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50 Jahre Putsch in Chile: Der andere 11. September

Augusto Pinochet: Tod eines Tyrannen… Als die Generäle 1973 die Macht übernahmen, gab es zwar schon einen fertigen Plan für eine neoliberale Wirtschaft, aber er war den Militärs nicht bekannt. Deren Hauptmotiv war die „Ausmerzung des marxistischen Krebsgeschwürs“, wie das der Luftwaffengeneral Gustavo Leigh nannte. Sehr bald aber wurde klar, dass die Militärjunta politisch mehr wollte als nur eine Wiederherstellung der Situation, wie sie vor der Wahl Allendes geherrscht hatte. Hernán Cubillos von der Geschäftsleitung der Tageszeitung El Mercurio, des Zentralorgans der chilenischen Großbourgeoisie, empfahl den Admirälen wärmstens eine Gruppe von Ökonomen, deren Mehrheit von der Katholischen Universität kam, Abschlüsse von der Universität Chicago hatte und insgeheim seit 1972 einen Plan für die Destabilisierung und den Sturz der linken Regierung ausgearbeitet hatte, der außerdem auch ein Regierungsprogramm für diesen Fall enthielt. Eine Untersuchungskommission des US-Senats hat später bekannt gemacht, dass die Gelder für die Aktivitäten dieser Mannschaft von der CIA bereitgestellt wurden…“ Artikel von Urs Müller-Plantenberg vom 10.9.2023 in der taz online externer Link – siehe weitere in der diesjährigen Materialsammlung:

  • Chile: Die Stille der Erinnerung – Chile 50 Jahre nach dem Putsch gegen Allende
    „Was ist aus Margarita Paillal geworden, der Mapuche-Bäuerin aus Cautín, deren Foto die Titelseite der Zeitschrift „Chile Hoy“ zierte, die am 11. September 1973 an den Zeitungskiosken hing? Paillal war 30 Jahre alt und Mutter von sieben Kindern. Zusammen mit zwei anderen Mapuche-Anführern war sie in die Hauptstadt Santiago de Chile gereist, um bei Präsident Salvador Allende die Verhaftung und Folterung von Bauern in der Gegend von Temuco anzuprangern. Angeführt wurde die Strafaktion gegen die politisch aktiven Gemeinden von Oberst Pablo Iturriaga und dem Kommandeur der Luftwaffe Rigoberto Pacheco. Mit einer Gruppe Soldaten hielten sie Ende August 1973 in der Provinz Cautín im Süden Chiles vier Tage lang das ehemalige Herrenhaus einer Finca besetzt, auf der im Zuge der Agrarreform die Agrarkooperative „Jorge Fernández“ entstanden war. Sie rechtfertigten ihren Einsatz durch das sogenannte Waffenkontrollgesetz. Ich war 23 Jahre alt, hatte Paillal eine Woche zuvor interviewt und war von ihrem Mut und ihrer Klarheit beeindruckt. Was wird aus ihr werden, fragte ich mich an jenem Morgen des 11. September 1973 auf meinem Weg durch das Stadtzentrum Santiagos in die Redaktion von „Chile Hoy“, für die ich arbeitete. Dabei blickte mich die 30jährige an jeder Ecke, an der es einen Kiosk gab, mit traurigem und trotzigem Blick an, als würde sie mich nach dem Satz fragen, mit dem ich das Interview überschrieben hatte: „Wir sind wütender denn je.“ Ein Satz, der sich im Laufe des Tages als das Militär vorrückte, nach der Rede Allendes und der Bombardierung des Präsidentenpalastes „La Moneda“, als Provokation entpuppte, die Paillal der brutalen Repression der Putschisten auslieferte. (…) Diese Mapuche-Anführerin und tausende Arbeiter, Bauern und Pobladores, waren in jenen drei Jahren der Regierung Allende die Protagonisten. Sie drängten auf Veränderungen, die manchmal über das hinausgingen, was von den politischen Parteien und Führern der „Unidad Popular“ angestrebt wurde. Ihre Gesichter sehen den Gesichtern derjenigen zum Verwechseln ähnlich, die heute, ein halbes Jahrhundert später, eine andere Zukunft fordern. Eine andere Zukunft als sie das neoliberale Drehbuch nach Jahrzehnten von Regierungen, die das Land unter der Verfassung und dem Wirtschaftsmodell des Pinochetismus verwalteten, für sie vorsah. Zu diesen Gesichtern gehören vielleicht die der Enkelkinder von Paillal. (…) Hobsbawm nannte das 20. Jahrhundert aufgrund der vielfältigen Gewalttaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit „das Jahrhundert der Extreme“. Im 21. Jahrhundert wird versucht, diese Gewalttaten und Verbrechen zu vergessen oder zu leugnen. Aus diesem Grund haben einige Historiker es als „das Jahrhundert der Verleugnung und Straflosigkeit“ bezeichnet. So bleibt ein halbes Jahrhundert nach dem Militärputsch, bei dem ein demokratisch gewählter Präsident gestürzt, der Regierungspalast bombardiert und Zehntausende Menschen massakriert wurden, Hobsbawms Frage offen, ob Chile zu den Ländern gehört, die ihre Vergangenheit verschweigen – oder ob das „öffentliche Gedächtnis“, von dem der Historiker sprach, über das Leugnen, das Vergessen und das Weglassen siegen wird.“ Artikel von Faride Zerán in der Übersetzung von Ferdinand Muggenthaler aus Blätter 9/2023 externer Link
  • Chile: Boric-Regierung lässt Gedenkmarsch zum 50. Jahrestag des Putsches angreifen
    Jedes Jahr findet in Chile der Gedenkmarsch an den Putsch vom 11. September 1973 statt. Dieses Jahr schloss die reformistische Regierung von Gabriel Boric Organisationen aus, die nicht zu ihren Unterstützer:innen zählen und ließ sie mit Wasserwerfern angreifen…“ Ins Deutsche übersetzte Meldung der PTR, Partei revolutionärer Arbeiter*innen, am 11.9.2023 bei Klasse gegen Klasse dokumentiert externer Link
  • 50 Jahre Neoliberalismus: Autoritärer Zeitgeist
    Die liberale Gesellschaft grenzt sich vom Autoritarismus ab und sieht ihn nur in der Ferne verortet. Dabei ist sie selbst die Basis für den Untergang…“ Beitrag von Mario Neumann am  11. September 2023 bei medico externer Link
  • Der Putsch gegen die Dritte Welt: Chile, 1973
    Allen Projekten der Dritten Welt, die ihre Souveränität und Selbstbestimmung durchsetzen wollten, sollte eine Lektion erteilt werden…“ Beitrag von Tricontinental, ICAL, in der Übersetzung durch Marta Andujo und Vilma Guzmán am 10.09.2023 in amerika21 externer Link
  • Schwierige Erinnerung: Der 50. Jahrestag des Putsches in Chile
    „… Am 11. September 1973 putschte das chilenische Militär gegen die gewählte Regierung von Salvador Allende. (…) Nach dem Ende der Diktatur 1990 und der Festnahme Pinochets in London 1998 wurden auch die Versuche der Vergangenheitsaufarbeitung Chiles vor den Augen der Welt ausgetragen. International ist dabei das Urteil eindeutig: Während Allende für sein Eintreten für einen demokratischen Weg zum Sozialismus in vielen Teilen der Welt gewürdigt wird, ist Pinochet zum Sinnbild für den brutalen Tyrannen geworden. In Chile selbst fallen die Urteile allerdings nicht so eindeutig aus. Die Rede zum 50. Jahrestag des Putsches wird der junge linke Präsident Gabriel Boric halten. Dieser hatte sich zu seinem Amtsantritt im März 2022 in die Tradition Allendes gestellt und Worte aus dessen berühmter Abschiedsrede vom Putschtag zitiert. Mit Boric wurden viele Hoffnungen eines Großteiles der chilenischen Gesellschaft auf tatsächlichen Wandel und eine Verbesserung der Lebenssituation vor allem der ärmeren Bevölkerungsschichten in Chile verbunden. Anderthalb Jahre nach seinem Amtsantritt ist die politische Lage im chilenischen Winter 2023 allerdings kompliziert. (…) Die Hoffnungen auf ein Ende des von der Diktatur aufgezwungenen neoliberalen Wirtschaftssystems in Chile, das eine höchst ungleiche Gesellschaft produziert, schienen sich zu erfüllen. Im September 2022 wurde dann allerdings der tatsächlich sehr progressive und moderne Verfassungsentwurf in einem Plebiszit von über 60 % der ChilenInnen abgelehnt. Die Gründe für diese Ablehnung sind vielfältig, sie liegen in erster Linie an einem mit hohen finanziellen Mitteln geförderten Angstdiskurs der Rechten, gleichzeitig musste man aber auch anerkennen, dass sich ein Großteil der chilenischen Gesellschaft von dem progressiven, linken Diskurs nicht „mitgenommen“ fühlte. Die Ablehnung bedeutete einen schweren Rückschlag für die Regierung Boric, die nach einem kurzen Schock in Verhandlungen mit der Rechten eintrat, um einen zweiten Verfassungsprozess voranzubringen. In diesem zweiten Prozess erzielten in der Wahl zu dem neuen Verfassungskonvent im Mai 2023 allerdings die Republikaner, also die rechtsextreme Partei, die sich an dem Vorbild der Trump-Partei in den USA orientiert und im Grunde gar keine Änderungen an der Pinochet-Verfassung befürwortet, eine große Mehrheit. Die Inhalte der neuen Verfassung werden jetzt also wesentlich von einer Partei bestimmt, die die Diktaturzeit verherrlicht, ein autoritäres Machtverständnis hat und das neoliberale Wirtschaftssystem unterstützt. Im Vergleich zum Oktober 2019 hat sich das politische Klima in Chile um 180 Grad gedreht. Hier liegt die größte Gefahr für die Demokratie, denn in dieser „hybriden Erinnerung“, die gute und schlechte Seiten der Diktatur vermischt, bleibt die Differenz zwischen Demokratie und Diktatur uneindeutig, der Unterschied scheint nicht allzu groß. (…) Politik und Gesellschaft in Chile sind zum 50. Jahrestag des Putsches weit entfernt davon, einen Konsens zu finden, in dem eine Erinnerung vorherrscht, die über alle politischen Lager hinweg eine eindeutige Verurteilung der Diktatur beinhaltet. Dabei fehlen insbesondere Gesten und Zeichen der rechten Parteien, die während der Diktatur gegründet wurden, und von Militär und Unternehmertum. Eine Bitte um Entschuldigung für die Mitarbeit während der Diktatur wäre angebracht, ist aber angesichts der aktuellen politischen Lage in Chile äußerst unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher erscheint es, dass der Präsident Gabriel Boric in seiner Rede am 11. September 2023 zwar den Putsch, die Pinochetdiktatur und deren zahlreiche Verbrechen eindeutig verurteilt, diese Rede aber gleichzeitig auf Kritik bei einem großen Teil der chilenischen Gesellschaft stoßen wird. Die Aufgabe, zu einer gemeinsamen Erinnerungserzählung zu kommen, in der klar zwischen Diktatur und Demokratie unterschieden wird und alle politisch relevanten AkteurInnen die Idee des Nunca más (Nie wieder) teilen, bleibt auch 50 Jahre nach dem Putsch gegen Allende weiterhin bestehen.“ Artikel von Stephan Ruderer vom 4. September 2023 in der Graswurzelrevolution externer Link
  • Allende lebt
    Heute vor 50 Jahren starb der chilenische Präsident Salvador Allende im Zuge eines vom Westen unterstützten Militärputsches. Sein Projekt eines demokratischen und pluralistischen Sozialismus inspiriert bis heute…“ Artikel von Victor Figueroa in der Übersetzung von Raul Rosenfelder am 11. September 2023 in Jacobin.de externer Link
  • 50 Jahre nach dem Putsch in Chile: Heilung durch Erinnerung
    Es war einer der dunkelsten Tage in der Geschichte Chiles: Am 11. September 1973 putschte das Militär unter Führung von General Augusto Pinochet gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende. In den folgenden Jahrzehnten beging das Militärregime unzählige Völkerrechtsverbrechen und grausame Menschenrechtsverletzungen. Bis heute sind viele der Gräueltaten nicht aufgeklärt. Doch die durch die Diktatur verursachten Wunden können nur heilen, wenn Chile aus seiner Geschichte lernt. So kann die Basis für eine Gesellschaft geschaffen werden, in der die Menschenwürde wieder mehr geachtet wird. Dies erklärt Amnesty International anlässlich des 50. Jahrestages des Putsches…“ Meldung vom 8. September 2023 bei Amnesty Deutschland externer Link
  • »Solange Straffreiheit herrscht, ist das ›Nie wieder‹ brüchig«
    Der Geschichtsprofessor Igor Goicovic über die jahrelange Leugnung systematischer Menschenrechtsverbrechen..“ Interview von Malte Seiwerth vom 08.09.2023 in ND online externer Link
  • Chile: Umkämpfte Erinnerung
    Jahrzehnte nach dem Ende der Militärdiktatur ist die Deutungshoheit über die Gräueltaten noch nicht endgültig ausgemacht…“ Artikel von Malte Seiwerth vom 08.09.2023 in ND online externer Link
  • Wie die Diktatur in Chile sich auf deutsche Nazis im BND verlassen konnte – Dokumentation beleuchtet die ideologische Ausrichtung der westdeutschen Nachkriegspolitik
    „Neue Recherchen haben die Rolle deutscher Nazis beim Putsch von General Augusto Pinochet gegen die Regierung von Salvador Allende am 11. September 1973 bekannt gemacht. Eine Reihe von Zeugnissen beleuchtet dabei das Wirken des damals als Kriegsverbrecher gesuchten ehemaligen SS-Standartenführers Walter Rauff und der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) hat die Erkenntnisse vor wenigen Tagen mit einem Feature von Wilfried Huismann gesendet. (…) Der 1984 in Santiago verstorbene Alt-Nazi Rauff brachte für die Konsolidierung der Putschisten und der Militärdiktaur „an zentraler Stelle“ seine Erfahrungen aus der Zeit des deutschen Faschismus bei der Vernichtung Oppositioneller ein. Er verkehrte eng mit dem Chef des Geheimdienstes der Diktatur (Dirección de Inteligencia Nacional, Dina), General Manuel Contreras. Bereits vorher war Rauff mit dem deutschen Auslandsgeheimdienst Bundesnachrichtendienst (BND) verbunden, der ihn 1958 rekrutiert hatte, um „die Ausbreitung des Kommunismus auf dem amerikanischen Subkontinent möglichst zu verhindern“. In dem Feature bestätigen Zeugen auch aus dem chilenischen Geheimdienst Rauffs führende Rolle bei der Organisation systematischer Folter und dem Verschwindenlassen getöteter Oppositioneller. Rauff ist nach offiziellen Auskünften vom BND 1962 „abgeschaltet“ worden. Dies hing offensichtlich damit zusammen, dass Rauffs Name inzwischen Eingang in den Prozess gegen Adolf Eichmann in Israel gefunden und die Bundesrepublik in diesem Zusammenhang einen Auslieferungsantrag an Chile gestellt hatte. Mit den neuen Recherchen konfrontiert, räumte der BND nun ein, man habe doch noch einen Vermerk aus 1974 gefunden. Danach habe Rauff aber wohl lediglich als „ausführendes Organ“ für die Dina gearbeitet, jedoch ohne Befehlsgewalt. Die Zeugen im Feature widersprechen dem explizit. Ebenso eine Recherche des US-Anthropologen John Cole, die dieser 1974 dem Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien in Wien übermittelte. Andere ältere Forschung förderte einen BND-Vermerk von 1984 zutage, in dem es heißt, man wusste „von Anfang an, mit wem man es zu tun hatte […], da Rauff aus seiner Vergangenheit nirgends ein Hehl machte“. (…) Das Feature liefert auch neue Ansätze zur Einschätzung der Colonia Dignidad, die sich 1988 nach der Aufdeckung schwerer Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen in Villa Baviera umbenannte (amerika21 berichtete seit 2010 vielfach). (…) Die Einrichtung soll bereits ein Jahr vor dem Putsch in die entsprechenden Vorbereitungen einbezogen worden sein. Die deutsche Diplomatie ist im Zusammenhang mit ihrem Agieren nach dem Putsch von 1973 wie auch in der Sache Colonia Dignidad immer wieder in der Kritik gestanden, als Komplize der Diktatur aufgetreten zu sein. Die Aussagen eines ehemaligen Pressesprechers an der deutschen Botschaft in Santiago bringen einmal mehr das Netzwerk des BND und dessen ideologische Ausrichtung ins Spiel. Im April formulierte die Tagesschau noch, „die Unterstützung der Folter-Sekte Colonia Dignidad in Chile ist eines der düstersten Kapitel bundesdeutscher Außenpolitik“. Die Arbeit von Huismann liefert nun einiges Material, um die politischen Leitlinien hinter der Unterstützung der Diktatur wie auch der Sekte weiter zu untersuchen.“ Beitrag von Marta Andujo vom 6. September 2023 bei amerika21 externer Link

  • Chile – 50 Jahre nach dem Putsch
    Die Vision einer gerechteren Gesellschaft fand ein blutiges Ende: Am 11. September 1973 putschte das Militär in Chile, es folgten 17 Jahre Diktatur. Die Traumata sitzen tief, auch die Ereignisse rund um die deutsche Sekte Colonia Dignidad gehören zu den dunkelsten Kapiteln in der Geschichte des Andenstaates. Bis heute ringt das Land um eine neue Verfassung.“ Verschiedene Dokus zu Chile u.a. die drei restaurierten Dokus von Patricio Guzman „Der Kampf um Chile“ in der ARTE Mediathek externer Link
  • Dossier der taz externer Link zu 50 Jahre Putsch in Chile

Siehe von vielen im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=214833
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