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Früchte des Zorns. Albanien: gewerkschaftlicher Kampf an der Peripherie von EU und Weltmarkt

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitZur Ikonographie gewerkschaftlicher Traditionsbildung gehört von Bolivien bis Großbritannien das Bild von Bergarbeitern als Speerspitze organisierter Arbeitskämpfe. Der Wirkmächtigkeit dieses Bildes dürfte es zu verdanken sein, dass in den letzten Monaten über die Kandidatur eines linken Bergarbeiters für das albanische Parlament vergleichsweise breit auch in deutschen und westeuropäischen linken Medien berichtet wurde (…) Diese Kandidatur ist Ausdruck der Entwicklung sozialer Bewegungen in dem Land, in denen Möglichkeiten politischer und ökonomischer Kämpfe unter den Bedingungen einer Gesellschaft erprobt werden, die durch die verheerenden Krisen nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus grundlegend verwüstet wurde. Damit sind diese Kämpfe nicht nur von lokaler Bedeutung. Wie in anderen realsozialistischen Regimen, die versuchten, aus den agrarischen Gesellschaften Osteuropas moderne Industriestaaten zu machen, spielte auch in Albanien der Bergbau als Grundlage einer zu entwickelnden Schwerindustrie eine wichtige Rolle. (…) Als Resultat haben Bergarbeiter von allen Beschäftigten in Albanien die kürzeste Lebenserwartung und sind nach Bauarbeitern die Gruppe, die jährlich die zweitgrößte Zahl an Opfern tödlicher Arbeitsunfälle zu verzeichnen hat. Tatsächlich waren es seit Beginn der 2000er Jahre in der Regel eben diese tödlichen Unfälle, die den Anlass für Streiks und Proteste von Bergarbeitern lieferten…“ Artikel von Peter Korig erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 12/2021:

Früchte des Zorns

Albanien: gewerkschaftlicher Kampf an der Peripherie von EU und Weltmarkt – von Peter Korig*

Zur Ikonographie gewerkschaftlicher Traditionsbildung gehört von Bolivien bis Großbri­tannien das Bild von Bergarbeitern als Speerspitze organisierter Arbeitskämpfe. Der Wirk­mächtigkeit dieses Bildes dürfte es zu verdanken sein, dass in den letzten Monaten über die Kandidatur eines linken Bergarbeiters für das albanische Parlament vergleichsweise breit auch in deutschen und westeuropäischen linken Medien berichtet wurde, die sich für die ehemals realsozialistischen Länder Ost- und Südosteuropas sonst nur am Rande interessieren.

Tatsächlich ist die Teilnahme des Bergarbeiters Elton Debreshi, der aus der Bergbaustadt Bulgiza unweit der albanischen Hautstadt stammt, bemerkenswert, auch wenn ihm der Einzug ins Parlament letztlich nicht gelang. Diese Kandidatur ist Ausdruck der Entwicklung sozialer Bewegungen in dem Land, in denen Möglichkeiten politischer und ökonomischer Kämpfe unter den Bedingungen einer Gesellschaft erprobt werden, die durch die verheerenden Krisen nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus grundlegend verwüstet wurde. Damit sind diese Kämpfe nicht nur von lokaler Bedeutung.

Wie in anderen realsozialistischen Regimen, die versuchten, aus den agrarischen Gesell­schaften Osteuropas moderne Indus­triestaaten zu machen, spielte auch in Albanien der Berg­bau als Grundlage einer zu entwickelnden Schwerindustrie eine wichtige Rolle. So stieg Albanien schließlich in den 1980er Jahren zum weltweit drittgrößten Exporteur von Chrom auf, jedoch wurde in der Regel unverarbeitetes Chromerz exportiert. Dessen Gewinnung er­folgte auf niedrigem technischen Niveau, zum Teil noch bis zum Ende des realsozia­listischen Regimes unter Einsatz der Arbeitskraft politischer Häftlinge. Nach dessen Ende 1991 wurden Bergwerksbetriebe, wie auch andere, zuvor staatliche Unternehmen, privatisiert, dieser Prozess war um 2000 abgeschlossen. In dieser Zeit brach die international nicht kon­kurrenzfähige albanische Industrie fast komplett zusammen. Dies und der Einbruch der Rohstoffpreise in den 1990er Jahren führten zu einem drastischen Rückgang der Förder­mengen und der Schließung vieler Bergwerke. Dennoch blieben der Bergbau und die Erdölförderung, zusammen mit Resten der Textilindustrie, die zur verlängerten Werkbank italienischer Unternehmen wurden, die Bereiche der albanischen Wirtschaft, in der die post­sozialistische Deindustrialisierung nicht vollständig erfolgte. Unter äußerst prekären Bedingungen kam es nach 1991 immer wieder zu Protesten und Arbeitskämpfen von Berg­arbeitern. Dabei standen ihnen keine schlagkräftigen Gewerkschaften zur Seite. Neben der sich aus der wirtschaftlichen Situation des Landes ergebenden strukturellen Schwäche der Gewerkschaftsbewegung lag und liegt das daran, dass der Kampf zwischen der Sozia­listischen Partei und der Demokratischen Partei, die seit dreißig Jahren erbittert um Einfluss, Macht und Pfründe streiten, und die allgegenwärtige Korruption auch die Gewerkschaften prägen.

Der Anstieg der Weltmarktpreise für Rohstoffe seit Beginn der 2000er Jahre wirkte sich auch auf den albanischen Bergbau aus. Während in den Revieren im Südosten (Shebenik-Pogradec) und im Nordosten (Kukës-Tropojë) der Chrombergbau weiter darnieder lag, erlebte er im zentralalbanischen Revier um Bulqiza wegen der Qualität des dort geförderten Erzes und der Nähe zum Hafen von Durrës ein Revival. 2013 erwarb die Balfin-Gruppe des Unternehmers Samir Mane 100 Prozent der Anteile am größten in Bulqiza fördernden Unter­nehmen Albchrome und damit die Kontrolle über weite Teile der albanischen Chrom­gewinnung und -verarbeitung. Mane ist der erste Milliardär Albaniens und ein klassischer postsozialistischer Oligarch.

Der Wiederanstieg der geförderten Mengen, das Sinken der Arbeitslosigkeit in der Region und die Rückkehr von Bergarbeitern aus Italien und Griechenland ging jedoch nicht einher mit einer substantiellen Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Tatsächlich sind die Förder­bedingungen Resultat einer forcierten und unkontrollierten Ausbeutung von Mensch und Natur. Bergarbeiter verdienen zwischen 32.000 und 86.000 Albanische Lek (260 bis 710 Euro) im Monat. Zugang zu besonderen Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge und Rehabili­tation besteht nicht, Unfälle sind an der Tagesordnung. Als Resultat haben Bergarbeiter von allen Beschäftigten in Albanien die kürzeste Lebenserwartung und sind nach Bauarbeitern die Gruppe, die jährlich die zweitgrößte Zahl an Opfern tödlicher Arbeitsunfälle zu verzeichnen hat.

Tatsächlich waren es seit Beginn der 2000er Jahre in der Regel eben diese tödlichen Unfälle, die den Anlass für Streiks und Proteste von Bergarbeitern lieferten. So auch 2011, als es nach einem Grubenunglück in Bulqiza zu den bis dahin längsten Protesten seit dem Ende des realsozialistischen Regimes kam. In dieser Zeit entstanden erste Verbindungen zwischen Bergarbeitern aus Bulqiza und linken Studierenden aus Tirana. Nachdem bei Protesten gegen Korruption auf Regierungsebene im Januar 2011 vier Demonstranten von Sicherheitskräften getötet worden waren, gründete sich in Tirana die linke Gruppe Organizata Politike (Poli­tische Organisation – OP). Von Beginn an unterstützte diese die Arbeitskämpfe in den Bergwerken von Bulqiza wie auch von Ölarbeitern in Ballsh. Langjähriges Engagement sowie familiäre Kontakte von studentischen Aktivist:innen in die Region führten dazu, dass tatsäch­lich ein Vertrauensverhältnis zwischen kämpferischen Bergarbeitern und Linken aus der Hauptstadt entstand. Dabei folgte die OP dem Ansatz, das Entstehen unabhängiger, nicht korrupter Gewerkschaften zu unterstützen. Als Ende 2018 Proteste Studierender gegen die Erhöhung von Studiengebühren zu den größten sozialen Protesten in Albanien seit 1991 eskalierten, spielte OP in deren Organisation eine große Rolle. Die Proteste, die die formal sozialistische Regierung unter Edi Rama unter großen Druck setzten, verschafften den Studierenden großes Ansehen in weiten Teilen der albanischen Bevölkerung und fanden Widerhall in der restlichen Arbeitswelt. Im Februar 2019 gründete sich eine unabhängige Gewerkschaft der Callcenter-Beschäftigten, einem der mittlerweile größten Wirtschafts­bereiche Albaniens (siehe express 8-9/2019, S. 13). Am 1. Mai 2019 folgte in Bulqiza die Gründung der Gewerkschaft der vereinigten Bergarbeiter von Bulqiza (Sindikata e Mina­torëve të Bashkuar të Bulqizës – SMBB).

Nach deren formaler Zulassung im November 2019 kündigte Albchrome umgehend den Arbeitsvertrag mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft, Elton Debreshi, und drei weiteren Gewerkschaftsmitgliedern. Als Reaktion traten die Kollegen der Entlassenen in einen ein­wöchigen Streik, in Tirana protestierten Mitglieder von OP vor Unternehmen des Albchrome-Inhabers Mane und auch internationale Gewerkschaftsorganisa­tio­nen erklärten ihre Solidarität mit Debreshi.

Ein Jahr nach ihrer Gründung initiierte die SMBB eine landesweite Unterschriften­sammlung für eine Petition, die Parlament und Regierung endlich dazu bringen sollte, ein Gesetz über den beruflichen Status der Bergarbeiter zu erarbeiten und zu beschließen. Die Forderung nach einem derartigen Gesetz, das ihnen höhere Löhne sowie einen verbesserten Zugang zu Sozialleistungen und Gesundheitsfürsorge garantieren soll, spielt in den Arbeitskämpfen der albanischen Bergarbeiter bereits seit den 1990er Jahren eine wichtige Rolle. Das Versprechen, ein solches Gesetz zu erarbeiten, diente den politischen Parteien auch immer wieder zur Mobilisierung von Bergarbeitern in den Auseinandersetzungen mit der politischen Konkurrenz, wurde jedoch nie erfüllt.

Die Forderungen und Kämpfe der Berg­arbeiter fanden in den meisten albanischen Medien allerdings nicht statt. Um diesen Boykott zu brechen, trat Debreshi im Frühjahr 2021 zu den Parlamentswahlen als unabhängiger Kandidat an, unterstützt von der ansonsten strikt außer­parlamentarisch agierenden OP. Mit dieser Kooperation wurden Formen der Zusammenarbeit zwischen politischen Aktivist:innen und Gewerkschafte­r:innen, die als Reaktion auf die Schwäche der Linken wie auch der Gewerkschaftsbewegung seit einigen Jahren in ver­schiedenen Ländern erprobt wird, für Albanien adaptiert. Die OP mobilisierte dazu ihr mittlerweile ausgedehntes internationales Netzwerk, das u.a. infolge der Emigration albani­scher Linker nach Westeuropa entstanden ist. U.a. unterstützen Mitglieder der deutschen Linkspartei wie auch die durch den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis gegründete Organisation DiEM 25 seinen Wahlkampf.

Während linke Medien außerhalb Alba­niens z.T. geradezu euphorisch über dessen Kandi­datur berichteten, war Debreshi vor Ort mit Repressionen gegen ihn und seine potentiellen Wäh­ler:innen konfrontiert. So wurde gegen ihn eine Geldstrafe von umgerechnet 40.000 Euro verhängt, weil eine seiner Wahlkampfversammlungen einen Verstoß gegen die COVID 19-Bestimmungen dargestellt haben soll. Auch wurde berichtet, dass es in seinem Wahlkreis Fälle von Stimmenkauf gegeben haben und Wähler:innen unter Druck gesetzt worden sein sollen, gegen ihn zu stimmen. Unter diesen Bedingungen erhielt er bei den Wahlen am 25. April 560 Stimmen. Auch wenn von vorn­herein klar war, das Debreshi nur geringe Chancen bei den Wahlen hat, ist das doch ein mageres Ergebnis. Ob sein Wahlkampf, die dadurch erzielte öffentliche Aufmerksamkeit und die in dieser Zeit geknüpften Kontakte, wie von ihm nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses erklärt, sich in den kommenden Auseinander­setzungen um die Rechte der Bergarbeiter als nützlich erweisen werden, muss die Zukunft zeigen. Auch wenn dieser Weg nicht so einfach sein wird, wie ihn sich einige Unter­stützer:innen aus dem Ausland vorstellen, ist dies nicht ausgeschlossen. Das beharrliche Agieren der albanischen Linken hat in der letzten Dekade durchaus Früchte getragen. Das den Profi­teur:innen der Verhältnisse in Bulqiza wie im ganzen Land die SMBB weiterhin ein Dorn im Auge ist, wurde am 27. August deutlich. Da wurde ein Bombenanschlag auf das unweit seiner Wohnung geparkte Auto von Debreshi verübt. Er selbst kam dabei nicht zu Schaden. Die Drohung ist jedoch eindeutig.

Artikel von Peter Korig erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 12/2021

* Peter Korig arbeitet und schreibt zu sozialen Bewegungen und Geschichtspolitik in den postsozia­listischen Ge­sell­schaften Ost- und Südosteuropas.

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