[Rhein-Main] Auf dem Bau ausgebeutet: Nach einer großangelegten Razzia sind viele Arbeiter aus Rumänien in Not geraten, verloren ihre Bleibe und ihren Job

Dossier

Y-Kollektiv: Ausbeutung auf Baustellen – So prekär leben Wanderarbeiter in Deutschland… In Hessen sei den Ermittler:innen der Sonderkommission Rhein-Main des Hauptzollamts Gießen unter Federführung der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ein Schlag gegen das organisierte Verbrechen auf dem Bau gelungen, teilte der Zoll Ende Juni mit. (…) Auch für viele Bauarbeiter aus Rumänien, die für das Firmengeflecht tätig waren, hatten die Taten und Maßnahmen dagegen nach FR-Recherchen gravierende Folgen: Von einem auf den anderen Tag hatten sie keinen Arbeitgeber und keine Bleibe mehr, weil dieser die Unterkunft in Frankfurt-Griesheim bezahlte und sie dort nur noch kurz bleiben konnten. Große Teile ihrer Löhne für Juni, oft vierstellige Beträge, hatten sie noch nicht bekommen. In einigen Fällen wurde bis in den Juli hinein unbezahlt gearbeitet. Zum Teil schliefen die Betroffenen erst einmal in Autos oder unter Brücken, hatten kein Geld für Essen…“ Artikel von Gregor Haschnik vom 29.07.2022 in der FR online externer Link, siehe mehr zur Situation der Kolleg:innen und ihren Arbetsbedingungen zuvor:

  • Rumänen auf dem deutschen Bau: Vom falschen Versprechen guter Arbeit. New
    Tausende rumänische Arbeiter bauen unter miserablen Bedingungen an der Zukunft Deutschlands. Ein Projekt am Institut für Sozialforschung in Frankfurt begleitet einige der Wanderarbeiter. (…)
    Es sind nicht nur die vergleichsweise hohen Löhne, die Jobs in Deutschland für diese Männer attraktiv machen. Bekannt sind ihnen auch die Netzwerke von rumänischen Arbeitern hier in der Gegend. Man hilft sich gegenseitig, das ist die Erwartung. Zur Erwartung gehört auch, dass die deutsche Arbeitswelt vom Leistungsprinzip bestimmt ist und Gesetze und Regeln respektiert werden. Darin gründet das Versprechen auf gute Arbeit in Deutschland. Die Wirklichkeit im deutschen Baugewerbe sieht anders aus. Die Rumänen hier beschreiben sich bisweilen selbst als „Arbeitssklaven“. Sie unterliegen Arbeitsbedingungen, in denen die Ausbeutung System hat. Allenthalben begegnen wir Erzählungen von Lohndiebstahl in erheblichem Umfang. Geleistete Arbeitsstunden werden oft nicht abgerechnet. Arbeiter werden durch falsche Meldungen an die SOKA-BAU gänzlich um ihr Urlaubsgeld betrogen. Andere werden noch während ihrer Tätigkeit auf dem Bau durch ihre Arbeitgeber von den Krankenkassen abgemeldet, die mitunter auch Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall verweigern und Arbeitsunfälle vertuschen. Arbeitsverträge umfassen häufig nur zwanzig Stunden wöchentlich, während die Arbeitszeit 55 Stunden und mehr beträgt. Der Arbeiter Remus kommentiert die Situation mit den Worten: „Ein Sklave ist jemand, der endlos viel arbeitet und nicht anerkannt wird.“
    Gebaut wird bei fast jedem Wetter und unter Missachtung körperlicher Grenzen. Harte Arbeit gilt bei den rumänischen Arbeitern als Quelle der Wertschätzung und der Respektabilität. Sorin, Iluțs Vater, zeigt stolz das Verkaufsgebäude einer milliardenschweren französischen Luxusmarke: „Wir haben es gebaut, im Regen gearbeitet und in der Hitze. Im Sommer war es so heiß, dass man nicht arbeiten konnte. Es gab Leute, die wir raustragen mussten, weil sie ohnmächtig wurden; so haben wir gearbeitet. Mit dem Haus sind wir ein halbes Jahr früher als geplant fertig gewesen.“
    Der Facharbeiter mit jahrzehntelanger Arbeitserfahrung erhielt 11,50 Euro netto pro Stunde, große Teile davon bar auf die Hand. (…) Im Dickicht der Unternehmensketten ist es für die Arbeiter schwer erkennbar, für wen und was sie bauen. Einerseits arbeiten sie voller Stolz, haben gute Arbeit als Herausforderung verinnerlicht. Andererseits sehen sie sich um einen erheblichen Teil ihres Lohnes gebracht und begreifen sich als Ausgebeutete. (…)
    Die Konstrukteure von Kindergärten, Wohnhäusern und Einkaufsstraßen wohnen in miserablen Unterkünften, die sie „Rattenloch“ oder „Dschungel“ nennen. In einer dieser Behausungen teilen sich drei bis vier Männer ein Zimmer. Auf ein Bad oder eine Küche kommen 30 bis 60 Männer. Es gibt Ungeziefer und in manchen Ecken Schwarzschimmel. Die stetig steigende Monatsmiete liegt bei 340 Euro pro Person. Bezahlt wird in bar, eine Quittung gibt es nur auf Nachfrage. Trotzdem ziehen viele Arbeiter diese Unterkunft den Firmenwohnungen vor, in denen ein Konflikt mit dem Arbeitgeber schnell in die Obdachlosigkeit führen kann. Im „Rattenloch“ hingegen wird nur obdachlos, wer die Miete nicht mehr bezahlt. Die so gewonnene Mobilität nutzen die Beschäftigten, um von einer Arbeitsstelle zu einer besseren zu wechseln…“ Artikel von Christian Sperneac-Wolfer und Ferdinand Sutterlüty vom 23.08.2023 in der FAZ online externer Link (im Abo) – Christian Sperneac-Wolfer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung, Ferdinand Sutterlüty ist Professor für Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt.
  • Reportage aus dem Rhein-Main-Gebiet: Ganz unten im System 
    Länder, in denen migrantische Arbeiter auf Baustellen prekär beschäftigt werden, müssen boykottiert werden? Am besten fängt man mit Deutschland an.
    Die Männer, die das System am Laufen halten, leben am Rande der Stadt. Abgeschieden, in einem Areal zwischen Bahngleisen und Autobahn, in einem vierstöckigen Betonbau hinter einem Zaun. (…) Fabiu ist ein sperriger Typ mit kratziger Stimme und herausforderndem Blick. Er arbeitet als Maurer, lebt seit fast zehn Jahren in Deutschland. „Sklaverei“ ist das erste Wort, das ihm einfällt, spricht man ihn auf seine Arbeit hier an. „Scheiße“ das zweite. „Du wirst nicht so gut bezahlt wie die Deutschen“, sagt er. „Du hast nicht die gleichen Rechte.“ Fabiu wird betrogen, und das gleich mehrfach. Lohnabrechnungen und Stundenzettel, die er vorlegt, belegen das. Dass er nur einen Teil des Lohnes auf sein Konto überwiesen, den Rest bar bekommt, damit kann er noch leben. Er ist 47, denkt nicht an die Rente, hat kein Problem mit Schwarzarbeit. 2.500 Euro bekommt er hier pro Monat im Schnitt, gut 1.500 mehr als in Rumänien. Was ihn wirklich wurmt: Dass sein Chef ihm und seinen Kollegen kein Urlaubsgeld zahlt. Dass ihm einige seiner alten Chefs keine Arbeitsverträge gegeben und ihn nicht bei der Krankenkasse angemeldet haben – und er jetzt, weil man gesetzlich zur Versicherung verpflichtet ist, 4.000 Euro Schulden bei der Kasse hat. Dass er die jungen Arbeiter auf den Baustellen einweisen muss, Typen um die 18, frisch aus Rumänien, keine Ahnung von nichts. Alles muss er ihnen erklären, sagt Fabiu, und bekommt dafür gerade mal 2 Euro pro Stunde mehr als sie. (…) Deutsche Politiker:innen verweisen gern auf die prekären Bedingungen, unter denen migrantische Arbeiter auf Baustellen im Ausland beschäftigt sind. Vor allem jetzt, zur Fußball-WM in Katar. Dabei gibt es auch hierzulande gravierende Missstände auf dem Bau. (…) 191.000 offene Stellen verzeichnete die Baubranche im ersten Quartal dieses Jahres. Dabei hatte der Arbeitskräftemangel den Bau schon vor Jahren erreicht. Und wie in der Pflege und der Landwirtschaft setzte man auch hier früh auf Arbeitskräfte aus dem Ausland. (…) Fast 200.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Ausländer arbeiten heute im deutschen Bauhauptgewerbe. In einigen Berufszweigen, etwa im Hoch-, Aus- und Trockenbau, machen sie gut die Hälfte der Beschäftigten aus. Hinzu kommen diejenigen, die keine Arbeitsverträge haben, die nicht offiziell registriert sind. Fabiu ist kein Einzelfall. Im deutschen Baugewerbe ist ein krakenartiges Geflecht aus teils kriminellen Firmen entstanden; eine Schattenwelt, in der die Grenze zwischen Legalität und Illegalität verschwimmt. (…) Fabiu sagt, er würde gern für ein deutsches Generalunternehmen arbeiten, aber die würden keine Ausländer einstellen. Vergangenes Jahr war er für drei Monate in Rumänien, mit zwei Kollegen hat er zwei Häuser gebaut. 7.000 Euro bekam er dafür, arbeitete allerdings auch 12 Stunden am Tag. Wenn es diese Jobs regelmäßiger gäbe, sagt Fabiu, würde er zurückgehen, „gleich morgen“. Vor ein paar Jahren hat er ein altes Haus gekauft, bei sich im Dorf, es wird zurzeit restauriert. Ob er die Bauarbeiter richtig bezahlt? Fabiu zögert. „Nicht immer.“ Er hat in Deutschland so viele Maschen gesehen, andere abzuzocken. Wenn er in der Heimat ist, probiert er es auch.“ Reportage von Sascha Lübbe vom 4. Dezember 2022 in der taz online externer Link
  • Bundesweite Aktionswoche vom 5. bis 9. September von IG Bau u.a.: Keine weitere Ausbeutung der migrantischen Baubeschäftigten 
    „Vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge, Betrug und Steuerhinterziehung. Mit fingierten Zahlungen und Rechnungen von mehreren Scheinfirmen wurde Schwarzgeld generiert. So lauteten die Vorwürfe nach einer großangelegten Razzia auf Baustellen Ende Juli im Rhein-Main-Gebiet. Sechs Beschuldigte wurden festgenommen. Der Schaden für Steuerbehörden und Sozialkassen: rund 20 Millionen Euro. Auch für viele Bauarbeiter*innen aus Rumänien, die für das Firmengeflecht tätig waren, hatte die Razzia gravierende Folgen: Von einem auf den anderen Tag hatten sie keinen Arbeitgeber und keine Bleibe mehr. Große Teile ihrer Juni-Löhne, oft vierstellige Beträge, hatten sie noch nicht bekommen. Teilweise schliefen die Betroffenen erst einmal in Autos oder unter Brücken, sie hatten kein Geld für Essen. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) unterstütze rund 100 Beschäftigte in Zusammenarbeit mit Beratungsstellen, indem sie von den verantwortlichen Generalunternehmen die ausstehenden Löhne einforderte. Dieser Fall war kürzlich in den Zeitungen zu lesen. Und er ist beileibe nicht der einzige. Deshalb unternimmt die IG BAU zusammen mit dem Bildungsträger PECO-Institut und den Beratungsstellen Europäischer Verein für Wanderarbeiter, Faire Mobilität, Faire Integration sowie Arbeit und Leben vom 5. bis 9. September eine bundesweite Aktionswoche. Mehr als 20 Baustellen sollen dabei besucht werden. „Ziel ist es, mit möglichst vielen migrantischen Beschäftigten auf dem Bau in Kontakt zu treten und sie über ihre Arbeitsrechte in Deutschland zu informieren“, erklärt IG BAU-Vorstandsmitglied Carsten Burckhardt. Zugleich diene die Aktionswoche dazu, die zunehmende Verbreitung von Niedriglöhnen im Baugewerbe öffentlich zu thematisieren. „Trotz anhaltenden Baubooms und trotz des aktuellen Fachkräftemangels sind sowohl deutsche als auch mobile Beschäftigte aus der EU und Drittstaaten von der Abschaffung des Branchenmindestlohns massiv betroffen. Sie werden nicht nach ihren Qualifikationen bezahlt und Tarifverträge werden nicht eingehalten.“ Branchenvorstand Carsten Burckhardt appelliert: „Wenn ihr ausgebeutet werdet, wechselt den Betrieb. Sucht euch einen tarifgebundenen Arbeitgeber! Werdet Mitglied der Gewerkschaft.“ Notwendig ist nach seiner Auffassung auch die Einführung einer „BauCard“, um die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und die Eingruppierung der Arbeitnehmer*innen digital zu erfassen. Zudem müssten die Subunternehmerketten auf zwei Glieder pro Gewerk begrenzt werden, um endlich „die kriminellen Machenschaften mancher Subunternehmer zu beenden“, betont der Gewerkschafter. (…) Die Anzahl der Sub-Unternehmer-Ketten muss deutlich begrenzt werden. Gleichzeitig muss die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Zolls personell besser ausgestattet werden. Und wir benötigen ein Verbandsklagerecht, damit wir die Verbrecherfirmen direkt verklagen können – das schützt die betroffenen Kolleg*innen vor Vergeltungsmaßnahmen„, fordert Carsten Burckhardt u.a. im IG Bau-Pressemitteilung samt Interview vom 2. September 2022 externer Link
  • Weiter im Artikel von Gregor Haschnik vom 29.07.2022 in der FR online externer Link: „… Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und Mitarbeitende des DGB-Projekts Faire Mobilität sowie des Bildungsträgers Peco, die sich um die Wanderarbeiter kümmern, mussten in wenigen Tagen viel Unterstützung leisten.
    Derzeit helfen sie rund 100 Arbeitern, die auf zehn Baustellen – zu einem großen Teil öffentliche Projekte – im Einsatz waren, die ausstehenden Beträge zu bekommen, von den sieben Generalunternehmen, die in solchen Fällen haften. Dazu haben die Gewerkschafter:innen Arbeitsverträge, Stundennachweise und andere Unterlagen gesammelt. Nach FR-Informationen belaufen sich einige Forderungen auf mehr als 3000 Euro. Insgesamt geht es um eine sechsstellige Summe. Die IG BAU bezieht sich auf die Haftung der Generalunternehmer nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz, erinnert aber auch an die moralische Verantwortung.
    Hans-Joachim Rosenbaum, Regionalleiter Hessen der IG BAU, kritisiert, dass es nach der Aktion Medusa nicht möglich gewesen sei, Betroffene zu guten Konditionen bei den Generalunternehmen unterzubringen. Die Unterstützer:innen versuchten demnach unter anderem vergeblich, einen sehr erfahrenen Polier zu vermitteln. Viele Firmen klagten über Fachkräftemangel, meinten jedoch eigentlich einen Mangel an modernen Arbeitssklaven. (…)
    „Es war bei weitem nicht der erste Notfall, aber der größte“, sagt Alexandru Firus, der für Peco aufsuchende Sozialarbeit betreibt, zu den Folgen und Hintergründen der Razzia. Die Gehälter bei solchen Firmen würden häufig in mehreren Tranchen gezahlt, ein kleinerer Teil offiziell, der größere schwarz. Die zumeist aus Osteuropa stammenden Bauarbeiter schufteten unter prekären Bedingungen. Dies betreffe nicht nur den Lohn, der unter dem Strich – auch weil es etwa keine Sonderleistungen, aber viele Überstunden gebe – wesentlich geringer sei als bei regulär beschäftigten Facharbeitern.
    Führungskräfte setzten die Arbeiter unter Druck. Wer schwächele oder krank werde, könne nicht mit Lohnfortzahlung und Hilfe rechnen, im Gegenteil. Wer sich auflehne, werde sanktioniert oder fliege gleich raus – und habe kaum Chancen bei vielen anderen Firmen. Die Subunternehmen seien Teil eines großen Netzwerks. Die Beschäftigten seien auf das Geld angewiesen, auch weil die soziale Absicherung in der Heimat fehle. Man dürfe die Verantwortung der Generalunternehmen nicht vergessen, erklärt Letitia Matarea-Türk von Faire Mobilität. Um die Kosten zu drücken, nähmen diese Ausbeutung in Kauf und sollten wissen, mit welchen Nachunternehmen sie es zu tun hätten. In vielen Fällen ließen die Daten in Verträgen erahnen, dass etwas nicht stimmen könne, sagt auch Firus. (…)
    Ein Teil der Bauarbeiter ist zurück nach Rumänien gegangen, ein anderer bei anderen Subunternehmen untergekommen. Kurz nach der Razzia habe in Frankfurt eine „sehr ominöse Jobmesse“ stattgefunden, die neuen Firmen schienen vorbereitet, so Firus…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=203147
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