopftuch – mit Folgen

Regierungslager befeuert erneut die brandgefährliche „Einwanderungsdebatte“; die extreme Rechte wärmt die Islam- und Kopftuchdebatte abermals auf. Wohl mit eine Konsequenz daraus: 84jähriger Terror-Opa attackiert eine Moschee in Südwestfrankreich…

Ausgangslage

Eine Neuauflage der Einwanderungsdebatte und nun auch noch des Kulturkampfs ums Kopftuch: Genau das hat Frankreich allem Anschein nach dringend benötigt, weil es (allem Anschein nach!) keine akuteren Probleme im Lande gibt – sondern nur Kleinigkeiten wie die, dass die Feuerwehr und die Notaufnahmen von Krankenhäusern gegen schreienden Personalmangel und unzureichende Mittelausstattung streiken. Und seit Ende voriger Woche legten nunmehr wiederholt auch die Bahnbeschäftigten, mit zeitweise massiven Auswirkungen, ihre Arbeit nieder.

Ab dem 17./18. Oktober machten viele unter ihnen zunächst von ihrem Recht auf Arbeitsverweigerung wegen akuter Sicherheitsgefährdung vor allem an Bord von Regionalzügen Gebrauch, nachdem es am 15.10.19 in den nordostfranzösischen Ardennen zu einem schweren Unfall gekommen war (der Lokführer, allein an Bord und selbst verletzt, musste auf die Geleise hinabsteigen, um andere Züge auf der Strecke zum Anhalten zu bewegen!), werden nun aber durch die Regierung alle einzeln mit Disziplinarstrafen wegen „illegalen Streiks“ bedroht. Ab Anfang der Woche vom 21. Oktober 19 bröckelte diese spontan ausgebrochene Welle von Arbeitsniederlegungen ab, nun kam jedoch ein – bis zum Redaktionsschluss am 30.10.19 anhaltender – Streik bei Teilen des Bahnpersonals v.a. in Paris und Westfrankreich neu auf. Hier geht es darum, dass die Bahndirektion „einfach einmal“ den Freizeitausgleich für Nacht- und Wochenendarbeit in den Mechaniker-Werkstätten der französischen Bahngesellschaft SNCF wegstreichen wollte.

In einem solchen Kontext, in dem es also offenkundig keine ernsthafteren Sorgen gibt, brach Staatspräsident Emmanuel Macron seit Anfang September d.J. mehrfach – „ohne erkennbare Not“ – eine neue Runde der in diversen Formen seit 35 Jahren immer wieder aufflammenden Einwanderungsdebatte vom Zaun. Zunächst vor seinen Beratern und später vor Abgeordneten der Regierungspartei LREM äußerte er, es gelte, bei diesem Thema in die Offensive zu kommen und bisher angeblich verbreitete Gutmenschenallüren abzulegen.

Emmanuel Macrons Offensive

Am 16. September 19erklärte er dann in einer Rede vor ausgewählten Abgeordneten des Regierungslagers, die Sache zum Thema einer offiziellen Aussprache im Parlament machen zu wollen. Diese sollte zunächst am Ende des Monats (September 19) stattfinden. Doch nachdem dann am 26. September d.J. Altpräsident Jacques Chirac verstarb und alle Medienkanäle tagelang für Chirac, sein Leben, sein Werk, seine Würdigung und nebenbei auch für einen Rückblick auf seine zahlreiche nebenehelichen Seitensprünge reserviert waren (es fehlte nur knapp noch die Heiligsprechung, live im TV übertragen), wurde die Aussprache in beiden Kammern auf den 07. und 09. Oktober d.J. verschoben. Dort fand sie dann auch statt.

Das vielleicht Gravierendste in Macrons Ankündigung lag in einem ihrer Kernsätze, der da vom Sinngehalt her lautete: „Die Frage heißt: Wollen wir eine reine Oberklassenpartei (im Originalwortlaut: un parti bourgeois) sein, oder nicht? Die Oberklassen in den Innenstädten haben kein Problem damit“, gemeint: mit der Zuwanderung, „sie begegnen ihr nicht. Die Unterklassen leben mit ihr.“ Daran war nicht nur bemerkenswert, dass Macron zum ersten Mal in seiner gesamten Laufbahn überhaupt den Begriff bourgeois zur Bezeichnung der Eliten in einem vermeintlich kritischen, ironischen, ja explizit negativen Sinne benutzte. Es stach auch hervor, dass er offensichtlich davon ausging, die Unterklassen seien besonders rassistisch, und dies deswegen, weil sie mit Einwanderern in Kontakt kommen – ein Kontakt, aus dem in seinen Augen anscheinend Rassismus notwendig oder jedenfalls auf berechtigte Weise resultiert. Dabei belegen alle Umfragen und auch die Karte rechtsextremer Wahlergebnisse immer wieder, dass eine rassistische Abwehrhaltung oftmals dort am stärksten ausgeprägt ist, wo Einwohner/innen eben nicht oder kaum mit Menschen anderer Herkunft zusammenleben, jedoch befürchten, es könne dazu kommen.

Die Aussprache in den beiden Parlamentskammern blieb eine Diskussion ohne Abstimmung, in welcher Regierungsvertreter jedoch künftige Vorhaben durchblicken ließen wie insbesondere die Infragestellung der „staatlichen Medizinbeihilfe“ AME (Aide médicale d’Etat), die Einwanderern ohne Aufenthaltstitel als eine Art Ersatzkrankenversicherung gewährt wird. Diese wurde in Frankreich 1999/2000 eingeführt, unter anderem, um die Ausbreitung ansteckender Krankheiten besser einzudämmen – weil es dafür dienlich ist, de facto im Land lebende Menschen nicht ohne Möglichkeiten ärztlicher Behandlung zu lassen. Die rechtsextreme Opposition nutzte natürlich ihrerseits die Gunst der Stunde, den angeblichen Betrug anzuprangern, der just daraus resultiere, dass man zwar Schaufensterreden im Parlament halte, jedoch über nichts Konkretes abstimme.

Offen muss bislang noch bleiben, welche Motivation Emmanuel Macron genau hegte, als er diese Kampagne lostrat. Manche Beobachter gehen davon aus, er habe konservativen und auch rechtsextremen Wähler/inne/n ein Angebot unterbreiten wollen, um sie an das Regierungslager zu binden und den Aufstieg des neofaschistischen Rassemblement National (RN) einzudämmen. Anderer Stimmen meinen hingegen, er habe im Gegenteil einkalkuliert, den Thesen des RN neuen, zusätzlichen Auftrieb zu verschaffen, da es die beste politische Lebensversicherung für das derzeitige Regierungslager darstelle, immer wieder darauf verweisen zu können, falls man selbst in die Opposition ginge, dann kämen notwendig die Rechtsextremen – eventuell im Bündnis mit Teilen der Konservativen – ans Ruder. Der (Pseudo-)Sozialdemokrat François Mitterrand, Präsident von 1981 bis 1996, hatte jedenfalls eine solche Strategie explizit ausgesprochen, und dementsprechend dem damaligen Rechtsextremen-Chef Jean-Marie Le Pen in der öffentlichen Debatte immer wieder Raum zur Verbreitung seiner Thesen gegeben (und sein zeitweiliger Premierminister Pierre Bérégévoy brachte es mit den Worten auf den Punkt: „Mit dem Front National bei 10 % regieren wir dreißig Jahre“, damals ging es darum, dass der FN einen Keil in die konservative Opposition trieb; heute geht es hingegen eher um einen RN bei dreißig Prozent…). Mangels Einblicks in innere Entscheidungsprozesse im Elyséepalast muss die Debatte zwischen beiden, einander widersprechenden Thesen vorläufig offen bleiben.

Das muslimische Kopftuch, mal wieder zum Streitgegenstand erhoben

Unterdessen war es die extreme Rechte selbst, die ihrerseits die ebenfalls mehrere Auflagen zählende Kopftuchdebatte neu anfachte.

Erstmals wurde über Kopftuch tragende Schülerinnen in Frankreich im Herbst 1989 heftig debattiert. Damals verfügte ein Schuldirektor in Creil, fünfzig Kilometer nördlich von Paris, den Ausschluss mehrerer marokkanischstämmiger Schülerinnen vom Unterricht. Die politische Linke war daraufhin tief gespalten zwischen jenen, die auf Abstand zu religiösen Traditionen gingen und denjenigen, die vor rassistisch motivierter Ausgrenzung warnten. Der Direktor selbst war ein ausgewiesener konservativer Rechter – ein Mitglied der rechtsbürgerlichen Partei RPR, einem Vorläufer der jetzigen Formation Les Républicains -, er trat jedoch 1998 als dezidierter Befürworter des damaligen Bündnisses im Regionalparlament mit dem RN-Vorläufer Front National auf. Seit dem (infolge weiterer Polemiken ab 2003 verabschiedeten) Gesetz vom 15. März 2004 ist das Kopftuchtragen von Schülerinnen in öffentlichen Bildungseinrichtungen gesetzlich untersagt; Lehrerinnen ist es ohnehin verboten, da diese den Staat repräsentieren und Letzterer weltanschaulich neutral aufzutreten. Streit entzündet sich jedoch immer wieder über Kopftuch tragende Mütter, die ihrerseits in keinem Dienstverhältnis zum Staat stehen wie etwa Lehrkräfte, wenn sie bspw. Schulausflüge begleiten.

Am vorletzten Freitag, den 11. Oktober d.J. brach der junge RN-Mandatsträger Julien Odoul nun im Regionalparlament in Djion einen Streit vom Zaun, weil der Neofaschist forderte, die 35jährige marokkanischstämmige Mutter Fatima E. aus dem Plenarsaal zu werfen. Die Kopftuch tragende Frau nahm gemeinsam mit ihrem schulpflichtigen Sohn an einem Parlamentsbesuch teil. Die Sitzungsleiterin wies ihn darauf hin, dass dies keineswegs illegal sei. Odoul verließ daraufhin lärmend die Sitzung. Eine andere rechtsextreme Abgeordnete, Karine Chamby, traf auf der Toilette im Untergeschoss mit Frau Fatima E. zusammen und griff sie verbal an, unter anderem mit den Worten: „Wenn die Russen kommen, dann verschwinden Sie!“ (Sic) Gemeint war wohl das Verschwinden aus dem Land, und die neofaschistische Mandatsträgerin sah sich geistig bereits an der Spitze eines Kosakensturms. Vor 35 Jahren hätte die nationalistische Rechte noch den Ausruf „die Russen kommen“ als schrillen Alarm eingesetzt, heute hingegen fasst sie ihn anscheinend als eine Art Weckruf auf…

Während normalerweise in solchen Debatten die extreme Rechte eher Punkte sammelt und erfolgreich an Islamkritik in oder ohne Anführungszeichen appelliert und vor allem Ressentiments mobilisiert, ging die Sache in diesem Falle für die beiden Abgeordneten jedoch (zumindest zunächst) eher nach hinten los, nachdem mehrere TV-Sender die Szene mit dem weinenden neunjährigen Sohn und der ihn tröstenden Mutter übertrugen. Auch RN-Chefin Marine Le Pen und ihr Generalsekretär Nicolas Bay setzten sich vorsichtig von dem vorlauten Jungspund Julien Odoul ab und ließen in ihrer Erklärungen, er möge in der Sache Recht haben, sei jedoch „ungeschickt“ im Vorgehen gewesen. (Bei einem Auftritt in einer Talkshow präzisierte Marine Le Pen dies dann dahingehend, ihr Regionalparlamentarier hätte sich nicht im Plenarsaal zu Wort melden sollen – darin war er wohl zu hitzköpfig -, sondern er hätte besser während einer Beratungspause bei der Sitzungsleiterin vorstellig werden sollen, um von ihr diskret den Ausschluss der Kopftuch tragenden Mutter von den weiteren Debatten zu fordern.)

Die sozialdemokratische Regionalpräsidentin Marie-Guite Dufay wollte daraufhin persönlich die Schule in Belfort besuchen, von welcher die Familie kam – die Visite wurde ihr jedoch durch den LR-Bürgermeister der Stadt, Damien Meslot, untersagt. (Vgl. https://france3-regions.francetvinfo.fr/bourgogne-franche-comte/polemique-au-conseil-regional-maire-belfort-refuse-visite-presidente-region-ecole-1735793.html externer Link) Er kann insofern über den Zutritt entscheiden, als es sich hier um eine städtische Schule handelt.

Teile der Konservativen wie etwa ihr berüchtigter Law and Order-AbgeordneterEric Ciotti in der Nationalversammlung versuchten daraufhin, eine eigene Kampagne zu starten und eine Gesetzesinitiative zum Verbot von Kopftüchern auch bei Familienmitgliedern von Schüler/inne/n am Rande von Ausflügen zu starten, was von vielen Kommentatoren in Teilen der Medien jedoch zunächst als das kritisiert wurde, was es im Kern ist, also als Gewissenszwang- und Ausgrenzungs-Vorschrift.

Auch Bildungsminister Jean-Michel Blanquer, den Macron 2017 im konservativen Lager angeworben hatte, neigt tendenziell dieser Position zu; er erklärte, es gebe zwei kein gesetzliches Verbot für die Anwesenheit Kopftuch tragender Mütter bei Schulausflügen, doch dieses Kleidungsstück sei in der französischen Gesellschaft „nicht wünschenswert“. Allerdings rief dies Widersprüche auch innerhalb des Regierungslagers hervor, in ihm traten hörbare Dissonanzen auf. (Vgl. bspw. https://www.liberation.fr/france/2019/10/14/cacophonie-au-gouvernement-sur-le-port-du-voile_1757459 externer Link) Und inzwischen positionierte Blanquer sich auch gegen den Wunsch (insbesondere von konservativer Seite), ein neues Extragesetz dazu zu verabschieden. Letzterer manifestierte sich zwischenzeitlich in einem Senatsbeschluss – also in einem Votum des parlamentarischen „Oberhauses“ – vom Dienstag, den 29.10.19, welcher sich für die Einführung eines neues Verbotsgesetz zum Thema „Kopftuchträgerinnen unter Begleiter/inne/n bei Schulausflügen“ ausspricht und damit den Forderungen des konservativen Lagers entspricht. (Vgl. bspw. https://www.lci.fr/politique/interdiction-du-voile-lors-des-sorties-scolaires-le-senat-adopte-le-projet-de-loi-contre-l-avis-de-jean-michel-blanquer-2136208.html externer Link )

Allerdings weist die stärkste konservative Oppositionspartei LR (Les Républicains) zwar eine strukturelle Mehrheit im Senat auf, nicht jedoch in der – im parlamentarischen Beschlussprozess letztlich entscheidenden – Nationalversammlung, in welcher ihrerseits die Macron-Partei LREM (La République en marche) dominiert. Letztere weist bei dem Thema, wie erwähnt, tiefe innere Spaltungslinien auf. Mit einer tatsächlichen Verabschiedung eines solchen Sondergesetzes, also einer Übernahme des Senatsbeschlusses auch durch die andere Kammer, ist wohl, zumindest kurzfristig, nicht zu rechnen.

Die öffentliche Meinung ist dazu erheblich gespalten, tendiert jedoch tendenziell eher zu dem restriktiven Standpunkt, sofern man den dazu veröffentlichten demoskopischen Studien Glauben schenken darf. In ersten Umfragen von Mitte Oktober 19 stimmten zunächst knappe zwei Drittel dem Standpunkt zu, wonach Kopftuchträgerinnen die Begleitung bei Schulausflügen untersagt werden solle (vgl. https://www.huffingtonpost.fr/entry/interdire-le-voile-en-sorties-scolaires-66-des-francais-sont-pour_fr_5da474fae4b06ddfc51dafda externer Link). Allerdings: Dieses Umfrageergebnis erschien am 14. Oktober, also drei Tage nach Beginn der jüngsten Polemik infolge der RN-Pöbeleien im Regionalparlament von Dijon – die Befragung war jedoch noch VOR diesem Ereignis durchgeführt worden. Jedoch: Eine später, nämlich am 27. Oktober 19 durch die Sonntagszeitung JDD publizierte Umfrage weist ihrerseits eher noch drastischere Ergebnisse auf. (Vgl. https://www.lejdd.fr/Politique/sondage-face-a-lislam-les-francais-sinquietent-3927720 externer Link und https://www.lci.fr/population/pres-de-8-francais-sur-10-jugent-que-la-laicite-est-en-danger-selon-un-sondage-ifop-2136024.html externer Link sowie https://www.lefigaro.fr/actualite-france/huit-francais-sur-dix-se-disent-inquiets-pour-la-laicite-20191027 externer Link) Zwischenzeitlich hatte auf mehreren Medienkanälen bereits eine mehrtägige Dauerberieselung zu diesem „Debatten“thema stattgefunden; besonders tat sich dabei auch der Privatfernsehsender CNews (er zählt zum Multikonzern Bolloré) hervor. In der zuletzt zitierten Umfrage erscheint der neofaschistische RN zugleich als jene Partei, deren Wählerschaft sich am meisten „Sorgen um die Laizität“, also um die Aufrechterhaltung der Trennung von Religion/en und Staat macht (91 % der Wähler/innen/schaft der rechtsextremen Parteien äußern sich demnach darüber „beunruhigt“) – und als jene politische Kraft, die durch die meisten Befragten, also eine relative Mehrheit von 37 %, als an der Spitze bei der „Bekämpfung des Islamismus“ zitiert wird.

Marine Le Pen legte unterdessen am Sonntag, den 20. Oktober d.J. ihrerseits nach und forderte, sowohl das muslimische Kopftuch wie auch die jüdische Kippa vom öffentlichen Raum auszuschließen. (Vgl. bspw. https://www.rtl.fr/actu/politique/marine-le-pen-veut-interdire-voiles-et-kippas-dans-l-espace-public-7799290079 externer Link und https://actu.orange.fr/politique/marine-le-pen-veut-l-interdiction-du-voile-et-de-la-kippa-dans-l-espace-public-magic-CNT000001kmitv.html externer Link) Auch wenn, wie die RN-Vorsitzende brav hinzufügte, „unsere jüdischen Landsleute im Grunde kein Problem“ aufwürfen.

Terror-Opa attackiert Moschee

Am Montag, den 28. Oktober d.J. traf unterdessen eine neue Sensationsnachricht ein: Ein 84jähriger hatte am Nachmittag jenes Tages gegen 15 Uhr an der Tür einer Moschee im südwestfranzösischen Moschee Feuer gelegt. Nachdem zwei ebenfalls bereits betagte Personen ihn dabei überraschten, schoss er aus einer mitgeführten Handfeuerwaffe auf die 74- und 78-jährigen Opfer, die dabei verletzt wurden (einer der beiden ist schwerverletzt). Beim Abgang setzte der Terror-Opa noch ein auf dem Moscheegelände stehendes Auto in Brand und legte seine Waffe auf die herbeigerufene Polizei an, diese konnte ihn jedoch entwaffnen und festnehmen.

Der 84jährige wurde daraufhin als Claude Sinké identifiziert. Bei ihm handelt es sich zugleich um einen früheren Berufsmilitär, einen mehr oder minder exzentrischen Künstler und als cholerisch bekannten Einzelgänger (Nachbarinnen berichteten in einer Nachrichtensendung beim Privatfernsehsender BFM TV, man habe gewusst, dass er Waffen besitze; und eine von ihnen erklärte, sie habe sich eine Alarmanlage angeschafft, seitdem er neben ihr wohnte). Aber auch um einen früheren Kandidaten des Front National – früherer Name des jetzigen Rassemblement national (RN) bis zum 1. Juni 2018 – bei den Bezirksparlamentswahlen im Jahr 2015. Aufgrund zu unkontrollierter rassistischer Ausfälle war ihm jedoch späterhin die weitere Mitgliedschaft bei der Partei verwehrt worden. (Vgl. zu ihm bspw. https://www.lefigaro.fr/actualite-france/qui-est-claude-sinke-l-octogenaire-qui-a-attaque-la-mosquee-de-bayonne-20191029 externer Link und https://www.20minutes.fr/societe/2639167-20191029-attaque-mosquee-bayonne-quelqu-bizarre-claude-sinke-suspect externer Link oder https://www.franceinter.fr/justice/ancien-du-fn-et-soutien-de-zemmour-portrait-de-l-auteur-de-l-attaque-contre-la-mosquee-de-bayonne externer Link)

Claude Sinké erklärte den Ermittlern im Laufe seines Polizeigewahrsams, er habe „Rache für die Kathedrale Notre-Dame-de-Paris“ üben wollen, in welcher am 15. April 19 ein Brand ausbrach (der Verf. dieser Zeilen konnte ihn live vor Ort verfolgen). Das Feuer, das die Kirche und das Kulturdenkmal in weiten Teilen zerstörte – ihr Wiederaufbau hat längst begonnen -, war allerdings nicht etwa einem Attentat geschuldet, sondern nachweislich einem Unfall geschuldet; im Dachgestühl war gegen 18 Uhr an jenem Tag ein Schwelbrand ausgebrochen, welchen mutmaßlich ein Kabeldefekt oder eine bei damaligen Bauarbeiten zurückgelassene Zigarettenkippe verursachte. In seiner wahnhaften Weltsicht macht Claude Sinké jedoch offensichtlich die Muslime für das Feuer, über das Medien aus aller Welt berichteten, verantwortlich. Seit diesen Auslassungen gegenüber den Ermittlern wird nunmehr sein Geisteszustand durch psychiatrische Gutachter überprüft.

Es kann gut sein, dass auch im Kopf von Claude Sinké sozusagenein nicht unerheblicher Leitungsschaden existierte. Allerdings wäre es offenkundig zu kurz gegriffen, den Wahn des halbirren Alten allein auf psychiatrische Ursachen zurückzuführen. Wie etwa auch der Linkssozialdemokrat und Linksnationalist Jean-Luc Mélenchon in ersten Stellungnahmen vom 29. Oktober 19 ausführte, trug die auf mehreren Medienkanälen pausenlos geführte Islam-, Kopftuch- und (Pseudo-)Laizismusdebatte in den letzten Woche mit dazu bei, den konkreten Tatentschluss zu nähren. Unterdessen ging die Scheindebatte eifrig weiter. Auf dem bereits oben erwähnten Privatfernsehkanal CNews wurde im Laufe des 29. Oktober d.J. – dem Tag nach der Tag – stundenlang eifrig über „Konflikte in der multikulturellen Gesellschaft“ und Multikulturalismus als Problemursache debattiert (auch wenn am Abend dann ein ausgesprochen moderater und kritischer muslimischer Theologe letztendlich zur Beruhigung im Studio beitrug). Bei der Runde mit dabei war auch die prominente, junge rechtsextreme Journalistin Charlotte d’Ornellas (vgl. zu ihr: https://fr.wikipedia.org/wiki/Charlotte_d%27Ornellas externer Link und https://www.tf1.fr/tmc/quotidien-avec-yann-barthes/videos/violences-conjugales-et-catholiques-charlotte-dornellas-oublie-que-son-micro-est-toujours-allume-33999491.html externer Link).

Artikel von Bernard Schmid vom 30.10.2019 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=156575
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