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„Sozialgipfel“ bei François Hollande: Totalpleite… nach schwerem Vorab-Zugeständnis an die Kapitalverbände

Artikel von Bernard Schmid, Paris, 11.07.2014

Die laufende Woche könnte in Frankreich mit einem wichtigen Ereignis zu Ende gehen: Am heutigen Freitag, den 11. Juli wird ein Gericht in Paris entscheiden, ob es das Regelwerk zur Arbeitslosenversicherung für die kommenden beiden Jahre – gültig seit dem 1. Juli 14 – per Einstweilige Verfügung außer Kraft setzt. Es bringt entscheidende Kürzungen für Leiharbeiter/innen, aber auch für prekär arbeitenden Kulturschaffende (intermittents du spectacle) mit sich. Die CGT im Kultursektor hatte ein Gericht gegen die Vereinbarung, die durch einige eher rechte Gewerkschaften unterzeichnet worden war, angerufen. Eine Aussetzung durch eine Einstweilige Verfügung gilt als möglich.

Unterdessen war die Woche in sozial- und wirtschaftspolitischer Hinsicht durch die so genannte „Sozialkonferenz“ bei François Hollande am Montag und Dienstag (07. und 08. Juli) respektive ihr grandioses Scheitern geprägt. Diese „Sozialkonferenz“ war die dritte ihrer Art seit dem Amtsantritt Präsident Hollandes im Mai 2012, und sollte einmal mehr einen sozialpartnerschaftlichen „Kompromiss“ einfädeln. Es handelt sich um ein tripartistisches Gipfeltreffen zwischen Regierung, Kapitalverbänden (drei) und Gewerkschaftszusammenschlüssen (sieben oder acht).

Vier Gewerkschaftsverbände boykottieren bzw. ziehen aus

Insgesamt vier Gewerkschaftsverbände boykottierten die Veranstaltung. Die Union syndicale Solidaires (Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften vom Typ SUD) hatte bereits in der Woche zuvor ihr Nichterscheinen angekündigt. Die CGT, der stärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, hatte ihre Präsenz unter Vorbehalt gestellt. Am Montag mittag, kurz nach Eröffnung der Konferenz, kündigte sie dann ihre Abwesenheit für den folgenden Tag – den zweiten Konferenztag – an. Dicht gefolgt vom Dachverband FO (Force Ouvrière, drittstärkster Dachverband, politisch ziemlich schillernd, zwischen Verbalradikalismus und rechter Gewerkschaftspolitik oszillierend).

Am Dienstag erklärte dann die FSU (Fédération syndicale unitaire), Zusammenschluss der wichtigsten Bildungsgewerkschaften in Frankreich, ihren Auszug. Ihre Spitze war zunächst erschienen, schlug dann aber am Dienstag Vormittag die Tür hinter sich zu. Ihre Generalsekretärin Bernadette Groison erklärte, die Methode der Regierung für einen „sozialen Dialog“ sei untragbar; vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com/social/20140708.OBS3017/conference-sociale-le-boycott-remarque-de-la-cgt-et-de-fo.html?cm_mmc=EMV-_-NO-_-20140708_NLNODERMIN-_-conference-sociale-la-fsu-claque-la-porte-de-la-reunion-deja-boycottee-par-la-cgt-et-fo#xtor=EPR-4-[DerMin]-20140708 externer Link

Nichtsdestotrotz erklärte der rechtssozialdemokratische Arbeits- und Sozialminister François Rebsamen im Nachhinein unverdrossen, die Konferenz sei „ein echter Erfolg“; vgl. http://www.economiematin.fr/ils-ont-dit/item/10744-conference-sociale-2014-succes-rebsamen-syndicats/?utm_source=newsletter&utm_medium=Email&utm_campaign=NL-2014-07-1 externer Link

Oh je, CFDT

Unter den beteiligten Verbänden, die auch nach dem Auszug der Mehrzahl der übrigen Gewerkschaftsorganisationen brav weiterhin an der Konferenz teilnahmen, war – wie könnte es anders sein? – die CFDT. Sogar sie kritisierte allerdings (verbal relativ scharf) den Rückzieher der Regierung beim „Erschwerniskonto“, als definitiv schlechtes Signal für den „sozialen Dialog“.

Der Generalsekretär dieses (rechts)sozialdemokratisch geführten, zweitstärksten Gewerkschaftsdachverbands in Frankreich, Lauren Berger, erklärte dann zwar im Verlauf der Konferenz zwar sein „Bedauern“ über die Abwesenheit der anderen Gewerkschaften, vgl. http://www.lepoint.fr/societe/conference-sociale-berger-cfdt-regrette-l-absence-de-4-syndicats-08-07-2014-1844291_23.php externer Link

Doch kurz darauf schwang er sich dann zum leidenden Helden auf und erklärte: „Unterdessen habe ich gearbeitet“, während die übrigen Gewerkschaften – folgt man seiner Logik – also einen faulen Lenz geschoben hätten. Aber vor allem glaubte er sich dazu autorisiert, die anderen Verbände, vor allem die CGT und FO, in die Nähe der rechtsextremen Politikerin Marine Le Pen rücken zu dürfen… – vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2014/07/09/97002-20140709FILWWW00324-lepaon-denonce-l-amalgame-fncgt-de-berger.php externer Link   In der besonderen Logik der CFDT passt dies durchaus in ihr Weltbild, nach dem Motto: „Alles Populischten“… Doch der letzte, unverschämte Ausspruch des rechten Bürokraten Laurent Berger – CFDT-Chef seit November 2012, nachdem er 1996 im Zuge der Säuberungen linker Gewerkschafter/innen (nach dem Herbststreik von 1995) bei der CFDT zum Hauptamtlichen wurde – dürfte die Beziehungen zwischen den Verbänden nicht unbedingt positiv beeinflussen…

Kapitalverbände bauen Druck im Vorfeld auf

Der Versuch, einen Pseudokonsens und faulen Kompromiss einzufädeln, litt daher zum Abschluss der Konferenz unter einem erheblichen Glaubwürdigkeitsproblem. Aber bereits im Vorfeld hatte es eine Boykottdrohung gegeben, und zwar zunächst von den Arbeitgeberverbänden und besonders vom stärksten Kapitalverband Medef. Er drohte eine gute Woche vor Eröffnung des Gipfels seinerseits mit seiner Abwesenheit, wenn die Regierung nicht aufhöre, den armen Arbeitgebern – so seine Darstellung – ständig neue soziale Lasten aufzuerlegen.

In Reaktion darauf verkündete Premierminister Manuel Valls am 1. Juli, also sechs Tage vor Eröffnung der Konferenz, ein wichtiges Zugeständnis an die „Arbeitgeber“seite. Diese beklagte sich über die Einführung des  so genannten Compte-pénibilité oder „Erschwerniskontos“. Bei Letzterem handelt es sich um einen Mechanismus, der es abhängig Beschäftigten ermöglichen soll, aufgrund erschwerter (körperlich harter, psychisch belastender, aufzehrender…) Arbeitsbedingungen über zusätzliche „Rentenpunkte“ bei der Altersversicherung zu verfügen. Die Anrechnung solcher zusätzlicher Punkte soll es Lohnabhängigen ermöglichen, einzelne fehlende Beitragsjahre zur Rentenversicherung ausgleichen zu können, um etwas früher aufs Altenteil gehen zu dürfen.

Im Herbst 2010, als eine lang anhaltende (mit ersten Demonstrationen am 24. Mai jenes Jahres begonnene) Protestbewegung sich gegen die damalige „Rentenreform“ Nicolas Sarkozys richtete, war es dieses Zugeständnis der Regierung, das zum Einbruch der Streikfront führte. Am 25. Oktober 2010 brach zunächst die CFDT und kurz darauf die CGT den Arbeitskampf in den französischen Raffinerien ab – kurz, bevor eine Benzinknappheit in den Tankstellen einzutreten drohte -, nachdem die damalige Rechtsregierung die Einführung eines solchen Ausgleichsmechanismus angekündigt hatte. Über die einzelnen Modalitäten, also die genauen Anrechnungmodalitäten, sollte in den Branchen verhandelt werden. Mittlerweile hat die sozialdemokratische Regierung sowohl die regressive Renten„reform“ Sarkozys, welche im November 2010 vom Parlament beschlossen worden war (und welcher 2013 unter François Hollande eine neue regressive Stufe hinzugefügt wurde), als auch den Ausgleichsmechanismus bestätigt.

Doch nunmehr wurde durch Premierminister Valls die Einführung des „Erschwerniskontos“, das in diesem Jahr hätte geschaffen werden soll, auf das Jahr 2016 verschoben; vgl. http://www.lemonde.fr/emploi/article/2014/07/01/valls-annonce-un-report-partiel-du-compte-penibilite_4449016_1698637.html externer Link

Hierin liegt der Hauptgrund dafür, dass mehrere einflussreiche Gewerkschaftsverbände ihre Teilnahme an der „Sozialkonferenz“ entweder von vornherein absagten, oder aber unterwegs annullierten. Sie warfen dem rechtssozialdemokratischen Regierungschef eine (weitere) Kapitulation vor dem Ultimatum der Kapitalistenverbände vor; vgl. u.a. http://www.francetvinfo.fr/economie/emploi/penibilite-la-cfdt-accuse-valls-d-avoir-cede-a-l-ultimatum-du-medef-et-denonce-une-rupture-du-dialogue-social_637337.html#xtor=EPR-51-[penibilite-la-cfdt-accuse-valls-d-avoir-cede-a-l-ultimatum-du-medef-et-denonce-une-rupture-du-dialogue-social_637337]-20140702-[bouton externer Link ]

Unterdessen erklärte etwa Jean-François Roubaud, Chef des Verbands „mittelständischer Arbeitgeber“ CGPME, die Zugeständnisse der Regierung gingen „in die richtige Richtung“; vgl.  http://www.lefigaro.fr/mon-figaro/2014/07/06/10001-20140706ARTFIG00145-roubaud-les-ouvertures-vont-dans-le-bon-sens.php externer Link Aus seiner Sicht sicherlich…

Drohende „Vereinfachung“ des Arbeitsrechts plus partielles Aussetzen des Gesetzes zur Personalvertretung

Zu den Themen, auf denen auf der „Sozialkonferenz“ diskutiert werden sollte (bzw. unter den noch verbleibenden Teilnehmern auch diskutiert wurde), gehören die angekündigte bzw. angedachte „Vereinfachung des Arbeitsrechts“, welch Letzteres angeblich – aufgrund seiner Komplexität und aufgrund der Existenz von zwingenden Vorschriften – ein „Einstellungshemmnis“ und „Hindernis für die Schaffung von Arbeitsplätzen“ darstelle. Vgl. orange.fr/france/faut-il-revoir-le-droit-du-travail-pour-relancer-l-emploi-afp_CNT0000002ZrXz.html externer Link – Ein uralter Dauerbrenner, bei dem es natürlich nicht wirklich um „Einfachkeit versus Komplexitität“ geht, sondern viel eher um die Frage des Niveaus verbindlich garantierter Rechte für die Lohnabhängigen.

Konkret wird ferner durch die Regierung ins Auge gefasst, das Gesetz über die gewählten Personalvertretungen – also gewählte betriebliche Vertrauensleute (délégués du personnel) sowie über die comités d’entreprise // CE (ungefähre, sehr ungefähre Entsprechung zu den deutschen Betriebsräten, jedoch mit weitgehend unterschiedlichen Funktionen) – für die Dauer von drei Jahren auszusetzen. Und zwar in dem Punkt, der die Messung der Personalstärke des jeweiligen Betriebs respektive Unternehmens betrifft. Bislang muss das Unternehmen Vertrauensleute wählen lassen, wenn mindestens elf abhängig Beschäftigten zusammenkommen; und ein CE, wenn mindestens fünfzig Lohnabhängige beisammen sind (oder aber wenn ein Tarifvertrag diese Schwelle absenkt). Dies wird nun als Einstellungshemmnis dargestellt, weil viele kleine und mittlere Betriebe bewusst bei 48 oder 49 Beschäftigten stehen blieben – es gibt tatsächlich wesentlich Unternehmen mit 49, als mit 51 Beschäftigten -, so dass man bei ihnen Ausnahmen in der Berechnung zulassen müsse. Nunmehr plant Arbeits- und Sozialminister François Rebsamen, für eine dreijährige Dauer die Neuberechnung auszusetzen, falls zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden, d.h. durch Ausklammern der Neueingestellten die betreffenden Unternehmen künstlich unterhalb der Schwelle zu halten.
Darüber soll nun innerhalb der kommenden Monate zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden verhandelt werden (über die Modalitäten im Einzelnen), bevor das Regierungslager zum Thema gesetzgeberisch tätig werden will – allein oder aber mit einer Vereinbarung im Rücken, je nachdem. FO-Generalsekretär Jean-Claude Mailly begründete seinen Weigerung sowie den Auszug aus der „Sozialpartnerkonferenz“ damit, man werde doch nicht „mit einer Waffe an der Schläfe verhandeln“.

Staatspräsident François Hollande erklärte zudem auf der „Sozialkonferenz“, er wolle, dass die Arbeitslosigkeit zum vordringlichen nationalen Thema und „Dialoggegenstand“ erhoben werden solle. Wie er beizukommen versucht, ist allerdings ebenfalls bekannt: durch ständig neue und immer größere Zugeständnisse an die Kapitalverbände, die den Hals längst gar nicht mehr voll genug bekommen könnten. Unterdessen erklärte Hollande in einer Stellungnahme zum Ablauf des Sozialgipfels, es sei nicht hinnehmbar, dass die Gewerkschaften eine „ständige gegenseitige Übersteigerung“ in ihren Positionen betrieben; vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2014/07/07/emploi-europe-croissance-education-francois-hollande-mobilise-et-vante-ses-reformes-lors-de-la-3e-conference-sociale_4452752_823448.html externer Link

Gut gebrüllt, Oberflasche!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=61820
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