COVID-19 bei DHL-Express: Arbeiten in der „kritischen Infrastruktur“ der Logistik

Dossier

Held der ArbeitIch arbeitete bis vor kurzem im DHL-Express-Hub am Flughafen Leipzig-Halle in Schkeuditz (im Folgenden: DHL). Mit fast 6.000 Beschäftigten handelt es sich um einen der größten privaten Arbeitgeber in der Region. Das Hub ist ein zentraler Umschlagpunkt für Sendungen, die per Express-Service verschickt werden. (…) COVID-19 wirkt sich aber keineswegs nur durch die Infektionsgefahr auf die Arbeit aus, viel entscheidender scheint mir das wachsende Frachtvolumen in der Pandemie. Anfang Dezember überstieg das nächtliche Frachtvolumen zum ersten Mal 630.000 Sendungen pro Nacht. 2020 war allgemein ein Rekordjahr für DHL, die dementsprechend auch Rekordumsätze machten. Um die Fracht zu bearbeiten, haben sie neue Arbeiter*innen in der Region angeworben, aber auch über Leiharbeitsfirmen von anderen Flughäfen und aus anderen Ländern der EU. Zusätzlich sammelten sich auf den Arbeitszeitkonten der Arbeiter*innen Überstunden an. Es ist nicht abzusehen, wann diese abgebummelt werden können. Einige Arbeiter*innen stoßen in dieser Situation physisch und psychisch an ihre Grenzen. (…) Ich will auf sechs Ebenen beleuchten, wie sich die COVID-19-Pandemie auf die Arbeit im Hub ausgewirkt hat: (1) Die Zusammensetzung der Belegschaft, (2) die Ausbildung (3) die Arbeit selbst, (4) die Arbeitsrahmenbedingungen: Zeit und Geld, (5) Firmenideologie und betriebliche Öffentlichkeit, sowie (6) die Kampfbedingungen und Kampfformen der Belegschaft. Den letzten Punkt würde ich sehr gerne weiterdiskutieren. Ich sehe hier eine sehr konfliktreiche Situation…“ Lesenswerter Bericht am 28. Dezember 2020 bei solidarischgegencorona externer Link – insbesondere (6) Kampfbedingungen und Kampfformen der Belegschaft, siehe einen vom Drehkreuz (Hub) Leipzig-Halle und weiter:

  • Paketboten: Treppauf, treppab, Straße für Straße New
    Während Deutschland im Homeoffice arbeitet, schultern die Lieferanten so viel wie sonst nur vor Weihnachten. Ist es solidarisch, nicht zu bestellen? Wir befinden uns im zweiten Jahr der Corona-Pandemie. Ganz Deutschland ist seit Monaten im Homeoffice. Ganz Deutschland? Nein, Pakete werden weiterhin ausgeliefert. Im Homeoffice wird bestellt, ins Homeoffice wird geliefert, aber das setzt voraus, dass dazwischen jemand draußen unterwegs ist, treppauf, treppab, Hause für Haus, Straße für Straße. Der Arbeitsdruck für Paketboten ist seit Pandemiebeginn enorm, der Gesundheitsschutz hingegen nicht. Daniel* liefert für DHL Päckchen aus; seinen echten Namen will er nicht veröffentlicht sehen. „Es ist seit April 2020 jeden Tag wie sonst nur kurz vor Weihnachten“, sagt er. „Wir arbeiten ohne Verschnaufpause.“ 15 Prozent mehr Pakete habe DHL im vergangenen Corona-Jahr ausgeliefert. Das bedeutet eine Profitsteigerung für das Unternehmen, von der Daniel aber nichts merkt. Im Gegenteil: In seinem Arbeitsvertrag sind 38,5 Stunden pro Woche vereinbart. „Ich arbeite fast jede Woche eher 60 Stunden“, sagt er. Eigentlich müssten Überstunden ausgezahlt werden. Daniel sagt: „Unsere Vorgesetzten zweifeln an, dass wir Überstunden machen. Wir bekommen die nicht ausgezahlt.“ Und: „Wer versucht, sich dagegen zu wehren, muss mit Sanktionen rechnen.“ Abmahnungen. Oder Kündigungen. Wie sieht es mit Streik aus? „Schwierig. Unsere Betriebsräte unterstützen uns nicht.“ Und mit Hygienemaßnahmen? „Mein Schutz sind ein Wasserkanister und Seife im Auto. Das war’s.“ Die größte Angst machen Daniel die Schichtwechsel…“ Artikel von Nina Scholz vom 23.02.2021 im Freitag online externer Link (Ausgabe 07/2021)
  • Fix und fertig. Leipzig: Umschlag von DHL-Frachtgütern am Airport auf Rekordniveau. Beschäftigte am Limit – Arbeitsunfälle an der Tagesordnung 
    Es ist die pure Schinderei: Hunderttausende Sendungen ausladen, einscannen, einladen – alles in einer Nachtschicht. Unter dem Strich rund 1,4 Millionen Tonnen Frachtgüter 2020. Am Drehkreuz (Hub) Leipzig-Halle, mit Sitz in Schkeuditz, wird viel bewegt. Hauptkunde in Nordsachsen ist die Deutsche-Post-Tochter DHL Express. Und die expandiert. (…) Ein Rekordergebnis auf Kosten der Beschäftigten. Was sofort auffällt: Die Betroffenen, selbst langjährige Gewerkschafter, reagieren auf Anfragen zurückhaltend und äußern sich, wenn überhaupt, nur unter vorgehaltener Hand und wollen nicht mit ihren richtigen Namen zitiert werden. Vielleicht aus diesem Grund: die Betriebsordnung. Die internen Anweisungen, die jW vorliegen, sind rigide: »Jeder Versuch der Presse, mit Beschäftigten in Verbindung zu treten, ist dem jeweiligen Vorgesetzten zu melden.« (…) »An Spitzentagen im Dezember haben wir in einer Schicht bis zu 680.000 Sendungen kommissioniert«, erzählt Stefan Schulze*, der als Paketsortierer Flugzeugcontainer be- und entlädt, am Sonnabend im jW-Gespräch. Der Gewerkschaftsaktivist hat eine 30-Stunden-Woche, schuftet nur nachts, in der Regel von 22 bis fünf Uhr. Abweichungen sind üblich. Das aktuelle Pensum sei oft nur durch »extrem flexibilisierte Extraarbeit« möglich, sagt er. In der Tat: »Es wird notwendig sein, das derzeitige Sortierfenster um 30 bis 60 Minuten zu verlängern/anzupassen«, steht in einer »wichtigen DHL-Mitarbeiterinformation« vom Dezember 2020, die jW vorliegt. Und das bei einem Einstiegsgehalt von 12,50 Euro pro Stunde – brutto, versteht sich. Um finanziell über die Runden zu kommen, benötigten Beschäftigte die Sonn- und Feiertagszuschläge, betonte Gabelstaplerfahrer Uwe Schwabe* am Sonnabend gegenüber jW. Nur: »Die liegen aber mit 70 bzw. 100 Prozent des Grundlohns unterhalb der Maßgabe von 100 bzw. 125 Prozent.« Vor allem ärgert ihn, dass die »Hausgewerkschaft« Verdi dem per Betriebsvereinbarung zugestimmt hat. Der körperliche Verschleiß ist enorm. »Der Krankenstand liegt konstant zwischen zehn und 15 Prozent der Belegschaft«, lässt ein Betriebsratsmitglied diese Zeitung wissen. Und ein weiterer, älterer Kollege, der bereits Jahre in der Frachtabfertigung beschäftigt ist, wird deutlicher: »Die verheizen dich hier, wir werden regelrecht zermatscht. (…) »Im vergangenen Jahr hat es meines Wissens nach in der großen Sortierhalle am Hub Leipzig 240 gemeldete Arbeitsunfälle gegeben.« Knapp ein Drittel der Kollegen sei danach arbeitsunfähig gewesen, erinnert sich Schwabe. Schuld daran sei auch, dass das Frachtvolumen immer größer werde, auch an »normalen Werktagen«. Ein Grund ist dieser: Mit dem Brexit ist die Arbeitsintensität gestiegen. (…) Besonders perfide: Anfang des Monats soll die Hubleitung verkündet haben, dass Abteilungen, die keine Arbeitsunfälle melden, betriebsintern Prämien und Preise erhalten: Sticker, Snacks, Jacken. (…)Das DHL-Express-Management um den Hubleiter Ralph Wondrak versucht offenbar, die Belegschaft bei Laune zu halten. Wondrak geriert sich nach Aussage von Beschäftigten bisweilen als eine Art Motivationskünstler. In der Nachtschicht zu Freitag soll er sich über die zahlreich in der Sortierhalle montierten Großbildschirme mit Durchhalteparolen nach dem Motto: »Die Arbeitsbelastung ist sehr hoch, aber wir schaffen das!« an die Werktätigen gewandt haben. Eine skurrile Videobotschaft, die laut Schulze wegen des Lärmpegels in der Halle kaum verständlich war. Oder wie Schwabe spitz bemerkte: »Bei solchen Märchenstunden hört doch eh keiner mehr hin.«…“ Artikel von Oliver Rast in der jungen Welt vom 08.02.2021 externer Link
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