»
Brasilien »
»
»
Brasilien »
»
»
Brasilien »
»
»
Schweiz »
»

Der Einsatz von Pestiziden explodiert in Brasilien – dank der Geschäftemacher-Ideologie der Regierung

Dossier

Protest gegen Syngenta 2016 in der Schweiz„… In dem südamerikanischen Land werden mit circa 7,3 Litern jährlichem Pestizidverbrauch pro Kopf am meisten Schädlingsbekämpfungsmittel weltweit eingesetzt. In den vergangenen drei Jahren wurden unter den Regierungen der Präsidenten Michel Temer und Jair Bolsonaro zudem über 1.200 neue Pestizide zugelassen. Syngenta, weltweit Marktführer der Sparte chemische Pflanzenschutzmittel, erzielte 2018 über zehn Milliarden US-Dollar Umsatz und ist die einzige Firma überhaupt, die in Brasilien Profenofos-haltige Pestizidprodukte verkaufen darf. (…) Der Bundesrat räumte 2018 zwar ein, dass die Verwendung dieser Pestizide, insbesondere in Entwicklungsländern ernsthafte Gesundheits- oder Umweltprobleme verursachen kann, hielt jedoch ein Ausfuhrverbot für „nicht verhältnismäßig“. Man bevorzuge Maßnahmen, welche „die Wirtschaftsfreiheit weniger stark beschränken“…“ – aus dem Beitrag „Kritik an Export hochtoxischer Pestizide aus der Schweiz und der EU nach Brasilien“ von Ulrike Bickel am 19. Januar 2020 bei amerika21.de externer Link über einen der Profiteure von Bolsonaros Giftpolitik und seine einheimischen Unterstützer…

  • «Wenn es für die einen zu gefährlich ist, dann ist es das auch für alle anderen»: Kleinbauern in Brasilien erleiden Vergiftungen durch bei uns verbotenes Pestizid von Syngenta New
    „Als Brasilien das hochgiftige Paraquat verbot, wich die Landwirtschaft auf Diquat aus, ein Herbizid aus der gleichen chemischen Familie. Doch dieses Pestizid von Syngenta, das in der Schweiz und in der Europäischen Union verboten ist, bringt für Bauern und Bäuerinnen sowie Landarbeiter seine eigenen Probleme mit sich. (…) Postanovicz ist einer von immer mehr Bäuerinnen und Bauern, die im Bundesstaat Paraná, der wichtigsten landwirtschaftlichen Region Brasiliens und gleichzeitig dem grössten Nutzer des Herbizids, eine Vergiftung mit Diquat erleiden. Seitdem das berüchtigte Unkrautvernichtungsmittel Paraquat 2020 in Brasilien verboten wurde, ist der Einsatz von Diquat – einem engen chemischen Verwandten – in dem Land rapide angestiegen. Zwischen 2019 und 2022 schnellte der jährliche Diquat-Absatz in Brasilien von rund 1400 auf rund 24’000 Tonnen in die Höhe – ein Anstieg von 1600%.
    Eines der beliebtesten Produkte ist Reglone, ein Unkrautvernichtungsmittel von Syngenta, das 200 Gramm Diquat pro Liter enthält und das der Basler Konzern in seinem Werk in Huddersfield in England herstellt. Die Verwendung von Diquat ist in der Schweiz ebenso verboten wie in der gesamten Europäischen Union (EU), und das aufgrund eines «hohen Risikos» für Landwirt*innen und Menschen, die in der Nähe von damit behandelten Feldern leben. Syngenta verkauft das Herbizid jedoch weiterhin in Brasilien und vielen anderen einkommensschwächeren Ländern, wo die Risiken oftmals höher sind.
    Das Gesetz erlaubt dem Basler Chemieriesen sogar, das Herbizid weiterhin in Grossbritannien herzustellen und es in Länder mit weniger strengen Gesetzen zu exportieren, obwohl seine Verwendung auch auf britischem Boden verboten ist. Im vergangenen Jahr exportierte Syngenta mehr als 5000 Tonnen Diquat aus Grossbritannien, mit 2661 Tonnen ging mehr als die Hälfte davon nach Brasilien. Der Einsatz von Diquat ist in Paraná noch stärker angestiegen als in Brasilien insgesamt; mittlerweile verzeichnet der Bundesstaat auch einen Anstieg der Vergiftungsfälle. (…)
    Die allermeisten Fälle von Pestizidvergiftungen werden nicht gemeldet, sei es, weil in abgelegenen Gebieten die Gesundheitsversorgung nicht gewährleistet ist, oder aus Angst vor Repressalien seitens der Arbeitgebenden. «Diese Zahlen spiegeln nur einen Bruchteil der Realität wider», sagt Marcelo de Souza Furtado von der staatlichen Gesundheitsbehörde von Paraná. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation kommen auf jede registrierte Vergiftung 50 nicht erfasste Fälle. (…)
    «Ich wusste nicht, dass sie dieses Produkt in ihrem eigenen Land nicht einsetzen», sagt Darley Corteze, ein junger Landwirt aus Pérola d’Oeste ganz im Westen von Paraná. Corteze erlitt 2023 eine Vergiftung durch Reglone, als er auf den Sojafeldern rund um sein Elternhaus arbeitete. «Selbst verwenden sie das Produkt also nicht, produzieren es aber und schicken es zu uns nach Brasilien?», fragt er. «Dann setze ich das nur noch ein, wenn ich keine andere Option habe.» Auf Anfrage sagt ein Syngenta-Sprecher, dass die Bedürfnisse der Landwirtschaft weltweit unterschiedlich seien und der Einsatz von Agrochemikalien auf der Beurteilung der Risiken und Vorteile durch die nationalen Regierungen der jeweiligen Länder beruhe. (…)
    Diquat wurde in der EU, in der Schweiz und in Grossbritannien verboten, weil es ein «hohes Risiko» für alle Menschen darstellt, die in der Nähe der Felder, auf denen es versprüht wurde, wohnen und daran vorbeigehen. Die Behörden äusserten jedoch auch Bedenken hinsichtlich der Risiken für alle, die mit dieser Chemikalie arbeiten. In einer Simulation mit traktormontierten Sprühgeräten kam die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit zu dem Schluss, dass die Exposition der Arbeiter*innen den zulässigen Höchstwert um mehr als 4000% überschreiten würde – selbst beim Tragen einer persönlichen Schutzausrüstung. In Brasilien empfiehlt Syngenta den Personen, die Reglone verwenden, Schutzanzüge, chemikalienbeständige Stiefel und Handschuhe sowie Helm, Augenschutz und Atemschutzmaske zu tragen. Aber in den Kleinbetrieben sei man sich der Bedeutung der persönlichen Schutzausrüstung nicht immer bewusst, gibt Marcelo de Souza Furtado zu. Hitze und Feuchtigkeit erschweren die konsequente Verwendung zusätzlich. (…)
    Die berufsbedingte Exposition ist nicht die einzige Gefahr für Menschen, die mit gefährlichen Pestiziden arbeiten müssen. Allein die Verfügbarkeit und leichte Zugänglichkeit von giftigen Produkten in landwirtschaftlichen Regionen birgt Risiken. In den neun Jahren vor dem Paraquat-Verbot, zwischen 2010 und 2019, starben in Brasilien 138 Menschen im Land durch die Einnahme des Unkrautvernichters, wie eine Analyse der Bundesuniversität von Ceará ergab. Davon wurden 129 Fälle als Selbstmord eingestuft. Paraquat ist bereits in sehr geringen Mengen tödlich – ein einziger Schluck des Unkrautvernichters kann tödlich sein, und es gibt kein Gegenmittel. Dies macht es extrem gefährlich. Jetzt gibt es Anzeichen dafür, dass mit dem Ersatz von Paraquat durch Diquat auch Letzteres bei Suizidversuchen eingesetzt wird. Zwischen 2018 und 2022 wurden in Brasilien landesweit offiziell 36 Fälle von Diquat-Vergiftungen registriert. Fast die Hälfte davon, nämlich 17, waren Suizidversuche, von denen 4 tödlich verliefen. Die landesweiten Zahlen für 2023 liegen noch nicht vor. (…)
    «Brasilien hat mit tatkräftiger Unterstützung der Agrochemieunternehmen ein neues Pestizidgesetz verabschiedet, das die Zulassung und Verwendung von Pestiziden noch flexibler gestaltet», so Alan Tygel, Sprecher der brasilianischen Kampagne gegen Agrargifte. «Vor diesem Hintergrund müssen die europäischen Länder, die in ihrem eigenen Land verbotene Pestizide herstellen und nach Brasilien exportieren, Verantwortung übernehmen und aufhören, uns Produkte zu schicken, die für ihre eigene Bevölkerung zu gefährlich sind
    .»…“ Umfangreicher Artikel von Naira Hofmeister, Laurent Gaberell und Crispin Dowler von PublicEye externer Link am 16. Juni 2025 im untergrund-blättle.ch

  • „In der Schweiz verbotenes Pestizid verschmutzt brasilianisches Trinkwasser“ von Laurent Gabarell am 09. Januar 2020 bei Public Eye externer Link ist der im obigen Artikel angesprochene Bericht über die Auswirkungen der schweizerischen Wirtschaftsfreiheit, worin unter vielem anderen einleitend darauf hingewiesen wird: „… Sie dürften sich erinnern: Vor eineinhalb Jahren deckte Public Eye auf, welche Rolle ein hierzulande verbotenes, aus der Schweiz exportiertes Pestizid 2017 in einer Vergiftungswelle im indischen Yavatmal gespielt hatte. Nun belegen neuere Daten des Bundes, die Public Eye beim Bundesamt für Umwelt (BAFU) eingefordert hat, den Export einer weiteren höchst problematischen Substanz: Profenofos. Diesen der breiten Öffentlichkeit kaum bekannten Namen trägt ein höchst potentes Insektizid, das vor allem im Anbau von Baumwolle, Mais, Rüben, Soja, Kartoffeln und Gemüse verwendet wird. «Profenofos ist ein Organophosphat, wie Saringas», erklärt Nathalie Chèvre, Ökotoxikologin an der Universität Lausanne, gegenüber Public Eye. «Das sind Nervengifte.»…“
  • Demonstration gegen das Bayer_Monsanto_Gesetz in Buenos Aires am 15.11.2018„Über die Hälfte der pflanzlichen Lebensmittel mit Agrargiften belastet“ am 21. Dezember 2019 beim NPLA externer Link berichtet über die gesamten Ernährungsgefahren: „… Insgesamt 4.616 Proben von 14 Lebensmitteln pflanzlichen Ursprungs wurden analysiert. Diese stellen einen Querschnitt durch die Ernährung der brasilianischen Bevölkerung dar, zum Beispiel Reis, Salat, Karotten, Orangen, Tomaten und Trauben. Die Wissenschaftler*innen fanden in 51 Prozent der Proben gesundheitsschädliche Rückstände. Anvisa sammelte die Proben in Einzelhandelsläden aus 77 Städten in fast ganz Brasilien – nur der im Südosten gelegene Bundesstaat Paraná wollte sich nicht beteiligen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 23 Prozent der untersuchten Lebensmittel eine Konzentration an Agrargiften enthielten, die über dem von der Behörde selbst festgelegten Höchstwert liegt. Ein hohes Risiko für das Auftreten von Vergiftungssymptomen innerhalb von weniger als einem Tag wurde für 41 Proben ermittelt. Demzufolge droht bei einem von hundert untersuchten Lebensmitteln Schaden für die Gesundheit der Verbraucher*innen. Trotzdem hält Anvisa den Verzehr von Lebensmitteln in Brasilien insgesamt für unbedenklich. Von einem grundsätzlichen Risiko für die Gesundheit der Verbraucher*innen lasse sich nicht zwingend sprechen. Der Ingenieur Alan Tygel, Koordinator der Dauerkampagne gegen Agrargifte und für das Leben (Campanha Permanenen contra os Agrotóxicos e pela Vida), gibt jedoch zu bedenken, dass der Giftanteil der untersuchten Lebensmittel noch größer wäre, würde die Studie sich nicht auf 270 der 500 in Brasilien registrierten Agrargifte beschränken. Tygels Vorwurf: Die Behörde spiele die Risiken der Agrargifte herunter. „Es bereitet uns große Sorge zu wissen, dass die brasilianische Bevölkerung Tag für Tag vergiftete Lebensmittel, mindestens die Hälfte, isst.“ Schwer wiege auch, dass 1 Prozent der Lebensmittel gravierende Gesundheitsschäden hervorrufen könne. Ausgerechnet die für die Gesundheit der Bevölkerung zuständige Behörde aber verharmlose diese potenziellen Schäden. Die Behörde Anvisa sehe die Verwendung von Agrargiften offenbar als etwas ganz Normales an…“
  • „“Das Brasilien von BAYER. Das Brasilien von MONSANTO“ am 27. Mai 2018 bei KoBra externer Link dokumentiert die Rede des brasilianischen Aktivisten Alan Tygel zwei Tage zuvor auf der Bayer Hauptversammlung, worin unter anderem darauf hingewiesen wird: „… Aus der Sicht von BAYER ist Brasilien ein sehr vielversprechendes Land. Brasilien ist das Land, das am meisten Agrargifte verbraucht, und dies weltweit. Und Brasilien ist das Land, das das größte Wachstum beim Verkauf von Agrargiften verspricht. In Brasilien war BAYER im Jahr 2014 die Firma, die am zweitmeisten Agrargifte verkaufte. Nach dem Kauf von MONSANTO wird BAYER auf Platz 1 landen, mit einem Marktanteil von rund 23 Prozent. Und Brasilien hat die weltweit zweitgrößte Anbaufläche von gentechnisch modifizierten Saatguts. Im Gegensatz zum Land mit dem weltweit größten Flächenanbau gentechnisch veränderter Pflanzen – den USA – hat Brasilien aber noch Platz beim Baumwollanbau. Hinzu kommt, dass die für die Registrierung gentechnisch veränderter Pflanzen zuständige Behörde, die CTNBio, in Fragen Anbaugenehmigungen für neue transgene Kulturen sehr unternehmenfreundlich die Bewilligungen ausstellt. So wird es wenig wundern, wenn in Kürze 2 Millionen Hektar Land für den transgenen Reisanbau freigegeben werden. Das ist das Brasilien von BAYER. Das ist das Brasilien von MONSANTO. Es gibt aber auch ein anderes Brasilien. Das Brasilien, wo ich wohne. Das ist das Land der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, das Land der Diversität der Nahrungsmittel, das Land des Manioks und des einheimischen Mais. Es ist dieses Brasilien, wo unsere ‘Permanente Kampagne gegen Agrargifte und für das Leben’ die Stimmen von Millionen von Menschen zu einer Stimme vereint. Und diese Stimme sagt „Nein!“ zu Agrargiften und zu transgen modifizierten Pflanzen und Saatgut. Und diese Stimme sagt „Ja!“ zum Aufbau einer Bewegung hin zur Agrarökologie. In dem anderen Brasilien sind es jedes Jahr 6.000 Menschen, die wegen Intoxikation durch Agrargifte medizinisch behandelt werden müssen…“

Siehe auch von 2018: Syngenta-Miliz schiesst: Ein Todesopfer

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=161569
nach oben