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Es gibt keine Wunder in Frankreich unter Macron, auch keine Rücknahme der Rentenreform – aber der Kampf geht weiter

SUD: Sécurité sociale - mon amourEin Gespenst, nein, ein Gerücht ging um in Europa: Angeblich, behaupteten eine Reihe von Medien am vorigen Donnerstag, den 05.06.25, habe die französische Nationalversammlung soeben die Aufhebung der regressiven Renten’reform’ vom April 2023 beschlossen. Diese, besonders umstrittene kapitalfreundliche Gegenreform unter Staatspräsident Emmanuel Macron hat im Kern die Anhebung des Renten-Mindesteintrittsalters von zuvor 60 (vom Jahr 1982 bis 2010) und dann 62 (seit einer früheren Gegenreform unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys im November 2010) auf künftig 64 zum Gegenstand. (…) Doch handelte es sich tatsächlich nur um ein Votum von symbolischer Bedeutung; nicht um ein Gesetz (mit bindender Wirkung), sondern um eine Resolution ohne Rechtskraft…“ Artikel von Bernard Schmid vom 11.6.2025 – wir danken!

Es gibt keine Wunder in Frankreich unter Macron, auch keine Rücknahme der Rentenreform
– aber der Kampf geht weiter

Ein Gespenst, nein, ein Gerücht ging um in Europa: Angeblich, behaupteten eine Reihe von Medien am vorigen Donnerstag, den 05.06.25, habe die französische Nationalversammlung soeben die Aufhebung der regressiven Renten’reform’ vom April 2023 beschlossen. Diese, besonders umstrittene kapitalfreundliche Gegenreform unter Staatspräsident Emmanuel Macron hat im Kern die Anhebung des Renten-Mindesteintrittsalters von zuvor 60 (vom Jahr 1982 bis 2010) und dann 62 (seit einer früheren Gegenreform unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys im November 2010) auf künftig 64 zum Gegenstand.

Vorsicht Rosstäuscherei, wenn Ihnen jemand erzählt, 64 sei doch etwa im Vergleich zu Deutschland nicht viel: Es handelt sich um das frühest mögliche gesetzliche Renteneintrittsalter, bei dem aber i.d.R. eine Rente mit Abschlägen ausbezahlt wird, sofern Beitragsjahre (künftig werden 43 abgefordert) fehlen. Dieses Alter ist mit dem der deutschen Rente mit Abschlägen ab 63 vergleichbar. Eine Renten zum vollen Satz, ohne Strafabzüge wegen „zu frühen“ Bezugs, ist in Frankreich erst seit längerem mit 67 Jahre möglich.

Doch es war nix mit Aufhebung, in Wirklichkeit. Wäre es so gewesen, hätte man aufmerken müssen, bildet die umstrittene „Reform“ von 2023 doch eine zentrale Maßnahme der Präsidentschaft Emmanuel Macrons (2017 bis 22 plus 2022 bis 27) und bot Anlass zu besonders massiven Protesten im Winter und Frühjahr 2023.

Doch handelte es sich tatsächlich nur um ein Votum von symbolischer Bedeutung; nicht um ein Gesetz (mit bindender Wirkung), sondern um eine Resolution ohne Rechtskraft. Jede Oppositionsfraktion in der Nationalversammlung verfügt einmal im Jahr über ein „Fenster“, in dem sie über freies Antragsrecht verfügt. Der Clou dabei ist, dass zu von ihr vorgelegten Resolutionen keine Änderungsanträge eingebracht werden dürfen: Die übrigen Abgeordneten dürfen nur mit Ja oder Nein stimmen.

In dem Falle ging dieser Resolutionsentwurf am parlamentarischen „Tag“ der Französischen KP (des PCF, Parti communiste français) durch, weil alle anderen Linksfraktionen und die Rechtsextremen symbolisch dem KP-Antrag zustimmten. Den Rechtsextremen ging es dabei um wohlfeile „soziale“ Profilierung, während in Wirklichkeit ihre eigene Rentenpolitik – hinter protestlerisch klingendem Getöse gegen die Regierungsbeschlüsse – gar nicht allzu weit von jener des Regierungslagers auseinander liegt.

Rechtliche Auswirkungen hat das: keine. Dennoch spielt das Symbol politisch eine gewisse Rolle, weil die Abgeordneten zum ersten Mal überhaupt zum Kern der „Reform“ abstimmten „durften“. Bislang wurden die Sachdebatten zum Thema ja ausgehebelt, da die Regierung im Frühjahr 2023 auf den mittlerweile berühmten Artikel 49 Absatz 3 der französischen Verfassung der Fünften Republik von 1958 zurückgriff. Dieser erlaubt es der Regierung, die Vertrauensfrage aufzuwerfen und, sofern kein Misstrauensvotum durch eine Mehrheit der Abgeordneten aus denkbar unterschiedlichen Oppositionsfraktionen gemeinsam verabschiedet wird, die Debatte zu einem Gesetzentwurf damit automatisch für beendet zu erklären.

Unterdessen hat der Conseil d’orientation des retraites („Orientierungs-Rat zur Rentenpolitik“), ein offizielles Beratungs- und Expertengremium der Regierung, vorige Woche noch eine neue offizielle Idee zum Thema „Rente“ geschissen. (Pardon!) In einem am Donnerstag, den 05. Juni d.J. vorgestellten Bericht schlug das Gremium, nachdem es einige Ideen zur Finanzierung der künftigen Renten angedacht und wieder verworfen hatte – Anhebung der Rentenbeiträge? Wachstumsfeindlich!, höhere Abgaben für Unternehmen oder auf Finanzvermögen? wachstumsfeindlich! -, genau eine Idee vor. Diese besteht aus einer weiteren Anhebung des Renten-Mindesteintrittsalter auf 66,5 Jahre. (Vgl.: https://www.publicsenat.fr/actualites/politique/retraites-le-rapport-du-conseil-dorientation-des-retraites-cor-jette-un-nouveau-pave-dans-la-mare externer Link)

Beruhigend soll dabei wirken, dass dieses Alter demnach erst ab 2070 erreicht werden soll – niemand unter den heute lohnabhängig Beschäftigten würde es dann betreffen -, doch wenn die Idee erst einmal als vermeintlich guter Vorschlag durchgedrungen ist, nicht wahr…

Es handelt sich, mal wieder, um eine echte Superidee. Es sollen auch schon Leute für Superideen geringeren Ausmaßes erschossen worden sein. Nein, nicht doch, liebe Leser/innen, das war gewiss nicht als Handlungsvorschlag gemeint, es handelte sich um eine reine Beobachtung.

Vorsitzender des Gremiums (COR) ist derzeit der Wirtschaftswissenschaftler Gilbert Cette, den Emmanuel Macron im Jahr 2023 in diese Funktion eingesetzt hatte.  (Vgl. https://www.marianne.net/economie/economie-francaise/gilbert-cette-un-president-de-rupture-a-la-tete-du-conseil-d-orientation-des-retraites externer Link) In manchen Kreisen wird er noch als angeblicher Sozialdemokrat/Sozialliberaler herumgereicht, weil er in der Vergangenheit mal die sozialdemokratische Arbeitsministerin Martine Aubry – die dieses Amt von 1991 bis 1993 unter François Mitterrand, und von 1997 bis 2000 unter Lionel Jospin bekleidete – beriet. In Wirklichkeit ist er längst zum Prediger für diverse, brachial wirtschaftsliberale Thesen geworden. Anfang September 2015 schlug er beispielsweise die Abschaffung des gesetzlichen Mindestlohns (SMIC) in Frankreich in seiner bestehenden Form, und seine Ersetzung durch regionale Mindestlöhne in unterschiedlicher Höhe vor. Noch so eine Superidee.

Artikel von Bernard Schmid vom 11.6.2025

  • Zuletzt rief die CGT am 5. Juni zum sektorübergreifenden Streik und zu Protesten „für unsere Renten, unsere Arbeitsplätze und unsere Löhne und eine Rücknahme der Rentenreformen“ – siehe den franz. Aufruf externer Link und ihren Beitrag vom 5.6. externer Link zur vermeintlichen Rücknahme
  • Siehe zuletzt den Artikel von Bernard Schmid vom 17.1.2025: Der Kampf um und gegen die Renten’reform‘ von 2023 überdauert alle Deals um den gescheiterten 2. Misstrauensantrag in Frankreich
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=228544
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