Erster Streik in der Geschichte des Secondhand-Versandhändlers Momox in Leipzig für Tarifvertrag und mehr Respekt für die migrantisch geprägte Belegschaft

Erster Streik in der Geschichte des Secondhand-Versandhändlers Momox in Leipzig für Tarifvertrag mit mehr Geld und mehr Respekt für die migrantisch geprägte BelegschaftDie Gewerkschaft ver.di ruft die Beschäftigten der momox Services GmbH am Standort in Leipzig am 30.10.2025 von 0:00 Uhr bis 23:59 Uhr zum ersten Warnstreik in der Geschichte des Unternehmens auf. Sie fordert die Anerkennung der Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. (…) Dem Arbeitskampf ging eine lange Phase (seit 2021) voraus, in der aktive ver.di – Mitglieder in hunderten Befragungen und zahllosen Gesprächen die Themen und Probleme der Kolleginnen und Kollegen gesammelt, besprochen und bewertet haben. „Sie berichten von existentiellen Nöten, mit dem Lohn von momox ihr Leben und das ihrer Familie finanzieren zu können. Dabei geht es um so grundlegende Dinge wie sich die Miete, (gesundes) Essen und Heizen leisten zu können. Sie berichten von Leistungsdruck durch Vorgesetzte, von respektlosem, diskriminierendem und rassistischem Umgang im Arbeitsalltag und einer Stimmung der Angst. Nun nehmen sie ihr Grundrecht wahr und wehren dagegen!“, so Ronny Streich…“ Pressemitteilung vom 30.10.2025 von ver.di Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen externer Link und mehr Infos wie Hintergründe:

  • Secondhandbedingungen: Nach dem ersten Streik bei Secondhandhändler Momox in Leipzig kämpft nun Betriebsrat Boris B. gegen eine Abmahnung New
    Hinter der Fassade des sich als alternativ und nachhaltig gebenden Secondhandhändlers Momox verbergen sich prekäre und schlechte Arbeitsbedingungen, insbesondere für migrantische Arbeiter. Am 30. Oktober streikten die Momox-Beschäftigten in Leipzig zum ersten Mal in der Geschichte des Unternehmens für einen Tarifvertrag. Ihr Slogan: »Wir wollen Respekt.« Doch Momox versucht, ihnen laut Beschäftigten und Gewerkschaft Steine in den Weg zu legen. (…)
    Boris B. arbeitet seit 2018 bei Momox, ist Mitglied des Betriebsrat und bei Verdi. Er hat den Streik mitorganisiert. Weil er im vergangenen März dabei beobachtet worden sein soll, wie er in seiner Rolle als Betriebsrat Verdi-Flyer verteilt habe, hat der Konzern ihn abgemahnt. Dagegen hat B. geklagt. B.s Anwältin bestreitet, dass eine Vermischung von gewerkschaftlicher und Betriebsratstätigkeit pauschal ein Grund für eine Abmahnung sei. »Momox hat Angst, dass wir viele gewerkschaftlich organisierte Kollegen in diesem hauptsächlich migrantisch geprägten Betrieb organisieren«, so B. gegenüber jW. (…) Insgesamt beschäftigt der Konzern deutschlandweit an drei Standorten nach eigenen Angaben 2.100 Menschen. Leipzig ist mit 1.200 Arbeitern der größte Standort. Rund 70 Prozent von ihnen sind laut Verdi migrantisch. Seit 2012 hat sich der Profit des Konzerns von 58 auf 377 Millionen Euro versechsfacht.
    Boris B. ist nicht der erste gewerkschaftlich aktive Kollege mit einer Abmahnung und wird wohl auch nicht der letzte sein. Da es beim ersten Gerichtstermin am Montag zu keiner Einigung kam, wird der Fall im kommenden Juli vor dem Arbeitsgericht Leipzig verhandelt. B. weiß, dass er für seine Rechte und die seiner Kollegen weitermachen will. »Wir kämpfen jetzt seit über fünf Jahren«, so B. »Wir haben da viel Schweiß und Ehrenamt reingesteckt. Das lassen wir uns jetzt nicht wieder wegnehmen
    .«“ Artikel von Yaro Allisat, Leipzig, in der jungen Welt vom 20.11.2025 externer Link („Secondhandbedingungen: Prekär Beschäftigte bei Gebrauchtwarenhändler Momox organisieren sich und streiken erstmals in der Geschichte des Unternehmens“)
  • [Video] Sommerfest bei momox New
    In diesem ergreifenden Video sieht man eigentlich nur ein Sommerfest der momox Belegschaft in Leipzig. Beim Betrachten lernt man aber auch viel über die Lage migrantischer Arbeiter*innen in Deutschland und über den Mut, den es braucht, um gegen schlechte Arbeitsbedingungen aufzubegehren und sich zu organsieren. „momox ist (…) kein Arbeitgeber wie jeder andere. Das Unternehmen ist eine Anlaufstelle für diejenigen, die anderswo keine Chance bekommen. Menschen mit Duldung, mit unsicherem Aufenthaltsstatus, mit gebrochenem Deutsch. Sie arbeiten, um bleiben zu dürfen. Der Arbeitsplatz ist für sie nicht nur eine Einkommensquelle, sondern die Bedingung für ihr Recht, in Deutschland zu leben. Eine Falle aus Papier und Angst.“ (Osman Oğuz) Bei momox in Leipzig arbeiten 1200 Menschen. Die Belegschaft hat am 30. Oktober 2025 das erste Mal gestreikt. Die Kolleg*innen kämpfen für einen Tarifvertrag.“ Video von Streiksoli Leipzig bei labournet.tv externer Link (2025, 10min, deutsch mit dt. UT)
  • Momox-Streik in Leipzig: Arbeiten, um zu bleiben. Wie Momox mit der Angst von Geflüchteten Geschäfte macht
    Der Himmel ist blau und die Sonne zeigt sich wieder, doch ein kalter Wind fegt über den Parkplatz des Momox-Lagerhauses in Mockau am Rande von Leipzig. Die Menge vor dem Gebäude lässt sich davon jedoch nicht vertreiben. “Du kannst uns nicht übersehen”, ruft Gewerkschafter Ronny am Telefon. Die Aufregung in seiner Stimme klingt nach historischer Bedeutung, von der mir später viele erzählen werden. Aus der Ferne ist bereits das Rufen der Streikenden zu hören. Bald sieht man auch ihr Transparent: “Wir wollen Respekt.”
    Dies ist der erste Streik in der Geschichte des Unternehmens. Ein Akt der Selbstermächtigung, der unter widrigsten Bedingungen entstanden ist. Boris vom Betriebsrat, der selbst Logistikarbeiter ist, bringt es auf den Punkt: “Das ist ein historischer Moment, und ich bin unendlich stolz darauf!” Die Kolleg:innen sind gut gelaunt, lachen, klopfen sich gratulierend auf die Schultern und applaudieren ihrem eigenen Streik – Gesten der Solidarität und des Kampfes. Jeden Tag sind sie zum Arbeiten hier, heute sind sie gekommen, um nicht zu arbeiten. Für einen Tag entziehen sie sich einer Logik, die ihr ganzes Dasein bestimmt: der Logik der Verwertbarkeit und der Angst.
    Das Geschäft mit der Prekarität
    Hinter der Fassade des nachhaltigen Secondhand-Händlers Momox, der sich progressiv und weltoffen gibt, verbirgt sich ein anderes Bild: ein System, das die prekäre Lage von Geflüchteten ausbeutet. Seit 2012 hat sich der Umsatz des Unternehmens von 58 auf 377 Millionen Euro mehr als versechsfacht. Doch an denjenigen, die in den Leipziger Hallen den Warenstrom am Laufen halten, ist dieser Boom spurlos vorbeigegangen. Sie berichten von existentiellen Nöten, stagnierenden Löhnen und Respektlosigkeit.
    Schätzungsweise haben 70 Prozent der gesamten Belegschaft hier einen Migrationshintergrund (…)
    Wer aus Angst arbeitet, wer täglich funktioniert, um bleiben zu dürfen – der arbeitet längst nicht mehr nur für den Lohn. Unter Kolleg:innen fällt deshalb manchmal das harte Wort “Sklave”. Es ist zwar eine überspitzte Metapher, doch sie beschreibt das Gefühl, keine Wahl zu haben. Das Gefühl, dass es egal ist, was mit ihnen passiert. Wenn Menschen arbeiten, weil sie sonst ihr Aufenthaltsrecht verlieren oder ihre Familie nicht nachholen können, ist die Grenze zwischen Zwang und Freiwilligkeit verschwommen.
    Gas geben!”
    Die Forderung nach “Respekt” zieht sich wie ein roter Faden durch alle Gespräche. Doch was bedeutet das konkret? Mehmet nennt ein Beispiel für die viel erwähnte Respektlosigkeit: “Wenn sich ausländische Arbeiter unterhalten, kommt der Teamleiter sofort. Bei deutschen Kollegen senkt er den Kopf und geht weiter. Bei uns werden aus zwei Augen zehn.” Es ist die alltägliche Demütigung, die sich in allen Lebensbereichen zeigt. Die stille, aber stetige Botschaft lautet: Ihr seid hier nur geduldet. Ihr seid anders. Ihr seid nur etwas wert, wenn ihr das beweist – also, macht euch an die Arbeit! (…)
    Organisiert mit Händen und Füßen
    Der Momox-Streik ist nicht nur deshalb historisch, weil es der erste in der Unternehmensgeschichte ist, sondern auch, weil er von Arbeiter:innen mit unzähligen Muttersprachen organisiert wurde. Dieser Stolz schwingt mit, wenn Mehmet auf die Frage, wie sie es geschafft haben, antwortet: “Wir sprechen mit Händen und Füßen. Trotzdem finden wir Wege, uns zu verstehen. Heute sind wir alle zusammengekommen.” Das Unternehmen lehnt bisher alle Forderungen nach Tarifverhandlungen ab, so Verdi. Die Gewerkschaft zeigt sich entschlossen, den Arbeitskampf zu intensivieren, und setzt der Ignoranz des Unternehmens eine “demokratische Haltung” entgegen: “Es ist egal, woher wir kommen. Wir sind alle Arbeitnehmer:innen mit den gleichen Interessen und Träumen. Wir fordern Respekt!”
    Die gebrochene Schweigemauer
    Die historische Bedeutung dieses Streiks liegt auch darin, dass die Schweigemauer durchbrochen wurde. Er deckt die Widersprüche unserer Gegenwart auf: Menschen, die nur bleiben dürfen, wenn sie arbeiten, und Firmen, die davon profitieren, dass sie bleiben müssen. Doch die Kundschaft von Momox, die sich mit dem Kauf von Secondhand-Waren oft auch moralisch gut fühlt, wäre wohl entsetzt, wenn sie wüsste, zu welchem Preis ihre “nachhaltigen” Einkäufe möglich sind. Genau hier liegt eine immense Macht der Streikenden. Sie entlarven den Widerspruch zwischen schöner Corporate-Fassade und hässlicher Arbeitsrealität. Sie zeigen: Das Geschäftsmodell von Momox beruht auf der Ausbeutung jener, die aus Angst schweigen. Doch jetzt brechen sie ihr Schweigen. Sie machen ihre Stimmen hörbar und ihre Gesichter sichtbar. Der Erfolg des Streiks wird nicht allein das Werk der Entschlossenheit der Arbeiter:innen sein. Die Streikenden haben den ersten Schritt getan und ihre Angst überwunden. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Gesellschaft ihnen zur Seite steht und gemeinsam mit ihnen sagt: Wir auch!
    …“ Umfangreicher Bericht von Osman Oğuz vom 3. November 2025 beim Sächsischen Flüchtlingsrat externer Link mit Fotos
  • Streik beim Leipziger Versandhandelunternehmen Momox
    Beim Leipziger Momox-Standort wurde heute die Arbeit niedergelegt. Die Beschäftigten fordern mehr Geld, Wertschätzung und im Allgemeinen bessere Rahmenbedingungen. Das Unternehmen selbst reagiert mit Unverständnis und weist die Vorwürfe zurück. Genauere Informationen dazu und zu dem heutigen Streik erhielt Radio Corax darüber im Gespräch mit ver.di-Gewerkschaftssekretär Ronny Streich.“ Interview vom 30. Oktober 2025 bei Radio Corax externer Link Audio Datei
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=232134
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