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In Argentinien wird Solidarität mit der Landbesetzung von Guernica organisiert – der juristisch festgelegte Zeitrahmen für die Räumung ist die zweite Oktoberhälfte

Solidemo in Buenos Aires mit der Landbesetzung in Guernica,,… Am selben Tag fand ein Treffen mit den Anwält*innen der Familien, sozialen Organisationen, die die Besetzung begleiten, Vertreter*innen der Provinzregierung, wie dem Minister für Gemeindeentwicklung Andrés Larroque, und dem Sekretär für den Zugang zu Lebensraum Rubén Pascolini statt. Die Vorschläge der Regierung basieren auf dem „friedlichen Auszug“ der Familien. Danach erst soll eine Lösung präsentiert werden. Die Vertreter*innen der Besetzung hingegen fordern garantierten Wohnraum und Land und argumentierten, dass die Betroffenen nirgendwo hinkönnen. (…) Während der mehr als zweimonatigen Besetzung gab es laut Berichten der Familien mehrere Angriffen durch Polizei und bewaffnete Gruppen sowie direkte Schikane durch Regierungsbeamte, die versuchten, eine „friedliche Lösung“ auszuhandeln. Bei einer Volkszählung, die zu Beginn der Besetzung durch die Regierung durchgeführt wurde, wurden Ausweisdokumente und Telefonnummern der Besetzenden gesammelt und anschließend Hunderte Strafanzeigen wegen „widerrechtlicher Aneignung“ gestellt. In einem der ersten Versuche eines Dialogs zwischen der Provinz und den Familien erklärte Blanca Cantero, Bürgermeisterin der Gemeinde Presidente Perón, in der Guernica liegt, im Interesse der achtzehn Countries zu handeln, die um das besetzte Gebiet herum liegen. „Die Justiz beschleunigte den Prozess der Zwangsräumung, unterstützt vom politischen Flügel, der eigentlich eine ernst zu nehmende Lösung des Problems bieten sollte“, berichtet Ignaszewski. „Sie hätten die lange Zeit nutzen können, um die von uns vorgestellten Lösungen zu analysieren, um den Konflikt zu lösen, und das haben sie nicht getan.“ Dem Aufschub der Räumung ging die Vorlage eines Urbanisierungsplans voraus, den der Anwaltsverband erstellt hatte. Der Plan sah die Nutzung eines Teils des Territoriums für die Urbanisierung und Unterbringung der Tausenden von Menschen vor, die heute in Zelten und improvisierten Baukonstruktionen leben. „Wir haben mit diesem Vorschlag gezeigt, dass es möglich ist, den Konflikt auf einfache Weise, ohne Gewalt und ohne Anwendung des Strafgesetzbuches zu lösen“, sagt Soares, einer der Verantwortlichen für das Projekt…“ – aus dem Beitrag „2.500 Familien droht Zwangsräumung“ von Fernanda Paixao am 14. Oktober 2020 beim NPLA externer Link zur aktuellen Situation in Guernica. Siehe dazu  drei weitere aktuelle Beiträge über die Solidaritätsarbeit und die Reaktionen der politisch Verantwortlichen, sowie einen Hintergrundbeitrag zu städtischen Landbesetzungen in Argentinien – und den Hinweis auf unseren ersten Bericht zu Guernica:

  • „Desde este jueves al viernes 30, «Guernica somos tod@s»: No al desalojo“ am 14. Oktober 2020 bei Resumen Latinoamericano externer Link ist ein Bericht über die Organisation von Solidarität in dem nun „im Raum stehenden“ Räumungszeitraum 14. – 30. Oktober 2020. Darin wird nicht nur berichtet, wer wie diese nötige Solidarität organisiert, sondern auch die – angeblich progressive peronistische – Regionalregierung – die unterstrichen hat, jetzt sei es an der Zeit, dass die Gerichte entscheiden. Dass auch der argentinische Präsident Fernandez zum „Fall“ Guernica schweigt – obwohl an ihn ein Offener Brief gerichtet wurde – wird darin ebenfalls kritisch hervor gehoben…
  • „„Hier atmen wir den Kampf“ – Landbesetzungen in Argentinien“ von Ines In am 15. Oktober 2020 bei Klasse gegen Klasse externer Link zu den Schwierigkeiten der Solidarität unter anderem: „… Im Fokus der Besetzungen steht seit fast zwei Monaten Guernica – eine Kleinstadt im Großraum Buenos Aires, die in etwa 45 Kilometer von der Metropole entfernt ist. Am Stadtrand haben ca. 2.500 Familien Häuser gebaut, aus allem, was sie noch hatten oder gefunden haben. Inzwischen ist die Besetzung zu einem eigenen Viertel geworden. Genauer gesagt sind es sogar vier, in denen die 10.000 Menschen, von denen 3.000 Kinder und Jugendliche sind, leben. Eine Erhebung ihrer Daten hat ergeben, dass die meisten von ihnen informell arbeiten oder arbeitslos und viele (alleinerziehende) Frauen sind, die vor patriarchaler Gewalt fliehen mussten. Wem die Ländereien gehören, ist unklar. Obwohl kein Eigentumsnachweis vorgelegt werden konnte, bereitet die vermeintlich progressive Regierung unter Präsident Alberto Fernández (Frente de Todos) eine Räumung des Geländes vor. Das ist insofern nicht verwunderlich, dass die einzige Reaktion seitens Justiz und bürgerlicher Politik seit Wochen aus Kriminalisierung, Stigmatisierung und der Räumungsdrohung besteht. Deren Datum wurde als Produkt des anhaltenden Widerstands seitens der Besetzer:innen sowie solidarischen, linken Parteien, Menschenrechtsorganisationen und Einzelpersonen bereits zwei mal verschoben. Nichtsdestotrotz sollen die Bewohner:innen der Viertel ab heute, dem 15. Oktober, abtransportiert werden – wenn nötig mit Gewalt. (…) Der Ausgang des Kampfes um das offensichtlicherweise niemandem gehörenden Gebiet am Stadtrand Guernicas, das aber zweifelsohne Spekulationsobjekt ist, wird die politische Situation der nächsten Monate bestimmen. Eine Niederlage würde die Bosse darin bestärken, Arbeits- und Lebensbedingungen weiterhin und wahrscheinlich sogar noch stärker zu beschneiden. Ein Triumph hingegen würde die gesamte Arbeiter:innenklasse stärken. Er würde ein Beispiel dafür setzen, dass kämpfen sich lohnt. Dass wir, die Klasse, die von unserer Arbeit lebt, Angriffe erfolgreich abwehren können und die Erkenntnis mit sich bringen, dass uns das nur vereint gelingt. Hand aufs Herz. Das Fünftel der Bevölkerung, das hinter Guernica steht, ist nicht viel. Doch auch wenn es nicht einfach ist, gegen den Strom zu schwimmen, gilt es, nicht aufzugeben...“
  • „40 Jahre Landbesetzungen in Argentinien“ von Raul Zibechi am 06. Oktober 2020 beim NPLA externer Link skizziert diese Geschichte und ordnet Guernica darin ein: „… Die organisierten Landbesetzungen von urbanen Gebieten und stadtnahen Regionen nahmen ihren Anfang während der argentinischen Militärdiktatur (1976 bis 1983). Die Landbesetzungen waren die Folge der systematischen Vertreibung der armen Bevölkerung aus den Elendsvierteln von Buenos Aires. Ziel war es, weitläufige Grundstücke in zentraler Lage als lukrative Immobilien anzubieten. Der Priester Raúl Berardo, der selbst die ersten Besetzungen unterstützte, erläutert den Prozess der Landübernahme genauer. Die ersten Landübernahmen ereigneten sich zwischen September und November 1981 in Quilmes und Almirante Brown. Sie bildeten den Ursprung von sechs Stadtvierteln in Buenos Aires: La Paz, Santa Rosa de Lima, Santa Lucía, El Tala, San Martín y Monte de los Curas. An diesen Landübernahmen beteiligten sich 4.500 Familien und rund 20.000 Personen und besetzten ein Gebiet von insgesamt 211 Hektar. „Damals sprach man nicht von Landbesetzungen, sondern von Siedlungen, in Anlehnung an das jüdische Volk, das der Sklaverei des Pharaos entkommen war und das Rote Meer durchquert hatte, um sich anschließend in der Wüste „anzusiedeln“. Danach fand es Zuflucht im Gelobten Land“, erklärte Priester Berardo während eines langen Gesprächs in seinem Haus im Winter 2002. (…) Die vertriebenen Gemeinden leben noch heute in den von ihnen gründeten Siedlungen, diese sind jedoch immer weiter vom Stadtzentrum entfernt. Ein aktuelles Beispiel ist das Viertel Guernica im Süden der Region Buenos Aires. Seit Juli dieses Jahres haben sich dort etwa 2.500 Familien niedergelassen und leben unter prekären Bedingungen. Den Familien fehlt das Geld, um die Miete in der Stadt zu bezahlen. Gleichzeitig versucht die Bezirksverwaltung, das Gebiet zu räumen; zudem verüben private Gruppen immer häufiger gewalttätige Übergriffe auf die Landnehmer*innen. Die Bevölkerung wächst und die Gemeinden vergrößerten sich, sodass sich die Siedlungsgebiete immer weiter außerhalb der Stadt verlagern. Gleichzeitig werden zunehmend neue Sozialpläne entwickelt, von denen mehr und mehr Menschen profitieren sollen. Dennoch steigen die strukturelle Armut und die Ausbeutung der Bevölkerung durch das neoliberale Wirtschaftssystem. Vor diesem Hintergrund kann es keine Lösung geben. Die Mittelklasse und Oberschicht sowie der rechte Flügel und seine Anhänger*innen agieren dagegen zunehmend reaktionärer, feindlicher und skrupelloser, wenn es darum geht, ihren Reichtum zu verteidigen und die soziale Ungleichheit aufrechtzuerhalten, von der sie selbst profitieren…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=179625
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