IG Metall-Aktionstag in der Stahlindustrie: Warum Stahl-Deutschland jetzt protestiert

Dossier

IG Metall-Aktionstag in der Stahlindustrie: Stahl ist Zukunft„Am Montag gehen Deutschlands Stahlarbeiter bundesweit auf die Straße. Sie fordern Hilfe im Kampf gegen Dumping-Konkurrenz und CO2-Auflagen. Die Branche erlebt ein Schicksalsjahr. Geht sie unter, würde der Industriestandort schweren Schaden nehmen (…) Die Stahlwerke in Deutschland gehören zu den umweltverträglichsten weltweit. (…)  Die deutsche Stahlindustrie ist in ihrer Existenz bedroht. Geht sie unter, verlieren 85 000 Menschen ihren Arbeitsplatz. Der benötigte Stahl würde dann aus deutlich weniger effizienten Werken in China oder Russland importiert – zum Schaden der Umwelt und der deutschen Industrie…“ Pressemitteilung der IG Metall vom 7. April 2016 externer Link – mit weiteren Informationen und einem Video mit dem bezeichnenden Titel „Stahl ist Zukunft – Warum Europas Stahl das Klima schützt“. Siehe dazu weitere Infos/Bewertungen und unseren Kommentar:

  • In der Standortfalle. Aktionstag in der Stahlindustrie. Kommentar von Wolfgang Pomrehn aus der jW Ausgabe vom 11.04.2016 – wir danken!
    Die IG Metall schickt am heutigen Montag die Stahlarbeiter auf die Straße. Die Angst vor dem Jobverlust geht um. Die Gewerkschaft hat den Klimaschutz und die böse Konkurrenz aus China als Gefahr ausgemacht. In Fernost gibt es enorme Überkapazitäten. Andernorts auch, wo genau, ist immer eine Frage der Perspektive. So funktioniert der Kapitalismus nun einmal. Erst boomt eine Branche und verspricht schöne Profite. Das lockt Nachahmer an und weckt Expansionslüste – bis schließlich so viele Hochöfen aufgestellt sind, dass Unternehmen sich gegenseitig die Preise verderben. Business as usual. Wer sich da vor den Karren der Konzernvorstände spannen lässt, hat schon verloren. Denn der Arbeitsplatzabbau kommt ohnehin: Von 1980 bis 2015 hat sich die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Stahlindustrie um 70  Prozent reduziert, aber hergestellt wird dabei etwas mehr als vor 35 Jahren. Was früher zehn Arbeiter schafften, erledigen heute weniger als drei.
    Angesichts dieses enormen Zuwachses an Produktivität wäre es doch an der Zeit, Nachschlag zu fordern, statt sich in Standortnationalismus einbinden zu lassen. Wenn tatsächlich immer weniger Arbeitskraft für das gleiche Ergebnis benötigt wird, dann kann doch die Arbeitszeit weiter verkürzt werden. Bei vollem Lohnausgleich, versteht sich. Schließlich ist ja auch die spezifische Leistung pro Arbeitsstunde gestiegen. Menschlich angemessen wäre es allemal, denn erstens ist die Arbeit am Hochofen wirklich kein Sonntagsspaziergang, und zweitens leben wir schließlich nicht, um zu arbeiten.
    Und dann ist da noch die Sache mit der Umwelt. »Stahl ist sexy«, ist bei der IG Metall zu hören. Nein, ist er nicht. Er ist ein endlicher Rohstoff, den wir nicht verpulvern sollten, als wären wir die letzten Menschen. Auch spätere Generationen können ihn noch gebrauchen. Außerdem ist die Förderung, die oft im Tagebau betrieben wird, eine einzige Umweltkatastrophe und unter anderem mitverantwortlich für die Zerstörung des Regenwaldes am Amazonas. Dort, im Norden Brasiliens, liegen die weltweit mit Abstand größten Eisenerzlagerstätten. In vielen Bereichen ist Stahl ersetzbar. Durch Holz, Bambus, Stein und andere Stoffe. Dort, wo nicht auf Stahl verzichtet werden kann, lässt sich auf Recycling zurückgreifen. Dann hätte sich auch die Sache mit den Treibhausgasen erledigt, die vor allem bei der Rohstahlerzeugung – verantwortlich für immerhin rund sieben Prozent der deutschen Emissionen – entstehen. Schrott wird hingegen meist elektrisch aufgeschmolzen, und der Strom dafür könnte auch von Windrädern geliefert werden. Aufgabe der Gewerkschaften wäre es hier, nicht den Blockierer zu spielen, sondern für eine beschäftigtenfreundliche Gestaltung der Transformation zu sorgen. Doch dafür müsste mal jemand nach vorn und nicht immer nur nach hinten oder zur Seite zum bösen Konkurrenten schauen.
  • Klimaschutz zu teuer? IG-Metall-Aktionstag »Stahl ist Zukunft«: Gewerkschaft betreibt Komanagement und schickt ihre Mitglieder auch gegen Umweltauflagen auf die Straße
    „… Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass auf dem Weltmarkt erhebliche Überkapazitäten existieren, die auf den Preis drücken. Doch die IG Metall scheint sich vor allem auf den Umweltschutz einzuschießen. Kritisiert wird insbesondere die geplante Fortentwicklung des EU-internen Emissionshandels für die Handelsperiode ab 2021. Worum geht es dabei? (…) In den letzten Jahren sind wohl auch wegen dieser günstigen Bedingungen in Deutschland, wo nach Ansicht der IG Metall die »weltweit saubersten Stahlproduzenten« operieren, die Emissionen wieder leicht gestiegen…“ Artikel von Wolfgang Pomrehn in junge Welt vom 11.04.2016 externer Link
  • Ungerechtfertigte Mobilmachung der Stahl-Industrie gegen Emissionshandel. Auch ThyssenKrupp profitiert von CO2-Zertifikatehandel
    Als unlauter bezeichnete der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die für morgen angekündigten Proteste der Stahl-Industrie gegen eine Reform des Europäischen Emissionshandels und deren Unterstützung durch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Beide werden als Hauptredner zu einer Kundgebung beim sogenannten Stahlaktionstag vor der ThyssenKrupp-Hauptverwaltung erwartet. „Es ist legitim, wenn Menschen auf die Straße gehen, weil sie um ihre Arbeitsplätze bangen. Scheinheilig ist es, dass die Stahl-Unternehmen für ihre wirtschaftlichen Probleme den Klimaschutz mitverantwortlich machen…“ BUND-Pressemitteilung vom 10. April 2016 externer Link
  • Daten und Fakten: So geht es der deutschen Stahlindustrie
    Die deutsche Stahlindustrie hat schon einige Krisen überstanden. Doch nun geht es an die Substanz: Billigimporte und Gesetzesvorhaben könnten das Aus für die Branche bedeuten – mit fatalen Folgen für die Umwelt und den Industriestandort…“ Überblick vom 16.03.2016 von und bei IG Metall externer Link
  • Unser Kommentar dazu: Dass die IG Metall hier zwischen die Stühle von Umweltschutz und Arbeitplätze rutscht, überrascht nicht. Die Interessen der Stahlarbeiter und der Kapitalseite lassen sich nun mal nur vereinbaren, wenn die Seite der Arbeiter Verzicht übt, hier nun an einer gesunden Umwelt angeblich zugunsten des Erhalts von Arbeitsplätzen. Was vor allem fehlt, ist ein gewerkschaftlicher Kampf nicht nur um Lohn und Arbeit, sondern gegen das System der Lohnarbeit und damit um die Vereinbarkeit von Gesundheit und Existenzsicherung. Dies ist auch der Grund, warum wir die bisherigen Aktionstage für „deutschen Stahl“ ignoriert haben…
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=96297
nach oben