Behindertenwerkstätten: Warum verdienen sie so wenig? Und wo bleibt die Inklusion?

Dossier

Kampagne von jobinklusive.org: Behindertenwerkstätten behindernIn der Pandemie sind beinahe unbemerkt Löhne in Behindertenwerkstätten gekürzt worden. Schon vorher ließ sich von den Geld kaum leben. (…) Der Lohn der Beschäftigten in Behinderten-Werkstätten setzt sich in Deutschland aus mehreren Teilen zusammen: Ein sogenanntes Arbeitsförderungsgeld von 52 Euro wird aus Töpfen des Landes gezahlt. Dazu kommt ein Grundlohn von 89 Euro und ein individuell festgelegter Steigerungsbetrag. Diese beiden Posten müssen die Werkstätten selbst erwirtschaften. Als die Corona-Pandemie Deutschland erreichte, schlossen die Betreiber ihre Werkstätten für Menschen mit Behinderung. In der Folge konnten viele Aufträge nicht mehr erfüllt werden. Der Steigerungslohn entfiel. (…) 19 Prozent der Werkstätten, die an der Umfrage teil nahmen, gaben an, Löhne gekürzt zu haben. Weitere 18 Prozent gaben an, dass Kürzungen absehbar sind. Insgesamt hat sich in der Umfrage gezeigt, dass die Auswirkungen der Krise verzögert in den Werkstätten ankommen…“ Artikel von Fabian Hillebrand vom 14.11.2020 im ND online externer Link und auch dazu:

  • „Wir sind keine Menschen zweiter Klasse“: Hunderte Menschen mit Behinderung in Hamburg fordern bessere Bezahlung in Werkstätten New
    Wer eine Behinderung hat und in einer Werkstatt arbeitet, der verdient dort im Monat nur rund 260 Euro. Das ist vielen Beschäftigten schon lange ein Dorn im Auge. Am Dienstagvormittag haben deshalb Hunderte Menschen in Hamburg auf dem Rathausmarkt demonstriert. „Wir verdienen mehr“, stand auf den handgeschriebenen Pappschildern. Und: „Wir sind keine Menschen zweiter Klasse“. Die Werkstatt-Beschäftigten forderten mehr Geld und Anerkennung für ihre Arbeit. Anlass für den Protest sind Reformpläne des Bundesarbeitsministeriums. An diesen Plänen wollen die Beschäftigten mitarbeiten, sagt Georg Osterloher von den Werkstatträten Hamburg: „Es soll nicht von oben herab was entschieden werden. Es geht ja um große Veränderungen und vor allem wünschen sich die Beschäftigten Verbesserungen.“
    Werkstatt-System, schon lange in der Kritik
    Das Werkstatt-System steht schon lange in der Kritik. Denn es gibt viele Zweifel, ob es dem Gedanken der Inklusion wirklich gerecht wird. Eigentlich sollen die Werkstätten dazu beitragen, Menschen mit Behinderungen für den Arbeitsmarkt fit zu machen. Damit wird bislang auch begründet, dass sie keinen Mindestlohn bekommen. Doch die meisten von ihnen bleiben ihr ganzes Berufsleben lang in einer Werkstatt
    …“ Meldung vom 26.03.2024 im NDR externer Link („Menschen mit Behinderung fordern bessere Bezahlung in Werkstätten“)
  • Inklusion: Brücken in den allgemeinen Arbeitsmarkt – Inklusionsbetriebe bieten Menschen mit Behinderung einen Weg aus den Werkstätten heraus
    „Man sieht Alexander Till an, dass er zufrieden ist. Der Verkaufshelfer ist seit einiger Zeit 40 Stunden die Woche im CAP-Markt in der Seidelstraße in Rostock beschäftigt: Mal sitzt er an der Kasse, mal räumt er Ware in die Regale, kontrolliert das Mindesthaltbarkeitsdatum der Produkte, fegt und wischt auch mal die Verkaufsräume. Sein bisheriger Weg war nicht einfach. Der 29-Jährige war zuvor einige Jahre als Gärtner in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig. Das gefiel ihm nicht, er wollte nicht in einer Sonderwelt nur mit behinderten Menschen arbeiten. Er wollte ein normales Arbeitsleben – mit einem sicheren Arbeitsplatz, der ihm ein unabhängiges Leben ermöglicht, und nicht nur ein Taschengeld verdienen. (…) Der CAP-Markt im Rostocker Hansaviertel ist einer von fünf Märkten dieser Art in Mecklenburg-Vorpommern. Betreiber ist die Integra Güstrow GmbH. Dieses Tochterunternehmen der Diakonie Güstrow bietet Menschen, die eine Behinderung oder psychische Erkrankung haben, sozialversicherungspflichtige Arbeit. (…) Die CAP-Märkte zählen zu den sogenannten Inklusionsbetrieben. Laut Paragraf 215, Sozialgesetzbuch IX sind sie rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Unternehmen zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Sie bieten den etwa 300 000 Werkstattbeschäftigten eine Alternative, die kein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis im herkömmlichen Sinn haben und nicht nach den Bestimmungen des Arbeits- und Tarifrechts arbeiten. Dort verdienen sie im Durchschnitt monatlich 209 Euro – für einen langen Arbeitstag, obwohl sie behinderungsbedingt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr als drei Stunden täglich tätig sein können, also eine volle Erwerbsminderung haben. So ist Deutschland von einem inklusiven Arbeitsmarkt noch deutlich entfernt. Neben der ausgrenzenden Struktur der Werkstätten sind Menschen mit Behinderungen zudem auch erheblich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Und das, obwohl sie gut qualifiziert sind und öfter eine abgeschlossene Berufsausbildung haben…“ Artikel von Margit Glasow vom 2. August 2023 in Neues Deutschland online externer Link – ein sehr wichtiges Thema, was Margit Glasow leider zu wenig kritisch betrachtet (auch ist der Inhalt von § 215 SGB IX etwas schief wiedergegeben). Dass SGB IX immer noch nicht der durch DE 2009 ratifizierten Behindertenrechtskonvention entspricht, kommt nicht klar genug heraus. Aber immerhin gibt der Beitrag ein groben Einblick.
  • Deutsches Institut für Menschenrechte zum Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes: Beschäftigung unterhalb des Mindestlohns unzulässig
    „Am 12. Mai hat der Bundesrat dem Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes zugestimmt und damit unter anderem eine vierte Staffel der Ausgleichsabgabe für Arbeitgeber eingeführt, die trotz Beschäftigungspflicht keinen einzigen Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen. Dieser Schritt war richtig und wichtig. Doch das Gesetz spricht wesentliche Aspekte nicht an, die einen inklusiven Arbeitsmarkt ausmachen. Dass ein viel grundsätzlicherer Reformbedarf besteht, geht aus einer aktuellen Information der Monitoring-Stelle UN-BRK hervor, die sich mit der Allgemeinen Bemerkung Nr. 8 befasst. Darin hat sich der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im September 2022 zum Recht auf Arbeit und Beschäftigung nach Artikel 27 der UN-BRK geäußert und Handlungsempfehlungen für die Vertragsstaaten entwickelt. Diese sind insbesondere für Deutschland mit seinen etablierten zahlreichen besonderen Beschäftigungsformen für Menschen mit Behinderungen höchst relevant und in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen. (…) Unter welchen Bedingungen Beschäftigungsverhältnisse von Menschen mit Behinderungen als segregiert und daher als nicht zulässig anzusehen sind, führt die Allgemeine Bemerkung Nr. 8 aus. Auf das deutsche Werkstattsystem treffen gleich mehrere dieser Kriterien zu – etwa die fehlende Förderung des Übergangs auf den offenen Arbeitsmarkt, die Versagung des Mindestlohns für Beschäftigte und das Fehlen regulärer Arbeitsverträge. Damit steht unmissverständlich fest: Die Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen ist als segregierte Beschäftigung anzusehen, kann nicht als Teil eines inklusiven Arbeitsmarkts betrachtet werden und darf nicht dazu führen, die Beschäftigten unterhalb des geltenden Mindestlohns zu entlohnen. (…) Aus der Allgemeinen Bemerkung Nr. 8 geht ferner deutlich hervor, dass es in Deutschland dringend mehr inklusive Alternativen für Menschen mit Behinderungen bei Ausbildung und Beruf braucht…“ Meldung vom 27. Juni 2023 vom und beim Deutschen Institut für Menschenrechte externer Link

  • Darum wäre ein Mindestlohn in Behindertenwerkstätten wichtig 
    Mitarbeiter von Werkstätten für Menschen mit Behinderung fordern einen Mindestlohn. Sie können sich von dem wenigen Lohn kaum etwas leisten. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Wertschätzung für die Arbeit der Menschen in den Werkstätten. Doch die Werkstätten stehen vor einem Problem: Zahlen sie Mindestlohn, müssen die Kosten für die Aufträge erhöht werden. (…) Der Bundestag hat mehrere Gesetze verabschiedetet, die einen inklusiven Arbeitsmarkt und mehr Lohn längst hätten möglich machen sollen. Im Juni 2023 etwa trat das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts in Kraft. Ziel ist, ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Allen voran geht aber die auch von Deutschland unterzeichnete UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2009. Darin heißt es in Artikel 27, dass Menschen mit Behinderung eine „selbst gewählte Teilhabe an der Gesellschaft und das Erarbeiten eines Lebensunterhalts“ zusteht. (…) Damit ein Mindestlohn funktioniert, braucht es also Regelungen und eine staatliche Finanzierung. Darum haben die Landesarbeitsgemeinschaften und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderung Reformvorschläge ausgearbeitet externer Link. Sie sollen am 4. Juli 2023 mit dem Bundessozialministerium diskutiert werden…“ Beitrag von Maximilian Fürstenberg und Falko Schuster vom 25. Juni 2023 im MDR Sachsen-Anhalt externer Link
  • Bedingt verwertbar: Zur Lage von Menschen mit Behinderung unter den Umständen kapitalistischer Produktionsweise 
    „… Unserer Gesellschaft liegt die kapitalistische Produktionsweise zugrunde. Im Kapitalismus geht es vorrangig um den Tauschwert, der Gebrauchswert ist sein Träger. Dies gilt auch für die Ware Arbeitskraft, deren Gebrauchswert bekanntermaßen darin besteht, dass sie mehr Wert produzieren kann, als zu ihrer Reproduktion nötig ist. Der Gebrauchswert (mithin die »Leistungsfähigkeit«) der meisten behinderten Menschen wird von vielen als unzureichend eingeschätzt und ist es häufig auch, doch im Kapitalismus geht es vorrangig genau darum: um eine möglichst hohe Mehrwertrate. Grundlage ist die rechtliche Gleichheit der Arbeitskraftbesitzenden und der Kapitalbesitzenden. Auch die allgemeinen Menschenrechte und die Rechte behinderter Menschen beziehen sich auf diese Gleichheit. Dass dabei das Lohnsystem gilt und wirkt, ist eine Binse. Es gilt für alle, auch für behinderte Menschen. Auch sie müssen ihre Arbeitskraft verkaufen, um sie zu verwerten. Was aber, wenn sie auf dem Arbeitsmarkt nicht verkaufbar ist? Dann geht es ihnen wie vielen Langzeitarbeitslosen. Ist dann aber eine Inklusion in die Lohnarbeit tatsächlich attraktiv? Ist es nicht vielmehr so, wie Uwe Becker in seinem Buch »Die Inklusionslüge« schreibt? »Das hier transportierte Gesellschaftsbild lässt völlig außer acht, welche Brüche, Ungleichheiten und sozialen Verwerfungen schon jetzt innerhalb dieser Gesellschaft produziert werden.« Diese kapitalistische Gesellschaft, die Konkurrenz befördert und der Mehrwertproduktion wie dem Leistungsprinzip huldigt, wird gleichsam »heiliggesprochen«. Die »Inklusion«, so schreibt Becker, »wird quasi zum sakralen Akt«. Was die heutige EU-Komissionspräsidentin Ursula von der Leyen damals im »Nationalen Aktionsplan« der Bundesregierung unter dem Titel »Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft« schreiben ließ, mag da zwar richtig klingen: »Ein zentraler Punkt ist die Teilhabe am Arbeitsleben. Arbeit stärkt das Selbstvertrauen, ist sinnstiftend, schafft Kontakte und Freundschaften«. Doch die ökonomischen Grundlagen, ihre Widersprüche und Auswirkungen, die vor allem behinderte Menschen treffen, bleiben unerwähnt. Explizit wird hingegen ausgesprochen, dass Behinderte fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden sollen, und zwar so, dass ihre Arbeitskraft auch nachgefragt und (mehrwertschaffend) angewendet werden kann. Arbeit ist hier vor allem Erwerbsarbeit im Dienste des Kapitals. Bei solchen Verlautbarungen und dem gleich lautenden Dauerfeuer der Medien ist es da kein Wunder, dass die verbreitete Verklärung dieser Gesellschaft und ihrer Werte auch im Kopf vieler behinderter Menschen verankert ist. (…) Das Kapital verlangt nach billigen Arbeitskräften, denn geringere Lohnkosten steigern den Gewinn. Da ist es verständlich, dass manche Unternehmen bestimmte Tätigkeiten in Werkstätten für Behinderte verrichten lassen – nicht aus sozialer Verantwortung, sondern weil dort deutlich niedrigere Löhne gezahlt werden. Das gilt im übrigen auch für den Strafvollzug. Nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales betrug das durchschnittliche Entgelt beschäftigter Menschen mit Behinderungen in den Werkstätten im Jahr 2021 monatlich 212 Euro (inklusive 52 Euro Arbeitsförderungsgeld). In den ostdeutschen Bundesländern erhielten die Behinderten noch weniger. (…) Dass Menschen in den Werkstätten so billig sind, ist rechtlich sanktioniert: In Paragraph 221 SGB IX werden Behinderte als »arbeitnehmerähnliche Arbeitnehmer*innen« definiert, für sie gilt weder Mindestlohn noch Streikrecht. Wie heißt es doch so schön: Alle sind vor dem Gesetz gleich? Gegen die Diskriminierung und die Einschränkung von Menschenrechten wenden sich Behinderte und auch eine Koalition der Betreiber von Werkstätten. Sie fordern unter anderem, dass Menschen mit Behinderung den vollen »Arbeitnehmerstatus« und einen gesetzlichen Anspruch auf Mindestlohn erhalten. Beschäftigte mit Teilhabeanspruch sollen Kündigungsschutz in der Werkstatt genießen sowie ein Recht auf Rückkehr in die Werkstatt haben, sollte ein Arbeitsverhältnis bei einem anderen »Arbeitgeber« ihrerseits oder seitens des »Arbeitgebers« beendet werden. Und sofern beim »Arbeitgeber« Tarifrecht besteht, müssen die Beschäftigten mit Teilhabeanspruch im jeweiligen Tarifwerk eingruppiert werden. (…)Für eine grundlegende und nachhaltige Änderung der Behindertenpolitik ist ein Systemwechsel notwendig. Wir müssen in den Kopf bekommen, dass behinderte Menschen nicht Menschen zweiter Klasse oder Almosenempfänger sind beziehungsweise sein wollen. In einer menschlichen Gesellschaft darf nicht vorkommen, was der Fraktionssprecher der CSU im Bezirkstag Oberbayern sagte: »Wer Hilfe in Anspruch nimmt, der muss auch zufrieden damit sein, was er kriegt!«…“ Artikel von Frank Rehberg in der jungen Welt vom 9. Februar 2023 externer Link
  • Potentiale heben: Bundeskabinett beschließt Pläne zur Inklusion von Behinderten in Arbeitsmarkt. In Werkstätten soll weiterhin zu Niedrigstlöhnen gearbeitet werden 
    „Im Kampf gegen den Fachkräftemangel hat die Bundesregierung nun das Potential von behinderten und schwerbehinderten Menschen erkannt. Der Referentenentwurf für ein »Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts«, der am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen wurde, benennt es natürlich nicht so direkt. Darin heißt es: »Für eine inklusive Gesellschaft ist es entscheidend, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt und selbstbestimmt am Arbeitsleben teilhaben können. Auch vor dem Hintergrund des hohen Fachkräftebedarfs ist es geboten, Menschen mit Behinderungen darin zu unterstützen, einer Erwerbsarbeit nachgehen zu können.« Deutlicher sagte es Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in den Stuttgarter Nachrichten vom Dienstag: »Damit Fachkräftemangel nicht zur Wohlstandsbremse wird, brauchen wir jeden klugen Kopf und jede helfende Hand.« (…) Kern der Gesetzespläne ist es nun, dass Firmen höhere Ausgleichsabgaben zahlen sollen, wenn sie keine Schwerbehinderten beschäftigen, obwohl sie dazu verpflichtet sind. Laut Sozialverband VdK kommen etwa 45.000 Unternehmen dieser Beschäftigungspflicht nicht nach. Unternehmen mit mindestens 60 Arbeitsplätzen sollen künftig pro nicht besetztem Pflichtarbeitsplatz 720 Euro monatlich zahlen – bislang ist es die Hälfte. (…) Wie wenig es um Inklusion der Beschäftigten geht, kann man am Umgang mit Behindertenwerkstätten sehen. Der Referentenentwurf zur Förderung eines »inklusiven Arbeitsmarkts« sieht lediglich vor, dass die Möglichkeit, Mittel der Ausgleichsabgabe auch für »Einrichtungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben – insbesondere für Werkstätten für behinderte Menschen« – zu verwenden, gestrichen werden soll. Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in den Werkstätten sind vorerst trotzdem nicht geplant. Einen Anspruch auf Mindestlohn gibt es hier nicht. Der Verdienst ist so niedrig, dass die Betroffenen aufstocken müssen. Laut Bundesarbeitsministerium lag das monatlich verfügbare Einkommen von Werkstattbeschäftigten mit Rentenanspruch im Jahr 2019 bei durchschnittlich 1.046 Euro und von Werkstattbeschäftigten mit Anspruch auf Grundsicherungsleistungen bei 973 Euro.. „ Artikel von Susanne Knütter in der jungen Welt vom 22. Dezember 2022 externer Link
  • Die Anstalt am 20. Dezember 2022 zum Thema Inkusion in Deutschland und Behindertenwerkstätten 
    Zum Jahresabschluss beschäftigen sich Max Uthoff, Claus von Wagner und ihre Gäste Barbara Ruscher, Kübra Sekin, Martin Fromme und Timo Wopp weihnachtlich-satirisch mit dem Thema Inklusion…“ Siehe das Video der Sendung externer Link (48 min, Video verfügbar bis 20.12.2024) und den umfangreichen Faktencheck externer Link
  • [Lebenshilfe in Bremerhaven] Arbeit in Behindertenwerkstätten: Für eine Handvoll Euro 
    Werkstätten für Behinderte bilden einen Niedrigstlohnsektor. Teilweise produzieren sie Rüstungsgüter. Ein Besuch bei der Lebenshilfe in Bremerhaven. (…) Werkstätten für Menschen mit Behinderung bieten jenen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt ohne weitere Unterstützung keine Chance hätten, einen Ort der Begegnung und Beschäftigung. Andererseits sind sie ein Niedriglohnsektor, der Behinderte vom ersten Arbeitsmarkt separiert und mit dem sich Unternehmen aus der Verantwortung kaufen, mehr echte Inklusion in ihren Betrieben einzuführen. Längst sind Werkstätten keine Bastelstuben mehr, die nur Holzspielzeug und Seifenschalen herstellen, wie sie auch im Shop der taz erhältlich sind. Heute vergeben viele Firmen Aufträge an Werkstätten, die sich günstiger per Hand als maschinell erledigen lassen: Dienstleistungsaufträge, Verpackungen, Versand, Gartenarbeiten, Montage und Vorarbeiten für die industrielle Produktion. Menschen mit Behinderung fertigen Autoteile für Mercedes Benz, verschicken Werbematerial für Fritz-Kola, sortieren Klapp­boxen für die Drogeriekette dm. Aber Rüstungsgüter wie für Wescom? Ahnen die Menschen mit Behinderung, was sie da produzieren? Können sie sich bewusst dafür entscheiden?
    Dazu hatte die taz eine Zuschrift von einem Pflegevater erreicht. Er habe eines seiner Kinder besucht, das derzeit in der Bremerhavener Werkstatt tätig sei. „Wir waren verwundert, dass dort Auslöser zusammengebaut werden, offenbar für die Bundeswehr“, schreibt er und schickt mehrere Fotos mit. Sie zeigen fingerdicke kupferfarbene Hülsen, dünne Metallstifte und Springfedern, die sich in Plastikboxen stapeln. Ein Waffenexperte bestätigt der taz: Die Fotos zeigen „mechanische Auslöser für Bodenleuchtkörper“. Im Fachjargon: „DM 26 und DM 57“. (…)
    Wissen die Menschen mit Behinderung nun, an was sie da arbeiten? Berichte über die Produktion solcher Teile durch die Lebenshilfe gab es bereits 2013. Damals sei in Bremerhaven ausführlich darüber diskutiert worden, auch unter Einbeziehung der Beschäftigten. Werkstatträtin Griese erklärt, dass ihre KollegInnen mit der Produktion einverstanden seien. „Die Bundeswehr hilft im Notfall, da können wir ihr auch helfen“, sagt sie. „Wir produzieren nur Dinge für deren Schutz, kein Kriegsgerät. Es ist wichtig, dass sich die Soldaten selbst schützen.“ Nicht immer wisse er bei jedem Teil, wofür es gut ist, sagt Rietzke. Und vermutlich wissen es auch nicht alle Beschäftigten immer genau. Aber so, wie Griese es vorträgt, klingt es keineswegs ahnungslos. Sie weiß auch, dass der Auftrag ihren Lohn sichert. „Die Geschäftsbeziehungen zu Wescom sind für uns existenziell“, sagt Rietzke. Es gebe in Bremerhaven nicht allzu viele Auftrag­geber aus der Industrie. Für die Firmen lohnt sich die Produktion in einer Werkstatt in mehrfacher Hinsicht. Sie werben mit sozialem Engagement und können Kosten sparen – unter anderem bei der sogenannten Ausgleichsabgabe. Die soll eigentlich mehr Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt bringen. Dafür gibt es viele Unterstützungsmöglichkeiten, wie Lohnzuschüsse, persönliche Arbeitsassistenzen oder technische Hilfsmittel…“ Artikel von Jean-Philipp Baeck vom 25.7.2022 in der taz online externer Link
  • Gürteltaschen der Baunataler Diakonie Kassel (BDKS) sind die offiziellen documenta-Beltbags – (Un)fair gehandelt?
    • Taschen gehen um die ganze Welt
      „… „Es ist wichtig, dass man die nicht wegwirft und rettet“, sagt Manfred Klode zum Recycling der Jeans, und seine Frau ergänzt: „Ich finde es gut, dass es diese Zusammenarbeit gibt.“ 1000 Taschen mit dem offiziellen Logo der documenta fifteen sind in der Schneiderei der Baunataler Werkstätten von Menschen mit Behinderung genäht worden. Zuvor hat die Einrichtung 500 gebrauchte Jeans an verschiedenen Abgabepunkten in der Region gesammelt. Für 39 Euro können Besucher aus der ganzen Welt die Taschen jetzt im Ruruhaus in der Kasseler Innenstadt erwerben. (…) Wichtig bei der Produktion sei gewesen, die Mitarbeiter der BDKS an möglichst vielen Fertigungsschritten zu beteiligen, betont die Einrichtung mit Sitz in Baunatal. „Vom Stoffzuschnitt bis zum Anbringen des Gurtes haben Menschen mit Behinderung die Beltbag mit großer Begeisterung gefertigt.“ Der Erlös aus dem Verkauf komme zu 100 Prozent der BDKS zugute, um Projekte im Bereich Kunst und Kultur zu fördern…“ Artikel von Sven Kühling vom 16.07.2022 in hna.de externer Link
    • (Un)fair gehandelte Taschen bei documenta?
      „… Aber auch aus Sicht behinderter Menschen wird nun Kritik an der documenta laut. Nach einem Bericht über die documenta-Taschen in der in Kassel erscheinenden Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen (HNA), die in einer Werkstatt für behinderte Menschen gefertigt werden, fragt Prof. Dr. Gisela Hermes beispielsweise ob bei der documenta un(fair) gehandelte Taschen vertrieben werden. (…) Was man aus dem [HNA] Artikel allerdings nicht entnehmen kann, ist zu welchen Arbeitsbedingungen und vor allem zu welchen Löhnen die Taschen erarbeitet wurden. Und genau das wirft angesichts des Anspruchs der diesjährigen documenta einige Fragen auf…“ Beitrag von Ottmar Miles-Paul vom 18.07.2022 in den kobinet-nachrichten externer Link (Tagesaktuelle Nachrichten zur Behindertenpolitik)
    • Siehe mehr Infos zu Baunataler Diakonie Kassel (BDKS) hier weiter unten im Dossier
  • In Behindertenwerkstätten auch künftig kein Mindestlohn – um das „historisch gewachsene Entgeltsystem“ nicht zu stören 
    Video: In Behindertenwerkstätten muss auch künftig kein #Mindestlohn gezahlt werden. Das @bmas_bund (SPD) verweist auf das „historisch gewachsene Entgeltsystem“, verteidigt die Ausnahmen beim Mindestlohn & will „erforschen“ lassen, wie Hungerlöhne in Werkstätten überwunden werdenTweet von Tilo Jung vom 23.2.2022 externer Link mit dem Video der Pressekonferenz des Arbeitsministeriums. Siehe zum Hintergrund unser Dossier: Zwölf Euro: Verdi-Chef fordert neue Regeln für Mindestlohn – DGB auch
  • [Werkstätten der Baunataler Diakonie Kassel] Weniger Geld bei gleicher Arbeit: Betroffener beklagt Lohnkürzung in Behindertenwerkstätten 
    Der 56-Jährige Ralf Gippert ist seit 2018 über die Werkstätten der Baunataler Diakonie Kassel (BDKS) bei einer Firma tätig, wo er Waren verpackt und dies auch selbstständig in ein Computersystem einspeist. Das funktioniere einwandfrei, auch die Arbeit mache ihm Spaß, sagt sein Vater Rudi, der auch der gesetzliche Betreuer seines Sohnes ist. Nun soll Ralf Gippert der Lohn für seine Tätigkeit, die 35 Stunden pro Woche umfasst, gekürzt werden – was Rudi Gippert als Frechheit empfindet, wie er im Gespräch mit unserer Zeitung sagt. „Jedes Jahr schrumpft der Monatslohn mehr und mehr, von 398,51 Euro im Jahr 2017 auf 349,35 Euro, die mein Sohn aktuell erhält. Und das bei gleicher Tätigkeit“, zeigt sich Rudi Gippert unverständlich. Zunächst sucht er sich daher Hilfe bei einer Rechtsanwältin, die die BDKS aktuell in einem Schreiben auffordert, zu dem Sachverhalt Stellung zu beziehen. Daraus geht hervor, dass die Kürzungen nicht im Sinne des Gesetzgebers seien. So wurde der Grundbetrag für Tätigkeiten in Behindertenwerkstätten zu Beginn des Jahres sogar angehoben – von 99 auf 109 Euro pro Monat. Doch dies komme bei Ralf Gippert nicht an, heißt es in dem Anwaltsschreiben. Das Problem seien die verschiedenen Komponenten, aus denen sich die Löhne in Behindertenwerkstätten zusammensetzten. Denn gleichzeitig sei der Steigerungsbetrag, der von den Einrichtungen auf den Grundbetrag hinzukommt, um zehn Euro gekürzt worden und würde auch nur zu 75 Prozent ausgezahlt werden. Dies habe zufolge, dass Ralf Gippert bei gleicher Tätigkeit und Leistung insgesamt weniger Geld bekommt – und dies jedes Jahr aufs Neue…“ Artikel von Daniel Göbel vom 02.02.2022 in hna.de externer Link und dazu:

    • [BDKS] Werkstätten unter Rechtfertigungsdruck: Weniger Geld bei gleicher Leistung
      „Jahrelang konnten die Werkstätten für behinderte Menschen sich bei schönen Sommerfesten oder bei Politiker*innen-Besuchen feiern und zur Schau stellen, was sie alles Gutes für behinderte Menschen machen. Die Kritik der Betroffenen an geringen Löhnen, fehlenden Arbeitnehmerrechten und zum Teil schlechter Behandlung von oben herunter blieb dabei weitgehend ungehört oder verhallten im System. Das hat sich in den letzten Jahren durch zunehmende kritische Berichte über die geringen Entgelte und äusserst niedrigen Vermittlungsquoten der Werkstätten geändert. Und so müssen sich zusehends auch die Werkstätten vor Ort, wie aktuell die Baunataler Werkstätten, öffentlicher Kritik stellen, zumal die Entgelte trotz gleicher Leistung zum Teil noch gesenkt wurden. „Der 56-Jährige Ralf Gippert ist seit 2018 über die Werkstätten der Baunataler Diakonie Kassel (BDKS) bei einer Firma tätig, wo er Waren verpackt und dies auch selbstständig in ein Computersystem einspeist. Das funktioniere einwandfrei, auch die Arbeit mache ihm Spaß, sagt sein Vater Rudi, der auch der gesetzliche Betreuer seines Sohnes ist. Nun soll Ralf Gippert der Lohn für seine Tätigkeit, die 35 Stunden pro Woche umfasst, gekürzt werden – was Rudi Gippert als Frechheit empfindet, wie er im Gespräch mit unserer Zeitung sagt.“ So heißt es in einem Bericht der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) vom 2. Februar 2021. Von 398,51 Euro im Jahr 2017 sei die Entlohnung auf aktuell 349,35 Euro bei gleicher Tätigkeit abgesenkt worden. (…) Unter der Überschrift „Beschäftigte ausgebeutet? Baunataler Werkstätten weisen Vorwurf zurück“ berichtete die HNA nun am 6. Februar erneut über die Vorwürfe, nachdem es eine Reihe von Negativ-Kommentare an die Werkstatt gegeben hatte. Auch in den sozialen Netzwerken hatte es Kritik gegeben. (…) Nach Ansicht des NETZWERK ARTIKEL 3 besteht nicht zuletzt aufgrund der klaren Kritik des UN-Ausschuss zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention am deutschen Werkstättensystem dringender Handlungsbedarf für inklusive Arbeitsangebote für behinderte Menschen. In einem Land mit Mindestlohn, der weiter erhöht werden soll, sei es unerträglich, welches Schattensystem hier herrsche, das behinderte Menschen arm hält. Ein Anfang könne beispielsweise dort gemacht werden, wo behinderte Menschen schon auf ausgelagerten Arbeitsplätzen von Werkstätten bei regulären Arbeitgeber*innen arbeiten. Also dort, wo man sich schon kennt. Es sei nach Ansicht des NETZWERK ARTIKEL 3 völlig unverständlich, warum diese Arbeitsplätze nicht in reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse mit Unterstützung des Budget für Arbeit umgewandelt werden…“ Artikel von Ottmar Miles-Paul vom 9. Februar 2022 bei den kobinet Nachrichten externer Link
    • [Werkstätten der Baunataler Diakonie Kassel] Beutet die nordhessische BDKS Menschen aus? 
      Der christliche Beschäftigungsträger Baunataler Diakonie Kassel (BDKS) e. V. wehrt sich gegen den Vorwurf Menschen mit Beeinträchtigungen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor über ein undurchsichtiges Entlohnungssystem auszubeuten.
      Zu den Kunden der BDKS zählen u.a. Volkswagen, B. Braun und die Hütt-Brauerrei. Im Juli ’21 haben die Mitglieder der BDKS den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der B.Braun Melsungen AG, Prof. Dr. Heinz-Walter Große, zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats gewählt. Dem bei der BDKS beschäftigten Ralf G. war in seinen Lohnabrechnungen aufgefallen, dass er bei gleichbleibender Arbeit immer weniger Lohn von der BDKS erhielt; zusammen mit seinem Vater schaltete G. sogar einen Anwalt ein und versuchte sich dagegen zu wehren. (…)
      Nun wehrt sich die BDKS gegen den Vorwurf sie würde z. B. behinderte Menschen zusammen mit der nordhessischen Wirtschaft ausbeuten und verweist in der HNA vom 6.2.22 externer Link auf ihr komplexes, kompliziertes und undurchsichtiges Entlohnungssystem. Das BDKS-Entlohnungssystem ist für die betroffenen Beschäftigten und ihre Angehörigen kaum nachzuvollziehen – ist das so gewollt?
      Die Beschreibung des Entlohnungssystems, für die BDKS-Basisbeschäftigten – aus Sicht der BDKS-Geschäftsführung -, ist bezeichnend: Zu komplex, zu kompliziert und somit vermutlich nur für BWL’er (und andere Fachleute) nachvollziehbar bzw. verständlich, jedoch nicht für die Entlohnten selbst; zudem ermöglicht dieses Entlohnungssystem betriebsinterne Interpretationen und (willkürlich ausgelegte) Spielräume für den Arbeitgeber, die BDKS. Im Bereich des Bundesteilhabegesetzes verhält es sich ganz ähnlich: Zu schwerverständlich für die Betroffenen (…)
      Wenn diese o. a. geschilderten Dinge für die Betroffenen (und ihre Angehörigen) nicht einfach nachzuvollziehen sind und zudem (bewusst?) intransparent gehalten werden, erweckt das großes Misstrauen bei den Beschäftigten gegenüber dem Beschäftigungsbetrieb BDKS. Und genau das ist hier geschehen und wird nun öffentlich diskutiert.
      Hat die BDKS sich diesbezüglich einfach keine Mühe gegeben, liegt hier ein Kommunikationsproblem (bspw. zwischen der BDKS-Geschäftsführung und den Basisbeschäftigten) vor? Oder spielen hier noch andere (gewinnträchtige) Gründe für die BDKS eine wichtige Rolle? Die BDKS ist hierbei in einer Art Bringschuld gegenüber den Betroffenen und der Öffentlichkeit. Auch die o. a. nordhessischen Unternehmen sollten ein starkes Eigeninteresse daran habe diesbezüglich bei der Aufklärung der Vorwürfe mitzuwirken. Ausbeutung von Menschen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor – zu Gunsten der (nordhessischen) Wirtschaft – darf es nicht geben!Beitrag von anonym am 07.02.2022 bei indymedia externer Link
  • Aufruf zum Streik für den Mindestlohn für Menschen in Behindertenwerkstätten ab dem 01.12.2021 – und Petiton für den Mindestlohn 
    STREIKAUFRUF in WfbM. Wir fordern Mindestlohn. Macht blau bleib daheim geht nicht arbeiten ab den 01.12.2021. Das wird erst beendet wenn wir den Mindestlohn haben und die Politik endlich handeltAufruf von SakulTalks vom 26.11.2021 auf Twitter externer Link, siehe dazu:

    • Petition: #StelltUnsEin – Ich fordere den Mindestlohn für Menschen in Behindertenwerkstätten!
      Ich habe 6,5 Stunden am Tag in einer Werkstatt gearbeitet. Diese Werkstattart macht in Deutschland acht Milliarden Umsatz im Jahr. Dennoch zahlt man mir und meinen Kolleg*innen für unsere Arbeit nur 1,35 Euro die Stunde. Es ist für niemanden möglich, davon zu leben, weswegen wir dann auch Grundsicherung vom Staat brauchen. Das kann man mit uns machen, weil wir eine Behinderung haben. (…) Diese Vollzeitarbeit von der man nicht leben kann, nennt man dann “Teilhabe”. Ich generiere Milliarden für Unternehmen, mein eigener Lohn ist dabei aber fast nur die Arbeit selbst. Als Antwort auf eine Verfassungsklage von André Thiel, der auch in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet hat, wird die Position der Werkstattbetreiber sehr deutlich: unser “Lohn sei nicht vorrangig Geld, sondern Teilhabe”. Unser Lohn soll also sein, dass wir überhaupt arbeiten dürfen, für andere Gewinn machen dürfen? Das ist an Frechheit nicht zu überbieten. Ich fordere den Mindestlohn für Menschen in Behindertenwerkstätten! Das würde bedeuten, dass die Arbeiter*innen der Behindertenwerkstätten als Arbeitnehmer*innen gelten und sich auch gewerkschaftlich organisieren dürften. (…) Das Konzept der Behindertenwerkstätten ist im Grunde kriminell und gehört abgeschafft. Dass die Werkstätten von heute auf morgen abgeschafft werden, ist jedoch wenig realistisch. Langfristig müssten Menschen mit Behinderung auch auf “normale” Schulen, um eine freie Entscheidung zu bekommen, ob sie in eine Behindertenwerkstatt oder in den ersten Arbeitsmarkt treten wollen. Das ist aber ein langer Weg den wir da vor uns haben. Immer gilt aber: wir arbeitenden Menschen mit Behinderung, wollen dieselben Rechte haben, wie alle anderen Arbeiter*innen Deutschlands. Wir wollen Mindestlohn…“ Petition von Lukas Krämer bei change.org externer Link an Olaf Scholz (Kanzlerkandidat SPD zur Bundestagswahl 2021 ) und weitere
  • BeHindernisse: »Wer einmal in der Werkstatt ist, kommt nie wieder heraus« 
    Ein Interview von Frédéric Valin mit Anne Gersdorff und Sven Papenbrock aus ak 676 vom 16. November 2021 externer Link „über die Ausbeutung Beschäftigter auf dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt und die Kämpfe dagegen (…) Anne Gersdorff: Das deutsche Werkstättensystem wird gerügt, weil es nicht inklusiv ist. Es ist ein in sich geschlossenes System, denn die Übergänge von den Werkstätten in den weiteren Arbeitsmarkt liegen seit Jahrzehnten konstant unter einem Prozent. Das heißt, kaum jemand, der in eine Werkstatt geht, kommt da je wieder raus. Die Beschäftigten sind ihr Leben lang auf Grundsicherung angewiesen, weil sie von den Werkstätten nur ein Taschengeld für ihre Arbeit ausgezahlt bekommen. In der UN-Behindertenrechtskonvention ist festgeschrieben, dass jeder Mensch das Recht hat, seinen Arbeitsplatz frei zu wählen, und dass man mit dem Lohn für seine Arbeit auch den Lebensunterhalt bestreiten können sollte. Darüber hinaus sollte der Arbeitsmarkt barrierefrei zugänglich sein. In Deutschland wird dafür einfach zu wenig getan. Die Werkstättenplätze wurden in den 1990er und 2000er Jahren sogar um 50 Prozent ausgebaut. Die Zahl der Beschäftigten und auch die Zahl der Werkstätten nehmen weiter zu, und ich bin überzeugt, dass es nach der Pandemie auch noch einen weiteren Anstieg geben wird, weil sich Leute vielleicht weniger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt trauen und weil ihnen suggeriert wird, dass es mit der Arbeit in der Werkstatt die Perspektive auf ein sicheres Leben gäbe und man dort gut untergebracht sei. (…) Aktuell sind etwa 312.000 Menschen in Werkstätten tätig, Tendenz steigend. (…) Menschen in Behindertenwerkstätten gelten nicht als Arbeitnehmer*innen, sondern als Beschäftigte; das bedeutet, dass sie meist unter 200 Euro im Monat verdienen, also für ein Taschengeld arbeiten. Die Personen, die in den Werkstätten sind, werden vorher als »nicht erwerbsfähig« gelabelt. Und diese Argumentation wird benutzt, um diese fadenscheinige Einteilung als »Nicht-Arbeitnehmer*innen« aufrechtzuerhalten. Dazu kommt, dass mit vermeintlichen Schutzmaßnahmen argumentiert wird: Leute in Werkstätten müssten nicht so hart arbeiten, wird dann gesagt. Oder es gäbe ja besondere Arbeitsbedingungen. Außerdem würden die Menschen in den Werkstätten ohnehin weiterhin Grundsicherung erhalten, egal, wie leistungsstark sie seien. All das führt dazu, dass die Personen nicht dieselben Rechte haben wie Arbeitnehmer*innen, obwohl sie für große Unternehmen Profite erarbeiten oder Dienstleistungen erbringen – und das zum Teil auch acht Stunden am Tag, wie alle anderen Arbeitnehmer*innen auch. (…) Ich bin wirklich überzeugt, dass Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit der entsprechenden Beratung und Unterstützung wirklich funktionieren kann, und das brauchen wir dringend, solange die Gesellschaft Arbeit so stark mit Teilhabe verknüpft.“
  • Sonderwirtschaftszone „Behindertenwerkstätten“. Beschäftigten mit Einschränkungen wird »Arbeitnehmerstatus« verweigert. Konzerne profitieren vom System 
    Es ist ein Heer prekär Beschäftigter: In rund 750 »Behindertenwerkstätten« an knapp 3.000 Standorten malochen mehr als 320.000 Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen. Für einen Billiglohn, durchschnittlich etwa ein Euro pro Arbeitsstunde. Tendenz sinkend. Erhielten Arbeitende in den Werkstätten 2018 ein monatliches Entgelt von zirka 229 Euro, waren es ein Jahr später nur noch 220 Euro und ein paar Cent. Das sind Ergebnisse eines Zwischenberichts, der jüngst seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vorgestellt wurde. Das BMAS hatte 2020 zwei Forschungsinstitute beauftragt, das Entgeltsystem in den Werkstätten samt »Reformbedarf« zu ermitteln. Der Abschlussbericht ist erst für Ende 2023 angekündigt. Wie kommen die mickrigen Summen in die Lohntüte? Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) klärt auf: Die Einrichtungen zahlen einen Grundbetrag in Höhe eines Ausbildungsgeldes und einen »leistungsangemessenen Steigerungsbetrag«, sagte Volker Berg, Pressereferent der BAG WfbM, am Donnerstag auf jW-Nachfrage. Hinzu käme ein öffentlich finanziertes Arbeitsförderungsgeld. Das bedeutet: WfbM-Prekäre sind »Sozialfälle«, müssen mittels Grundsicherung aufstocken oder erhalten eine Erwerbsminderungsrente.
    Fest steht: Gehandikapte Beschäftigte fertigen in einer Art Sonderwirtschaftszone. Ein einträgliches Business. Der Jahresumsatz aller WfbM liegt hierzulande nach Angaben der Kampagne »Job inklusive« bei rund acht Milliarden Euro. Zahlreiche Konzerne und mittelständische Unternehmen haben Verträge mit Werkstätten, lassen dort produzieren oder lagern Dienstleistungen dorthin aus. »Job inklusiv« nennt Firmennamen: Volkswagen, Thyssen-Krupp, Siemens, Daimler, Panasonic. Ferner würden Startups, die nach Fairtrade-Standards handeln, mit WfbM-Geschäftsführungen kooperieren. (…) Möglich macht dieses System der fehlende sogenannte Arbeitnehmerstatus der Werktätigen mit Handikaps. Eine Rechtfertigung klingt oft so, Beispiel BMAS: Bei der Werkstattarbeit gehe es vorrangig um Betreuung und Rehabilitation, die Bedingungen seien mit denen einer »normalen« Berufsausübung nicht vergleichbar. (…) Als wäre das nicht genug, gibt es auch noch ein Ost-West-Gefälle. Die Entlohnung in ostdeutschen »Behindertenwerkstätten« liege um etwa ein Viertel unter jener im Westen der Republik, ärgerte sich der Leipziger Linke-Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann am Donnerstag gegenüber dieser Zeitung: »Der Gesetzgeber muss hier eine Angleichung erzwingen.« Apropos Arbeiterrechte, was sagt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zu Dumpinglöhnen bei Hunderttausenden in den Werkstätten? Eine Pressesprecherin bat jW um Verständnis, eine Stellungnahme sei am Donnerstag zeitlich nicht drin gewesen.“ Artikel von Oliver Rast in der jungen Welt vom 12.11.2021 externer Link
  • Beschäftigte in Behindertenwerkstätten: Nur 180 Euro pro Monat! 
    „… Ausgangslage im Juli 2021: Während die politische Linke derzeit gebannt auf die Arbeiter:innenkämpfe der „Riders“ und deren wilde Streiks blickt und sich solidarisch zeigt, übergab Lukas Krämer am 30.06.2021 eine Petition für den Mindestlohn in Behindertenwerkstätten, welche mehr als 125.000 Menschen unterzeichnet haben. In kleinem Rahmen wurde diese vor dem Deutschen Bundestag Kerstin Griese (SPD), als parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales übergeben. Wichtig ist an dieser Stelle der Blick auf diese Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) – dort sind in Deutschland ca. 320.000 Menschen beschäftigt, die nicht als Arbeitnehmer:innen gelten, sondern in sogenannten „Beschäftigungsverhältnissen“ stehen. Daraus resultiert, dass diese Personen weder Recht auf Mindestlohn noch auf gewerkschaftliche Organisation, öffentliche Tarifverträge oder Streiks haben. Immerhin würde sich auch diese marginalisierte Gruppe wünschen, mit ihren Forderungen auf mehr Gehör zu stoßen. In Deutschland gelten schließlich 7.902.960 Millionen Menschen als schwerbehindert, das entspricht etwa jede:r zehnten Person. Behinderung ist oft ein Ausschlusskriterium, ob im privaten Alltag oder im Arbeitsleben. Ein Viertel aller Anfragen der Antidiskriminierungsstelle betreffen das Feld von Behinderungen. Wäre nicht ein solidarischer diskriminierungsfreier Grundkonsens notwendig, um wirklich positive gesellschaftliche Veränderungen erzielen zu können? Speziell die Haltung der politischen Linken verstehe ich hierbei jedoch nicht ganz, denn im Endeffekt sind das modern geführte Arbeiter:innenkämpfe, die sich jedoch noch nicht mal als Arbeiter:innen bezeichnen können. Während also von der wilden Streikkultur geschwärmt wird, was auch vollkommen in Ordnung ist, finden die Bemühungen für grundlegende Dinge wie den Arbeitnehmer:innen Status und den Mindestlohn der Werkstattbeschäftigten wenig bis kaum Gehör. Mir stellt sich zunehmend die Frage, woran das liegen könnte…“ Gastbeitrag von Michael Herrmann vom 15.7.2021 bei Klasse gegen Klasse externer Link
  • Behindert arbeiten. Sonderwelten für Menschen mit Einschränkungen oder geschützter Arbeitsraum? Ein Werkstattbericht. 
    Mehr als 300 000 Menschen mit Behinderung arbeiten in Deutschland für sehr wenig Geld in sogenannten Werkstätten. Sie bekommen keinen Mindestlohn, weil sie arbeitsrechtlich als Rehabilitanden gelten. Ist das fair? Dass es die Werkstätten für Menschen mit Behinderung gibt, ist eine Errungenschaft des Wohlfahrtsstaates. Doch ein größer werdender Kreis von Aktivist*innen und Politiker*innen fordern ihr Auslaufen oder wenigstens eine radikale Reform. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrer Gründung wird den Werkstätten vorgeworfen, Sonderarbeitswelten zu sein. Ein verschwindend geringer Teil der Beschäftigten – nur ein Prozent jährlich – schafft den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt. Dabei waren die Werkstätten, so liest man es in ihrer Verordnung von 1980, als Übergangseinrichtungen gedacht für Menschen, die aufgrund ihrer geistigen, psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gelangen. Katrin Langensiepen ist Berichterstatterin zum Thema Menschen mit Behinderung in Brüssel. Die Abgeordnete im Europaparlament veröffentlichte Ende Januar einen Bericht, in dem sie fordert, die Werkstätten langfristig auslaufen zu lassen externer Link. Er wurde vom Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten im Europaparlament mit großer Mehrheit angenommen. Langensiepen kritisiert die Werkstätten für Menschen mit Behinderung als weder inklusiv noch vorbereitend auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Befürworter der Werkstätten sehen das, was in den Werkstätten an Inklusion geleistet wird, gänzlich anders. (…) Doch die Unzufriedenheit der Beschäftigen mit Behinderung ist deutlich größer als die der Arbeitnehmer ohne Einschränkungen, das geht aus dem Bundesteilhabebericht externer Link hervor. Die Einstellungen der Beschäftigten zu den Werkstätten sind durchaus ambivalent. (…) Wie könnte eine Reform der Werkstätten aussehen? Die Werkstatträte haben dazu einen Vorschlag gemacht. Sie nennen es «Basisgeld» externer Link. Die betriebsratsähnliche Struktur vertritt die Interessen der Werkstattbeschäftigten, ihr Konzept denkt aber weit über diesen Kreis hinaus. Alle Menschen in Deutschland, die dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sollen das Basisgeld erhalten, 70 Prozent des gesamtdeutschen Durchschnittsverdienstes soll es betragen. Im Jahr 2019 hätte das einer Summe von 1450 Euro entsprochen. «Ein selbstbestimmtes Leben heißt, Geld in der Tasche zu haben», meint Birgit Meierdiecks, Werkstatträtin aus Bremen und Mitentwicklerin des Basisgeldes. Am Ende hätten die Menschen dabei gar nicht viel mehr Auskommen, als durch die Grundsicherung. Aber: «Es wird ihnen die Demütigung erspart, alles offenzulegen.» Ein Basisgeld hätte bestimmt auch Rückwirkungen auf die Werkstätten, die Menschen könnten freier entscheiden, ob sie dort arbeiten wollen. Letztlich sei das aber auch eine gesellschaftliche Frage, betont Meierdiecks. «Dass viele Leute sich sagen, es ist schon in Ordnung, wenn Menschen mit Behinderung arm durchs Leben gehen, das muss sich ändern.» In anderen Ländern gibt es andere Systeme, Menschen mit Behinderungen in Arbeit zu bringen. In Großbritannien gab es einst ähnliche Werkstätten wie in Deutschland, dann wurden sie abgeschafft. Mit ambivalentem Ausgang: Während einige der Menschen nun auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gelandet sind, finden andere von ihnen keinen Job…“ Artikel von Fabian Hillebrand vom 26.02.2021 im ND online externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=181340
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