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Fed up! Kritik zu Besuch beim Klassentreffen der Zentralbanker in Jackson Hole, Wyoming

LunaPark21 - zeitschrift zur kritik der globalen ökonomie. Heft 35, Herbst 2016 (Umschlagseite)Artikel von Sebastian Gerhardt in der frisch erschienen Lunapark21 – zeitschrift zur kritik der globalen ökonomie, Heft 35: Herbst 2016 externer Link – wir danken der Redaktion!

Wer sagt, es gibt keinen Fortschritt mehr? Vor zwei Jahren fuhren einige Aktivisten und Organizer in den äußerten Westen von Wyoming nach Jackson Hole, um auf dem informellen Klassentreffen der Zentralbanker ihre Kritik an der Politik des Federal Reserve System (Fed), der US-Zentralbank, vorzutragen. Sie wurden außerhalb der Tagesordnung von Esther L. George, der Präsidentin des zuständigen 10. Fed-Distrikts aus Kansas, zu einem längeren Gespräch empfangen und selbst der stellvertretende Chef Stanley Fisher erübrigte ein paar Minuten. Es folgte ein Treffen mit der Fed-Präsidentin Janet Yellen in Washington im November 2014. 2015 waren die Kritiker in Jackson Hole schon zahlreicher vertreten. Und in diesem Jahr wurde die Diskussion über die „weißen reichen Männer“, die höchst undemokratisch über die US-Geldpolitik entscheiden, dem Treffen der Finanzeliten offiziell vorangestellt, mitgeschnitten und im Netz veröffentlicht: 25. August 2016, Aktivisten treffen die Banker, die über die US-Geldpolitik ganz oben mitentscheiden…

Die Koalition der Kritiker nennt sich: „Fed up!“ – was klar macht, wie abgegessen sie von der Politik der Fed sind und dass sie etwas ändern wollen. Organisiert vom Center for Popular Democracy und getragen von Dutzenden Sozialverbänden, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften wie dem Dachverband AfL-CIO und gewerkschaftsnahen Think Tanks wie dem Economic Policy Institut haben sie in den letzten zwei Jahren ihre Hausaufgaben gemacht. Anfang dieses Jahres legten sie eine kleine Statistik vor, die den Abstand der geldpolitischen Entscheidungsträger von der Normalbevölkerung beweist. Sie haben dazu das Geldpolitische Zentralkomitee, das „Federal Open Market Committee“ (FOMC) und die zwölf Regionaldirektionen der Fed einfach ausgezählt: Fast dreiviertel in diesen Gremien sind Männer. 83 Prozent sind weiß – in der US-Bevölkerung insgesamt sind nur 63 Prozent Weiße. Die große Mehrheit der Zentralbanker hat ihre Karriere innerhalb der Fed oder im Bankensektor gemacht. Die Regionaldirektionen werden immer noch wesentlich von den Banken des jeweiligen Distrikts bestimmt. Und das FOMC ist eine fast gänzlich geschlossene Gesellschaft, die stimmberechtigten Mitglieder sind alle weiß: 100 Prozent. Keine Farbigen, kaum Frauen, keine Arbeiter. Die Zusammenfassung der Statistik lieferte den Titel der Kritik: Die Fed repräsentiert nicht das amerikanische Volk.

Die Forderung nach einer angemessenen Repräsentation der nach Klasse, Herkunft und Geschlecht ganz anders zusammengesetzten US-Bevölkerung in den Entscheidungsgremien der Geldpolitik ist nicht destruktiv gemeint. Im Juni 2016 stellte die Kampagne eine Liste von eigenen, qualifizierten Kandidatinnen und Kandidaten für die Regionaldirektionen vor, die eine breiteres Spektrum von sozialen Positionen in die Fed einbringen sollen, von keynesianischen Ökonomen über wohnungspolitisch Aktive bis zu Organisatoren von „Black Lives Matter“. Der konstruktive Zugang wird von den Fed-Banker auch erwidert: Auf jede Kritik an kriminellen Machenschaften von Unternehmern antworten sie ehrlich entschlossen, dass sie solche Nachrichten auch selbst an die Strafverfolgungsbehörden weiterreichen. Nur sind in den USA viele Formen der Ausbeutung und Diskriminierung nicht gesetzlich verboten.

Es ist stark zu bezweifeln, dass die konstruktiven Vorschläge bei der Fed mehr als nur wohlwollendes Gehör vor den internen Beratungen finden werden. Auch und gerade nicht in Jackson Hole. Seit 1978 organisiert dort der 10. Distrikt der Fed Treffen, die nur als elitäre Treffen mit reichlich Gelegenheit zu informellen Gesprächen für die hochgestellten Gäste sinnvoll sind. In einer modernen Sommer-Unterkunft des National Park Service, der Jackson Lake Lodge, in über 2000 Meter Höhe mit Aussicht auf die grandiosen Gipfel der Grand Teton Range ergeben sich jene zwanglosen Gespräche, in denen verantwortliche – das heißt: vermögende – Partner Perspektiven über den Alltag hinaus entwerfen können.

Das ist sicher im Sinne des Erfinders. John D. Rockefeller jr. war es. Er hat sich um den Naturschutz in dieser Gegend der Rocky Mountains besonders verdient gemacht, die Erweiterung des Nationalparks befördert und 1950 den modernen Neubau des Gebäudes initiiert, in dem heute alljährlich die Zentralbanker zusammenkommen. Auch an anderen Orten unterstützte John D. jr. den Umweltschutz, die Bewahrung der Natur sowie den Fortschritt von Wissenschaft und Kunst. Eine andere Frage ist, wie er zu seinen Millionen kam. Als Erbe natürlich – und als erfolgreicher Geschäftsmann, der für diesen Geschäftserfolg die Nationalgarde von Colorado den Streik der Bergarbeiter in Ludlow 1913/1914 niederschlagen ließ. Am 25. April 1914 starben über 20 Streikende und Unbeteiligte. Daraufhin war das Image des Magnaten schlecht und er besorgte sich professionelle Hilfe. Mit dem PR-Fachmann Ivy Lee, vielen Lügen und einigen wohltätigen Stiftungen konnte John D. jr. seine gutbürgerliche Reputation rasch zurückgewinnen. In den USA heißt eine solche Nebenbeschäftigung eines reichen weißen Mannes „Philanthropie“: Menschenfreundlichkeit.

Der Wert eines ungezwungenen Beisammenseins führender Banker sprach sich nach 1978 schnell herum und veränderte die Tagesordnung. Standen in den ersten Jahren regional bedingt landwirtschaftliche Themen im Zentrum, so rückten schon Ende der 80er allgemeinere Fragen der Geldpolitik, der Preisentwicklung und der Finanzmärkte ins Zentrum. Wie die Finanzmärkte haben auch die entsprechenden Fachdebatten ihre Konjunkturen. In diesem Jahr ging es darum, eine „widerstandsfähige Geldpolitik“ für die Krisen der Zukunft zu entwickeln.

„Widerstandsfähig“? Die Fragestellung zeigt eine gewisse Verunsicherung unter den Profis. Althergebrachte Vorurteile sind in den letzten Jahren ins Wanken gekommen. Die massive Ausweitung der Bilanzen der Zentralbanken hat nicht zu einer ebensolchen Vervielfachung der „Geldmenge“ genannten Guthaben geführt, mit denen per Überweisung die kapitalistischen Alltagsgeschäfte erledigt werden. Das Preisniveau ist trotz großer Liquidität nicht massiv gestiegen. Und trotz massiv gestiegener Staatsverschuldung liegen die Zinsen für die Staatsverschuldung der imperialistischen Hauptländer weiterhin niedrig. Wohl gibt es für jeden dieser Zusammenhänge gleich mehrere akademisch akzeptable Erklärungen. Aber welche stimmt? Und wie passen sie zusammen? Einen akzeptierten Rahmen für die Diskussion der heutigen Geldpolitik insgesamt haben die akademischen Politikberater nicht. Zugleich gibt es nur noch wenig Spielraum für die übliche Politik in künftigen Krisenzeiten: Wie senkt man Leitzinsen, die schon bei Null liegen? Wie könnte die Bilanzsumme der Fed noch weiter ausgedehnt werden, um Finanzanlegern mehr Sicherheit zu geben?

Die Präsidentin der Federal Reserve Janet Yellen zeigte sich in ihrem Vortrag in Jackson Hole denn auch undogmatisch: Zur Zeit steht keine Krise an, und im Prinzip werden bei ruhigerer weltwirtschaftlicher Lage auch die Zinsen wieder steigen. Dann ist auch die Zeit, die massive Ausweitung der Bilanzsumme der Fed zurückzufahren, um in künftigen Krisen besser reagieren zu können. Ansonsten aber kommt es auf die Lage an. Tatsächlich war die Ende letzten Jahres angepeilte Anpassung an wieder steigende Zinsen nach dem ersten Schritt ins Stolpern geraten. Börsenturbulenzen erschütterten das Vertrauen der Geldvermögensbesitzer in die neue Normalität. Nicht überall ist das Kapital so erfolgreich wie in der Bundesrepublik Deutschland, die auf dem Weg zu einem neuen Rekordüberschuss im Außenhandel ist: 310 Milliarden Euro schätzte das Ifo-Institut Anfang September. Die Folgen eines Brexit sind im Umfang unklar, aber eher negativ. China wächst anders als noch zuletzt geplant. Anders als in den USA ist in Russland der Wahlausgang zwar ganz sicher, mehr aber auch nicht. Alles also etwas durcheinander, da kann auch die Fed nur mit dem Markt schwimmen. So sehr sich aber auch Banken und andere Geldvermögensbesitzer höhere Zinsen wünschen mögen – das tun sie immer – zur Zeit sind sie nicht in Sicht.

Josh Bivens von gewerkschaftsnahen Economic Policy Institut hat in der Diskussion mit den Fed- Oberen diesen letzten Punkt sehr sachlich ausgesprochen: Ein geringes Wirtschaftswachstum lässt einfach keinen Raum für hohe Zinseinkommen. Als daraufhin Dennis Lockhardt von der Atlanta Fed um Mitgefühl für die armen Sparer bat, die nun mit ihrem Vermögen nicht mehr zurecht kommen, konterte Ady Barkan vom Center for Popular Democracy mit einer schlichten Rechnung: Ein Prozent mehr Zinsen macht bei 100.000 Dollar Vermögen einen Unterschied von 1000 Dollar pro Jahr. Eintausend oder sogar zweitausend Dollar mehr pro Jahr retten keinen Rentner. Das mittlere Finanzvermögen eines US-Haushaushalts lag 2013 bei knapp über 20.000 Dollar. Da macht ein Prozent mehr Zinsen pro Jahr einen Unterschied von gut 200 Dollar, mehr nicht. In der Diskussion um die Zinsen geht es nicht um die Kleinsparer, die für ihre Altersversorgung in jedem Fall auf Rentenversicherung und Sozialstaat angewiesen sind. Es geht um die Multi-Millionäre, die schon aus ein paar Prozentpunkten mehr große Profite ziehen können.

Ady Barkan war es auch, der ein ganz grobes Klasseninteresse hinter der Presse-Propaganda für Zinserhöhungen sah: Höhere Zinsen gleich geringere Einkommen gleich schwächeres Wirtschaftswachstum gleich höhere Arbeitslosigkeit und geringere Verhandlungsmacht der Beschäftigten. So einfach ist der Zusammenhang sicher nicht. Nur ließen sich die Fed-Profis gar nicht erst auf eine solche Debatte ein. Ihr Argument war schlichter. Sie drohten einfach mit einer möglichen schweren Rezession, wenn nicht rechtzeitig mit höheren Zinsen einer möglichen Blase auf den Finanzmärkten begegnet werde. Dass auf diese Weise für die Exzesse der Börse eine ganze Wirtschaft in Haftung genommen wird, verstanden die Banker nicht.

Keine Frage, es gibt noch Fortschritt. Wenn es in zwei Jahren politischer Arbeit gelingt, Arbeiter und Erwerbslose bis auf die Internet-Seite der Konferenz der Kansas Fed zu bringen, dann spricht das für effektive Planung und engagierte Umsetzung. Die Kolleginnen und Kollegen auf dem Podium ließen sich von den hohen Herren und Damen nicht einschüchtern. Sie wussten, was sie wollten und haben ihre Erfahrungen, ihre Wut und ihre Vorschläge konzentriert vorgebracht. Allein die Nachricht von solchen Treffen lässt die rechten Medien heiß laufen und vor einer „Politisierung“ der Arbeit der Zentralbank warnen.

Die Warnungen sind übertrieben. Denn es ist sicher, eine breitere Vertretung abweichender Meinungen in den Gremien der Fed wird keine andere Wirkung haben als die Belegschaftsvertreter im deutschen System der Mitbestimmung: ein Frühwarnsystem, bestenfalls ein Frühwarnsystem nicht nur für das Kapital. In gewisser Weise teilen die Kritiker der Fed den Glauben an die Allmacht der Fed. Erstmal mobilisiert das, bis nach Jackson Hole. Nur nach der Rückkehr von diesem Ausflug wird es andere politische Perspektiven brauchen. Denn die Zentralbanker haben viel zu sagen, aber Allmacht gibt es nur im Film.

Infos wie folgt:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=105037
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