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Umstrittenes Abkommen zur Arbeitslosenkasse – Antrag der CGT auf Einstweilige Verfügung abgelehnt, aber Hauptverhandlung zugelassen

Pariser Gericht verweigert Aussetzung des Regelwerks zur Arbeitslosenversicherung durch Erlass einer Einstweiligen Verfügung, lässt aber die Beschwerde der CGT zu und die Tür für die Hauptverhandlung im September d.J. offen.

Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 14.07.2014

Wir hatten es am Freitag, den 11. Juli an dieser Stelle angekündigt: Die CGT hatte vor einem Pariser Gericht das neue Regelwerk, das die Rechte der Arbeitslosen für den Zeitraum 2014-2016 neu bestimmt, attackiert.

Es handelt sich um das Abkommen vom 22. März d.J., das nach einigem Zögern durch die Regierung im Juni dieses Jahres bekräftigt worden ist und zum 1. Juli 2014 in Kraft getreten ist. Die Arbeitslosenkasse wird in Frankreich paritätisch verwaltet, d.h. durch eine gleich starke Anzahl von „Arbeitgeber“- und Gewerkschaftsverbänden in ihrem Aufsichtsrat (de facto durch eine Koalition aus der CFDT und dem Kapitalverband MEDEF), aber unter staatlicher Oberaufsicht. Die staatliche Exekutive, vertreten durch den amtierenden Arbeits- und Sozialminister der jeweiligen Regierung, muss deshalb eine Vereinbarung der so genannten Sozialpartner gegenzeichnen, damit diese rechtskräftig werden kann.

Das diesjährige Abkommen, das für die kommenden beiden Jahre gilt, schränkt besonders die Ansprüche auf Unterstützung – während der beschäftigungslosen Zeit – für Leiharbeiter/innen drastisch ein. Aber auch die Leistungsansprüche für die diskontinuierlich beschäftigten Kulturschaffenden (intermittents du spectacle), die in Frankreich seit Jahrzehnten einen sozialrechtlichen Sonderstatus besitzen, in ihrer auftragslosen Zeit werden erheblich eingeschränkt. Dagegen richtet sich aktuell ein Streikbewegung im Kulturleben, auf dem internationalen Theaterfestival von Avignon wurden etwa an diesem Wochenende mehrere Aufführungen streikbedingt annulliert.

Unterzeichnet hatten das Abkommen mehrere „moderate“ respektive rechtere Gewerkschaften, unter ihnen die CFDT (rechtssozialdemokratisch geführter Dachverband) und FO (Force Ouvrière, welche eine Mischung aus Verbalradikalismus und Unterzeichnung schlechter bis sehr schlechter Kollektivverträge praktiziert). Hingegen opponierten die CGT, deren Branchenverband im Kultursektor die mit Abstand stärkste Gewerkschaftsorganisation der Branche darstellt, und die linke Basisgewerkschaft SUD heftig gegen das Abkommen.

In ihrer gerichtlichen Beschwerde berief sich die CGT darauf, dass die Verhandlungen unkorrekt und auf illegale Art und Weise geführt worden seien.

In Frankreich existieren in fast allen Bereichen mehrere Richtungsgewerkschaften. Das französische Arbeitsrecht organisiert notwendig den „Gewerkschaftspluralismus“ (,pluralisme syndical’), als eine Art Vertretung der Lohnabhängigen in der „Einheit durch Vielfalt“. Dazu legt es Kriterien fest, mit denen bestimmt werden kann, unter welchen Bedingungen eine Gewerkschaft etwa tariffähig (,représentatif’) ist – ab 10 % Stimmenanteil im Unternehmen oder 8 % in einer Branche zum Beispiel, neben weiteren Bedingungen – und unter welchen Bedingungen ein Kollektivabkommen rechtskräftig wird. Dazu müssen die Unterzeichner (allein oder zu mehreren gemeinsam) mindestens einen Stimmenanteil von 30 % repräsentieren. Aber es legt, unter dieser Voraussetzung eines Nebeneinanders unterschiedlicher Richtungsgewerkschaften, auch Mindestbedingungen für einen halbwegs fairen Ablauf von Verhandlungen fest. Dazu musste das geschrieben Arbeitsrecht oft durch Richterrecht fortgebildet werden. Es schreibt etwa einen „loyalen“ Verlauf von Verhandlungen vor. Und insbesondere sind „Separatverhandlungen“ mit einzelnen Verbänden – bei denen einer der teilnehmenden Verbände nicht wissen kann, was zum selben Zeitpunkt einem anderen Akteur der Verhandlungen eventuell angeboten wird, so dass sie gegeneinander ausgespielt werden können – ausdrücklich verboten.

Bei den Verhandlungen im März dieses Jahres, die am Hauptsitz des „Arbeitgeber“verbands MEDEF stattfanden, wurden jedoch eine Reihe von Einzelgesprächen auf dem Flur, auf den Gängen des MEDEF-Gebäudes statt. Nachweisbar ist offensichtlich, dass die konkreten Berechnungen und Zahlenmodelle, auf denen die Verhandlungen zum Teil beruhten, nicht allen teilnehmenden Verbänden gleichermaßen ausführlich unterbreitet wurden. Dies bedeutet, dass nicht alle teilnehmenden Gewerkschaften über dasselbe identische Zahlenmaterial verfügten.

Die CGT berief sich auf dieses Argument, um das Pariser Zivilgericht zm 1. Juli anzurufen, und legte das Datum der Verhandlung fest. (Das Zivilprozessrecht überlässt dieses einseitige Recht einer Partei, die dabei jedoch das Risiko in Kauf nimmt, dass eventuelle Verfahrensfehler nicht behoben werden können – weil es keine vorherige richterliche Prüfung des Dossiers, keine richterliche Terminfestlegung usw. gibt – und also für ihre Beschwerde tödlich sein könnten.)

Die Richter/innen entschieden in ihrem Beschluss, den sie am Freitag den 11. Juli herausgaben, dass die CGT in ihrem Recht war, eine solche Beschwerde abzugeben. Allerdings verweigerten sie die Annahme einer Einstweiligen Verfügung (,ordonnance de référés’), um die Vereinbarung zur Arbeitslosenversicherung vorläufig außer Kraft zu setzen: Angesichts der Komplexität der Materie überschritten sie als Richter/innen damit, so ihre eigene Darstellung, sonst ihre Kompetenzen im Rahmen eines Eilverfahrens. Tatsächlich dient die Eilprozedur, die auf den Erlass einer Einstweiligen Verfügung abzielt, nicht der Regelung einer komplexen Materie.

Zugelassen wurde nun jedoch die Hauptverhandlung über die Beschwerde, über welche am 30. September 14 in Paris vor Gericht diskutiert werden wird.

Vgl. u.a.:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=61906
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