Zum 100. Todestag: Was wir heute von Rosa Luxemburg lernen können

Dossier

RLS: Heft 3/18 der Zeitschrift Luxemburg – Gesellschaftsanalyse und linke PraxisRosa Luxemburg war keine Feministin, sagen viele. Dabei wusste die Sozialistin schon vor über 100 Jahren, was wir im Kampf für eine gerechtere Gesellschaft brauchen: Das Zusammendenken von Sexismus, Rassismus und Klassismus. (…) Zudem erkannte Rosa Luxemburg schon Jahrzehnte bevor der Begriff der Intersektionalität in die feministische Theorie Einzug erhielt, dass verschiedene Formen der Ausbeutung von Menschen untrennbar miteinander verbunden sind: Sexismus, Rassismus und Klassismus. Zentrale Bedeutung misst sie dabei der Kategorie Klasse zu. Luxemburg wird deshalb in der Literatur immer wieder, unter anderem von der US-amerikanischen Rechts- und Politikwissenschaftlerin Drucilla Cornell, als eine sozialistische Feministin bezeichnet. Sozialistische Feminist*innen würden genauso wie liberale Feminist*innen heute für eine gesetzliche Verankerung des Rechts auf Abtreibung eintreten, diese aber mit Forderungen nach Krankenversicherung, Kinderbetreuung und gleichem Lohn für gleiche Arbeit verbinden – damit Frauen wirklich über ihre Reproduktion selbst bestimmen können. Der Kapitalismus ist für Luxemburg der Rahmen, in dem sich andere Unterdrückungsformen wie Sexismus und Rassismus entfalten können...“ Artikel von Nina Monecke vom 15. Januar 2019 bei ze.tt der Zeit online externer Link, siehe dazu auch die Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 15.1.2019 – wir danken! – und weitere Beiträge 

Zum 100. Todestag: Die Bedeutung von Rosa Luxemburg für heute?

Von Ernst Piper ist wohl die Biografie über Rosa Luxemburg, die ich meinte. Ihr 100. Todestag kann an sie erinnern (https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article186962098/Ernst-Pipers-Lebensbild-von-Rosa-Luxemburg.html externer Link und https://www.deutschlandfunkkultur.de/ernst-piper-ueber-seine-neue-rosa-luxemburg-biografie-ihre.2162.de.html?dram:article_id=438175 externer Link)

Die Bedeutung der politisch-repressiven Konflikte der Jahre 1918/19, die auch in der Ermordung Rosa-Luxemburgs gipfelten für die heutige politische Auseinandersetzung?

Jan Sternberg kramt einen irischen Historiker – Mark Jones – aus, der bestätigt, dass die „Bürgerkriegsmentalität des Jahres 1919“ sich durch die gesamten Jahre der Weimarer Republik hindurchzieht. Dabei wird in diesem Artikel jedoch nur versucht, der Linken – wofür Rosa Luxemburg quasi paradigmatisch steht – das Scheitern des demokratischen Umgangs miteinander in der Politik – etwas sublim – der Linken in die Schuhe zu schieben: „Sie (Rosa Luxemburg) war einer der hitzigsten Köpfe dieser Woche – und hat entscheidend zur Radikalisierung in diesen Tagen beigetragen.“ (http://www.fr.de/latestnews/mehrere-tausend-menschen-gedenken-luxemburg-und-liebknecht-a-1653206 externer Link)

Dann wird von Jan Sternberg auch noch Andrea Nahles zitiert, die die „Spekulation“ zurückgewiesen hat, dass der SPD-Verantwortliche für die Niederschlagung des Aufstands, Gustav Noske, den Mord an Luxemburg in Auftrag gegeben habe. Dem stimmt dann wieder der irische Historiker Mark Jones zu, dass es nicht zu beweisen ist, dass Sozialdemokraten wie Noske die Komplizen der Mörder waren. (vgl. zu einem Indizienbeweis Klaus Gietinger, „Die Leiche im Landwehrkanal“ – genaueres weiter unten)

Man könnte sagen, dem widerspricht eigentlich schon die Einmütigkeit, mit der die SPD nach dem Mord die Mörder gedeckt hatte – und propagandistisch rechts-national fundierte Zustimmung signalisierte vor aller Öffentlichkeit zum Beispiel von Philipp Scheidemann: „Wenn ich im Begriffe bin, mich in ein brennendes Haus zu stürzen, um Weib und Kind zu retten, und mein wahnsinniger Bruder legt die Flinte auf mich an, dann hilft nichts mehr, dann muss ich mich gegen ihn zur Wehr setzen.“ (http://www.fr.de/latestnews/mehrere-tausend-menschen-gedenken-luxemburg-und-liebknecht-a-1653206 externer Link)

So wird der Artikel in der FR geschlossen: Mit Rosa Luxemburg wurde keine Heilige ermordet, sondern eine tragisch Irrende. Es ist bedauerlich, wie in den politischen Gräben von 1919 einfach noch heute geurteilt wird – und nur um die SPD zu rechtfertigen – anstatt – von heute aus gesehen – die Möglichkeit zu nutzen, etwas distanziert nüchtern diese historische Situation zu betrachten.

Wohltuend ist daher die ganz andere Betrachtung von Rainer Stephan in der Süddeutschen Zeitung. Nach einer breiten Würdigung der geistigen und immer auch politischen Wirkung dieser Frau durch den Historiker Ernst Piper: Rosa Luxemburg – Ein Leben (https://www.sueddeutsche.de/politik/rosa-luxemburg-1.4286357 externer Link)

Mit der Bewilligung der Kriegskredite 1914 hat die SPD Rosa Luxemburgs Urteil über den Nationalismus bestätigt, die sie selbst nicht für möglich gehalten hätte. Sie dachte damals an Selbstmord, hat dann aber weiter und erbitterter den je gegen den Nationalismus-Wahn gekämpft – eine Haltung, die es leicht machte, sie während des Krieges für drei Jahre einzusperren – und sie am Ende als Vaterlandsverräterin oder wahlweise als jüdische Agentin für vogelfrei zu erklären…

Erst recht zu leicht macht es sich, wer Rosa Luxemburg als leidenschaftliche Kämpferin, scharfäugige Kassandra und/oder als hochsensible Idealistin hält, aber ihre Dauerauseinandersetzung mit der SPD für historisch nicht mehr relevant erklärt.

An den historischen Kontext gebunden sind lediglich die Themen, keineswegs aber die Struktur dieser Auseinandersetzung. Die war schon damals geprägt von der panischen Angst der SPD, man könne sie für sozialistisch halten. Dass heute kein industrielles Proletariat mehr existiert, dass der globale Finanzkapitalismus sich nicht mehr mit Massenstreiks bändigen lässt, ist sicher richtig. Aber ist deswegen die SPD heute weniger kleinmütig, als sie es 1919 war? (https://www.sueddeutsche.de/politik/rosa-luxemburg-1.4286357 externer Link)

Aber hier gibt es noch einen Titel einer dieser neuen Biografie von Rosa Luxemburg – wohl in der Form eines Krimis (https://www.sueddeutsche.de/kultur/zeitgeschichte-schrankkoffer-des-soldaten-1.4259385 externer Link, vgl. auch noch https://www.gegen-den-strom.org/rosa-luxemburg/ externer Link).

Aber Klaus Gietinger, der damit eine wichtige Lücke in dem ganzen Streit um die Verantwortung an diesen politischen Morden schließt, geht es nicht um das politische Werden und die Wirkung dieser interessanten und politisch leidenschaftlichen Frau, sondern sein Schwerpunkt liegt auf der Bedeutung der Netzwerke einer frisch aus dem Krieg heimgekehrten nationalistischen Soldateska, die einerseits diese Morde – mit enormer Wirkung auf die weitere – auch friedlich mögliche – politische Entwicklung in Deutschland hatten. (https://www.perlentaucher.de/buch/klaus-gietinger/eine-leiche-im-landwehrkanal.html externer Link)

Deshalb lautet die bedeutende Frage – auch an die Sozialdemokratie und ihre Positionierung in diesem Streit um eine politische Verantwortung für das Scheitern der Weimarer Republik: Gab es angesichts der enormen gesellschaftlichen Unterstützung – nicht nur durch Sozialdemokraten wie den Reichswehrminister Gustav Noske, sondern auch durch die Rechtsprechung – bis hin zum Reichsgericht! – überhaupt eine Chance für Demokratie und Rechtsstaat?

Deshalb ist diese Arbeit von Klaus Gietinger „zusätzlich“ nützlich und wichtig – auch um zu wissen, unter welchen politischen Umständen diese Rosa Luxemburg agieren musste – und inwieweit sie zu ihrem gewaltsamen Tod führen „mussten“ (lag nicht das Gewalt-Monopol längst jenseits eines Staates bei diesen „Freikorps“? (nebst ihren Unterstützen an allen wichtigen Schaltstellen von Politik und Staat – auf jeden Fall nach den ganzen Morden – auch von Eisner in Bayern?) (http://www.fr.de/kultur/rosa-luxemburg-und-karl-liebknecht-es-wurde-offen-zum-mord-aufgerufen-a-1636444,2 externer Link)

Dabei ist es aufschlussreich, wie Noske die Verantwortung an das Freikorps – unter dem Drahtzieher für die Morde Pabst – abschob. (= was schon vor dem Mord geschah!)

Damit hatte die Sozialdemokratie durch ihren Vertreter Noske in ihrer politischen Verantwortung als Regierung das Gewaltmonopol des Staates „unter der Hand“ an diese Freikorps-Soldateska übergeben. Und damit diese rechts-nationalistische Gewalt etabliert, die letztlich auch ihr den Untergang brachte. Insoweit könnte es durchaus interessant sein, wie die Darstellung von Gietinger auf diese – wieder so unversöhnlich schräge – Debatte im Hessischen Landtag wirkt (Aufarbeitung auch dieser Vergangenheit der SPD?)

Insoweit wird an diesem Punkt auch wieder diese neue Biografie zu Rosa interessant, weil dort sicher auch gezeigt wird, welches politisch mögliche Potential damals vernichtet wurde.

Klaus Gietinger im Interview mit Claus-Jürgen Göpfert über die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts (abgedruckt in der Frankfurter Rundschau am 12. Dezember 2018 (Magazin): http://www.fr.de/kultur/rosa-luxemburg-und-karl-liebknecht-es-wurde-offen-zum-mord-aufgerufen-a-1636444,2 externer Link). dieses Interviews basiert auf dieser umfassenden Recherche zu Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Klaus Gietinger (https://www.perlentaucher.de/buch/klaus-gietinger/eine-leiche-im-landwehrkanal.html externer Link), der eindeutig auf Noske hinführte, auch wenn dieser einen Befehl zur Ermordung „direkt“ nicht geben wollte, weil daran die SPD zerbrechen würde.

Aber er stellte es in die Verantwortung des mörderischen Drahtziehers Pabst, der Befehlshaber Garde-Kavallerie-Schützen-Division war, selbst… (Und was glaubte dieser Noske wohl, was dieser – auch ohne direkten Befehl – tun würde?) Diesen „früheren“ Teil der kaiserlichen Armee hat gerade dieser Pabst in ein Freikorps umgewandelt.

Und jetzt bekommen wir einen Streit im hessischen Landtag zu lesen, wo die SPD einmal wieder alles aus ihrer Sicht klarstellt – und behauptet es gebe dafür keinen Beleg: Und jetzt streitet der Hessische Landtag gegen die Wahrnehmung der SPD als „Auch-Schuldige“ an diesem Mord – „natürlich“ alle Schuld von sich weisend. (http://www.fr.de/rhein-main/landtag-mord-an-luxemburg-und-liebknecht-schuert-streit-a-1173746 externer Link)

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 15.1.2019 – wir danken!

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Siehe auch:

  • Rosa Luxemburg und die Sinnlichkeit New
    Das Gedenken an Rosa Luxemburg besteht hauptsächlich aus einer intellektuellen Auseinandersetzung, aus einem Streit um Begriffe. Nicht gesehen wird, wie hier aus Gefühlen heraus, aus einer Lebenslust ein anderes Subjekt einer Revolution auftritt. Eine Revolution basiert nicht mehr auf Führern, auf einem Programm, auf Büchern, sondern auf Individuen („AktivistInnen“), die sich entschieden haben, nur noch nach ihren sinnlichen Bedürfnissen zu leben, aus einer Lust am Leben, und ihre Mitmenschen ebenfalls von ideologischen Trugbildern zu befreien: Wir haben ein Recht auf Leben, das uns Spaß macht, basta. Von solchen Menschen wird eine erfolgreiche Revolution getragen. Sie waren 1919 hierzulande noch in der Minderheit, aber später nicht mehr. Individuen, die aus einem sinnlichen Bedürfnis heraus handelten, waren z.B. die Frauen der Bewegung „Mein Bauch gehört mir“. Eine erfolgreiche Revolution kann also nur von unten kommen, von Unterdrückten, die sich plötzlich ganz auf ihre Sinne verlassen.“ Karl-Heinz Thier am 24.1.2019 – wir danken und schliessen uns inhaltlich an
  • [Film bei arte] Rosa Luxemburg – Der Preis der Freiheit
    Hundert Jahre nach dem grausamen Mord an Rosa Luxemburg erzählt der Film von dem Leben und den Idealen der Sozialistin. Zu einer Zeit, in der Populisten ihre nationalistischen Ansichten immer lauter kundtun, ist die Zurückbesinnung auf die humanistischen Wurzeln unserer Europäischen Kultur von großem Interesse. Rosa Luxemburg gilt neben Karl Liebknecht als wichtigste Repräsentantin internationalistischer und antimilitaristischer Positionen in der SPD. Anfang des 20. Jahrhunderts, als kaum Frauen studierten, gehörte sie zu den wenigen promovierten Akademikerinnen in Deutschland und war zugleich eine der wenigen Frauen in der aktiven Politik. Ihre leidenschaftliche und überzeugende Kapitalismuskritik war der Motor ihres revolutionären Tuns. Hundert Jahre nach dem grausamen Mord an Rosa Luxemburg erzählt die Dokumentation von dem Leben und den Idealen der großen Sozialistin. Ihre berühmte Aussage „Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden“ hat schon die Proteste der Bürgerbewegung der DDR inspiriert und bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Der Film führt an die wichtigsten Lebensorte von Rosa Luxemburg, zeigt im animierten Graphic-Novel-Stil Zeichnungen der jungen britischen Künstlerin Kate Evans unterschiedliche Lebensphasen der Revolutionärin. Erzählungen zahlreicher Persönlichkeiten wie der Regisseurin Margarethe von Trotta, der Historiker Jörn Schütrumpf und Holger Politt, der polnischen Kunsthistorikerin Dorota Sajewska, der brasilianischen Biografin Isabel Loureiro und der Politiker Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi liefern einen detaillierten Einblick in das facettenreiche Leben der mutigen großen Dame der sozialistischen Bewegung. In Zeiten, in denen Populisten in Europa und der ganzen Welt ihre nationalistischen Ansichten immer lauter kundtun, sind Luxemburgs Bestrebungen von großem Interesse und erinnern an die humanistischen Wurzeln der europäischen Kultur.“ Info zum Film von 2017 bei arte externer Link (53 Min., Verfügbar vom 15/01/2019 bis 21/01/2019)
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=142768
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