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[28. Oktober 2018] Bolsonazi siegesgewiss: „Erst wählen die Brasilianer. Mich. Dann kann Haddad wählen – zwischen Exil und Gefängnis“

[28. Oktober 2018] Bolsonazi siegesgewiss: „Erst wählen die Brasilianer. Mich. Dann kann Haddad wählen – zwischen Exil und Gefängnis“Die zweieinhalb Wochen seit dem ersten Wahlgang der brasilianischen Präsidentschaftswahl waren und sind gekennzeichnet durch einen massiven Anstieg alltäglicher Gewalt auf den Straßen des Landes, wo Bolsonaro-Banden jene Hetzjagden veranstalten, die es in der BRD nicht gibt. (In Brasilien genau so wenig, versteht sich). Und durch wachsende Unterstützung der herrschenden Klasse für den einstigen Außenseiter. Sowohl durch die berüchtigte RichterInnen-Kaste Brasiliens, die alternative Zeitungen beschlagnahmen lassen und Demonstrationen verbieten, als auch durch Unternehmen: Über 60 Fälle werden bereits offiziell untersucht, in denen Unternehmensleitungen „ihre“ Beschäftigten auf verschiedenste Weise dazu zwingen wollen, Bolsonaro zu wählen – ein Hinweis mehr darauf, dass der heutige Kapitalismus sich keine sozialdemokratische Politik mehr „leisten“ kann. In den letzten Tagen vor dem zweiten Wahlgang kam es zu großen Demonstrationen – beider Seiten. Zum aktuellen Stand der Mobilisierung und den damit verbundenen politischen Entwicklungen unsere aktuelle kommentierte Materialsammlung „Gegen Bolsonaro“ vom 25. Oktober 2018:

Gegen Bolsonaro

(25. Oktober 2018)

a) Die Bedeutung der Wahl und die Methoden des Wahlkampfes

„Brasilien: Zum Verständnis der Wahlen 2018“ von Fabio Luis Barbosa dos Santos (in der Übersetzung von Nina Hilgenböcker) am 23. Oktober 2018 bei amerika21.de externer Link ist ein Beitrag, der die politische Situation sehr grundsätzlich beurteilt – danach, welchen Weg das brasilianische Bürgertum zu gehen beabsichtigt, verfasst vor dem ersten Wahlgang: „Für die brasilianische Bourgeoisie steht die Ökonomie in diesen Wahlen nicht zur Debatte: Wer auch immer gewinnt, wird die Probleme des Neoliberalismus mit noch mehr Neoliberalismus bekämpfen. Sei es auf dem utopischen Weg eines „inklusiven Neoliberalismus“, den die Arbeiterpartei PT predigt, sei es durch den Ultraneoliberalismus der Tucanos von der sozialdemokratischen PSDB oder von Bolsonaro. Das, worüber die Bourgeoisie streitet, ist die politische Form der Verwaltung der brasilianischen Krise. Wer wird das Gesicht der institutionellen, juristischen und kulturellen Ordnung sein, die die Neue Republik ersetzen, die endgültig zum Scheitern verurteilt ist? Aus unmittelbarer Perspektive stehen zwei Wege zur Auswahl. Seinen eigenen Worten zufolge bietet Lula Glaubwürdigkeit und Stabilität. Die Glaubwürdigkeit, von der er spricht, besitzt er nicht bei denen „oben“ – dort ist sie verloren gegangen – , sondern bei denen „unten“: Das, was Lula sagt, wird die Gesellschaft akzeptieren. Das heißt in anderen Worten, dass der Lulismus seine Kraft der Überzeugung und Neutralisierung des Volkes als Weg der Ordnung anbietet. Wenn Dilma Rousseff der Schatten Lulas war, dann präsentiert sich Fernando Haddad als der Avatar dieser Politik. Den entgegengesetzten und gleichzeitig komplementären Pol stellt Bolsonaro dar. Wie ist das zu verstehen? Bolsonaro ist die verängstigende Antwort einer verängstigten Gesellschaft. Wer ohne Arbeit ist, hat Angst vor dem Hunger und wer arbeitet, hat Angst vor der Arbeitslosigkeit. Alle haben Angst vor der Gewalt und außerdem vor der Polizei. In einem Kontext der Abwertung von kollektiven Formen des Kampfes verspricht Bolsonaro Ordnung durch Grausamkeit. So wie Trump in den USA, Erdogan in der Türkei, Modi in Indien, der Uribismus in Kolumbien oder der Faschismus in Italien – aktuell alle an der Macht.  Also ist Bolsonaro nicht allein: Es ist eine Tendenz, keine Abweichung. Zusammenfassend handelt es sich um unterschiedliche Wege, um die kolossale Krise Brasiliens zu verwalten: Die PT bietet die Ordnung durch Dialog, während Bolsonaro die Ordnung durch Prügel vorschlägt…“

„Endspiel um die Demokratie“ von Caren Miesenberger am 15. Oktober 2018 in neues deutschland externer Link berichtet über die Flut organisierter Gewalttaten von Bolsonaro-Banden und sieht die aktuelle Alternative so: „Denn Bolsonaro macht mit Hassparolen gegen Minderheiten mobil. Er sagte, dass er sich eher wünsche, dass sein Sohn bei einem Unfall stirbt, als dass er schwul sei. Dass er Abtreibung gemäß der aktuellen Gesetzgebung niemals legalisieren würde und dass seine Kinder sich nicht mit Schwarzen einlassen würden, weil sie dafür zu gut erzogen seien. Zu einer Politikerin meinte er, dass sie es nicht wert sei, vergewaltigt zu werden. Der Ex-Militär aus Rio de Janeiro blickt nostalgisch auf die Zeit der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 zurück. Falls er Präsident wird, will er politische Ämter mit Militärs besetzen. Ein Bruch in der brasilianischen Politik, deren höchste Vertreter sich bislang vehement von diesem gewalttätigen Kapitel der Geschichte ihres Landes abgrenzen. Die Chancen, dass Bolsonaro auch die Stichwahl am übernächsten Sonntag für sich entscheidet und dann Präsident der fünftgrößten Demokratie der Welt wird, stehen gut. (…) Angesichts der bevorstehenden Stichwahl wird nun selbst innerhalb radikaler linker Kreise für Haddad von der Arbeiterpartei mobil gemacht, obwohl die PT als umstritten gilt. Befürchtet wird, dass Bolsonaro die Demokratie ganz abschaffen könnte. Dann wären solche, auch tödlichen Angriffe nicht nur die Ausnahme, sondern quasi staatlich legitimiert…“

„Bolsonaro kündigt „Säuberungen“ an“ am 23. Oktober 2018 in der SZ Online externer Link vermeldet unter anderem: „In einer zehnminütigen Videoansprache, die er per Handy hielt, erklärte Bolsonaro am Wochenende seine Pläne für den Fall, dass er die Wahl am kommenden Sonntag gewinnt. Er drohte vor allem linken Politikern und Aktivisten. „Entweder gehen sie nach Übersee oder sie gehen ins Gefängnis“, so Bolsonaro. Explizit erwähnte er auch den früheren Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, der aufgrund einer Verurteilung wegen Korruption im Gefängnis sitzt und nicht kandidieren durfte. An ihn gerichtet sagte er: „Du wirst im Gefängnis verrotten!“ Auch andere Politiker der Arbeiterpartei wie Bolsonaros Stichwahlgegner Fernando Haddad werde er einsperren: „Haddad wird bald bei dir sein, aber nicht nur zu Besuch.“ Die bedrohliche Rede des Rechtsextremisten sorgte für Freude bei seinen Unterstützern und Entsetzen bei seinen Gegnern…“

„Brasilien: Konzernchefs drängen Angestellte zur Wahl Bolsonaros“ von Mario Schenk am 22. Oktober 2018 bei amerika21.de externer Link berichtet über die (wachsende Zahl von) Unternehmern, die die faschistische Kandidatur unterstützen und Druck für sie machen, beispielsweise so: „Die Geschäftsführung des Handelsunternehmens Havan mit 13.000 Mitarbeitern befragte vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl die Angestellten per Email nach ihrem Favoriten. Anschließend drohte auch der dortige Unternehmenschef mit Entlassungen jener, die nicht für „seinen Kandidaten“ stimmten, wie aus Dokumenten hervorgeht, die A Pública vorliegen. (…) Einige Fälle fielen auch unter illegale Wahlkampffinanzierung, da die organisierte Wahlwerbung offensichtlich nicht als Wahlkampfspende deklariert ist. Das brasilianische Gesetz verbietet die Finanzierung politischer Kampagnen durch die Privatwirtschaft. Das Bauunternehmen Mânica verteilte an die Angestellten T-Shirts mit dem Konterfei des Rechtsaußenkandidaten, mit dem sie auf Baustellen arbeiten sollten. Die Mânica-Leitung machte mit Fotos von den Aktionen Werbung über seine Kanäle in sozialen Medien. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben, dass es in mehreren Fällen „eine massive Beteiligung von Angestellten auf Demonstrationen für Jair Bolsonaro zu regulären Arbeitszeiten gab“. Die hohe Anzahl von Anzeigen gegen die Parteinahme der Firmen verdeutliche, dass es sich jeweils um keine freiwilligen Beteiligungen der Angestellten gehandelt hat…“

„Plataforma registra 133 casos de agressões de apoiadores de Jair Bolsonaro“ am 24. Oktober 2018 bei Brasil de Fato externer Link ist eine Meldung über die registrierten Klagen bezüglich gewalttätiger Angriffe von Bolsonaro-Banden im Laufe des Oktober 2018 – in 23 Tagen kamen 133 Fälle zur Anzeige, die Dunkelziffer kann nur geschätzt werden.

„Law enforcement agents raid union HQ and seize Brasil de Fato newspaper copies“ am 24. Oktober 2018 bei Peoples Dispatch externer Link ist die Meldung über die Durchsuchung der Gewerkschaftsbüros der Ölarbeitergewerkschaft im Bundesstaat Rio de Janeiro, inklusive der Beschlagnahme aller vorhandenen Exemplare der alternativen Zeitung Brasil de Fato.

„Desdoblamientos del Estado de excepción en Brasil“ von José Luis Ríos Vera am 23. Oktober 2018 im alainet externer Link ist ein ausführlicher Beitrag über die politische Situation, die durch den „legalen Putsch“ gegen die PT von 2016 geschaffen wurde und wie dieses Szenario, inklusive der verschiedenen Maßnahmen, die die Temer Regierung seit dieser Zeit getroffen hat (und ihre eigenen unendlichen Korruptionsaffären) dazu beigetragen haben, der politischen Rechten einen wesentlichen Vorsprung nicht nur im Wahlkampf zu geben. Die extreme Rechte, mit den regierenden konservativ-neoliberalen eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten hat – die gemeinsame Kampagne gegen die früher regierende sozialdemokratische PT ebenso, wie die damit verbundene antisoziale Gegenreform-Kampagne in der Gesetzgebung und den Einsatz der Armee im Landesinneren, als wesentlichste Beispiele.

b) Gründe für Bolsonaros Aufschwung

Wahlplakat in Brasilien gegen Bolsonazi „Warum wählt Brasilien rechtsextrem?“ von Niklas Franzen im Oktober 2018 bei der Rosa Luxemburg Stiftung externer Link beantwortet diese Frage unter anderem durch den Verweis auf die Entwicklung zur Amtsenthebung von Dilma Rousseff und vor allem dann während der Temer-Regierung ab 2016 und (beispielsweise) mit Bezug auf das Sicherheitsbedürfnis : „Vizepräsident Michel Temer von der Mitte-rechts-Partei PMDB (Partido do Movimento Democrático Brasileiro – Partei der Brasilianischen Demokratischen Bewegung) kam an die Macht. Mit Hochdruck setzt der selbst mit massiven Korruptionsvorwürfen konfrontierte Staatschef nun eine neoliberale Schockpolitik durch. Für die traditionelle konservative Elite sollte Temer als Steigbügelhalter dienen. Der Plan: den extrem unbeliebten Temer als Lückenbüßer nutzen, der mit einer brutalen Austeritätspolitik die Weichen für die Zukunft stellt, um anschließend mit einem bürgerlichen Kandidaten die Wahlen zu gewinnen und die PT in die Geschichtsbücher zu verbannen. Dafür musste nur noch die Politikone Lula aus dem Weg geräumt werden. Im Januar 2018 wurde der Ex-Präsident trotz dünner Beweislage in zweiter Instanz zu zwölf Jahren Haft verurteilt, im April inhaftiert und Anfang September definitiv von der diesjährigen Wahl ausgeschlossen. Eigentlich sollte nun der Weg für den Ex-Gouverneur von São Paulo, Geraldo Alckmin von der rechtsliberalen PSDB (Partido da Social Democracia Brasileira – Partei der brasilianischen Sozialdemokratie), frei sein. Doch dieser Teil des Plans ging nicht auf. Die bürgerlichen Traditionsparteien stürzten bei den Wahlen Anfang Oktober 2018 vollständig ab: Alckmin kam auf gerade einmal 4,8 Prozent der Stimmen. Aber auch andere Kandidaten der bürgerlichen Rechten wurden abgestraft, weil die konservative Elite mindestens genauso tief in die Korruptionsskandale verstrickt ist wie die Arbeiterpartei. Der gesamten politischen Klasse schlägt viel Wut und Ablehnung entgegen. Diese anti-politische Stimmung nutzt ein Mann geschickt aus: Jair Messias Bolsonaro. (…)Zur unheiligen Allianz Bolsonaros gehören auch WaffenlobbyistInnen, PolizistInnen und Militärangehörige. Mit seinem Ruf nach law and order trifft der Politiker einen Nerv. Brasilien durchlebt eine schwere Krise der öffentlichen Sicherheit, viele Städte versinken in Gewalt. Im vergangenen Jahr 2017 wurden mehr als 63.000 Menschen ermordet – so viele wie nirgendwo sonst auf der Welt. Die Mordrate ist mehr als 30-mal so hoch wie in Deutschland.  Auch in der Tourismusmetropole Rio de Janeiro nimmt die Gewalt zu und findet medial große Beachtung. Als Reaktion auf die zunehmenden Konfrontationen zwischen Polizei und Drogengangs ordnete Präsident Temer Anfang des Jahres per Dekret die Intervention des Militärs an. Seitdem liegt das Oberbefehlskommando der «Wunderbaren Stadt» bei den Streitkräften. Die Sicherheitslage hat sich seitdem jedoch nicht verbessert – im Gegenteil: Die kriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Drogenbanden haben in den letzten Monaten sogar noch zugenommen. Seinen traurigen Höhepunkt fand die Gewalteskalation Mitte März 2018, als die schwarze, linke Stadträtin Marielle Franco offenbar von rechten Milizen auf offener Straße ermordet wurde…

„Brasilien: Wie wurde das Bolsonaro-Monster geschaffen?“ von Gerardo Szalkowicz am 13. Oktober 2018 bei amerika21.de externer Link (Übersetzung Eva Haule) hebt zur Mutation Bolsonaros hervor: „Um diesen politischen Tsunami zu verstehen ist ein umfassender Blick weit zurück nötig. Oder zumindest ein Stück zurück. Ein Land, dessen Unabhängigkeit von einem portugiesischen Prinzen proklamiert wurde, das keine revolutionären Prozesse durchlebt hat, dessen letzte Diktatur 21 Jahre andauerte und ein ziemlich einvernehmliches Ende fand, hat historisch eine entpolitisierte Gesellschaft hervorgebracht. Aber dieses „anti-politische“ Gefühl hat sich in den vergangenen Jahren durch die Operation Lava Jato und die großen Medien verstärkt. Nach dem institutionellen Staatsstreich, mit dem im Jahr 2016 Dilma Rousseff abgesetzt wurde und der armseligen Amtsführung Michel Temers wurde die Fäulnis des politischen Systems offensichtlich und ein allgemeines Gefühl der Ablehnung der herrschenden Klasse setzte sich durch. Tatsächlich waren die hauptsächlich Abgestraften vom Sonntag die beiden wichtigsten Parteien des Establishment: die PSDB, deren Kandidat Geraldo Alckmin keine 5 Prozent erreichte1 und die PMDB Temers2, die Henrique Meirelles aufgestellt hatte und magere 1,2 Prozent bekam. Diese Entwicklung hatte als zentrales Element eine massive Kampagne der medialen und justiziellen Verteufelung der Arbeiterpartei (PT), die es ermöglichte, die Epidemie der Korruption einseitig mit dieser politischen Kraft in Verbindung zu bringen und die unrechtmäßige Haft und das Verbot der Kandidatur Lulas gesellschaftlich zu rechtfertigen. In dieser Situation taucht der unbekannte, ausgerastete Ex-Militär auf, der es schafft, die Implosion der rechten und Mitte-rechts Parteien, die Verfestigung der starken Anti-PT-Stimmung und die akute Wirtschaftskrise, die den Unmut noch steigerte, zu nutzen. Da die Politik die Leere verabscheut, erscheint Bolsonaro als der Kandidat „gegen das System“ – obwohl er selbst 28 Jahre lang Abgeordneter war – der verspricht, diese mehrdimensionale Krise mit der Kraft der harten Hand und messianischer Predigt zu lösen. Und vom kleinen Abgeordneten, der berühmt wurde, als er auf den Offizier seinen Eid schwor, der Dilma gefoltert hat, verwandelte er sich zum unheilvollsten Produkt dieser sterbenden Demokratie…“

„Bolsonaro’s Most Dangerous Supporters“ von Aldo Cordeiro Sauda und Benjamin Fogel  am 15. Oktober 2018 im JacobinMag externer Link ist ein Beitrag über die „gefährlichsten Unterstützer“ Bolsonaros – nach Ansicht der Autoren weder die Evangelikalen, noch die Agrarkapitalisten, sondern: Das Militär. Eine Armee, die nie wirklich für die Diktatur von 1964 bis 1985 zur Rechenschaft gezogen wurde sieht jetzt die Chance, endgültig „reingewaschen“ zu werden und das Heft des Handelns wieder zu übernehmen.

„Brasilien erhält die Quittung für jahrelanges Schweigen“ von Eliane Brum am 25. Oktober 2018 in SZ Online externer Link zur „Nicht-Vergangenheitsbewältigung“: „Ich habe ein paar Hypothesen zu dieser extremen Grenzsituation in Brasilien. Eine davon ist das Schweigen unserer jungen Demokratie über die Verbrechen der 21-jährigen Diktatur, die unser Land zwischen 1964 und 1985 unterdrückte. Um das Brasilien von heute verstehen zu können, sei daran erinnert, dass beim Übergang vom Regime der Notstandsverordnungen zur Demokratie das eigentlich Unannehmbare gebilligt wurde: Stillschweigen über die Verbrechen staatlicher Akteure an der Zivilbevölkerung. (…)Brasilien ist diesen Weg nicht gegangen. Nach 33 Jahren Demokratie können sich Folterer und Gefolterte nach wie vor in der Bäckerei an der Ecke begegnen. Die Quittung für dieses Schweigen erhält das Land jetzt, mit der Wahl eines Hauptmanns a. D., der die Meinung vertritt, dass die Diktatur „mindestens 30 000“ Menschen mehr hätte umbringen sollen…

„Cómo el discurso inconexo de Bolsonaro crea unidad contra un enemigo común“ von Rafael Tatemoto am 15. Oktober 2018 bei rebelion.org externer Link ist ein ins Spanische übersetzter Beitrag von Brasil de Fato, der sich mit der Frage der Wirkung von Bolsonaros Wahlkampagne befasst: Die von vielen Gegner geäußerte Kritik, seine Propaganda sei unzusammenhängend und widersprüchlich,  sei, so der Autor, gerade seine Stärke. Er, der als ursprünglicher Außenseiter auch wenig Fernsehzeit zugesprochen bekam, hat seinen Wahlkampf vor allem über die sozialen Netzwerke geführt und dort eben die verschiedenen Sektoren der Gesellschaft „bedient“., wie sie ihm entgegen traten. Mit dem „gemeinsamen Feind“ der Linken, die die Tradition zersetze.

„“Así como el PT no evaluó el antipetismo, nosotras no evaluamos el antifeminismo”“ am 24. Oktober 2018 im alainet externer Link, das Sally Burch mit der feministischen Aktivistin Sonia Correa geführt hat. Deren Grundthese wird bereits in dem Titel des Beitrags deutlich: So, wie die PT die Wirkung der (vor allem: Korruptions-) Propaganda gegen sie unterschätzt habe, so habe die feministische Bewegung die Wirkung der antifeministischen Propaganda unterschätzt, gerade jener Teile, die sich an die Frauen richteten.

„Brasil. Bolsonaro y la derrota cultural del progresismo“ von Aram Aharonian am 15. Oktober 2018 bei kaosenlared externer Link dokumentiert, ist ein Beitrag, in dem der explosionsartige Aufschwung Bolsonaros auf drei Faktoren zurückgeführt wird: Der Hass (auf die PT), die Frustration (von der korrupten herrschenden Klasse) und die kulturelle Niederlage der Linken – das Hauptthema – die in der erstaunlichen Wiederbelebung konservativer, traditioneller Werte bestehe, die keineswegs nur auf das Wirken der Pfingstkirchen zurück zu führen sei, sondern, oft genug auch in der Ablehnung der Kommerz-Mentalität begründet liege.

c) Die Mobilisierung der Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Linken zum zweiten Wahlgang

„Clima de virada: milhares de paulistanos vão às ruas por #HaddadSim“ am 24. Oktober 2018 beim Gewerkschaftsbund CUT externer Link ist ein Bericht vom Tage, von einer der vielen Demonstrationen am Mittwoch unter der Losung  „Ja zu Haddad“, hier eben in Sao Paulo. Diese Demonstration war groß, mit vielen Tausend Menschen, aber das waren am Wochenende auch die Demonstrationen für Bolsonaro. Insgesamt mobilisiert der der PT sehr nahe stehende, größte Gewerkschaftsbund des Landes unter der Losung „die Wende“ sei zu schaffen.

„Resolução: Agora é Haddad!“ am 11. Oktober 2018 beim Gewerkschaftsbund Intersindical externer Link ist die Resolution des Bundesvorstandes der linken Föderation nach dem ersten Wahlgang (bei der die Kandidatur von Guilherme Boulos von der PSOL unterstützt wurde) mit der zur Wahl des PT-Kandidaten bei der Stichwahl aufgerufen wird. Dabei wird in der Argumentation ein Schwerpunkt darauf gelegt, dass Bolsonaro an allen Gegenreformen der Temer-Regierung im Bereich Arbeitsrecht und Soziales aktiv beteiligt gewesen sei. Die Intersindical war die Föderation, die die meisten Anzeigen gegen Unternehmer organisierte, die die Belegschaften zur Stimmabgabe für Bolsonaro überreden oder zwingen wollten.

 „Entidades debatem que trabalhadores precisam derrotar Bolsonaro e todos que atacam direitos“ am 18. Oktober 2018 beim Gewerkschaftsbund CSP Conlutas externer Link ist ein Bericht über Aktivitäten vor Ort, mit denen der Beschluss der linken Föderation umgesetzt werden soll, dafür zu arbeiten, dass Bolsonaro nicht gewählt wird: Er und alle, die Arbeiterrechte angreifen, müssten besiegt werden, so der Tenor. Die Föderation ruft ausdrücklich dazu auf, gegen Bolsonaro zu stimmen (und nicht: Für Haddad, auch wenn das die praktische Konsequenz ist, weil sie alle Varianten neoliberaler Konzeptionen bekämpfe)

„Haddad é o candidato da classe trabalhadora, diz presidente interino da Força“ am 22. Oktober 2018 bei der Força Sindical externer Link ist die Dokumentation einer Erklärung des amtierenden Vorsitzenden des zweitgrößten (extrem sozialpartnerschaftlichen) Gewerkschaftsbundes Brasiliens, mit der zur Wahl der PT aufgerufen wird (bisher keineswegs eine Selbstverständlichkeit).

„Manuela d’Ávila: “Vamos virar votos e vencer a eleição!”“ am 24. Oktober 2018 bei der KP Brasiliens externer Link ist der Aufruf „zur Wende“ der Kandidatin zur Vizepräsidentin auf der Liste des PT Kandidaten – die Partei, die beim ersten Wahlgang einen relativ großen Zuwachs erzielen konnte, mobilisiert nahe liegender Weise genauso intensiv wie die PT.

„É hora de defender o Brasil – Vamos com Haddad e Manuela 13“ am 12. Oktober 2018 bei den Volksbrigaden externer Link ist der Aufruf, im zweiten Wahlgang für Haddad und d’Avila zu stimmen und steht hier als Beispiel für viele linke Gruppierungen, die nicht zum „PT-Konvoi“ gehören, sondern ihr seit langem kritisch gegenüber stehen, aber jetzt eben gegen Bolsonaro Stellung beziehen und mobilisieren. Dieses Beispiel ist aber auch deshalb interessant, weil es sich bei den Volksbrigaden um eine Gruppierung handelt, die im Gegensatz zu vielen anderen gerade in Armenvierteln Einfluss besitzt, den sie unter anderem durch langjährigen Einsatz rund um Wohnungsfragen gewonnen hat.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=139075
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