[Buch] Störung im Betriebsablauf. Systemirrelevante Betrachtungen zur Pandemie

[Buch] Störung im Betriebsablauf. Systemirrelevante Betrachtungen zur PandemieMein Ausgangspunkt bleibt, dass dem »Plan« des deutschen Staates ein notwendiges kapitalistisches Kalkül zugrunde liegt, nämlich das Ausbalancieren von akzeptierten Opfern und die Vermeidung einer »zu hohen«, das nötige Reservoir der Ware Arbeitskraft beeinträchtigenden Zahl von Infektionen – bei Erhalt der Loyalität gegenüber dem Staat sowie seinem regierenden und konstruktiv-oppositionellen Personal selbstverständlich. Mit diesen Worten fasst Thomas Ebermann in seinem neuen Buch Störung im Betriebsablauf. Systemirrelevante Betrachtungen zur Pandemie das Kalkül politischen Handelns in der Corona-Krise zusammen. Er wendet sich gegen einen Staat, der die Bewirtschaftung des Menschenmaterials organisiert und für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Betriebs Opferbereitschaft fordert; gegen die rechten und linken Verharmloser einer todbringenden Krankheit, gegen die Rücksichtslosigkeit und Brutalität der durch die Herrschaft geformten Subjekte; gegen die fortwährende Produktion falscher Bedürfnisse und gegen das große Heilsversprechen dieser Tage, dass wir, wenn wir uns alle nur richtig anstrengen, bald wieder zur »Normalität« zurückkehren können.“ So der Umschlagtext zum Buch von Thomas Ebermann im konkret-Verlag – siehe weitere Informationen und als Leseprobe im LabourNet Germany das Kapitel „Erziehung zur Verhärtung“ – wir danken Autor wie Verlag!

  • Das Buch: Störung im Betriebsablauf. Systemirrelevante Betrachtungen zur Pandemie von Thomas Ebermann (ISBN 978-3-930786-94-7, 19,50 €) ist gerade im konkret-Verlag erschienen – siehe dort Infos und Bestellung externer Link
  • Kapitel „Erziehung zur Verhärtung“
    Warum fahren die Lohnabhängigen in vollen Verkehrsmitteln zur Arbeit und setzen sich dort, neben allen Anstrengungen ihrer beruflichen Tätigkeiten, einer Gefährdung aus, die sie im Privatleben, wenn sie den staatlichen Anweisungen folgen, meiden? Eine einfache Frage, eine komplizierte Antwort: In einem langen historischen Prozess ist der Klasse der Lohnabhängigen unsägliches Leid zugefügt worden; sie haben sich, gezwungen von den materiellen Verhältnissen, unterworfen, um zu überleben, um nicht zu (ver)hungern, und sahen sich umgeben von objektiven Strukturen, konkreten Feinden und ideologischen Botschaften auch aus den »eigenen Reihen«, die eine Transformation des Fremdzwangs in Selbstzwang verlangten, eine Akzeptanz der Leben verkürzenden und vernichtenden Tortur, eine proletarische Selbstheroisierung, den Stolz, »das auszuhalten«, und eine Verachtung jener, die das nicht wollten oder konnten, als Schwächlinge und Drückeberger, die bestraft gehören. Die Gleichzeitigkeit, das In- und Miteinander der proletarischen Opfer und ihrer Täterschaft, ob in Form der Verachtung der Massenarbeiter durch die Facharbeiter, der Erniedrigung der Leiharbeiter durch die Stammbelegschaft, des proletarischen Rassismus oder – in seiner dunkelsten Erscheinungsform – als gnadenlose Beaufsichtigung der als »Minderwertige « stigmatisierten Zwangsarbeiter im Nationalsozialismus: überall dieses nicht zu entwirrende Gleichzeitige, das sich in der proletarischen Forderung, den »faulen Griechen« ihr zu gutes Leben nicht durchgehen zu lassen, ebenso artikuliert wie in der Akzeptanz der Einrichtung der Welt als einer, in der ungeheure Mehrwertmassen aus den unterlegenen Regionen in die Metropolen geleitet werden. (…) Das sogenannte Wirtschaftswunder war auf der Verachtung des (angeblichen) menschlichen Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit gebaut. »Arbeiter und Arbeiterinnen an die Normalität der Gesundheitszerstörung zu gewöhnen, gehörte in allen Industrienationen lange zum Kernbestand der Arbeitserziehung.« Und dieses Erziehungsziel fällt – bis heute – auf durch die Arbeiterbewegung und ihre Theoretiker fruchtbar gemachten Boden. (…) Die Helden der proletarischen und revolutionär-proletarischen Romane waren starke Männer (die selbstverständlich mangelnden Arbeitsschutz anprangerten), während der auch politisch unreife »schwankende  Kleinbürger« Probleme mit Pünktlichkeit, Stechuhr und Arbeitsanforderungen hatte. Die sozialistische Jugendbewegung Wiens übernahm in ihr Liederbuch die Zeile »Schmiedet die Müßiggänger an die Galeere der Schande!«, und im Arbeitersport war man »frisch, frei, stark und treu«, also voller Manneskraft und ohne Kranke, Behinderte und Alte unterwegs. (…) Ohne zu leugnen, dass die tatsächliche oder scheinbare Unentrinnbarkeit der Lebenssituation, in der man steckt, Produzentin ihrer Beschönigung ist – sozusagen überlebensnotwendiger Selbstbetrug – sei doch  estgestellt, dass hier auch eine kulthafte Selbstverhärtung stattfindet. »Dass gerade die Gesundheitsschäden selbst wie ein Orden wirkten, der geschädigten und ansonsten subordinierten Menschen Anerkennung und Selbstwert verlieh«, wurde oft beobachtet (und die »Bildzeitung« wirbt für sich gerade mit einer großen Kampagne, in der sie ihre »Anerkennung« für die hart Arbeitenden ausdrückt: »Für alle, die Verantwortung übernehmen und immer da sind. Die sich immer kümmern, aber niemals fordern. Für Euch. Bild«). (…) Das Versprechen der Humanisierung der Arbeit ist Ideologie, ist eine Lüge. Dies festzustellen heißt nicht, Veränderungen zu bestreiten. Legt man allen Blödsinn, nach dem der Menschheit die Arbeit ausgehe, beiseite, dann bleibt, dass toxisch extrem belastete Arbeit massenhaft in Schwellenländer ausgelagert wurde und auch lebensgefährliches Arbeiten in den Metropolen zum Teil von Maschinen bewerkstelligt wird. Ganze Branchen gelten für eingeborene »Arier« als mehr oder weniger unzumutbar, wie wir an den Arbeitern der Fleischindustrie, den »Erntehelfern« und den Arbeiterinnen in den halb- oder illegalen Tätigkeiten in der häuslichen Pflege sehen. (…) Selbst dort, wo der Lohn beträchtliche konsumtive Möglichkeiten gestattet, bei den Stammbelegschaften der Automobilindustrie etwa, die gegenüber den Leiharbeitern in der Minderheit sind, wird knüppelhart, monoton und überanstrengend malocht. Die demonstrative Abwertung der Leiharbeiter verbindet sich, in Formen der Gruppenarbeit, mit der Tyrannei gegen jene, die dem Tempo nicht gewachsen sind. Auch in den gehobenen Schichten der Lohnarbeit spielen sich Dramen ab. Allein die Suche nach der Balance – einerseits den Eindruck zu vermitteln, man schaffe das geforderte Arbeitspensum, andererseits, geheimniskrämerisch vor den Kollegen, Arbeit mit nach Hause zu nehmen, um die Anforderungen zu bewältigen, prägt den Alltag ungezählter Gutbezahlter. (…) Die Selbstverhärtung, die in diesen Segmenten anzutreffen ist, wird auch in den sozialdarwinistischen Aggressionen gegen Arbeitslose und jene, die sich sozial-hierarchisch ein paar Stufen tiefer mühen, sichtbar. Das Ausmaß des Mobbings, dieses echten Massensports, gibt Auskunft über die Degradierung von Menschen zu Humankapital. (…) Die Missachtung des eigenen Wohlbefindens  wie der eigenen Gesundheit – beziehungsweise die Gleichsetzung von Funktionstüchtigkeit und Gesundheit – ist konstitutiv. Sie hat die Teilnahme am Berufsleben zur Voraussetzung. Das muss Auswirkungen haben auf die Haltung zum Virus, das einen weder »garantiert« erwischt noch »garantiert« zu schwerer Erkrankung und Tod führt. (…) Das Bescheidwissen darüber, dass es die Alten und Behinderten, die Obdachlosen und Ausgespuckten ohnehin häufiger trifft, tut das Übrige; es spiegelt die Verachtung für die Leistungsschwachen…“ Siehe das gesamte Kapitel
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