Ausbeutung am Kreuzfahrtschiff: So hebeln Subunternehmen Arbeitsrecht aus – am Beispiel der Meyer Werft in Wismar

Initiative gegen Kreuzfahrt: Kreuzfahrtschiffe (k)enternAuf der Meyer Werft in Wismar wird für den Disney-Konzern gerade eines der größten Kreuzfahrtschiffe der Welt fertig gebaut. Auch Anamaria Ciocia aus Rumänien hat für kurze Zeit daran mitgearbeitet. Ihr Fall gibt Einblick in ein ausbeuterisches System. (…) Bei ihrer Arbeit auf der Meyer Werft in Wismar hat sie sich am 24. Mai den Knöchel gebrochen. Seit mehr als einem Monat wartet sie auf die Anerkennung des Arbeitsunfalls und auch auf mehrere Hundert Euro Lohn: „Ich habe so etwas nicht erwartet. Wir wurden wie Sklaven behandelt. Genau wie Sklaven. Und nicht nur wir, die meisten auf dieser Baustelle wurden so behandelt“, sagt Anamaria Ciocia über ihre Woche in Wismar…“ Beitrag von Carolin Kock vom 14.08.2025 im NDR externer Link („Ausbeutung am Kreuzfahrtschiff: So hebeln Subunternehmen Arbeitsrecht aus“) und mehr daraus/dazu:

  • Weiter aus dem Beitrag von Carolin Kock vom 14.08.2025 im NDR externer Link : „… Litauische Firma rekrutiert für Auftrag in Wismar
    Im Frühjahr sind sie und ihr Mann auf die Facebook-Anzeige einer rumänischen Vermittlungsagentur gestoßen. Gesucht werden Arbeitskräfte für Werftjobs in ganz Europa. So sind sie in Kontakt mit der litauischen Firma Maviga Pro gekommen. Doch die bietet ihnen seinerzeit keinen Job in Litauen an, sondern in Wismar: „Wir wussten nicht, dass es um Deutschland geht. Es ist uns egal, wohin wir geschickt werden, wichtig ist, dass es Arbeit gibt.“ Anamaria Ciocia unterschrieb einen 18-seitigen Arbeitsvertrag – auf Litauisch und Englisch. Drei Monate lang soll sie auf der Werft in Wismar als „Interior fitter“ an der Innenausstattung des Disneyschiffes arbeiten. Ein Video von ihrer Unterkunft für die Zeit zeigte eine einfache, moderne Zwei-Raum-Wohnung mit Balkon.
    Die Unterkunft: „Der Dachboden eines Viehstalls“
    Doch vor Ort war alles anders als erwartet. Kurz vor Mitternacht kamen Anamaria Ciocia und ihr Mann an der Unterkunft an: „Es war stockdunkel. Ich konnte nicht sehen, um was für ein Gebäude es sich handelte. Erst am Morgen haben wir erkannt, wo wir eigentlich untergebracht waren. Es war tatsächlich der Dachboden eines Viehstalls.“ Am nächsten Morgen um 6 Uhr, erzählt sie, wurden sie von einem Vorarbeiter zur Werft gebracht, bekamen dort ihre Zugangskarten und Arbeitsausrüstung – nicht von Maviga Pro, sondern von der Firma NIT, der Naval Interior Team GmbH. Bei den NIT-Mitarbeitern sprach Anamaria Ciocia den prekären Zustand ihrer Unterkunft an: „Sie sagten uns, wir sollen Geduld haben, wir würden am Ende des Tages zu einer anderen Unterkunft gebracht.“ Und noch etwas war vor Ort anders: Statt die Innenausstattung zu bauen, sollten Anamaria Ciocia und ihre Kollegen nun Müll vom Schiff tragen – über Treppen von Deck zu Deck. (…)
     Anamaria Ciocia gelangte über eine Kette von Subunternehmen nach Wismar: Für den Innenausbau des Schiffes hat die Meyer Werft einen Werkvertrag mit der Firma NIT geschlossen. NIT hat dafür die litauische Firma Maviga Pro beauftragt. Die wiederum rekrutierte dafür Anamaria Ciocia und ihre Kollegen aus Rumänien. Dass ausländische Arbeitskräfte über drei bis vier Ländergrenzen hinweg vermittelt werden, komme immer häufiger vor, erklärt Mirela Caravan vom Nationalen Gewerkschaftsblock in Bukarest, denn für die Generalunternehmer habe das Vorteile: „Das liegt eindeutig daran, dass der Subunternehmer Arbeitskräfte zu einem niedrigeren Preis anbietet. Sie nutzen Schlupflöcher und missbrauchen so die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union.“ Subunternehmerketten hätten häufig zur Folge, dass die nationalen Arbeitsnormen umgangen werden, sagt Mirela Caravan. (…)
     Dass ausländische Unternehmen Arbeitskräfte „entsenden“, ist legal, selbst wenn die Arbeiter aus einem anderen Land kommen. Doch Anamaria Ciocia hat ihren litauischen Arbeitsvertrag erst fünf Tage vor ihrer Abreise nach Wismar unterschrieben. Weil sie nie in Litauen war und auch nie zuvor für Maviga Pro gearbeitet hat, hätte sie in Deutschland versichert werden müssen, erklärt Stefanie Albrecht: „Frau Ciocia war vorher ja gar nicht im litauischen Sozialversicherungssystem gemeldet. Sie hätte zwar von Maviga Pro nach Wismar entsendet werden dürfen, aber nicht mit der günstigeren Sozialversicherung in Litauen, sondern mit der teureren Sozialversicherung in Deutschland.“ Festgeschrieben ist das in der EU-Verordnung 987/2009 zur „Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“ – die Praxis in diesem Fall also illegal. (…)
     Mirela Caravan vom Nationalen Gewerkschaftsblock in Rumänien versucht vor Ort so viele Menschen wie möglich aufzuklären, bevor sie sich auf ein Jobangebot im Ausland einlassen. Um den Missbrauch von grenzüberschreitender Entsendung zu verhindern, müssten auch die Gewerkschaften grenzüberschreitend zusammenarbeiten: „Ein Gesetz ist ein lebendiges Gebilde und muss aktualisiert und geändert werden, denn die Übeltäter finden immer Schlupflöcher und alle möglichen Wege, sich ihren Verpflichtungen zu entziehen. Daher ist eine solche transnationale Infrastruktur sehr wichtig.“ Der Verein CORRECT hat mehrere Zweigstellen in MV und in anderen Bundesländern. Der Deutsche Gewerkschaftsbund betreibt das bundesweite Netzwerk „Faire Mobilität“, das Beratungen in verschiedenen Sprachen anbietet…
     Anamaria Ciocia hätte sich nicht vorstellen können, dass ihr so etwas in Deutschland passiert. Aber sie kennt andere Rumänen, die Ähnliches erlebt haben – jedoch nicht darüber sprechen. Entweder weil sie Monate lang darauf hoffen, ihren Lohn doch noch zu bekommen oder schon wieder in einem ganz anderen Land unterwegs sind. So wie ihre Kollegen, mit denen sie in Wismar war: Die sind schon wieder auf einer Werft in Spanien. Auch Anamaria Ciocia wäre jetzt dort, wenn sie wieder laufen könnte. Für den Unfall kann niemand etwas, sagt sie, aber sehr wohl für den Umgang damit: „Ich finde, alle sind verantwortlich. Auch Meyer sollte wissen, was bei den Firmen auf der Baustelle passiert und was die Arbeits- und Unterkunftsbedingungen sind. Wenn die Verantwortung von einem auf den anderen geschoben wird, tut am Ende überhaupt niemand etwas
    .“…“
  • Ausbeutung: „Unsichtbare“ halten die Wirtschaft am Laufen
    Der freie Journalist und Buchautor Sascha Lübbe spricht im Interview über ein „ausbeuterisches“ System der Subunternehmen. Interview vom 14.08.2025 in
    NDR 1 Radio MV
    externer Link Audio Datei

Siehe zuletzt zu Meyer Werft das Dossier: Der nächste Rettungsplan für die Meyer Werft und ihre Kreuzfahrtschiffe 2024: Wieder durch die Belegschaft und Staatshilfen?

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=230050
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