[Petition] Anerkennung von „Asozialen“ und „Berufsverbrechern“ als Opfer des Nationalsozialismus

Dossier

"Sozialrassistische Verfolgung im deutschen Faschismus. Kinder, Jugendliche, Frauen als sogenannte »Asoziale« – Schwierigkeiten beim Gedenken" herausgegeben von Anne AlexDer Deutsche Bundestag soll die von der SS „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ genannten ehemaligen KZ-Häftlinge als Opfer des Nationalsozialismus anerkennen. Zwischen 1933 und 1945 wurden mehrere zehntausend Menschen durch Kriminalpolizei oder GeStaPo in die Konzentrationslager eingewiesen. Sie sind bis heute nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. Die von den Nazis als „Asoziale“ diskriminierten Menschen (z. B. Obdachlose, Wanderarbeiter, Bettler, „Arbeitsscheue“ oder „Landstreicher“) wurden als „Ballastexistenzen“ bezeichnet. (…) In den Augen der Nazis waren das Menschen, die durch vergangene Haftstrafen (z. B. wegen Diebstahls, Einbruchs, Abtreibung oder – tatsächlicher oder vermuteter – Zuhälterei, Prostitution oder auch in einigen Fällen wegen Gewaltdelikten) „bewiesen“ hätten, dass sie einen inneren Drang zu kriminellen Taten verspürten, dass sie nicht resozialisierbar seien…“ Petition an den Deutschen Bundestag gestartet von Frank Nonnenmacher im Februar 2018 bei change.org externer Link mit der Bitte um Unterzeichnung. Siehe dazu leider immer noch:

  • Sozialrassistisch Verfolgte in NS-Zeit: Ein Leben lang herabgesetzt New
    „Dass ihr Vater Franz Walter 1937 verurteilt wurde und bis zum Ende des Krieges im Konzentrationslager und in Gefängnissen inhaftiert war: Davon gewusst hat Irmgard Fuchs immer. „Wir gingen von irgendetwas Politischem aus“, schreibt sie in ihrem Beitrag „Für Franz: Wie die Nazis das Leben meines Vaters verpfuschten“; lesen kann man ihn im soeben erschienenen Band „Die Nazis nannten sie ‚Asoziale‘ und ‚Berufsverbrecher‘“ (Campus, 372 S., 29 Euro, E-Book 26,99 Euro). Das von Frank Nonnenmacher herausgegebene Buch versammelt mehr als 20 Geschichten von Opfern der sozialrassistischen Verfolgung durch das NS-Regime. Verfolgt und mit einem schwarzen oder grünen Winkel gekennzeichnet in Konzentrationslagern, Zuchthäusern und Gefängnissen inhaftiert wurden diese Menschen als vermeintlich genetisch verdorbene „Asoziale“, als „Berufsverbrecher“ oder „Arbeitsscheue“. (…) Dabei erzählt der Band nicht nur vom Schicksal der Menschen während des Nationalsozialismus, sondern auch davon, wie diese Erfahrungen ihr Leben nach der Befreiung 1945 geprägt haben: Die Stigmatisierung setzte sich in der Bundesrepublik fort. (…) Bis vor vier Jahren wurde dieser Opfergruppe die Anerkennung verwehrt, zu Unrecht inhaftiert, gequält und ermordet worden zu sein. Erst 2020 beschloss der Bundestag, dass niemand „zu Recht“ in einem Konzentrationslager gesessen haben kann. Weswegen Franz Walter verurteilt wurde, darüber habe er in der Familie nicht gesprochen, erzählt Irmgard Fuchs der taz. Erst als Corona kam, sei sie mit ihrem Mann ins Emsland gefahren, ins ehemalige KZ Esterwegen. Dort sei alles hochgekommen: die Erzählungen des Vaters, seine Selbstgespräche, dass er öfter geweint habe, dass ihn das alles immer wieder eingeholt habe. (…) Jahrelang muss Franz Walter Zwangsarbeit im Moorlager Esterwegen leisten. Aufgehoben wird das Urteil nie – trotz etlicher Versuche Walters, eine Revision zu bekommen…“ Artikel von Robert Matthies vom 22. März 2024 in der taz online externer Link
  • „Noch immer nicht in der deutschen Erinnerungskultur angekommen“: „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ sind bis heute fast vergessene Opfer
    „… Mal wieder richtig durchgreifen und aufräumen, das Verbrechen an seiner Wurzel packen, die Verbrecher ausmerzen und eine kriminalitätsfreie Deutsche Volksgemeinschaft gründen.“ Mit diesen und ähnlichen Parolen erhielten die Nationalsozialisten auch die Zustimmung von Personen, die ihnen anfangs vielleicht noch fernstanden. Und auch in Teilen der postnationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ haben sie bis heute Konjunktur. Unter dem Deckmantel der Verbrechensbekämpfung verfolgten die Nazis ab 1933 nicht allein politisch und „rassisch“ Unerwünschte – und wer kriminell ist, bestimmten sie selbst. Wer wegen eines Bagatelldeliktes, etwa Ladendiebstahl, Wäschediebstahl von einer Wäscheleine, oder auch Untreue, mehr als zweimal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde und diese Strafe abgesessen hatte, den deportierte die Kriminalpolizei unmittelbar in ein Konzentrationslager. (…) Das gleiche Schicksal traf auch andere sozial Deklassierte, etwa Bettler, Landstreicher, Wohnungslose, Alkoholkranke und Wanderarbeiter. Erstere erhielten einen grünen Stoffwinkel auf ihrer Häftlingsuniform und wurde damit als „Berufsverbrecher“ gekennzeichnet, letztere erhielten einen schwarzen Winkel und waren damit als „asozial“ stigmatisiert. (…) Im Rahmen der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ im Jahr 1938 kam es zur Verhaftung von mehr als 10.000 Menschen. Betroffen waren nicht allein Alkoholkranke, Bettler, Zuhälter und Dirnen, sondern auch, wie Heydrich in einem Schreiben auflistete: „… Personen, wenn sie keinen Willen zur geregelten Arbeit gezeigt haben…“ (…) Eine nicht gerade positive corporate identity blieb diesen Häftlingsgruppen, die historische Forschung geht von etwa 70.000 bis 80.000 Menschen, die zwischen 1933 und 1945 als „Berufsverbrecher“ und „Asoziale“ in die Konzentrationslager eingewiesen wurden, auch nach dem Krieg erhalten – und zwar sowohl im Nachfolgestaat des Dritten Reiches als auch in der DDR. (…) Beide Opfergruppen sind 70 Jahre lang von den Medien nahezu vollständig ignoriert worden. Diese Tatsache unterstreicht auch der emeritierte Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften und der politischen Bildung an der Frankfurter Goethe-Universität, Frank Nonnenmacher, gegenüber Telepolis. (…) Zusammen mit ein paar jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern richtet Nonnenmacher 2018 einen öffentlichen Appell an den Bundestag, die Verleugneten endlich als NS-Opfer anzuerkennen. (…) Dieser Appell führte zu einem von Regierung und Opposition einstimmig verabschiedeten Beschluss – nur die AfD enthielt sich – und seit dem 13. Februar 2020 sind nun endlich auch die Verleugneten als Verfolgte anerkannt (…) Desaströs aber ist, dass diese Anerkennung viel zu spät kam, so spät, dass niemand mehr eine Entschädigung erhielt und ganz zu Recht bewertet es Aktivist Nonnenmacher als: „zynisch, dass die Bundesrepublik sich durch das lange Zuwarten viel Geld gespart hat“. (…) Diese erschreckende Bilanz legt es nahe, es nicht länger in die Hand von Einzelnen zu legen, ob die seit drei Jahren nun endlich als NS Opfergruppe Anerkannten auch zu einem integralen Teil unserer Erinnerungskultur werden. Deshalb gründen Nonnenmacher, die Grünen Politikerin Ines Eichmüller – die Häftlingsuniform ihres Großvaters hatte ein schwarzes Dreieck – und weitere Nachkommen von sozialrassistisch Verfolgten im Januar in Nürnberg den Verband der Nachkommen von Verleugneten. (…) Eine Namensliste der Angehörigen und Nachkommen der Verleugneten existiert leider nicht. Deshalb sind die Verbandsgründer darauf angewiesen, dass Menschen, die an der Gründung eines solchen Verbandes interessiert sind, sich bei fnoma@gmx.de melden. Hier erhalten Sie auch weitere Informationen zur Gründung, die am 21./22. Januar 2023 in Nürnberg erfolgen wird, damit, wie es der Sozialwissenschaftler treffend formuliert, „dieses wichtige Thema endlich auch ankommt in der deutschen Erinnerungskultur“.“ Beitrag von Dirk Farke vom 4. Dezember 2022 in Telepolis externer Link
  • [„Asoziale“ und „Berufsverbrecher“] Bundestag berät über Anerkennung weiterer NS-Opfergruppen 
    „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“, die in Konzentrationslagern inhaftiert und gequält wurden, sind bislang nicht als NS-Opfergruppen anerkannt. Das soll sich ändern. (…) Der Bundestag berät in dieser Woche über eine mögliche Anerkennung weiterer NS-Opfergruppen. Dem Parlament liegen vier Anträge aller Fraktionen außer der AfD für eine stärkere Würdigung von Menschen vor, die von den Nazis als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in Konzentrationslagern inhaftiert, gequält und auch ermordet wurden. (…) Wie viele der Verfolgten aus diesen beiden Gruppen heute noch leben, ist unbekannt. Es wird von einer sehr niedrigen Zahl ausgegangen, weil sie in der Regel bereits in der NS-Zeit Erwachsene waren. Als „Asoziale“ wurden von den Nazis unter anderem Obdachlose, Bettler oder Prostituierte in Konzentrationslager gebracht. Zu „Berufsverbrechern“ erklärten die Nazis Menschen, die wiederholt in der Regel wegen Eigentumsdelikten verurteilt wurden. Ihre Strafe hatten sie allerdings schon verbüßt, bevor sie in einem KZ inhaftiert wurden. (…) „Niemand wurde zu Recht in einem Konzentrationslager inhaftiert, gequält oder ermordet“, heißt es in dem Antrag der Koalitionsfraktionen…“ Meldung vom 11. Februar 2020 von und bei MiGAZIN externer Link
  • [Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien] Experten: „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ als NS-Opfer anerkennen
    „Menschen, die während der nationalsozialistischen Diktatur als sogenannte „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ verfolgt beziehungsweise in Konzentrationslagern inhaftiert wurden, sollen als NS-Opfer anerkannt werden. Mit Ausnahme der AfD-Fraktionen waren sich alle anderen Fraktionen und die vier geladenen Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien unter Vorsitz von Katrin Budde (SPD) am Mittwoch, 6. November 2019, einig. (…). In den vier inhaltlich sehr ähnlichen Anträgen sprechen sich die Fraktionen dafür aus, dem Schicksal der sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ im öffentlichen Bewusstsein und dem staatlichen Gedenken mehr Raum einzuräumen und die wissenschaftliche Erforschung ihrer Verfolgung zu intensivieren. Zudem sollen die Möglichkeiten für Entschädigungen verbessert werden. (…) Der stellvertretende Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Dr. Ulrich Baumann, die Historikerinnen Dr. Julia Hörath vom Hamburger Institut für Sozialforschung und Dr. Dagmar Lieske von der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Frank Nonnenmacher begrüßten die parlamentarischen Initiativen der Fraktionen ausdrücklich. Nonnenmacher warb jedoch eindringlich dafür, dass sich die Fraktionen angesichts der Bedeutung des Themas auf einen fraktionsübergreifenden Antrag einigen sollten. „Alle aufgeklärten Demokraten“ müssten anerkennen, dass es sich bei allen KZ-Häftlingen um Opfer der Nationalsozialisten handelte, unabhängig von den Gründen, aus denen sie in den Konzentrationslagern inhaftiert waren, sagte Nonnenmacher. Ulrich Baumann verwies darauf, dass die sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ bis heute in der Gesellschaft nicht als NS-Opfer anerkannt seien und schlichtweg das Wissen über ihr Schicksal fehle. Mitunter herrsche auch die Meinung, dass viele dieser Menschen „wohl irgendwie zu Recht“ im KZ gesessen hätten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ auch von anderen Opfergruppen keine Unterstützung erhalten, als NS-Opfer anerkannt zu werden. (…) Julia Hörath führte aus, dass die sogenannte Vorbeugungshaft von „Berufsverbrechern“ in jedem Fall gegen alle rechtsstaatlichen Grundsätze verstoßen habe und deswegen als „nationalsozialistisches Unrecht“ einzustufen sei. Als „Berufsverbrecher“ seien Menschen eingestuft worden, die mehrfach wegen Delikten verurteilt worden sind. Zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung in die Konzentrationslager hätten sie ihre Haftstrafen wegen der Straftaten jedoch längst abgeleistet gehabt. Dagmar Lieske erläuterte, dass mehrere Zehntausend Menschen von den nationalsozialistischen Behörden als „Berufsverbrecher“ eingestuft worden seien. Darunter seien Männer wie Frauen, Alte und Junge, Deutsche und Nichtdeutsche, Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten gewesen. Allein im KZ Sachsenhausen seien etwa 9.000 der sogenannten „Berufsverbrecher“ inhaftiert gewesen…“ Mitteilung des Deutschen Bundestags vom November 2019 externer Link mit Video der kompletten öffentlichen Anhörung (Länge: ca. 1:30 Std.)
  • [Interview] Anerkennung von „Asozialen“ und „Berufsverbrechern“ als Opfer des Nationalsozialismus
    „Mehrere zehntausend Menschen wurden im Nationalsozialismus als „Asoziale“ oder „Berufsverbrecher“ in Konzentrationslager eingewiesen, wo sie einen schwarzen oder grünen Winkel auf der Kleidung tragen mussten. Weil sie nicht in die »deutsche Volksgemeinschaft« passten, wurden sie als „Ballastexistenzen“ bezeichnet und weg gesperrt oder sogar ermordet. Trotzdem findet bis heute kaum Gedenken an diese Menschen statt und sie sind bis heute nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. Eine Petition an den Bundestag will das nun endlich ändern, gestartet hat diese Petition Frank Nonnenmacher…“ Interview von Saskia von Radio Corax mit Frank Nonnenmacher vom 1. März 2018 beim Audioportal Freier Radios externer Link Audio Datei (Audiolänge: 11:08 Min.)
  • »Niemand saß zu Recht im KZ« Kampagne fordert Anerkennung der »Asozialen« und »Berufsverbrecher« als Opfer des Nationalsozialismus 
    „Es sind die ignorierten Opfer des Nationalsozialismus: die »Asozialen« und »Berufsverbrecher«. Mehrere Zehntausend Menschen wurden in KZs ermordet, weil nicht in die »deutsche Volksgemeinschaft« gepasst haben. Eine Anerkennung hat bis heute aber nicht stattgefunden. (…) Auch soll an die Zeit nach dem Nationalsozialismus erinnert werden: Viele »Asoziale« wurden bis weit nach dem Kriegsende »verwahrt«. Die KZ-Haft gegen »Berufsverbrecher« galt nicht als spezifisch nationalsozialistisches Unrecht, sondern als »Kriminalpolitik mit anderen Mitteln«. Dies habe eine Aufarbeitung und Organisierung der Opfer erschwert. Bis heute gibt es keine offiziellen Interessengruppen. Allerdings: Im Jahr 2015 gründeten Künstler den »Zentralrat der Asozialen«. Die Gruppe versteht sich nicht als offizielles Sprachrohr, sondern will auf die vergessenen NS-Opfer aufmerksam machen – und die Kontinuitäten von Ausgrenzung deutlich machen. Denn: Bis heute werden sozialschwache und von Normen abweichende Menschen diskriminiert. Der Begriff »asozial« ist immer noch fest in der deutschen Sprache verankert. Auch die Historikerin Lieske beobachtet eine Zunahme von Sozialdarwinismus…“ Beitrag von Niklas Franzen bei neues Deutschland online vom 24. Februar 2018 externer Link
  • [Interview] »Keine Vorzeigeopfer«
    Small Talk von André Anchuelo mit der Historikerin Dagmar Lieske vom 22. Februar 2018 bei Jungle World 2018/08 externer Link über die Anerkennung von »Asozialen« und »Berufsverbrechern« als NS-Opfer. „Was ist der Hintergrund der Petition? Es gibt bis heute Opfer des Nationalsozialismus, die nicht anerkannt sind, weder offiziell politisch noch in der Erinnerungskultur. Es handelt sich um Menschen, die die Nazis als »Asoziale« und/oder »Berufsverbrecher« bezeichneten. Wir haben uns damit seit einigen Jahren wissenschaftlich befasst. Es ist klar, dass die meisten aus dieser Gruppe nicht mehr leben. Es geht also nicht mehr so sehr um eine materielle Entschädigung für Überlebende, sondern um die Anerkennung dieser Gruppe, so dass weitere Forschung ermöglicht wird und eine Verankerung in der Erinnerungskultur stattfindet. Damit wenden wir uns zunächst an den Bundestag als politische Instanz, aber natürlich wollen wir dadurch auch eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Aspekt des Nationalsozialismus anregen…“

Siehe dazu auch im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=128270
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