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Argentinien in der Epidemie-Krise: Kooperatives Labor «Farmacoop» ist eine der sozialen Reaktionen

Kooperatives Labor «Farmacoop» in Argentinien„… Edith Pereyra hätte nie gedacht, dass sie einmal zur Fabrikbesetzerin werden würde. Mehr als 30 Jahre arbeitete die 56-Jährige in einem Pharmalabor in Buenos Aires, stand am Band, reinigte das Labor und die Maschinen. Als das Labor 2016 Pleite ging, hatte sie schon mehrere Monate kein Gehalt mehr bekommen. Gerade mal vier Monate lang bekam sie Arbeitslosenhilfe – obwohl ihr eigentlich sehr viel mehr zustand. Doch sie erfuhr: «Der Firmenchef hatte schon lange keine Steuern bezahlt, keine Sozialabgaben, nichts. Er hat nur Geld eingesteckt für sich und uns gesagt, es reiche nicht, um die Löhne zu bezahlen. Es war eine Lüge. Und wir arbeiteten so hart für das Unternehmen, um es zu retten. Ich habe viel geweint», sagt Pereyra. Die Belegschaft besetzte das Trottoir vor der Fabrik, suchte sich einen Anwalt, sprach immer wieder beim zuständigen Staatsanwalt vor. Bis zur guten Nachricht dauerte es jedoch drei Jahre, als ein Richter ihnen 2019 Recht gab: «Wir dürfen das Labor in Eigenregie weiter betreiben», erklärt Pereyra, heute eines von 122 Mitgliedern der Kooperative «Farmacoop». Präsident und Verwaltungsrat werden alle drei Jahre gewählt und treffen die Entscheidungen. Die Firma gehört jedoch allen zu gleichen Teilen. «Wir verdienen alle das gleiche und fassen mit an, auch der Präsident der Kooperative», erklärt Pereyra. Geplant war ursprünglich auch, als Kooperative Medikamente herzustellen – doch in der Pandemie lassen die Genehmigungen auf sich warten. Also produzieren Pereyra und ihre compañeros derzeit 70-prozentigen Alkohol...“ – aus dem Video- und Foto-Bericht „Firma pleite? Weitermachen!“ von Karen Naundorf am 11. Januar 2021 beim SRF externer Link über neue Kooperative in Argentinien – siehe dazu:

  • Schnelltests aus der Kooperative New
    Vor fünf Jahren ging Roux-Ocefa pleite. Doch das war nicht das Ende von Argentiniens bedeutendstem Pharmaunternehmen. Heute betreiben es über 100 Beschäftigte in Selbstverwaltung. (…) Das Werk in der Straße Piedra Buena ist eines von zwei Standorten. Der andere ist fünf Kilometer entfernt in der Straße Medina. 1935 hatte Julián Augusto Roux die Serumfabrik Roux-Ocefa gegründet. 1912 war der in Paris geborene Roux nach Buenos Aires gekommen. Im Laufe der Jahre entwickelte sich die Fabrik zum bedeutendsten Pharmaunternehmen Argentiniens. Auf den beiden fußballplatzgroßen Werksgeländen waren zeitweise bis zu 500 Menschen beschäftigt. Über 100 Medikamente oder medizinische Vorprodukte wurden hier hergestellt, auch für den Export. 1975 starb der Gründer. Die Firma blieb im Familienbesitz. (…) »Die Alten erzählen, dass alles vor etwa zehn Jahren begann: weniger Produktion, schlechte Wartung, keine Ersatzteile, alles wurde nur noch notdürftig repariert«, sagt er. Dann blieben Ende 2015 die Löhne aus und das Unternehmen häufte Schulden an. Ein Jahr später konnte es die Verbindlichkeiten von rund 50 Millionen Dollar nicht mehr bedienen und meldete Konkurs an, schildert Di Mauro den Abstieg des Traditionsunternehmens. »Ja, auf einmal kam der Lohn nur noch in Raten oder gar nicht«, bestätigt Edith Pereyra. »Zusatzleistungen wie Weihnachtsgeld wurden ganz gestrichen, Beschäftigte ohne Abfindungen entlassen.« Die Arbeitenden widersetzten sich und schlugen die Gründung einer Genossenschaft vor. Doch die Gewerkschaftsvertretung präsentierte einen Investor, der den Betrieb übernehmen sollte. Als sich schließlich alle Beschäftigten auf der Straße vor den Werkstoren wiederfanden, spaltete sich die Belegschaft. Der größere Teil wollte mit einem neuen Investor weitermachen, den die Gewerkschaft vorgeschlagen hatte. Doch statt zu investieren, wurde mit dem Leerräumen der Fabrik begonnen. »Zu fünft hatten wir hier unten vor dem Werkstor in einem Zelt angefangen Wache zu halten«, erzählt Bruno Di Mauro. Mal waren es 20, mal 30 Kolleg*innen. Zwei Jahre verharrten sie in wechselnden Schichten im Zelt auf dem Gehweg vor dem Tor, um »aufzupassen, dass sie nicht die Maschinen wegschleppen«. Unterstützung erfuhren sie von den Nachbarn im Stadtviertel. Die Gewerkschaft wandte sich komplett ab. Um finanziell mehr schlecht als recht durchzuhalten, wurden Solidaritätsfestivals organisiert. Schließlich gründeten sie eine Kooperative und nahmen das juristische Tauziehen auf, um wieder ins Werk zu kommen. (…) Eigentümerin der beiden Standorte ist die Kooperative nicht, aber ihr gehören die Nutzungsrechte für das Firmengelände mit allem, was darauf steht. Und sie besitzt die Markenrechte und Produkte der ehemaligen Roux-Ocefa. Angefangen wurde mit 50 Mitgliedern, heute gehören der Kooperative etwas mehr als 100 Mitglieder an. Das Gesetz verlangt die Wahl eines Vorsitzenden, eines Sekretärs und eines Schatzmeisters. »Dem Gesetz ist damit Genüge getan, die Entscheidungen treffen wir auf den Mitgliederversammlungen«, sagt Pereyra. Alle erhalten den gleichen Lohn. Der ist das Gegenteil von üppig, umgerechnet knapp 100 Euro im Monat. Dazu kommen monatlich 100 Euro Soziallohn, der vom Ministerium für soziale Entwicklung zugezahlt und den Kooperativen gewährt wird. (…) Das Ziel bleibt die Herstellung von Medikamenten. Zwei Projekte sind weit fortgeschritten: die Wiederaufnahme der Produktion der in Argentinien legendären Handcreme Auqualane sowie des Nasensprays Nasilon. »Labore und Fertigungsanlagen sind komplett eingerichtet«, bestätigt Produktionsleiterin Edith Pereyra. »Was jetzt noch fehlt, sind die Zulassungsbescheinigungen der Arzneimittelbehörde. Dann sind wir weltweit das erste wiedererlangte Pharmaunternehmen, das Arzneimittel herstellt.«“ Artikel von Jürgen Vogt vom 16.04.2021 im ND online externer Link
  • «Farmacoop» auf Twitter externer Link und deren Homepage externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=184991
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