Probleme der Organisierung im Industrieservice und Facility Management: Zwei neue Branchen als Outsourcing-Profiteure

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitNoch vor einigen Jahrzehnten erbrachten Unternehmen fast alle Arbeiten, die für ihr Geschäft notwendig waren, mit eigenem Personal. So auch die Bewirtschaftung und Instandhaltung von Gebäuden und Produktionsanlagen. Dies ist heute anders. Eigentümer großer Gebäudekomplexe (Flughäfen, Stadien, Bürokomplexe, Krankenhäuser etc.) und viele Industriebetriebe greifen für diese Aufgaben vermehrt auf externe Anbieter zurück. (…) Betriebsräte und Gewerkschaftssekretäre beschreiben die aktuelle Situation in der Mehrzahl der FS+IS-Unternehmen als einen Flickenteppich unterschiedlichster (Tarif-) Konditionen und individueller arbeitsvertraglicher Abmachungen. (…) Die durch die Outsourcing-Prozesse entstehende Auflösung von Branchengrenzen, die Problematik der Mehr-Arbeitgeber-Beziehungen (gemeint ist die Aufspaltung zwischen dem formal juristischen Arbeitgeber und dem Kundenunternehmen als eigentlichem »Beschäftigungsgeber«), die fortwährende Neuzusammensetzung der Dienstleistungs-Pakete und wechselnde Dienstleister, die überaus große innere Heterogenität der großen FS+IS-Unternehmen, schließlich der beständige Kauf und Verkauf von Unternehmensteilen – all das führt zu großen Problemen bei der Abgrenzung gewerkschaftlicher Organisationsbereiche und der Entwicklung der Gewerkschaftsarbeit…“ Artikel von Wilfried Schwetz erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 7-8/2021:

Probleme der Organisierung im Industrieservice und Facility Management

Zwei neue Branchen als Outsourcing-Profiteure – von Wilfried Schwetz*

Noch vor einigen Jahrzehnten erbrachten Unternehmen fast alle Arbeiten, die für ihr Geschäft notwendig waren, mit eigenem Personal. So auch die Bewirtschaftung und Instandhaltung von Gebäuden und Produktionsanlagen. Dies ist heute anders. Eigentümer großer Gebäude­komplexe (Flughäfen, Stadien, Bürokomplexe, Krankenhäuser etc.) und viele Industrie­betriebe greifen für diese Aufgaben vermehrt auf externe Anbieter zurück.

Der Prozess der Fremdvergabe nahm in den 1990er Jahren an Fahrt auf, wodurch schließlich zwei neue Branchen entstanden sind: Industrieservices und Facility Management. Drei wesentliche Kräfte lassen sich dabei identifizieren: a) die Privatisierung und Vermarktlichung öffentlicher Unternehmen, b) die Durchsetzung neuer Managementkonzepte wie der Lean Production mit ihrer Unterscheidung von Kern- und Unterstützungsprozessen, und c) der wachsende Einfluss der Finanzindustrie in der Wirtschaft.

Die vordergründige Bestrebung liegt in der Verminderung von Kosten, denn Dienstleistungen können meist auf dem Markt billiger eingekauft werden. Zuvörderst, weil beim Dienstleister schlechtere oder keine Tarife, Betriebsräte und gewerkschaftliche Organisierung bestehen (zumindest langfristig, wenn eine Serviceabteilung samt Personal an einen Dienstleister verkauft wird) und die Konkurrenz um den Auftrag zusätzlich die Preise senkt. Für das fremdvergebende Unternehmen ergibt sich zusätzlich ein positiver Einfluss auf Steuerlast (Einkauf von Fremdleistungen), Kapitalkosten (für Gebäude, Maschinen, Warenbestände etc.), und damit auf Cashflow, Kreditrating und letztlich ­Unternehmenswert (siehe express 7/2020, S.10f.). Die dadurch entstehenden Dienstleistungsbranchen wachsen, weil an anderer Stelle geschrumpft wird. Es entsteht letztendlich keine neue Arbeit, sondern die bisherigen Aufgaben werden nur anders und von anderen Akteuren erbracht.

Während sich das Facility Management (FM) auf Gebäude bezieht, orientiert der Industrieservice (IS) eher auf die Produktion. Der Industrieservice fokussiert auf »Planung, Errichtung, Betrieb, Instandhaltung und Modernisierung industrieller Anlagen« über den gesamten Lebenszyklus (Wirtschaftsverband für Industrieservice e.V.), wobei die ­Instandhaltung im Zentrum steht (Schuh/Gudergan/Kampker 2016; Seiter 2016). Das Beratungsunternehmen Roland Berger definiert die Aufgaben mit Industriemontagen, Instandhaltung, Technische Reinigung, innerbetriebliche Logistik und Produktionsunterstützung (Roland Berger Strategy Consultants 2010).

Industrieservice wird erbracht für die mit der Herstellung von Vorprodukten befasste Prozessindustrie und für das produzierende Gewerbe, wobei Erstere den Schwerpunkt dar­stellt: (Petro-)chemische Industrie und Kraftwerke stellen laut Lünendonk-Liste, einer jährlich aktualisierten Studie des Marktforschungsunternehmens Lünendonk & Hossenfelder, zusammen 50 Prozent der Kunden. Es folgen Maschinenbau, Automobil- und Stahlindustrie.

Wesen und Markt der Facility Services

Viele Büro- und Gewerbeimmobilien befinden sich im Eigentum von Immobilienfonds, die, abhängig vom eigenen Geschäftskonzept, entweder deren Betrieb selbst organisieren (aber nicht unbedingt selbst erbringen) oder dafür auf externe Anbieter zurückgreifen. Dabei werden häufig nicht alle Facetten des Facility Managements von nur einem Anbieter erbracht, sondern diese werden von verschiedenen Dienstleistern verantwortet (Pfnür 2011).

Eine weitere Triebfeder, die zur Entwicklung des Facility Managements beigetragen hat, ist die veränderte ökonomische Rolle, die Gebäuden innerhalb der Unternehmensstrategie großer Unternehmen zukommt. Diese werden heute als normales Anlagevermögen betrachtet, sie müssen sich hinsichtlich ihres Beitrages zum Unternehmenswert »rechtfertigen«. Sie bekommen dadurch die Aufgabe, nicht nur möglichst geringe Kosten zu erzeugen, sondern zur Werterhöhung des Unternehmens signifikant beizutragen.

Dies führt dazu, dass in den meisten Großunternehmen der Immobilienbestand in einem eigenen Bereich gebündelt wird, entweder als Konzerndivision oder als formal unabhängige Tochtergesellschaft. Die Immobilien werden dort nicht nur gehalten, sondern auch bewirtschaftet bzw. entwickelt. Dabei tritt die Immobiliensparte manchmal auch am Markt auf und übernimmt das FM für Dritte. Diese Tendenz findet sich nicht nur bei privaten, sondern auch bei öffentlichen und freigemeinnützigen Unternehmen, z.B. Krankenhäusern oder Stadtwerken. Im Falle von finanziellen Engpässen oder zur Erhöhung von Dividendenzahlungen kann das aber auch dazu führen, dass Servicegesellschaft oder Immobilien verkauft werden (Krimmling 2017: S. 41ff).

Zur Bedeutung des Facility- und Industrieservice

In den amtlichen Wirtschafts- und Arbeitsmarkt-Statistiken bildet sich die Entwicklung zur Fremdvergabe nur eingeschränkt ab, was die Einschätzung von Größe, Dynamik und der in ihnen vorherrschenden Arbeitsbedingungen schwierig macht.

Die aktuelle Klassifikation der Wirtschafts­zweige von 2008 entspricht in ihrer Struktur eher der Organisation der Wirtschaft im 20. Jahrhundert, die seitdem stattfindende Neuzusammensetzung der Wertschöpfungsketten wird nur partiell abgebildet. Der FS+IS findet sich daher nur eingeschränkt in der Systematik der Wirtschaftszweige wieder und ist zudem abhängig von Meldungen der Unternehmen: Was und wie genau sie ihre Haupt- und Nebentätigkeiten und die Zahl der beteiligten Mitarbeiter angeben, bleibt weitgehend ihnen überlassen.

Trotz aller Normierung (durch DIN oder Verbände) besteht keine Einigkeit, was jeweils zum Industrie- und Facility Service zu rechnen ist. Je nach Interessenlage werden Randbereiche mit dazu gezählt oder nicht. Es gibt Übergangszonen zu anderen Wirtschaftszweigen, wie zu Logistik, Entsorgungswirtschaft, Lohnfertigung, Engineering, Bürodienstleistungen (Backoffice) und Leiharbeit. Zudem kommt es zu einer »Veränderung der durch Spezialisierung auf bestimmte Gewerke sowie durch gesetzliche Regulierung von Handwerksberufen determinierten traditionellen Arbeitsteilung bei den gebäudebezogenen Dienstleistungen. Vorhandene Dienstleistungskonzepte und Branchenstrukturen werden durch das Konzept Facility Management in Frage gestellt, was zu einer Neuformierung von Wertschöpfungsketten führt« (Burr 2014: 44).

Der unsicheren Datenlage entsprechend, differieren die publizierten Zahlen zu Marktvolumen und Beschäftigtenzahlen. Das an externe Dienstleister vergebene Markt­volumen im IS und technischen Facility Service (TFS) beträgt zusammengerechnet 50 bis 60 Mrd. Euro (eigene Berechnung aus verschiedenen Quellen). Für das gesamte Gebäudemanagement gibt der Branchenverband GEFMA ein Marktvolumen von 134 Mrd. Euro an, wovon 62 Prozent extern vergeben sind, und eine Beschäftigung von insgesamt 4,6 Mio. Menschen an (davon 2,8 Mio. im externen FM) (Thomzik 2018).

Die heutigen Marktführer im FS+IS stammen aus sehr unterschiedlichen Ursprungs­branchen: Bauwirtschaft, Anlagenbau und Gebäudetechnik, Abfallbeseitigung, Reinigungs- und Sicherheitsdienste, Immobilienverwaltung, Energiewirtschaft, Catering; teilweise handelt es sich um Ausgründungen interner Serviceeinrichtungen.

Bei den jeweiligen technisch orientieren Konzerndivisionen handelt es sich im Kern meist um ehemalige Serviceabteilungen großer Industriekonzerne. Diese waren vor ihrem endgültigen Verkauf bereits aus dem Gesamtkonzern herausgelöst worden, teils galten die Konzerntarifverträge dort schon nicht mehr. Im Grunde sind die meisten dieser großen und separierten Servicegesellschaften irgendwann verkauft oder an die Börse gebracht worden. Einige Beispiele:

  • ThyssenKrupp HiServ, ABB Gebäudetechnik, ThyssenKrupp Industrieservice wurden an das Reinigungsunternehmen Wisag verkauft;
  • Siemens Gebäudemanagement und Lufthansa Gebäudemanagement wurden vom Baukonzern Hochtief gekauft;
  • ThyssenKrupp Xervon (Anlagenbau) ging an den Entsorger Remondis;
  • DeTe-Immobilien (Post) wurde vom Baukonzern Strabag PFS gekauft.

Die marktführenden IS+FS Konzerne integrieren heute aber, mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, vielfältige Dienstleistungen und versuchen eine möglichst breite Angebotspalette bereitzuhalten. Ziel dabei ist, sich als Komplettanbieter zu positionieren.

Dennoch lassen sich nach wie vor Schwerpunkte in der Ausrichtung auf bestimmte Gewerke und Kundenmärkte feststellen. Zunächst hinsichtlich der Orientierung auf technische oder infrastrukturelle FS, aber auch der Fokussierung auf bestimmte Kunden­märkte, wie z.B. Pflegeeinrichtungen und Kliniken, oder sogar auf Sub-Segmente wie das Klinik- oder Schul-Catering. Das heißt, Unternehmen, die an sich nicht zu den ganz Großen gehören, können durchaus in spezifischen Teilsegmenten eine dominante Stellung innehaben.

Die Ausweitung der Angebotspalette (sowie der regionalen Präsenz) geschieht vorwiegend durch Übernahme kleinerer, in fehlenden Segmenten oder Regionen agierender Konkurren­ten; teilweise aber auch durch Übernahmen innerhalb der Top 25 oder sogar Top 10. Große europäische und US-amerikanische Unternehmen betreten den deutschen Markt, meistens durch Firmenübernahmen. Geschäfte werden aber auch abgespalten und an andere Anbieter oder Private-Equity-Gesellschaften verkauft, wenn sich Unternehmensstrategien ändern oder Geld gebraucht wird. Das Bild der beiden Branchen ändert sich dadurch fortwährend.

Aber auch unternehmensintern ist ständig alles im Fluss. Ähnlich wie in der Kontrakt­logistik werden die vom Kunden vergebenen Dienstleistungspakete regelmäßig neu ausgeschrieben und neu zusammengesetzt, oftmals ausgeweitet auf bisher nicht erbrachte Tätigkeiten, für die beim Dienstleister bis dahin meist keine Kompetenz vorhanden war. Diese muss dann mühselig aufgebaut werden, falls die Aufgaben nicht an Subunternehmer vergeben werden können (was vor allem von technisch orientieren Unternehmen für die infrastrukturellen Anteile eines Auftrages praktiziert wird). Generell stellt die große Bandbreite der von den Marktführern erbrachten Teildienstleistungen unterschiedliche Anforderungen an Ressourcen, Kompetenzen und Managementprinzipien; werden ganze Unternehmensteile vom Kunden übernommen, gilt es diese zu integrieren, was oftmals konfliktträchtig ist. Schließlich stellen hohe Wachstumsraten (meist durch Zukäufe), die häufig nicht kontinuierlich, sondern in Schüben erfolgen, die Unternehmensorganisation vor große Anstrengungen. Heterogenität und Komplexität, und damit das Unternehmensrisiko, wachsen.

Wettbewerbsbedingungen und aktuelle Tariflandschaft

Es besteht ein enormer Preisdruck bei der Auftragsvergabe, wiedergewonnene Ausschrei­bungen führen meist zu geringeren Preisen. Insofern es sich dabei um Dienstleistungspakete handelt, müssen im Normalfall die Beschäftigten des infrastrukturellen Facility Service (IFS) den größten Teil der Preisnachlässe erwirtschaften, zum Beispiel durch regelmäßige Erhöhung der Leistungsvorgaben bei der Unterhaltsreinigung (so die Aussagen mehrerer Gesprächspartner). Außerdem werden Alt-Beschäftigte, die mit guten Tarifregelungen zum Dienstleister gewechselt waren, tendenziell zu teuer, wodurch ein starker Druck entsteht, sich ihrer zu entledigen.

Betriebsräte und Gewerkschaftssekretäre beschreiben die aktuelle Situation in der Mehrzahl der FS+IS-Unternehmen als einen Flickenteppich unterschiedlichster (Tarif-) Konditionen und individueller arbeitsvertraglicher Abmachungen. Die Mehrheit der großen Unternehmen ist nicht oder nur in Teilbereichen tarifgebunden, einige orientieren sich zumindest an bestehenden Tarifverträgen. Nur in wenigen Fällen konnten Tarifverträge bei Ausgliederungen komplett gerettet oder neu abgeschlossen werden; die Regel ist, dass das übernehmende Unternehmen seine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband beendet.

Die Zahl der Beschäftigten mit Alt-Tarifverträgen geht in den nicht tarifgebundenen Unternehmen kontinuierlich zurück, so dass deren komplettes Auslaufen absehbar ist. Die Unterschiede bei den Konditionen von Alt-Beschäftigten und tariflosen Neu-Beschäftigten sind teilweise erheblich (zwei bis fünf Euro pro Stunde), meist sind auch die Mantelkonditionen (Wochenstunden, Urlaub, Zulagen) deutlich schlechter. Es arbeiten somit immer mehr Menschen zu niedrigen Entgelten und allgemein schlechten Konditionen, wo früher gute oder zumindest akzeptable Bedingungen herrschten.

Gewerkschaftspolitik und Tarifverträge

Nach einer Ausgliederung setzt normalerweise ein Prozess der Entfremdung von den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen und der dortigen Gewerkschaft ein, der in eine generelle Entfremdung von der »Gewerkschaftsidee« münden kann. Dies kann selbst dann zutreffen, wenn die bisherige Gewerkschaft formal weiterhin zuständig bleibt. Bei den Belegschaften in neuen Objekten, also ohne vorherige Ausgliederung von Serviceabteilungen, entsteht eine solche meist überhaupt nicht erst. Die Gründe für diesen Entfremdungsprozess liegen vorrangig in der fehlenden gewerkschaftlichen Präsenz beim Dienstleister. Der Aufbau gewerkschaftlicher Strukturen ist zudem schwierig, weil die Leistungserbringung des Dienstleisters in dezentralisierter Form, oft in kleinen Einheiten und im Kundenbetrieb erfolgt, was den organisatorischen Aufwand der gewerkschaftlichen Organisierung enorm erhöht.

Die durch die Outsourcing-Prozesse entstehende Auflösung von Branchengrenzen, die Problematik der Mehr-Arbeitgeber-Beziehungen (gemeint ist die Aufspaltung zwischen dem formal juristischen Arbeitgeber und dem Kundenunternehmen als eigentlichem »Beschäftigungsgeber«), die fortwährende Neuzusammensetzung der Dienstleistungs-Pakete und wechselnde Dienstleister, die überaus große innere Heterogenität der großen FS+IS-Unternehmen, schließlich der beständige Kauf und Verkauf von Unternehmensteilen – all das führt zu großen Problemen bei der Abgrenzung gewerkschaftlicher Organisationsbereiche und der Entwicklung der Gewerkschaftsarbeit.

Diese Probleme sind aber keine neue Erscheinung. So erkennt das Grundsatzprogramm des DGB von 1996 bereits die bevorstehende Entwicklung, verengt sie in der Folge aber auf eine notwendige Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes:

»Betriebsaufspaltungen, der Einsatz von Fremdfirmen, die Neugliederung von Unternehmen und Konzernen erfordern zugleich eine Erweiterung des Betriebs- und Unternehmensbegriffs. Die Gewerkschaften setzen sich entschieden dafür ein, dass durch eine Novellierung der Betriebsverfassung die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Interessen­vertretung und Mitbestimmungspraxis verbessert werden.«

Als Konsequenz ergehen sich beteiligte Gewerkschaften oftmals in Statuskämpfen um vorhandene Mitglieder, bestehende Mandate und formale Zuständigkeiten – während die riesigen und wachsenden unorganisierten Bereiche in den Unternehmen unbearbeitet bleiben. Nicht selten kommt es aber auch vor, dass sich die Gewerkschaft des Kundenunternehmens für wesentliche Teile der Wertschöpfungskette, die nun von Dienstleistern erbracht werden, kaum (noch) interessiert und sie nur zu gerne an andere Gewerkschaften abgibt.

Die Alternative zu Konkurrenz oder Links-liegen-Lassen wäre die Kooperation. In fast allen Großunternehmen treffen mehrere Gewerkschaften aufeinander: durch Mitglieder, in den weniger werdenden Aufsichtsräten, durch Tarifverträge. In der Tarifpolitik ist Kooperation in Form von Tarifgemeinschaften eher selten, ein Beispiel ist die Tarif­gemeinschaft zwischen IGM, IG BAU und IG BCE im Fall der Wisag Produktionsservice GmbH. Solche Tarifgemeinschaften betreffen fast immer Haustarifverträge für Teilsegmente der FS+IS-Unternehmen, nur ausnahmsweise gelten sie für ganze (Teil-)Branchen, wie z.B. die Immobilienwirtschaft (Tarifgemeinschaft zwischen IG BAU und ver.di). Tarif­gemeinschaften für ganze Konzerne des FS+IS haben sich bisher nicht gebildet.

Es wäre an den Gewerkschaften, selbst Ziele und Konzepte für die Branche zu definieren und in die Belegschaften zu tragen. Zur erfolgreichen Organisierung muss es ein Ziel geben, das avanciert genug ist, um sich dafür aktiv einzusetzen, und zugleich als erreichbar gilt. Um ein solches zu entwickeln, bedarf es weitergehender organisations- und branchenpolitischer Überlegungen, die über den Status quo hinausweisen.

Vorrangig wäre die Definition und Abgrenzung der Branche, für die man etwas erreichen will. Die größte Homogenität besteht sicherlich beim TFS+IS, auch sind die Beschäftigten dort, zumindest auf den ersten Blick, kampfstärker (Stichwort Fachkräftemangel) und weniger verwundbar als prekär beschäftigte Niedriglöhner, zu denen das gesamte IFS, aber auch viele Teile des IS (Industriereinigung, Produktionsunterstützung) gehören. Abgrenzungsmerkmal könnte die Unterscheidung in gebäudenahe und Gebäude unabhängige Dienste sein, wobei man die einen als »Dienste am Gebäude« und die anderen als »Dienste im Gebäude« bezeichnen kann (sie finden in Gebäuden statt, haben aber mit dem Gebäude selbst nichts zu tun). Weiter wäre zu klären, in welchem Verhältnis eventuelle neue Tarifwerke zu den schon bestehenden stehen sollen, leicht entsteht ein neues Abgrenzungsproblem.

Artikel von Wilfried Schwetz erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 7-8/2021

* Wilfried Schwetz ist freiberuflicher Gewerkschaftsforscher und recherchiert im Auftrag verschiedener Gewerkschaften.

Siehe auch: Gewerkschaftliche Identitätsfragen. Entwicklungsmöglichkeiten und Ansatzpunkte gewerkschaftlicher Arbeit im Facility- und Industrieservice. Gespräch mit Wilfried Schwetz, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 7-8/2021

Literatur:

  • Burr, Wolfgang (Hrsg.) (2014): Innovation. Theorien, Konzepte und Methoden der Innovationsforschung. Stuttgart.
  • Krimmling, Jörn (2017): Facility Management. Strukturen und methodische Instrumente. Stuttgart.
  • Pfnür, Andreas (2011) Modernes Immobilienmanagement, Berlin.
  • Schuh, Günter, Gerhard Gudergan und Achim Kampker (2016): Management industrieller Dienstleistungen, Berlin.
  • Seiter, Mischa (2016): Industrielle Dienstleistungen, Berlin.
  • Thomzik, Markus (2018): Branchenreport Facility Management 2018: Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Facility-Management-Branche, Bochum: Institut für angewandte Innovationsforschung Bochum (IAI) e.V.

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