Eine Anregung zur Krisen-Wahrnehmung: Wie der Kapitalismus die Demokratie zerstört

Kommentar zu Wolfgang Streecks „Adorno-Vorlesungen“ von Volker Bahl vom 19.3.2013

– Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung –

Keine Ahnung, ob es dir / ihnen schon möglich war, die Adorno-Vorlesungen von Wolfgang Streeck begierig reinziehen zu können – jedenfalls ist ein „Traum“ in Erfüllung gegangen, dass die Sozialwissenschaften mit den ökonomischen Krisenerklärungen gleichgezogen – ja sie m.E. sogar noch „überrundet“ haben.

Wenn du / Sie ein wenig Lust bekommen solltest, doch einmal in ein großes Panorama der Krisenentwicklung der letzten 40 Jahre – seit dem Ende der stabilen Nachkriegswirtschaftsordnung – einzusteigen, dann kann ich jetzt einmal die Lektüre von Wolfgang Streecks „Gekaufte Zeit – Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“ empfehlen.

Wolfgang Streeck umschreibt sein Vorhaben so: „Ich möchte im Folgenden eine historische Narration der kapitalistischen Entwicklung – ausgehend von einer Kritik der zu kurz greifenden „Spätkapitalismus-Theorien“ Frankfurter Provenienz – seit den 70-er Jahren vorschlagen, die eine Verbindung herstellt zwischen dem, was ich die Revolte des Kapitals gegen die mixed economy der Nachkriegszeit interpretiere, der breiten Popularität expandierende Arbeits- und Konsümgütermärkte nach dem Ende der kurzen siebziger Jahre sowie die Sequenz wirtschaftlicher Krisenerscheinungen von damals bis heute – einer Sequenz, die derzeit in einer dreifachen Krise der Banken, der Staatshaushalte und des Wirtschaftswachstums ihren bisherigen Höhepunkt gefunden hat.

Wie andere schon vor ihm sieht er die 68-er Bewegung (vgl. z.B. den Ökonomen Stephan Schulmeister in seinem Standard-Werk wider den Finanzkapitalismus „Ein New Deal für Europa“: http://www.fr-online.de/wirtschaft/krsien-lektuere-wider-den-finanzkapitalismus,1472780,4537948.html externer Link) nebst den damaligen wilden Streiks in Deutschland als einen wichtigen „Motivationsschub“ für diese „Revolte des Kapitals“ – die jedoch ziemlich erfolgreich – wie Kalecki schon 1943 dem keynesianischen Modell vorhergesagt hatte, dass es am Widerstand des Kapitals scheitern könnte – bis zuletzt in eine marktradikalen „hayekanische“ Konstellation übergeleitet – und auch vollendet werden konnte.

Und die 68-er mussten für diese totale Wende der polit-ökonomischen Konstellation nicht als Widerstandspotential einkalkuliert werden, sondern konnten voll für diese Wende kooptiert werden durch neue Formen der Arbeits-organisation und Beschäftigung – wie es Boltanski und Chiapello (2005) analysiert hatten.
Und wenn du nicht die Zeit hast, das ganze Werk dir zu Gemüte zu führen, dann würde ich für einen „qualifizierten“ Überblick einfach den Abschnitt „Die lange Wende: Vom Nachkriegskapitalismus zum Neoliberalismus“ (S. 54 bis 78) zur „Einführung“ empfehlen.

Krise: Wie der Kapitalismus die Demokratie zerstört. Ein Interview mit Wolfgang Streeck zu seinem gerade erschienenen Buch: „Gekaufte Zeit“

Nicht nur die Wirtschaft ist in einer Krise, sondern auch die Politik. Die lange Zeit währende friedliche Koexitenz zwischen Kapitalismus und Demokratie ist zu Ende gegangen, meint der Soziologe Wolfgang Streeck in seinen „Adorno-Vorlesungen“, die jetzt erschienen sind. (http://www.fr-online.de/kultur/krise-wie-der-kapitalismus-die-demokratie-zerstoert,1472786,22045334.html externer Link oder noch www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/2027596/ externer Link)

So wurde diese aktuell wunderbare Werk „Mutter Blamage“ von Stephan Hebel über die gerade jetzt im Bundestagswahlkampf so wichtige Frage: „Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht“ – Die zwei Gesichter der Angela Merkel (siehe einen Auszug aus dem Buch: http://www.fr-online.de/politik/bundeskanzlerin-merkel-die-zwei-gesichter-der-angela-m-,1472596,21927736.html externer Linksowie die Besprechung von Wolfgang Lieb: www.nachdenkseiten.de/?p=16450 externer Link) durch diese wesentlich breitere Perspektive übertroffen.

Umgekehrt ist natürlich bei Hebel die aktuelle Entwicklung viel deutlicher „abgebildet“, was der aktuellen Auseinandersetzung auch einen recht guten Dienst erweisen kann.
Nicht unberücksichtigt kann bei dieser Krisenwahr-nehmung jedoch auch bleiben, dass Streeck – anders als z.B. Schulmeister, der das voraussehbare Scheitern des Neoliberlismus recht optimistisch zum Anlass nimmt, dass diese Kapitalismusvariante – bei ihm die finanzkapitalistische – mit ihrem Scheitern überwunden werden muss. (kann), verschließt sich Streeck einem solchen Optimismus und meint daher, sich der Ansicht verweigern zu müssen – auch Adorno nachfolgend -, dass Krisen immer gut ausgehen müssen. Gerade die Deutschen haben ja dazu aus ihrer eigenen Geschichte genügend Anlass.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=29712
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