Prozessbericht Maredo 31.07.2012 Frankfurt/M.

Exklusiv Der gestrige 31.Juli ist bereits der dritte Verhandlungstag der ersten Instanz in der Prozeßsache Maredo gegen den Betriebsrat der Filiale in der Frankfurter Freßgass. Bereits in Mai und Juni gab es vielstündige Verhandlungen. Diesmal sieht es so aus, daß der Richter Professor Becker und die beiden ehrenamtlichen Richter zu einem Ende kommen könnten. Jeder der Prozesse gegen die drei BR-Mitglieder hat einen eigenständigen Charakter.

Wieder beginnt der Verhandlungstag mit der Kollegin V. M. . Auch die letzten Male lag die Hauptlast auf ihr. Diesmal wird es sich weit über zwei Stunden um sie drehen. Ohne dass sie ein einziges mal selbst zu Wort kommt. Die Kollegin ist 60 Jahre alt, seit 28 Jahren bei Maredo, und schwerbehindert. Ihr wird vom Arbeitgeber vorgeworfen, Brotkanten gegessen zu haben und aufbereitetes Wasser aus der Postmixanlage getrunken zu haben. Den Vorwurf, Essen ohne Bonierung gegessen zu haben, konnte sie bereits bei der letzten Sitzung widerlegen.

Der Fall des Kollegen M.W. stellt sich anders da: Er ist Betriebsleitungsassistent, seit zehn Jahren ist er bei Maredo, seit sechs Jahren gehört er dem Betriebsrat an. Der Umstand, dass er sowohl der Betriebsleitung als auch dem Betriebsrat angehört, läßt die Vertreter der Arbeitgeberseite besonders zornig agieren: sie sprechen von „besonderer Verantwortung“ und „doppelter Vorbildfunktion“. Der Richter Professor Becker faßt die Vorwürfe Maredos zusammen: „mangelnde Aufsichtspflicht“ und das Ausgeben von Getränken an Mitarbeiter. Die Sache mit der Aufsichtspflicht will Maredo mit Aussagen von ihren „verdeckten Ermittlern“ und der eigenen Auswertung aus illegal erhobener mehrwöchiger Videoüberwachung mit drei geheimen Kameras belegen. Der Richter allerdings hört keine Zeugen an, sieht sich keine Videos an. Wie in allen anderen Prezessen von Kollegen gegen Maredo agiert er auch diesmal: Keiner dieser umstrittenen „Beweise“ wurde herangezogen. Der Richter zeigt sich mit den Ausführunbgen der Arbeitgeberseite nicht zufrieden: Er will wissen, was M.W. jetzt eigentlich vorgeworfen wird: War es eine Handlung? Oder eine Unterlassung? Wo lag die Schuld? Maredo argumentiert, M.W. sei ein „Teil des Systems“ gewesen.

Die Maredo-Anwälte wollen unbedingt noch ein Thema ansprechen, bevor es zu einem Urteil kommt: Sowohl der Betriebsratsvorsitzende M.B. als auch sein Stellvertreter M.W. hatten Anfang des Jahres Interviews gegeben, die die Maredo-Anwälte zum Anlaß für nachgeschobene Kündigungsgründe nahmen: „kündigungsrechtlich relevantes Verhalten“. Der Richter argumentiert hier souverän: Dies sei außerhalb der Arbeitszeit gewesen und mit der Meinungsfreiheit abgedeckt. Es seien „berechtigte Interessen wahrgenommen“ worden; Grenzen finde die Meinungsfreiheit erst in der „Schmähkritik“.

Der Fall des BR-Vorsitzenden M.B. wird als letzter verhandelt. Die Anwälte und Richter haben bereits die meisten Argumente ausgetauscht. M.B. ist 44 Jahre alt, seit 27 Jahren arbeit er bei Maredo, sein ganzes Arbeitsleben. Er ist Familienvater mit vier Kinder. Bereits im letzten Termin wurden die Vorwürfe gegen ihn verhandelt: Die zu kleinen Kartoffeln, die er auf Betreiben eines Betriebsleiters mitgenommen hat, und die Suppe und das Fleisch, das er gegessen hat. Die Überwachungsaktion Maredos mit den verdeckten Ermittlern und der wochenlangen Videoüberwachung fand letztes Jahr zum Großteil während des moslemischen Fastenmonats Ramadan statt. Maredo konnte während diese Zeit nicht auf die Arbeitskraft ihrer muslimischen Mitarbeiter verzichten. Moslems dürfen während des Ramadan erst spät abends wieder Essen und Trinken. So brachten die Maredo-Kollegen traditionell ihre Fastensuppe und weitere Speisen von zu Hause mit zur Arbeit. Sie konnten nicht im Kreise ihrer Familien „Fastenbrechen“. Die mitgebrachten Speisen haben sie auch ihren Kollegen angeboten.

Maredo behauptet nun, der BR-Vorsitzende hätte dazu Fleisch aus der Bestand der Firma gestohlen.

Dies ist gleich eine mehrfache Beleidigung der Kollegen durch die Firma: Kein gläubiger Moslem stiehlt, keiner ißt Fleisch, das haram ist, und ganz besonders tut dies keiner in den heiligsten Wochen des Jahres.

Maredo erfand die Schutzbehauptung, seine Schlachthöfe seien halal-zertifiziert, und den Kollegen sei dies bekannt. Tatsache ist, dass Maredo-Fleisch nicht halal ist. Und auf dem Grill wird es zusammen mit Schweinefleisch (Z. B. Spare-Ribs) verarbeitet/gegrillt.

Heute Morgen wurden die Ergebnisse bekanntgegeben. Sie sind erstaunlich. Die Urteilsbegründung wird es später geben.

Bei M.W. wurde der Zustimmungsantrag zurückgewiesen, bei M.B. und V.M. wurde die Zustimmung zur Kündigung erteilt.

Jetzt ist Solidarität nötig. Weiter im Kampf.

Der Prozessbeobachter ist der Redaktion bekannt, 01.08.2012

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=2602
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