Sexarbeit: Warum sie uns hassen. Was »Schutz« von Sexarbeitenden vorgibt, ist mit Vorsicht zu genießen

sex workers rightsDie »Kritik« an Sexarbeit ist eine Position, die seit jeher von der politischen Rechten vehement vertreten wird. Aber wer genau versammelt sich heute hinter dem Slogan »Welt ohne Prostitution«? Innerhalb der Anti-Sexarbeits-Allianzen lassen sich sechs Cluster oder Strömungen ausmachen. Neben Bündnissen, Kampagnen und Debattenbeiträgen sind diese beteiligten Personen aber auch durch gemeinsame Feindschaften verbunden. Seit 2022 erfasse ich im Rahmen einer Recherche mehr als 250 sexarbeitsfeindliche Akteur*innen, systematisch geordnet nach folgenden Kategorien: weißer Feminismus und Frauenrechtler*innen, rechte Christ*innen, Evangelikale und Freikirchen im Kontext des christlichen Fundamentalismus, ultra-konservative Gruppen, Vertreter*innen der »Gender- und Prostitutionskritik«, die sogenannte PorNo-Bewegung sowie sexarbeitsfeindliche Positionen aus dem linken Spektrum…“ Artikel von Ruby Rebelde vom 24.07.2025 in ND online externer Link aus ihrem Buch »Warum sie uns hassen. Sexarbeitsfeindlichkeit«. Siehe auch:

  • Sexarbeiter:in Ruby Rebelde über den medialen Diskurs rund um Sexarbeit: «Das Geglotze nach Schweden regt mich auf» New
    Im Interview von Anne-Christine Schindler in der WOZ vom 21. August 2025 externer Link äußert sich Ruby Rebelde über Menschenhandel, Scheinargumente und das «Prostitutionstheater» wie folgt: „Damals, vor gut zehn Jahren, arbeitete ich auf einem Landwirtschaftsbetrieb, wo ich bei einer Wochenarbeitszeit von 42 Stunden 5,50 Euro pro Stunde verdiente. Weil ich BaföG-Schulden hatte, die ich als Working Poor nicht zurückzahlen konnte, hatte ich angefangen, mir mit Sexarbeit etwas dazuzuverdienen. Jemand kam dahinter und erzählte es herum. Das war folgenreich … (…) Die Autoreifen wurden mir aufgestochen, auf die Rückscheibe meines Autos wurde «Hure» geschmiert – solche Dinge. Noch viel schlimmer als das war aber, dass mich die meisten Menschen aus meinem Umfeld plötzlich angeekelt und herablassend behandelten. Für die war ich von einem Moment auf den nächsten zu einer anderen Person geworden. Nach einem halben Jahr kündigte ich und zog weg. (…) Ich brauchte einige Zeit, um wieder auf die Füsse zu kommen und zu verstehen, was passiert war. Politisch aktiv wurde ich erst zwei Jahre später, kurz nachdem in Deutschland 2017 das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) in Kraft getreten war. (…) Wie die Migrationsdebatte läuft auch die mediale Berichterstattung zu Sexarbeit und Menschenhandel in Deutschland – und zunehmend auch in Österreich und der Schweiz – nach einem bestimmten Muster ab, das etwas sehr Szenisches hat. Alle, die auf die mediale Bühne zitiert werden – Polizist:innen, Expert:innen, Politiker:innen –, werden als bestimmte Funktionsträger:innen in dieses Stück integriert. Der Plot ist immer die Frage: Darf es «das» – also Sexarbeit – geben? (…) Wir Sexarbeiter:innen werden als eine Bedrohung für die Gesellschaft wahrgenommen, das geht auf lange gefühlte vermeintliche Wahrheiten und Feindseligkeiten zurück. Inhaltsleere Slogans wie «Prostitution ist immer Gewalt» knüpfen daran an. Mit solchen Slogans werden Meinungen zu vermeintlichen Fakten, Leute stimmen dem aus dem Bauch heraus zu, weil sie selbst wenig wissen und viele Vorurteile haben. (…) Sexarbeit ist für viele wirklich prekär, und ich will meine Situation nicht vergleichen mit derjenigen einer Person, die damit ihren Substanzenkonsum finanziert oder wohnungslos ist und so ihr Überleben sichert. Aber auf eine Art ist sie zumindest ähnlich gelagert. Der Punkt ist, dass es bei der Sexarbeit häufig um materielle Fragestellungen geht – um Working Poor, um Alleinerziehende, die auf einen Zusatzverdienst angewiesen sind. Das ist bisher wenig verstanden worden. (…) Die Antisexarbeitsallianzen speisen sich aus ganz unterschiedlichen politischen Bewegungen. Dazu gehören Ultrakonservative und christliche Fundamentalist:innen – also Freikirchen und Evangelikale –, für die das Ganze eher ein sexualmoralisches Problem ist. Dann gibt es die sogenannten Radikalfeministinnen wie Alice Schwarzer oder die Frauenzentrale sowie eine linke Sexarbeitsfeindlichkeit, die Huren als Steigbügelhalter des Kapitalismus und des Patriarchats markieren. All diese Bewegungen versammeln sich am «Lagerfeuer der Anständigen», wie ich es nenne. Darin, dass Prostitution abgeschafft werden müsse, verstehen sie sich. (…) In der Haltung, dass Sexarbeiter:innen zu Recht aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden und dass es «das» nicht geben darf, kommt eine Vorstellung von Ungleichwertigkeit zum Ausdruck, wie sie auch in der extremen Rechten vertreten wird. Darüber sind sich die Antisexarbeitsallianzen nicht im Klaren. Es ist aber wichtig, solche Muster im Blick zu behalten, denn die Faschisierung der Gesellschaft ist kein Problem der Ränder, es ist eins der Mitte. (…) In feministischen und emanzipatorischen Bewegungen ist es wichtig, Barrieren und Hierarchien abzubauen. Das setzt die Bereitschaft voraus, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, die einen nicht direkt betreffen. In der Bewegung muss es ein Umdenken geben: Wem räumen wir Deutungshoheit ein über das, was wir fühlen, wie wir begehren, wie wir uns streiten? Mir ist wichtig, dass auch die Leser:innen dieses Gesprächs weiterdenken: Wie findet das Thema Sexarbeit in ihrem Umfeld statt? Wo gibt es Prostitutionsstätten? Dafür ist es für sie unabdingbar, mit Sexarbeiter:innen aus der Schweiz ins Gespräch zu kommen. Dass ich hier ein paar Sachen sage, kann das nicht ersetzen.“
  • Der Artikel von Ruby Rebelde vom 24.07.2025 in ND online externer Link ist ein gekürzter und redaktionell bearbeiteter Auszug aus dem dritten Kapitel von »Warum sie uns hassen. Sexarbeitsfeindlichkeit« von Ruby Rebelde, erschienen 2025 in der Edition Assemblage externer Link, 429 S., br., 24 €.

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=229638
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