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Äthiopien

Im neuen kapitalistischen Eldorado: Warum so viele Besuche (nicht nur) aus der BRD in Äthiopien?

Die niedrigsten Löhne der Welt werden in Äthiopiens Textilindustrie bezahlt - deswegen die vielen Reisen dahin„… Unterstützung bekommt Müller von Arbeitsminister Hubertus Heil, der sich beim Besuch einer Textilfabrik in Äthiopien äußerte: „An Verantwortung auch der deutschen Wirtschaft wird am Ende nichts vorbei gehen.“ Es gebe schon Sorgfaltspflichten. Das würde jetzt überprüft, sagte Heil. „Wir sagen aber deutlich, wenn die Ergebnisse des Monitorings nicht befriedigend sind, dann werden wir gemeinsam Eckpunkte vorlegen für eine gesetzliche Verpflichtung deutscher Unternehmen, auf Menschenrechte in Lieferketten zu achten.“ In der kommenden Woche endet die Umfrage, in der sich deutsche Unternehmen freiwillig zu Menschenrechten und Umweltschutz in ihren Lieferketten äußern sollen. Die Beteiligung ist äußerst schlecht. Das Lieferkettengesetz, das die Firmen für Verstöße haftbar machen soll, rückt damit näher…“ – aus dem Bericht „Ausbeutung an der Wurzel bekämpfen“ von Markus Sambale am 02. Dezember 2019 bei tagesschau.de externer Link zum Besuch gleich zweier bundesdeutscher Minister in Äthiopien, die sich als Vorkämpfer von Beschäftigtenrechte profilieren – mit einer Befragung, deren Ergebnis schon vor Beginn bekannt war. Siehe dazu vier Hintergrundbeiträge, die auch die Gründe für die (nicht nur) bundesdeutsche Inflation an Äthiopien-Reisen deutlich machen:

  • „Äthiopien: Aufbruch in den Neoliberalismus mit dem neuen Premierminister Abiy Ahmed?“ von Shuwa Kilfe bereits am 14. August 2018 bei telepolis externer Link weist unter anderem darauf hin: „… Dass der neue PM nun derartig bejubelt wird von eben den Seiten, die offensichtlich ihren Einfluss auf Äthiopien ausdehnen wollen, passt gut ins Bild. Vorher kritisierte Menschenrechtsverletzungen und Militarisierung einer ganzen Gesellschaft in Eritrea sind für eben jene Propagandisten plötzlich auch kein Thema mehr. Zwei neue Friedensengel sind geboren. Auffällig ist auch die Intransparenz und Eile in der diese Politik und dieser „Friedensschluss“ vorangetrieben wird. Es scheint, als ob die Blaupause für diese Veränderungen außerhalb Äthiopiens bereits fertiggestellt wurde und nun ohne Konsultation aller gesellschaftlich wichtigen Kräfte vom neuen Erfüllungsgehilfen umgesetzt wurde. China und die Vereinigte Arabische Emirate (VAE) rivalisieren um Kontrolle und Investitionen in Häfen in der Region, vornehmlich Dschibuti, Eritrea und Somalia, vor allem die VAE sind im Hintergrund ebenfalls in die Friedensgespräche involviert und üben in ihrem Interesse Einfluss auf die eritreischen Machthaber aus. Welche Beweggründe hat eigentlich der Präsident Eritreas Isayas Afewerki, dass er seine Politik gegenüber Äthiopien ändert? Welche Länder waren vorher seine Geldgeber und was hat sich daran geändert? Vielleicht spielen hier auch europäische Interessen eine Rolle, die es gerne sähen, wenn sie Eritrea zum sicheren Herkunftsland erklären könnten (ohne dass sich in Eritrea wirklich etwas geändert hätte), um die Migrationsbewegung einzudämmen. Unliebsame Politiker und Funktionsträger werden abgesetzt oder tot aufgefunden. Zu erwähnen ist hier der Botschafter Äthiopiens Berhane Gebrekristos in China (am 23.Juli 2018) oder der Polizeichef Girma Kassa von Addis Abeba (am 23.Juni 2018). Der Chef des Dangote Cement, Deep Camara, wurde am 16.Mai 2018 von Unbekannten erschossen. Merkwürdig ist auch der ungeklärte Tod des Staudammmanagers Simegnew Bekele am 26.Juli 2018, zwei Tage nachdem der PM ankündigte, dass der Damm nicht termingerecht fertig würde. Viele trauern über seinen Tod und sind sich seiner großartigen Leistung bewusst. Anlass zur Besorgnis gibt auch die Stimmung, die zur Zeit gegenüber Tigray (Region Äthiopiens, die an Eritrea grenzt) geschürt wird. So wurden nach dem Bombenanschlag auf einer Kundgebung des PM sofort, ohne Beweise und vehement Kräfte aus Tigray verantwortlich gemacht. Dies führte zu Aktionen und Kundgebungen gegen Tigray-stämmige Äthiopier. Statt hier an der Einheit aller Äthiopier über ethnische Grenzen hinweg zu arbeiten, scheint die neue Regierung eher unterschwellig Öl ins Feuer zu gießen. Vielleicht wird hier schon ein Sündenbock vorbereitet. Auch in der äthiopischen Region Somali wurde die Politik der Zentralregierung gegen die gewählte Regionalregierung gewaltsam durchgesetzt. Ein Vielvölkerstaat wie Äthiopien ist ohnehin schon anfällig für Spaltung, um so wichtiger, dass alles dafür getan wird, um das Land zu einen. Ein bisher erfolgreiches Modell der Entwicklung Äthiopiens wird aufs Spiel gesetzt, ohne die langfristigen Folgen zu bedenken, die Interessen der äthiopischen Bevölkerung werden auf dem Altar internationaler Finanz-, Profit- und Machtinteressen geopfert...“
  • „Ethiopia Arrests Nine Air Traffic Controllers On Strike“ von Andualem Sisay am 04. September 2018 bei All Africa externer Link dokumentiert, berichtet von einem Streik der Fluglotsen, die im Monat vorher für solch unglaubliche Forderungen gekämpft hatten, wie, dass Überstunden bezahlt werden sollten. Die Luftfahrtbehörde – der „Arbeitgeber“ – erklärte schlicht den Streik für illegal (da freuen sich bestimmt auch ausländische Investoren, wenn das so einfach geht) und rief die Polizei, die neun Streikende festnahm. Weil sie die Durchführung wichtiger internationaler Flüge behindert hätten – und das nicht zum ersten Mal, denn einen solchen Lotsenstreik hatte es im April 2018 bereits einmal gegeben…
  • „State projects leave tens of thousands of lives in the balance in Ethiopia“ am 14. Juni 2019 bei Farmlandgrab externer Link ist die Vorstellung einer Studie über die Auswirkungen der Bodenpolitik der äthiopischen Regierung auf die Menschen, die von der Landwirtschaft leben: Der Staudamm-Bau Gibe III am Omo-Fluss im Süden des Landes hat erhebliche Probleme geschaffen, die die Menschen ohne weitere Unterstützung „ausbaden“ müssen. Großplantagen der staatlichen Zuckerindustrie wurden mit Umsiedlungsprogrammen – keineswegs ganz freiwillig – und Ansiedlungsprogrammen (von Nomaden – und ganz und gar nicht freiwillig) angelegt – wobei die begleitenden Versprechungen, neue Dörfer würden eine entsprechende Infrastruktur erhalten, bisher noch auf ihre Erfüllung warten…
  • „Ethiopia’s garment workers are world’s lowest paid“ von Elias Meseret am 07. Mai 2019 bei Fox News externer Link ist einer der vielen Berichte, die aus Anlass der Veröffentlichung einer Studie einer US-Universität verfasst wurden, in der festgehalten wurde (die Zahlen waren in verschiedenen Berichten leicht unterschiedlich), dass ein Monatslohn von 25 Euro in Äthiopiens Textilindustrie der niedrigste auf der ganzen Welt sei. Zum Vergleich: In Kenia beträgt der im Textilsektor im Durchschnitt 207 Euro und im einstigen Billiglohnland China über 300. In der Studie wurden auch zahlreiche „Proteste aus Enttäuschung“ erwähnt, von verschiedenen Streiks und einer offensichtlich verbreiteten Vorgehensweise: Einfach nicht mehr zur Arbeit kommen… Die Sorge der US-Studie gilt dabei vor allem der Produktivität, versteht sich.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=158576
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