Der Streik-Alltag bei Neupack oder die Mühen der Ebenen: Aussicht auf ein erfolgreiches baldiges Ende?

Nach zweieinhalb Wochen Streik und den Aufregungen der ersten Tage beginnen die Mühen der Ebenen. Der Streik ist Alltag geworden. Ein ganz anderer Alltag als als Packer oder Drucker. Es kommen jeden Tag BesucherInnen, Gruppen von KollegInnen oder von Initiativen, es kommen einzelne KollegInnen, die vom Streik gehört haben und es kommt „Prominenz“, Abgeordnete des Bundestages, der Bürgerschaft oder sogar vom Europaparlament. Meistens mit Presse und mit Photos. Ein Kollege kommentierte die Prominenz: Wenns denn nützlich ist.

Weiterhin gehört Kraft dazu, den Streik, dieses ganz andere Leben, durchzuhalten. Viele von ihnen sind so engagiert, daß sie länger da sind als im Arbeitstag, erledigen ihre Aufgaben, können sich von dem Zusammensein nicht trennen. Einzelne übernachten sogar im Wohnwagen.

Es ist nicht vorstellbar für sie, diesen Kampf zu verlieren. In dieses Klima der Entwürdigung, ein purer Faktor Arbeit zu sein, wollen sie nicht mehr zurück. In einer Weise haben sie den Kampf schon gewonnen: moralisch. Sie sind zu einer KollegInnengruppe, zu einer Kampfgemeinschaft geworden und werden anders in den Betrieb reingehen als sie rausgegangen sind. Darauf muß sich die Krüger family einstellen. Es geht noch um die Durchsetzung der materiellen Forderungen. Dabei sind die bescheiden, sie wollen einen Haustarifvertrag, durch den sie 82 Prozent des Flächentarifvertrages der IG BCE erhalten würden. Stufenweise wollen sie dann den ganzen Flächentarifvertrag erreichen. Die Streikenden hatten dabei im Kopf, es nicht so zu machen wie die GDL (Gewerkschaft der Lokführer) vor einigen Jahren, die 30 Prozent Lohnerhöhung gefordert hatte. Auch von den 82 Prozent Haustarif würden viele erheblich profitieren, da die Krüger family etlichen KollegInnen seit bis zu zehn Jahren keine Lohnerhöhung gezahlt hatte. Vom Tarifvertrag erhoffen sie sich ebenfalls eine Beendigung des Willkürregimes.

Die Krügers verweigern der IG BCE Verhandlungen und damit einen Tarifvertrag.

Sie wollen nur mit dem Betriebsrat verhandeln, weil sie sich „grundsätzlich gegen einen Tarifvertrag“ entschieden haben, weil er den „Interessen von Neupack mit einem starren Entlohnungssystem nicht hinreichend Rechnung trägt“. In Betriebsvereinbarungen und den Arbeitsverträgen für jeden einzelnen sollen ihre Vorstellungen dann realisiert werden. Ihr Ziel ist also Individualisierung. Das steht gegen Kollektivität/Gewerkschaft/Tarifvertrag.

Es gibt keine Medien, die Partei für die Krüger-family ergreifen, selbst in konservativen Blättern wie Abendblatt und Welt wird die Position der IG BCE bzw. der Streikenden recht sachlich dargestellt in deutlicher Distanz zu den Krügers. Die Frage ist, wie lange diese es noch aushalten, innerhalb der eigenen Klasse den Außenseiter zu spielen – unabhängig davon, wie lange sie den Streik noch ökonomisch durchstehen. Aus ihrer Außenseiterrolle heraus kann ihr jetzt auch nicht die Hambuger Werbeagentur Menyesch Public Relations GmbH helfen, die sie vor einigen Tagen angeheuert hat. Auch die können aus Scheiße nicht Schokolade machen.

Aber der Kampf wird nicht gewonnen, weil jetzt, nach zwei Wochen Streik, Medien und Politiker massiv einsteigen sondern die Grundlage für den Sieg ist der unbedingte und unbeirrbare Wille. Und den haben die meisten der Streikenden!

Und es ist kaum anzunehmen, daß sie Ursache und Wirkung verwechseln, daß sie glauben, ihren Kampf zu gewinnen weil er zum Medien- und Politikerereignis geworden ist.

In Rotenburg sind sogar schon zwei CDU-Abgeordnete aufgetaucht, das Feld darf doch nicht der Konkurrenz von Linkspartei, SPD und Grünen überlassen werden.

Auch wenn die Streikenden auf einen langen Kampf eingestellt sind, was sich sogar bei der Ausstattung und Ausschmückung des Zeltes zeigt: „Wir brauchen ja bald einen Adventskranz und Weihnachten kann man ja auch im Zelt feiern“ so sei mal eine Prognose gewagt: Der Streik ist bald zu Ende – die Krüger-Familie kann ihre Isolation nicht mehr lange durchhalten.

Die letzten vielen Jahre hat sich keines der Medien und kein Politiker um die Arbeitsbedingungen bei Neupack gekümmert, auch nicht, als im April schon mal ein Warnstreik kurz bevorstand und der Betriebsrat deutliche Signale in die Öffentlichkeit sendete. Nicht der wirkliche Zustand interessiert, die Ausbeutung und Entwürdigung der Beschäftigten sondern erst der Skandal. Es ist die eigentliche Leistung dieser kleinen Belegschaft, einen Skandal gemacht zu haben. Wenn die Lokführer, die UFO´s oder die Opel-Arbeiter streiken, ist es, als wenn die Medien schon darauf lauern – das alltägliche Leid und der alltägliche Wahnsinn in den tausenden von Firmen, in denen Neupack-Verhältnisse herrschen wird in Deutschland negiert. Neupack ist überall. Das läßt sich sogar schon in unmittelbarer Umgebung der Firma in Stellingen feststellen: Beim Flugblatt-Verteilen stößt man auf Beschäftigte anderer Firmen, die sagen: Ja, schlimm bei Neupack, haben wir gar nichts von gewußt. Aber auch ich habe seit mehreren Jahren keine Lohnerhöhung erhalten, vom Betriebsklima will ich gar nicht reden.

Wenn behauptet wird, bei Neupack sei es wie im 19 Jahrhundert, so betrifft das nur den persönlichen Herrschaftsstil der Müller-Familie und nicht die wirklichen Verhältnisse, in diesen sind sie auf der Höhe der Zeit: Zwei Drittel der Firmen in Deutschland haben inzwischen keinen Tarifvertrag, das Betriebsklima verschlechtert sich zuhends: Die Süddeutsche zitiert eine Studie „Arbeit macht keinen Spaß“, der Druck auf den einzelnen in der Arbeitswelt habe deutlich zugenommen – ein Zustand, wie er bei Neupack schon viele Jahre herrscht.

Es ist ein deutliches Signal, wenn ein Flaggschiff des Systems, DIE WElT, auf Distanz geht zur Krüger family. Die IG BCE nimmt Kontakt auf zu Kunden, auch das könnte Wirkung haben auf den Hersteller Neupack. Die Krügers werden als exotische Außenseiter aus dem vorigen Jahrhundert dargestellt, was nicht stimmt, denn es gibt tausende Firmen ohne Tarifvertrag, in den Willkürherrschaft herrscht wie bei Neupack, in denen seit Jahren keine Lohnerhöhung gezahlt wurde. Auf dieses Schwarze Schaf, als das es sowohl von Medien, Politikern als auch IG BCE dargestellt wird, wird nun Druck ausgeübt, doch wieder den Sozialpartner zu spielen, der Neupack allerdings nicht war. Die IG BCE wird sicherlich nicht versäumen, ihre Verbindungen zu ihren Sozialpartnern im Arbeit“geber“-Lager spielen zu lassen, damit diese Einfluß nehmen auf einen Außenseiter, der der IG BCE Tarifverhandlungen verweigert.

Für die IG BCE ist dies der erste Streik seit 1971. Ist dieser Kampf bei Neupack ein Tabubruch, der aussstrahlt und Hoffnung für viele KollegInnen aus anderen Betrieben im Chemie-Bereich und anderswo macht?

Dieter Wegner, Soli-Kreis Neupack, 25.11.2012. Kontakt: soli-kreis@gmx.de

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