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Alltag in Argentinien

Artikel von Gaby Weber, Buenos Aires, 22.01.2014

Jetzt hat es mich auch erwischt. Wochenlang habe ich die Meldungen gelesen, wie ganzen Stadtvierteln in Buenos Aires tage- und wochenlang der Strom abgeschaltet wurde, und das bedeutet nicht nur, dass die Eisschränke und Gefriertruhen ihren Geist aufgeben und ihr Inhalt im Mülleimer landet. Viel schlimmer ist, dass in den mehrstöckigen Gebäuden das Wasser nicht mehr aufs Dach gepumpt wird und dann in die Wohnungen kein Wasser mehr gelangt. Dann fallen nicht nur die Duschen, Wasch- und Spülmaschinen aus. Die Toiletten sind nicht mehr zu benutzen, und wer sich trotzdem auf den trockenen Topf setzt, verpestet das Ambiente und verstopft die Rohre. Noch wird von keinen Seuchen berichtet, aber die Temperaturen erklemmen gefühlte 40 Grad – die Situation ist alles andere als unter Kontrolle.

Ich bin ins Hotel umgezogen, wo ich über Internet und Klospülung verfüge, die meisten können das nicht. Krankenhäuser nehmen nur absolute Notfälle auf, und oft funktionieren dank einiger Notaggregate nur die OP´s, aber nicht mehr die Röntgen- und Tomographie-Geräte. Die Feuerwehr muss alte Leute aus den oberen Stockwerken heruntertragen, und wie Diabetiker ihr Insulin ohne Kühlschrank aufbewahren sollen – dazu schweigen sich die Zeitungen aus, sie berichten lieber auf vielen Seiten über volle Strände und ausgebuchte Hotels an der Atlantikküste. Wer nicht dem Beton der Hauptstadt entgehen kann und von den Stromausfällen betroffen ist, versammelt sich hilflos auf der Strasse. Mal werden Autobahnen von empörten Anwohnern tagelang gesperrt, aber der Regierungspalast wird nicht gestürmt, die Innenstadt ist ruhig, obwohl auch das Geschäfts- und Regierungsviertel nicht verschont bleibt. Man wundert sich kaum noch, wenn sich der Minister für Energie zwar nicht in der Öffentlichkeit sehen läßt sondern vielmehr auf dem Golfplatz, der Bürgermeister von Buenos Aires unterbrach seinen Urlaub nur unter Protest für ein paar Stunden, und die Präsidentin Cristina Kirchner hat sich seit Wochen nicht mehr zu Wort gemeldet. Erst war sie im Krankenhaus, angeblich wegen eines Blutgerinsels im Kopf, dann kam sie frisch geliftet zurück und liess sich mit einem weissem Pudel, mit dem Gesichtsausdruck eines kleinen Mädchens, fotographieren und fuhr wieder in den Süden, zum Ausruhen. Die – wenn man das so nennen kann – „Regierungsgeschäfte“ übernimmt seitdem ein Gouverneur aus dem Chaco, der bislang durch seine Korruptionsaffären, seiner Brutalität gegenüber der indigenen Bevölkerung und seiner Bereitsschaft, eine US-Militärbasis im Chaco einzurichten, bekannt geworden war.

Derweil wurden in Córdoba und im Großraum der Hauptstadt Supermärkte geplündert, nachdem sich die Polizei in der Kaserne verschanzt und höhere Gehälter gefordert hatte – vierzehn Tote soll es gegeben haben, wahrscheinlich mehr. In einigen Supermärkten der Vorstadt tragen die chinesischen Kassierer Revolver am Gürtel. Den Leuten reicht es nicht zum Leben, trotz Preisabsprachen galoppieren die Preise dramatisch, ebenso der Kurs des Parallel-Dollars. Die Regierung fälscht notorisch die Statistiken über die Inflation, vermutlich, um die Lohnforderungen der Gewerkschaften niedrig zu halten. Aber die tägliche Erfahrung ist eine andere.

Die Plünderungen belegten nur einen Tag lang die Titelseiten, dann meldeten sich die mit der Kirchner-Regierung verbündeten (früheren) Menschenrechtsaktivisten zu Wort: Estela de Carloto (Grossmütter vom Maiplatz) wertete die 14 Toten ab und meinte, man solle mal untersuchen, um was für Leute es sich gehandelt habe und wer hinter den Protesten stünde. Hebe de Bonafini, Madre de Plaza de Mayo, hielt den gegen die Stromausfälle protestierenden entgegen, dass viele Menschen auf der Welt überhaupt keinen Zugang zu Strom haben und dass sie übertreiben würden.

Eigentlich ist Argentinien mit natürlichen Reichtümern gesegnet, es könnten Wind- und Solarenergie genutzt, Staudämme gebaut werden. Doch dies würde langfristige Investitionen bedeuten, und Politik wird maximal bis zum Ablauf der Legislaturperiode gemacht. Stattdessen werden die Reserven der Zentralbank geplündert, um Flüssiggas teuer einzukaufen. Und nach Patagonien hat die nunmehr wieder staatseigene nationale Erdölfirma YPF die US-amerikanische Chevron eingeladen, zum fracking. Ausgerechnet Chevron, die historischen Feinde des Peronismus seit den vierziger Jahren, die im eigentlich verbündeten Ekuador extreme Umweltschäden verursachte haben und mit einer Milliardenstrafe belegt worden sind, die sie nicht bezahlen wollen.

In der argentinischen Öffentlichkeit wird der Ruf nach „Nationalisierung“ der in den neunziger Jahren privatisierten Energiekonzerne laut. Hat nicht Cristina Kirchner die spanische Erdölgesellschaft Respol enteignet, entschädigungslos, mit der Fahne der „nationalen Souveränität“ in der Hand? Das kommt beim peronistischen Fussvolk gut an. Am Ende wird man den Spaniern natürlich Entschädigungen zahlen, weil sich die Regierung weiterhin den internationalen Schiedsgerichten der Finanzwelt unterwirft.

So läuft das in Argentinien. Man privatisiert mit dem Argument, dass nur die Privaten modernisieren können, die heruntergekommenen Staatsbetriebe, dann pressen die neuen Besitzer zwanzig Jahre jeden nur möglichen Profit heraus und investieren, dank mangelnder Kontrollen, keinen Peso, und am Ende übernimmt der Staat wieder den heruntergekommenen Laden, gegen Entschädigung, um Milliarden in die Modernisierung zu stecken. Ein Teufelskreis.

Morgen soll ich übrigens wieder Strom haben, und dann wird auch das Wasser wieder in Bäder und Toiletten fliessen. Dann werde ich erstmal die verschimmelten Lebensmittel aus dem Gefrierfach holen und putzen. Und hoffen, dass es mich so schnell nicht wieder trifft.

Schöne Grüsse aus Buenos Aires, Gaby Weber

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=51384
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