»
Argentinien »
»
»
Argentinien »
»
»
Argentinien »
»

Streik v.a. der Frauen im Krankenhaus in Neuquén/Argentinien gegen Sparmaßnahmen in der Pandemie – mit breiter gesellschaftlicher Unterstützung

Dossier

Streik v.a. der Frauen im Krankenhaus in Neuquén/Argentinien gegen Sparmaßnahmen in der Pandemie - #YoApoyoLALuchaDeSaludWir arbeiten unter Bedingungen der Überforderung und der Übermüdung. Wir mussten den täglichen Betrieb aufrechterhalten, mit fehlenden Materialien und rudimentärer Ausrüstung.“ Seit Anfang März 2021 streikt die Belegschaft des Krankenhauses Centenario in der argentinischen Stadt Neuquén gegen geplante Sparmaßnahmen. Die Frauen stehen dabei an vorderster Front. Sie kämpfen gegen sich verschlechternde Arbeitsbedingungen und versuchen die in der Pandemie wegbrechende Kinderbetreuung aufzufangen. Das Angebot des Gouverneurs Gutiérrez vom 14. April, einen Bonus von 30.000 Pesos (270 Euro) zu zahlen, lehnten die Beschäftigten ab und streiken weiter, mit tatkräftiger Unterstützung der Bevölkerung externer Link. Studierende haben Interviews mit den streikenden Arbeiterinnen gemacht: „Untergehakt und gemeinsam mit ihren Gefährtinnen halten sie den Drohungen der Polizei und der gewalttätigen Banden stand und ihre Stimmen erklingen in den Megaphonen mit einer Kraft, die alle infiziert, die sie begleiten.“, schreiben die Studierenden externer Link. Wir veröffentlichen das Interview mit einer Sozialarbeiterin.“ Video bei labournet.tv externer Link (cast. mit dt. UT | 4 min | 2021) – siehe einige Links zu Hintergründen (spanisch) und nun einen umfangreichen Überblick „Pflegeaufstand in Neuquén“ und aktuelle Infos:

  • Festeinstellung statt Entlassung – ein neuer Erfolg der selbstorganisierten Gesundheitsarbeiter*innen in Neuquén nach fast zwei Monaten „Pflegeaufstand“ New
    Nach fast zwei Monaten „Pflegeaufstand“ hatten die Autoconvocadas, die selbstorganisierten Arbeiter*innen des Gesundheitsbereichs in der argentinischen Provinz Neuquén, Ende April diesen Jahres nicht nur 53 Prozent Lohnsteigerung erkämpft, sondern auch die Zusicherung, dass die prekär angestellten Kolleg*innen festeingestellt werden. Nun machten die Arbeiter*innen des Hospital Castro Rendón, des größten Krankenhauses in der Provinzhauptstadt Neuquén öffentlich, dass mehr als 30 Kolleg*innen aus verschiedenen Berufsgruppen ab dem 31. August nicht mehr weiter beschäftigt werden sollten. Sie beriefen eine Versammlung ein, organisierten Treffen von Delegierten aus den verschiedenen Bereichen des Krankenhauses, informierten die Medien der Region und demonstrierten am 31. August im Rahmen eines unangekündigten Streiks vor dem Krankenhaus. Die Provinzregierung traf sich daraufhin mit der Führung der Gewerkschaft ATE, um die Umsetzung des Abkommens vom April zu diskutieren. Die angekündigten Vertragsbeendigungen wurden zurückgenommen. In weniger als 72 Stunden haben die Elefanten, wie die selbstorganisierten Gesundheitsarbeiter*innen seit dem Aufstand genannt werden, die Festeinstellung ihrer prekären Kolleg*innen erreicht. (Quelle: span. Bericht mit Fotos vom 31.8.21 bei La Izquierda Diario externer Link), siehe einen weiteren Bericht dazu:

    • Gegenüber der lokalen Tageszeitung Río Negro erklärten die Autoconvocadas, dass die prekär Beschäftigten weiter gebraucht würden für die Betreuung von Patient*innen, deren Operationen wegen der Pandemie verschoben wurden. Von den 1300, die während der Pandemie in der Provinz Neuquén eingestellt wurden, seien nur 500 übernommen worden. Die übrigen wüssten immer noch nicht, ob ihre Verträge verlängert würden. Dies war aber in dem Abkommen mit der Gewerkschaft ATE im April zugesagt worden. Als Grund für die nun angekündigte Beendigung der Verträge wurde angeführt, die Betreffenden seien als Ersatz für Kolleg*innen eingestellt worden, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe nicht weiter im Krankenhaus arbeiten konnten. Durch das Fortschreiten der Impfkampagne könnten diese nun an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Die Krankenpflegerin Yanina Saldía aus dem Hospital Castro Rendón wies jedoch darauf hin, dass es dort einen chronischen Personalmangel gebe, der durch die Pandemie noch deutlicher zutage getreten sei. Bei den aktuell sinkenden Infektionszahlen würden wieder mehr Patient*innen ins Krankenhaus kommen, die ihre Behandlungen wegen der Pandemie verschoben hatten. (Quelle: (span.) Beitrag vom 30.8.21 bei Río Negro externer Link)
  • Pflegeaufstand in Patagonien: Gesundheitsarbeiter*innen in Südargentinien erkämpfen kräftige Lohnerhöhungen – und wollen mehr 
    „… Die Streikenden betonen, dass sie ohne die enorme Unterstützung der Bevölkerung nie so weit gekommen wären. Auch in Argentinien wurden die Arbeiter*innen des Gesundheitsbereichs für ihren Einsatz in der Pandemie beklatscht. Aber honoriert wurde er auch hier nicht. Die Bevölkerung hat jedoch nicht vergessen, wer die Arbeit an vorderster Front geleistet hat, und als die Elefanten aktiv wurden, um in der in Argentinien gerade anrollenden zweiten Covid-Welle Verbesserungen für sich und das Gesundheitssystem durchzusetzen, war die Unterstützung riesig. Außerdem ist es den Autoconvocados gelungen, sich mit anderen Protesten zu koordinieren: mit streikenden Lehrer*innen und Justizangestellten, mit Arbeitslosen, die für mehr Unterstützungsgelder Brücken blockierten, mit den Arbeiter*innen der legendären selbstverwalteten Fliesenfabrik Zanon, denen die staatliche Energiegesellschaft gerade den Strom abgestellt hatte, mit der inzwischen ebenfalls selbstverwalteten Fliesenfabrik Cerámica Neuquén, die mal wieder von Räumung bedroht war. (…) Dieser Kampf der Gesundheitsarbeiter* innen war in Argentinien der längste und härteste des letzten Jahres, aber er steht nicht allein. Eine Gruppe von Soziolog*innen und Studierenden der Universität La Plata beobachtet für LaIzquierdaDiario.com die Entwicklung der Arbeitskonflikte in Argentinien und kommt zu dem Schluss, dass diese zunehmen (was angesichts der Wirtschaftskrise und Verelendung im Land nicht verwunderlich ist) und neue Züge aufweisen: mehr selbstorganisierte Kämpfe von Autoconvocados, radikalere Kampfmethoden, Koordination zwischen verschiedenen Bereichen und Beteiligung prekärer Arbeiter*innen…“ Artikel von Alix Arnold aus dem ak  Nr. 671 vom 18. Mai 2021  – wir danken auch der ak-Redaktion für die Freigabe!
  • Die Rebellion der Selbstermächtigten in Neuquén
    „Autoconvocados“: Belegschaften, die sich selbst aufgerufen haben. So nennen sich die selbstorganisert streikenden Krankenhausarbeiter_innen in Neuquén. Seit März 2021 kämpfen sie für Lohnanpassungen an die Inflation und die Festanstellung ihrer prekär beschäftigten Kolleg_innen. Als klar wurde, dass die Arbeitgeber die Forderungen nicht erfüllen würden, und nachdem der Gewerkschaftsverband ATE  einer 11%igen Lohnerhöhung zugestimmt hatte, begann die Versammlung von Belegschaften aus verschiedenen Krankenhäusern („Interhospitalaria“) u.a. die Zufahrten zu den lokalen Erdöl-Fracking Anlagen zu blockieren...“ Video bei labournet.tv externer Link (spanisch mit dt. UT | 1 min | 2021)
  • Pflegeaufstand in Neuquén erfolgreich – der Kampf geht weiter
    Nach mehr als zwei Monaten Aufstand haben die selbstorganisierten Gesundheitsarbeiter*innen der Provinz Neuquén auf einer Versammlung in der Stadt Añelo am Mittwoch, dem 28. April beschlossen, die Blockaden des Erdöl-Fördergebietes Vaca Muerta aufzuheben. Mit dem beeindruckenden Kampf konnten sie eine erhebliche Lohnerhöhung durchsetzen. Aber da einige ihrer Forderungen nicht erfüllt sind, lehnen die Selbstorganisierten (Autoconvocados) das von der Gewerkschaft ATE unterzeichnete Abkommen mit der Provinzregierung ab und kündigen weitere direkte Aktionen an. Siehe dazu:

    • Aus dem Artikel und Interview von Mario Hernandez „Panorama de los trabajadores de la salud: Neuquén, un gran triunfo“ vom 29.4.2021 bei ANRed externer Link (mit einigen Videos): Dieser große Schritt nach vorn ist ein Beispiel für das ganze Land, dass man kämpfen und gewinnen kann, im Gegensatz zur nachgiebigen Haltung der Gewerkschaftsspitzen. „Nachdem wir der Regierung eine Lohnerhöhung für alle Beschäftigten im Öffentlichen Dienst abgerungen haben, auch wenn das Angebot immer noch unzureichend ist, haben wir beschlossen, die Straßen frei zu geben. Aber den Kampf geben wir nicht auf“, versicherte Marco Campos, ein Sprecher der Selbstorganisierten.
      Die Provinzregierung hatte sich zunächst geweigert, die Selbstorganisierten zu empfangen, und hatte ein Abkommen mit der Gewerkschaft ATE geschlossen, musste ihre harte Haltung aber letzten Endes aufgeben. ATE hatte den Kampf von Anfang an boykottiert. Der Streik begann ohne Unterstützung irgendwelcher Gewerkschaftsführungen. Die Arbeiter*innen organisierten sich in Versammlungen in den Krankenhäusern und in der übergreifenden Interhospitalaria. Sie organisierten Demonstrationen, und mit fast 30 Blockaden in der ganzen Provinz legten sie 22 Tage lang die Produktion von Erdöl- und Gas in Vaca Muerta lahm, einem der weltweit größten nichtkonventionellen Abbaugebiete. Dies gelang, indem sie sich mit den Mapuche und der Bevölkerung der Erdölgebiete verbündeten.
      Nachdem die Führungen von ATE und UPCN zuerst ein Abkommen über 12 Prozent Lohnerhöhung unterzeichnet hatten, kam nach 55 Tagen Kampf ein Angebot von insgesamt 53 Prozent heraus, das jedoch in Quoten bis März 2022 gestückelt werden sollte. Nachdem die Basisversammlungen auch dieses Angebot abgelehnt hatten, musste die Regierung nachbessern und die Gesamtzahlung innerhalb des Jahres 2021 zusichern. Die Versammlung Interhospitalaria hat damit die Deckelung des Lohns für sämtliche Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes in der Provinz durchbrochen. Die Blockaden bei Vaca Muerta wurden aufgehoben, aber andere, wie die der Fernstraße nach Chile bei Villa La Angostura, wurden aufrechterhalten. Nach der Versammlung fuhren die Selbstorganisierten in einem Autokorso nach Neuquén.
      „Die heutige Entscheidung der Autoconvocados eröffnet eine neue Etappe unseres Kampfes, der hier nicht endet. Wir fordern weiterhin kürzere Fristen für die Zahlung der Lohnerhöhung, die Festeinstellung der vielen prekären Arbeiterinnen und Arbeiter, die Auszahlung der wegen des Streiks zurückgehaltenen Löhne, die Annullierung laufender Anzeigen und dass keine weiteren Verfahren wegen der Blockaden eingeleitet werden, und dass sich die Regierung mit den Autoconvocados zusammensetzt. Vor allem müssen wir die Organisierung der Autoconvocados in der Provinz stärken, denn nur durch sie sind wir so weit gekommen, und sie hat uns die nötige Kraft gegeben, als die Gewerkschaftsbürokratie uns verraten hat.“ So Marco Campos, Sprecher der Autoconvocados aus dem Hospital Castro Rendón… Für den 1. Mai ist die nächste Interhospitalaria geplant.
    • Eine Einschätzung von Julieta Katcoff aus der gewerkschaftlichen Oppositionsgruppe im Hospital Castro Rendón in Neuquén in ihrem Artikel „Después del triunfo.Autoconvocados de Neuquén: “Esto no termina acá, nos bajamos de las rutas, pero para tomar envión”“ vom 29.4.21 bei laizquierdadiario externer Link): „Die erste Schlussfolgerung ist, dass es hier keinen Platz für Resignation gibt. Die Revolte hatte viel damit zu tun: Sich nicht mit diesem miserablen Abkommen abzufinden. Und weiterzukommen in der Wende, in den Krankenhäusern und Gesundheitszentren Raum für Demokratie zu schaffen, wo alle Stimmen gehört werden. Viele Kollegen haben sich zum ersten Mal getraut, auf einer Versammlung das Wort zu ergreifen und ihre Meinung zu sagen. Damit wurde eine Tradition hier aus Neuquén wiederbelebt, die krankenhausübergreifenden Versammlungen als Koordination zwischen den verschiedenen Krankenhäusern und Gesundheitszentren, um gemeinsam Aktionen zu entwickeln. Notwendig ist außerdem die Koordination mit anderen Sektoren, die sich im Kampf befinden. Sie haben sich unseren Forderungen angeschlossen, weil sie schließlich ein Ausdruck der allgemeinen Unzufriedenheit der Gesamtheit der Arbeiter war. Wir alle haben im letzten Jahr unter Sparmaßnahmen und Verelendung gelitten.“

________

Pflegeaufstand in Neuquén

Seit mehr als 50 Tagen, seit dem 2. März ist in der Provinz Neuquén im argentinischen Patagonien ein Pflegeaufstand im Gange. Die selbstorganisierte Bewegung richtet sich gegen die Provinzregierung und die Gewerkschaftsführung, die gegen den Willen der Basis einen miserablen Tarifvertrag unterschrieben hat. Mit einer krankenhausübergreifenden öffentlichen Versammlung auf der Straße im Zentrum von Neuquén begann am 2. März der Pflegeaufstand, der inzwischen breite Unterstützung in der Bevölkerung hat und mit Straßenblockaden die Erdöl- und Gasproduktion der Provinz behindert.

Ein Bericht bei ANRred externer Link über die ersten 40 Tage:

Im Dezember 2019 hatte die Provinzregierung die Löhne im öffentlichen Dienst eingefroren. Dies bedeutete für die Arbeiter*innen des Gesundheitssektors mitten in der Pandemie 2020 einen Kaufkraftverlust von 26 Prozent. Die Anfang 2021 begonnene Impfkampagne kommt nur langsam in Gang, während Argentinien von der zweiten Covid-19 Welle erfasst wird. Das Gesundheitssystem ist dem nicht gewachsen. Die vermehrten Kündigungen von Intensivpfleger*innen und Notfallsanitäter*innen im letzten Jahr verschärfen den Personalnotstand.

Am 24. Februar bot die Provinzregierung eine Lohnerhöhung von 12 Prozent an. Am 25. Februar lehnten die Basisversammlungen der Gewerkschaft ATE in etwa 20 Krankenhäusern und Gesundheitszentren diesen Vorschlag ab. Der Generalsekretär der Gewerkschaft Carlos Quintriqueo ignorierte dieses Votum, und am 26. Februar akzeptierte die Gewerkschaftsführung den Vorschlag der Regierung. Dieser heftige Verrat der gewerkschaftlichen Vertretung gegenüber den Gesundheitsarbeiter*innen war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Am 2. März fand im Zentrum der Provinzhauptstadt Neuquén eine krankenhausübergreifende große Versammlung der Gesundheitsarbeiter*innen statt. Hier wurde beschlossen, die Wiederaufnahme der Lohnverhandlungen für den Gesundheitsbereich zu fordern, eine Erhöhung von 40 Prozent für 2020 und eine Anpassung in Höhe der Inflation für 2021. Außerdem entschieden sie, ihre Forderungen mit der Lehrer*innen-Gewerkschaft ATEN zu koordinieren und einen gemeinsamen Aktionsplan aufzustellen. ATEN hatte einige Tage vorher den gleichen Lohnvorschlag abgelehnt und beschlossen, den Unterricht am 3. März nicht wieder aufzunehmen.

Gleichzeitig breiteten sich in der Region verschiedene Konflikte aus. Die sozialen Bewegungen blockierten die Landstraßenbrücken und andere Punkte für eine Erhöhung der Unterstützungsprogramme, in der ganzen Provinz stellten Schulen Forderungen an den Staat, und die feministische Bewegung ging zusammen mit der Bevölkerung gegen den Femizid an Guadalupe Curual in Villa La Angostura auf die Straße. Am 10. März kamen die selbstorganisierten Gesundheitsarbeiter*innen, die Opposition gegen die Gewerkschaftsführung von ATEN, andere Arbeiter*innen des öffentlichen Dienstes, Arbeiter*innen der selbstverwalteten Fliesenfabriken und soziale Bewegungen in einer Demonstration zusammen, die am Regierungssitz endete. Am 12. März blockierten Gesundheitsarbeiter*innen mit der Gewerkschaft von Justizangestellten SEJUN die Brücken zwischen Neuquén und Cipolletti. Währenddessen unterhielt ATEN ein Protestcamp vor dem Regierungssitz. Von Seiten der Politik gab es immer noch keine Antwort.

Am 16. März vereinbarte die Provinzregierung, bei der Lohnerhöhung noch drei Prozent draufzulegen, also insgesamt 15 Prozent. Gleichzeitig probten die Gesundheitsarbeiter*innen eine erste Blockade der Erdöl-Route, der Straßen über die das extraktivistische Projekt von Vaca Muerta abgewickelt wird. (Vaca Muerta ist eine Ölschieferlagerstätte, bei der das umstrittene Fracking angewandt wird). Die Regierung lehnte ein Treffen mit den Selbstorganisierten weiterhin ab. Die Gewerkschaftsführung von ATEN setzte die Annahme des Lohnvorschlags durch, obwohl er einen erheblichen Lohnverlust bedeutete. Am selben Tag wurde die von den Arbeiter*innen übernommene Fliesenfabrik Cerámica Neuquén erneut mit Räumung und Versteigerung bedroht.

Am 24. März (Jahrestag des Putsches von 1976) gingen wieder Tausende auf die Straße. Neben den üblichen Forderungen nach Gedenken, Wahrheit und Gerechtigkeit ging es auch um den Gesundheitsbereich. Auch wenn die Forderungen von der Provinzregierung nicht beachtet wurden, so zeigte sich hier die breite Legitimität, die sie mittlerweile in der Bevölkerung hatten. So kam es am 1. April, dem ersten Tag der Osterferien, zu einem historischen Ereignis. 14 Jahre nach der Osterwoche von 2007, in der der Lehrer Carlos Fuentealba bei einer Blockade von Sicherheitskräften ermordet worden war, wurde die Landstraße Ruta 22 in der Höhe von Arroyito erneut blockiert. Sie führt zu den touristischen Orten der Kordillere in Neuquén und Río Negro. Die Blockade wurde mehr als 12 Stunden aufrechterhalten. Es kam zu Auseinandersetzungen mit Tourist*innen, die ihrerseits einen Krankenwagen nicht durchließen, wobei ihnen das Leben von mindestens zwei Patienten egal war. Gleichzeitig gab es Blockaden an fünf weiteren Punkten in der Provinz. Hervorzuheben ist die Blockade der berühmten Ruta 40 am Ortseingang von Junín de los Andes. Das Verkehrschaos und die wachsende Kritik an einer fehlenden Antwort von Seiten der Regierung ließ diese kalt. Die regierende Partei MPN hüllte sich weiter in Schweigen. Im Gesundheitssektor wurde entschieden, die Kampfmaßnahmen auszuweiten.

Am 7. April begann eine Serie von unbefristeten Blockaden an strategischen Punkten der Erdöl-Route, mit dem Schwerpunkt in Añelo, dem neuralgischen Zentrum von Vaca Muerta. Da die Regierung weiter schwieg, wurde die Anzahl der Blockaden bis zum 10. April auf zwölf erhöht. Parallel dazu wurde ein Treffen mit sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Parteien und örtlichen Organisationen in der Stadt Neuquén im Krankenhaus Castro Rendón einberufen, dem größten Krankenhaus der Provinz. Ein paar Stunden nach diesem Treffen stellte das staatliche Energieunternehmen der. Provinz EPEN der von Arbeiter*innen übernommenen Fliesenfabrik Zanon-FaSinPat den Strom ab.

Stark wie Elefanten: Die Selbstorganisierten sorgten für Lohnkürzungen bei den Abgeordneten und zwangen die Gewerkschaft ATE zum Streik (Artikel von Alejo Lasa, 20. April in laizquierdadiario externer Link)

Der Kampf dauert seit 50 Tagen an. Seit zwei Wochen legen 30 Straßenblockaden die Aktivitäten der Erdölindustrie in Vaca Muerta lahm. Der Aufstand hatte begonnen, nachdem die Gewerkschaft im Februar gegen den Willen der Basis einen miserablen Tarifvertrag unterschrieben hatte. Der Generalsekretär der Gewerkschaft ATE Carlos Quintriqueo hatte die Kolleg*innen, die sich daraufhin selbst organisierten, despektierlich „Elefanten“ genannt: Sie seien eine amorphe Masse, bei der man nicht wisse, ob man sie am Schwanz oder am Rüssel packen solle. Ungewollt schuf er damit das derzeitige Symbol der Selbstorganisierten (tatsächlich sein einziger Beitrag zu diesem Kampf). Elefanten treten stark auf, und als Herde.

Auf die Forderung nach Lohnerhöhung und Festeinstellung der Prekären war von Gouverneur Omar Gutiérrez in diesen 50 Tagen kein Wort zu vernehmen. Mitten in diesem Streik bekamen die Abgeordneten des Provinzparlaments jedoch eine 30-prozentige Erhöhung ihrer Diäten – um 70 000 Pesos monatlich (mehr als 600 €). Richter und Justizangestellte bekamen eine Erhöhung ihrer guten Gehälter um 25 Prozent. Der Abgeordnete der PTS, Zanon-Arbeiter Andrés Blanco, machte die Diätenerhöhung öffentlich und kündigte an, seine Diätenerhöhung in die Streikkasse der Gesundheitsarbeiter*innen zu überführen. Er forderte die Rücknahme der Erhöhung und eine Änderung des Gesetzes, sodass die Abgeordneten Diäten in Höhe des Lohns einer Krankenschwester bekämen. Diese Diätenerhöhung führte zu so viel öffentlichem Unmut, dass auch die Abgeordneten der regierenden MPN, und in deren Gefolge die der übrigen Parteien, auf die Erhöhung verzichteten.

Die Herde erreichte noch ein weiteres „Wunder“: Sie brachte die Gewerkschaftsbürokratie von ATE auf Trab, die während der Pandemie nichts gegen die Angriffe durch die Regierung unternommen hatte. Generalsekretär Quintriqueo berief eine Gewerkschaftsversammlung ein, die für den 22. April einen Streik ausrief.

Eine entscheidende Woche im Kampf des Gesundheitssektors in Neuquén (Artikel von Esteban Martine, 20. April 2021 in laizquierdadiario externer Link)

Zurzeit stehen 15 Blockaden auf den Hauptzufahrtsstraßen zu Vaca Muerta, weitere in den Erdölgebieten von Plaza Huincul und Rincón de los Sauces, und insgesamt 30 Blockaden in der gesamten Provinz. Die Blockaden können auf die offene Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung zählen. Gemeinden der Mapuche und die Bewohner*innen von Añelo und San Patricio del Chañar brachten die entscheidende Solidarität bei den Zugängen zu Vaca Muerta. Sie waren die ersten, die Wasser, Brennholz und Essen zu den Blockaden brachten. Erdölarbeiter und LKW-Fahrer sympathisieren mit dem Kampf, sie halfen, Zulieferprodukte für das Fracking zu blockieren, und die Lebensmittelversorgung aufrecht zu erhalten.

Am 16. April gab es eine Verhandlung. Aber das angebliche Dekret für einen Covid-Bonus von 10 000 Pesos für drei Monate existierte dann gar nicht, und eine daraufhin vom Wirtschaftsinister angekündigte viermonatige Bonuszahlung sollte nur erfolgen, wenn die Blockaden aufgehoben würden. Dies goss nur weiteres Öl ins Feuer.

Die Unterstützung der Bevölkerung ging weiter, trotz der Manöver von Unternehmern und Regierung. Zwar erschwerten die Blockaden tatsächlich die Benzinversorgung, aber die Geschäftsleitung der Erdölgesellschaft YPF verfolgte auch die Politik, Benzinlieferungen aus anderen Betrieben zurückzuhalten. Tagelang gab es Schlangen an den Tankstellen. Aber wenn Journalist*innen die Wartenden befragten, meinten diese immer wieder „Sie sollen nicht nachgeben“.

Die Blockaden an zentralen Punkten der Erdölproduktion erschweren das Bohren neuer Förderquellen, zwingen zur Schließung kleinerer Quellen und führen zu Problemen bei den Verarbeitungsbetrieben, die die Gasversorgung von Buenos Aires gefährden.

Die letzte Woche endete mit einem Streik der Lehrer*innen-Gewerkschaft ATEN und der Justizgewerkschaft SEJUN, die gemeinsam mit verschiedenen Gewerkschaften der Universität Universidad del Comahue eine Erklärung veröffentlichten. Es war ein Solidaritätsstreik mit dem Gesundheitssektor. Die Gewerkschaftsführungen standen unter dem Druck ihrer eigenen Basis und der großen öffentlichen Unterstützung, und konnten sich nicht mehr raushalten.

Wegen der Blockaden werden Ölarbeiter mit Hubschraubern eingeflogen (Artikel von Esteban Martine, 21. April 2021 in laizquierdadiario externer Link)

Nach zwei Wochen zeigen die Blockaden der Gesundheitsarbeiter*innen Wirkung. In der Erdölindustrie fehlen Zulieferprodukte und Personal. Seit dem 20.4. greifen die Firmen auf Hubschrauber und Kleinflugzeuge zurück. An diesem Tag musste auch das Sandwerk der staatlichen Ölgesellschaft YPF geschlossen werden. Sand ist eines der wichtigen Produktionsmittel beim Fracking. Jedes Fracking benötigt 3000 Tonnen Sand.

Die Geschäftsleitung versuchte, Ölarbeiter*innen dazu zu bringen, Gesundheitsarbeiter*innen anzuzeigen. Ohne Erfolg. Die Unternehmer beklagen Millionenverluste. Aber der Kampf der Gesundheitsarbeiter*innen hat auch aufgezeigt, dass die Erdöl-Unternehmen jeden Tag Millionengewinne einfahren. Ein weiterer Erfolg der Elefanten.

Zusammenfassende Übersetzung einiger Artikel durch Alix Arnold am 22.4.2021 – wir danken!

Siehe einige Links zu Hintergründen:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=189178
nach oben